Thailändisch lernen

Fleisch und Leder

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Pitcairn auf seiner ungewöhnlichen Individualreise quer durch Bangladesch.

Alles beginnt mit billigen 80 Dollar-Kühen aus Indien.
Für den Transport werden indische Rinder mit Seilen zusammengeschnürt und auf Transportern mit kleinen Ladeflächen rücksichtslos übereinander geworfen. Beim Be- und Entladen verletzen sich die Tiere gegenseitig ungewollt mit den Hörnern oder treten auf liegende Artgenossen. Auf einen Minilaster, der gesetzlich nur für den Transport von maximal drei Tieren zugelassen ist, werden in der Regel neun gefesselte Kühe gepackt. Den Transport legen die armen Kreaturen oftmals ohne Nahrung zurück. Angesichts der enormen Distanzen, ziehen sich Transporte von Rindern von Indien nach Bangladesch häufig über eine ganze Woche hin. Der Lebendtransport bedeutet für die betroffenen Tiere einen enormen Stress und erhöht massiv ihr Infektionsrisiko.
Die Tiertransporte von bis zu 2000 Kilometer laufen heimlich ab, denn in Indien sind Kühe heilig. Doch das Moslemland im Osten des Subkontinents, braucht die Tiere für die Leder und Fleischproduktion. An der indisch-bengalischen Grenze bestechen die Schmuggler die Grenzpolizei mit Schmiergeldern oder schleichen sich bei Nacht über die schwer bewachte Grenze. Kinder helfen den Schmugglern, indem sie mit den Kühen gemeinsam durch den Grenzfluss Ganges ans andere Ufer schwimmen. Immer wieder kommt es zu Zwischenfällen mit korrupten Grenzpolizisten, die nicht auf ihren Anteil an diesem Drecksgeschäft verzichten wollen. Störende Bauern, die sie um ihren Anteil bringen, werden gefoltert und Schmuggler erschossen.
Wenn die erschöpften Kühe schlussendlich auf dem Rindermarkt abgeliefert werden, werden sie mit Peitschen von der Ladefläche in die Unterstände getrieben. Einige Kühe haben offene, eitrige Wunden, andere sind bis auf das Gerippe abgemagert. Manche Tiere haben vierfach gebrochene Schwänze, denn viele Schmuggler brechen den Tieren unterwegs die Schwanzknochen, damit sie den Gewalttransport fortsetzen. Um die ermatteten Tiere zum Aufstehen zu zwingen, nehmen die Peiniger auch Lal Mirchi, roten Chilli, und reiben ihnen damit die Augenlider ein. Extra-Miggu - unser Veterinär-Mediziner im Reiseteam erklärt, dass Tiere in vergleichbarem Ausmass wie Menschen leiden können. Sie empfinden Schmerz, Freude, Frustration, Einsamkeit und Mutterliebe. Doch niemand schützt sie hier vor dem Menschenwahnsinn.

