Thailändisch lernen

Die Erinnerungstechnik

        #1  

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Ein Fotofeuilleton.

Wenn ich mich richtig entsinne war es am vorletzten Montag, als ich mich in Udon Thani auf den Weg in den UD- Town begab, um nach Fotosujets zu suchen, und vor dem 7Eleven auf Philipp traf, ein Engländer in meinem Alter, mit dem ich schon einige unterhaltsame Gespräche geführt hatte. Er freute sich, mich zu sehen, und äusserte, dass er schnell ins Geschäft gehen wollte, um ein oder zwei Bierflaschen zu kaufen, bevor die Sperrstunde eintritt. Ich antwortete ihm, dass meiner Meinung nach schon zwei Uhr überschritten ist, und er somit kein erfrischender Gerstensaft erstehen könne, was er widersprach und meinte, er habe vor einer Viertelstunde auf sein Smartphone geschaut und sei der Meinung, dass die Sperrstunden noch nicht eingetroffen sei: er wolle sich beeilen, und ich solle doch bitte auf ihn warten, was ich gerne tat.

Im Moment als er verschwunden ist wurde mir gewähr, dass er nicht alleine gekommen ist und eine Person hinter ihm stand, die offenbar zeitgleich mit mir auf Philipp warten wollte. Da meine kleine Lumix an einem Gurt an meinem Hals hing zeigte ich auf die Kamera, und fragte, ob ich ein Foto machen darf.

Ich durfte, sogar sehr gerne.

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Es war so, dass ich Philipp ansprechen wollte über ein Buch, das er erwähnt hatte, denn ich hatte den Namen des Autors vergessen. Es handelte sich um einen amerikanischen Historiker, der in seinen Erinnerungen eine Technik erwähnt, die es Menschen, welche aus beruflichen Gründen fest auf ihr Gedächtnis angewiesen sind, wie Reisebuchautoren oder neuzeitliche Philosophen, erlaubt, die erlebten Begebenheiten bei Bedarf recht genau wieder aus der Vergessenheit ins Bewusstsein zurück zu rufen.

Bilder kann ich jederzeit mit der Kamera, falls ich sie dabei habe, festhalten, Texte schreibe ich im Word, aber was macht man mit Assoziationen, mit Situationen, die man erlebt, Gefühle, Farben oder gar Gerüche?

Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ich als Kleinkind fasziniert war von einem Geruch, den ich auf einer Seite eines alten Gebäudes wahrnahm, und als ich meine Grossmutter fragte, woher der Geruch stamme, führte sie mich in einen Kartoffelkeller, dessen Naturboden und wahrscheinlich auch die eine oder andere verfaulte Kartoffel einen modernden Geruch verbreitete. Dieser Geruch, den ich später als Erwachsener öfters wieder gerochen habe, blieb für mich eng verknüpft mit den schönen, aus dem 19. Jhd. stammenden Sandsteingebäude.

Aus dem Blickkontakt mit der Person schloss ich, dass ich weitere Fotos machen sollte.

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Philipp kam aus dem 7Eleven mit einer kleinen Flasche Cola und einem Mineral in einer Plastiktasche.

„Du hast recht,“ sagte er, „Es gibt kein Bier mehr“.

„Das macht doch nichts,“ tröstete ich ihn, und drückte ein nächstes Mal ab, um seine vermeintliche Begleitung zu verewigen.

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        #2  

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„Ich wollte Dich sowieso fragen, wie das Buch hiess, von dem Du mir erzählt hast, die Erinnerungen von diesem Historiker, der eine Technik beschreibt, mit der man Erinnerungen systematisch im Gedächtnis festhalten kann“.

„The Memory Chalet von Tony Judt,“ antwortete er, schaute auf mein Modell und fragte, wer das sei.
„Ich dachte, dass sie mir Dir gekommen ist,“ antwortete ich verwundert.
„Meinst Du tatsächlich?“ fragte er zweifelnd.
Wir schauten beide auf das stumme Wesen, das darauf verunsichert ihre Posierungen einhielt, eine grosse Praline auspackte, in den Mund stiess und von dannen stapfte.

„Genau,“ antwortete ich, „Tony Judt“.
Der Autor beschreibt in seinen Memoiren, dass man, um zu verhindern, dass der Schleier des Vergessens über die Erinnerungen zieht, sie rein geistig natürlich in ein imaginäres Haus packen sollte, wo man sie schön ordnet und in verschiedenen Zimmern, ja sogar verschiedene Schränke oder Schubladenstöcke versorgen soll.

Ich als Liebhaber von Kleinhotels müsste mir also gedanklich ein Hotel bauen, in dem ich zum Beispiel meine Herkunftsfamilie in die Reception, die Grundschulen ins Office, die Adoleszenz in die Küche und sämtliche folgende Erlebnisse in die Hotelzimmer 1 – 20, je nach Phase mit Doppel- oder Einzelbett und je nach dem mit Badzimmer oder nur ein Gemeinschaftstoilette auf dem Gang, einordnen.

„Ein schwieriges Unterfangen,“ sagte ich dem Philipp, und er pflichtete mir bei.
Wir sprachen darauf auf der Strasse noch über das eine und andere und verabschiedeten uns, nicht ohne zu versichern, dass wir gelegentlich zusammen auswärts essen wollen.

Das Taschenbuch von Tony Judt, das Chalet der Erinnerungen, habe ich nach dem Rückflug in Zürich gekauft.
Wenn ich jetzt seinen Namen auf dem Buchumschlag lese, assoziere ich ihn mit dem Gesicht der Person vor dem 7Eleven.

Nun hirne ich, in welchem Hotelzimmer und in welche Schublade ich Tony Judt, Philipp und die andronyne Person ablegen kann.

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        #3  

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... fängt ja gut an ... ;)
 
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