In meinem Fokus liegt eine rote Blutspur und ich fordere mit Handzeichen den Wallah auf, dem Truck vor uns zu folgen. Dreissig Meter weiter erblicke ich einen Mann in weisser Kurta beim Schächten einer Ziege. Wir nähern uns scheinbar der Schlachthofregion. In Dhaka gibt's vier offizielle Halal-Schlachthäuser. Hier wirken Grobschlachter, Metzger, Fleischhauer, Selcher und Kleinviehstecher. Akkordschlachtung ist unbekannt und alles noch Handarbeit. Überall liegen Tierkadaver herum. Ein infernalischer süsser Gestank liegt über dem Viertel, widerwärtig und nahezu unerträglich. Es komme mir vor, als lege er sich wie eine schleimige Schicht auf meine Haut. Während ich würgend versuche, meinen Brechreiz zu unterdrücken, werfe ich einen prüfenden Blick auf die Männer. Eine Pagola goru, eine Kuh wie die Tiere hierzulande heissen, wird gerade mit gefesselten Beinen von den Gehilfen auf den Boden gelegt. Ein letztes Messerschleifen, der islamische Metzger steht bereit. "Allahu akbar". Abdul schneidet, Blut spritzt, verdammt, das Messer ist stumpf, der Metzger schneidet erneut, mehr Blut spritzt. Ein letztes Muhen ist zu hören. Ich wate zunehmend im Blut. Fünf Minuten und ein paar sachgerechte Schnitte später, sieht die heilige Kuh aus Rajasthan schon gar nicht mehr aus wie eine solche. Wie in einem Ersatzteilmagazin stapeln sich Hufe neben Eingeweiden, die bluttriefende Haut wird gerade auf eine Transport-Rickshaw geladen, der Kopf liegt unbeachtet daneben.
Bei der islamischen Hallal-Schlachtung werden die in die Gebetsrichtung ausgelegten Tiere im Normalfall mit einem speziellen Messer mit einem einzigen grossen Schnitt durch die Halsunterseite getötet, indem beide Halsschlagadern, beide Halsvenen, die Luftröhre, die Speiseröhre sowie beiden Vagus-Nerven durchtrennt werden. Die Blutzufuhr zum Gehirn hört auf, die Schmerzempfindung stoppt und der Tod tritt binnen 4 Sekunden ein. Die Haut wird nicht dem lebenden Tier abgezogen - das sieht nur vermeintlich danach aus. Die konvulsivischen Zuckungen sind mechanische Reflexe des gefühllosen Tieres, vergleichbar mit einem Huhn, dem du den Kopf abhackst und das noch weiterflattert. Es sind meist westliche Tier- und Umweltschützer ohne Fachkenntnisse, die dieses Vorgehen bemängeln und mit Polemik begegnen. Sollen sie doch einmal selber Hand anlegen, dann wissen sie, was wirklich abläuft. Alles sieht unappetitlich aus, ist aber relativ human. Mit dem Schächten wird das möglichst rückstandslose Ausbluten des Tieres gewährleistet. Der Verzehr von Blut ist im Islam als auch im Judentum verboten; das machen nur die barbarischen Christen, die zu allem hinzu sogar noch Schweinefleisch essen. Feine Blut- und Leberwürste mit Hörnli (Teigwaren) und Apfelkompott gehören somit nicht zum hiesigen kulinarischen Kulturgut. Das Gebot des islamischen Schlachtens gilt als schonendes, für das Leid des Tieres minimierendes Verfahren. Der Schlachter verfügt über eine Ausbildung, die alle handwerklich-praktischen und rituell-spirituellen Kenntnisse umfasst.


Mit einem Micro-Van stürzen wir uns in den brodelnden Verkehr und fahren entlang des Buriganga-Rivers durch die Elendsgegend Richtung Hazaribagh. Hier wird jedes bisschen verwertbaren Abfalls rezykliert. In einer dunkel Halle, entdecken wir ein paar Frauen, die bei unzureichendem Licht, Plastik von Unverwertbarem trennen. Für einen Tag Arbeit erhalten sie 100 Taka (US $ 1.20). Dass wir uns hier nicht im idyllischen Allgäu befinden, merkst du spätestens, wenn die Kühe kein sattes grünes Gras zu fressen kriegen, sondern auf Abfallhalden weiden. Nebenzu motten Feuer und beissender Rauch steigt in die Höhe.

Ammoniak-Dämpfe schlagen sich mir in der düsteren Halle entgegen. Mit nackten Füssen in Gummilatschen steht der junge Mann in der Ledergerberei in der ätzenden Suppe. Zahlreiche grosse Holztrommeln mit Tierhäuten drehen langsam in gleichmässiger Geschwindigkeit in diversen Reihen. Das Ganze hat etwas von einer Frankenstein-Filmszene. Die Story handelt von Ende des 19.Jahrhunderts. Dr. Henry Frankenstein hat abseits der anerkannten Wissenschaft Leben aus toter Materie erschaffen. Es ist ihm gelungen ein vormals totes Herz wieder schlagen zu lassen, dass er beginnen konnte, aus Leichenteilen einen Körper zu erschaffen und ihm mit Hilfe eines Blitzes neues Leben einzuhauchen.
Leider hat sein Assistent einen Fehler gemacht und das von Frankenstein erschaffene Wesen verhält sich völlig anders als erwartet. Aus der Obhut seines Schöpfers entkommen, wirrt es grobmotorisch wie ein Roboter planlos in der Gegend herum und hat nur einen Gedanken, nämlich jedes unbekannte Leben bestialisch mit dem Fleischermesser dahinzumeucheln. Jeden Moment erscheint die Kreatur zwischen den Holztrommeln, schnappt sich den dunkelhäutigen Ledergerber und …… Stopp Pitcairn! Jetzt hast du im Moment nicht die Zeit, dir ein neues Drehbuch ausdenken, du bist hier in Hazaribath auf einer Fabrikbesichtigung. "Die Haare müssen runter, dazu braucht es Chemie", sagt der junge Geschäftsinhaber, der uns durch seine dunklen Hallen führt. In einem Raum lagert Chromgerbstoff zur Herstellung von Pickelbrühe für die Ledergerbung. Mehr sagt er nicht, doch ich bin nicht ganz unwissend. Das Anreicherungskonzentrat in Säcken aus Italien, der BRD und Südafrika besteht unter anderem aus Kochsalz und Ameisensäure. Von der damit angereicherten Lauge sollte man nicht zu viel trinken.
Frisch gegerbte Kuhhäute gelangen gesalzen und in gepressten Stapeln hierher zur Enthaarung. Die erste grosse Schmutzarbeit erfolgt nicht weit von hier in grossen Becken, wo die frisch von der Schlachtung kommenden Tierhäute gewaschen, gegerbt und zurechtgeschnitten werden.

Ali ist 17 und arbeitet in dieser Gerberei, seit er 12 ist. Ab diesem Alter gelten Kinder hierzulande als Erwachsene. So weicht man der Beschuldigung von Child-Labour elegant aus. Er leidet heute unter Asthma, Hautausschlägen, Juckreiz und Verätzungen. Sein Arbeitskollege Jahaj klagt besonders über die Arbeit in den Gruben, in denen die Tierhäute aufbewahrt und mit verdünnten Chemikalien behandelt werden. "Das Wasser brennt, wenn ich es mit der blossen Haut berühre“, sagt er. "Aber wenn ich Hunger habe, spielt Säure keine Rolle.- Ich muss essen.“ Die Arbeitgeber bilden die Leute in der Handhabung mit Chemikalien nicht ausreichend aus, noch stellten sie angemessene Schutzkleidung zur Verfügung. Nebenan sortieren Kinder Lederteile nach Grössen an veralteten, gefährlichen Maschinen. Ihr Tagelohn beträgt ein paar Taka; sie haben keine andere Wahl. Die Arbeitenden leiden unter anderem an Haut- und Atemwegerkrankungen, Ekzemen an den Extremitäten, die durch Chemikalien verursacht werden, oder sie verlieren gelegentlich Arme durch Unfälle an veralteten Gerbereimaschinen ohne Schutzeinrichtung. Die überwiegend arme Bevölkerung des Hazaribagh-Viertels klagt wegen der Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung über Erkrankungen wie Fieber, Hautkrankheiten, Atemprobleme und Durchfall. Dass die Arbeiten krank machen, in Langzeitfolge auch bösartige Karzinome verursachen, wissen die Leute. Doch sie ignorieren diese Tatsachen, denn ihre Alternative ist nur kranksein oder verhungern. Wenn ein Familienvater und Ernährer durch die Chemikalien krank wird, hat das direkte Konsequenzen auf seine Familie. Er verdient knapp US $ 40 im Monat, versichert ist er nicht.
Im Stadtteil Hazariba gibt es 150 Gerbereien; diese decken etwa 90 Prozent der landesweiten Produktion ab und beschäftigen zirka 15'000 Arbeiter. Viele sind unter 14 Jahre alt. Das Leder wird für den Weltmarkt hergestellt- auch für Westeuropa und wird insgesamt in 70 verschiedene Länder geliefert. Hauptabnehmende sind China, Südkorea, Japan, Italien, Deutschland, Spanien und die USA. Ich verwette einmal mehr den Arsch meiner Schwiegermutter, dass auch das Leder deiner günstigen Mokassins zu CHF 50, vom Discount-Schuhgeschäft in Westeuropa, aus Bangladesch stammt.
Vielleicht sind deine schicken blauen Latschen an den Füssen auch einmal ein Stück freiheitsliebende, heilige Kuh in Varanasi gewesen, die selbstherrlich Gemüse von einem Marktstand gefressen hat. Dann kam bei Nacht und Nebel die lokale Mafia, hievte das unschuldige, lebensfrohe Viech auf einen Laster, transportierte es zusammen mit anderen Artgenossen nach Bangladesch, wo es abgemurkst und weiter verarbeitet wurde. Wen kümmerts, ein Tier ist ja nur eine Ware. Abwasserreinigung, Filteranlage, Schadstoffentsorgung, ich muss laut herauslachen. Keine einzige Gerberei besitzt eine solche Einrichtung. Giftige Chemikalien mit tausendfach der erlaubten Schadstoffmenge, fliessen ungefiltert in die offene Kanalisation. Das grüne Abwasser ist mit Tierfleisch, Schwefelsäure, Ammoniak, Chrom und Blei verschmutzt. Verzögert fliesst die Brühe weiter in den versumpften, versifften, vergifteten, bestialisch stinkenden Buriganga River.

Ein Beschluss des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahr 2001 verpflichtet die Gerbereien, wirksame Abfallentsorgungsanlagen zu errichten. Doch bis jetzt besitzt keine einzige Gerberei eine Filtereinrichtung. Eine Fristerstreckung wurde bis 2005 gewährt, damit die Firmen ihre Produktionsstätten in die Peripherie verlegen können. Die Gerbereien agieren praktisch in einer rechtsfreien Zone und die Regierung lässt eine Frist nach der anderen verstreichen, anstatt Druck zu machen und das Problem zu lösen. Die Umsiedlung ist bis jetzt immer wieder an bürokratischen Hürden gescheitert. Hinzu kommt, dass zwei der grössten Gerbereien, sogar noch viel höhere Entschädigungszahlen für die Umsiedlung erhalten haben, als von der Regierung beschlossen. Wo aber ist das Geld geblieben? Logo, wir sind in Bengalen und jetzt komm wieder die gleiche Leier - da wird beschissen und betrogen ohne Ende. Ein Ende der Dilemmas ist nicht in Sicht. Ich stehe noch lange in der Halle ratlos herum und kann mein Glück kaum fassen: Ich bin in Zürich in eine Mittelschichtfamilie hineingeboren worden und nicht in Dhaka, in eine Ledergerberfamilie. Warum war mir das Schicksal hold? Leben und arbeiten in Hazaribagh - die landesweite Höchststrafe.
https://www.youtube.com/watch?v=kT3xjfxMmoc


Pitcairn, seit 40 Jahren auf der endlosen Reise.

Pitcairn hat mit seinem vierköpfigen Reiseteam Bangladesch in den Monaten Oktober - Dezember 2014 individuell bereist. Der Bericht ist ein Auszug aus der über zweihundertseitigen Globalversion Ein Land im fortgeschrittenen Zerfall. Die Publikation im Forum wird in den kommenden Monaten erfolgen.

 
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        #2  

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bin einfach nur sprachlos, sensationell Deine Berichte.:dank:
 
        #3  

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Pitcairn----da verschlägt es einem glatt den Atem beim Lesen... Was treibt Dich an, sich all das aus nächster Nähe zu betrachten? Gibt es auch freudige Sachen in Bangla?
 
        #5  

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Was für ein heftiger Bericht .
 
        #6  

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Es ist immer dasselbe Lied: Die Abnehmer, meistens reiche Industrienationen, haben absolut kein Interesse daran etwas zu ändern. Die Modeindustrie zahlt lieber 10tausende für den schönen Arsch eines Supermodels als ein paar Cent mehr pro Stunde für eine Näherin..

Pitcairn ein Bericht der anderen Art..Merci.
 
        #7  

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Member hat gesagt:
Es ist immer dasselbe Lied: Die Abnehmer, meistens reiche Industrienationen, haben absolut kein Interesse daran etwas zu ändern. ...
Irgendwo muss unser Wohlstand ja erarbeitet werden.
Mit 35 Wochenstunden gegenseitigem Haareschneiden und 6 Wochen Urlaub im Jahr kommen wir da nicht weit.
Da muss halt in anderen Teilen der Welt etwas mehr angepackt werden. :ironie:
 
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