Ich hatte schon zuvor Airports gesehen, die nicht gerade ein Aushängeschild waren. Aber in vielen Ländern ist ja in den letzten Jahren die Einsicht gereift, dass gerade die internationalen Airports eine Art Visitenkarte des Landes sind und den ankommenden Gästen einen möglichst guten, ersten Eindruck des Landes vermitteln sollen.
Hier hatte man eher das Gefühl, als würden an diesem Airport gar keine Gäste erwartet und man könnte den Platz besser fur einen Wochenmarkt nutzen.
Unsere Blicke schweiften über die von kleinen Kiosken, Getränkehökern und Tinnefständen gesäumte Gasse. Es musste kurz zuvor geregnet haben, denn in den unzähligen Schlaglöchern stand das Wasser. Die ganze Szenerie wirkte irgendwie unwirklich und deplatziert, auch oder vor allem, da sie uns so unvorbereitet traf.
Nachdem der erste Schock überstanden war, fand mein Blick den Fahrer, der bereits 30 Meter voraus war und versuchte unser Gepäck unfallfrei durch die Pfützenlandschaft zu bugsieren.
Wir setzten uns in Bewegung um zu ihm aufzuschliessen, was gar nicht so einfach war, denn plötzlich fanden wir uns in einem Hinterhalt von ca. 30 bettelnden Kindern wieder, die von allen Seiten auf uns zuströmten.
Mein Gott, das war nacktes Elend hier, wirklich mitleiderregend. Wir konnten nicht mal etwas geben, da wir ja noch kein Kleingeld hatten. Der ATM hatte nur 1000er ausgespuckt.
Eine Mischung aus Mitleid und Schockiertheit ob der offensichtlichen Armut kam auf, was das Ganze nun wirklich unangenehm machte. Wir beschlossen der Situation zu entkommen, indem wir unsere Schritte beschleunigten, zum Fahrer aufschlossen und mit ihm gemeinsam auf den nahegelegenen Parkplatz einbogen. Auch dort kamen gleich bettelnde Kinder auf uns zu, allerdings nur vereinzelt.
Ansonsten war der Parkplatz recht gut belegt, vorwiegend mit Rostlauben. Nicht alle schrottreif, aber es war weit und breit kein Wagen zu sehen, der unseren Erwartungen an ein adäquates Transportmittel entsprochen hätte.
Der Fahrer ging auf einen Kleinbus zu, der offensichtlich nur noch durch Dreck und Rost zusammengehalten wurde. Selbst unter Berücksichtigung unserer mittlerweile gesunkenen Erwartungen, war dieses Vehikel jenseits von allem, was man akzeptieren konnte.
"Wenigstens hat das Ding einen Motor. Ich hatte schon Angst, dass ich noch irgendwo Futter für 'nen Büffel auftreiben muss.", versuchte Anton die Situation etwas aufzulockern.
Wenigstens hatte er seinen Humor noch nicht ganz verloren, aber wirklich lustig fand er das Ganze nicht, das war deutlich zu spüren. Auch bei mir nahm das Gefühl, dass das ganze ein Reinfall wird, deutlich zu. Dazu kam eine Art Schuldgefühl. Schließlich hatte ich die tolle Idee mit den Philippinen gehabt.
Aber der Fahrer lud das Gepäck nicht ein, sondern palaverte nur kurz mit einem anderen Typen, der kurz darauf verschwand. Vor der Rostlaube stehend, schauten wir den Fahrer fragend an.
"Sorry, we have to wait for the car. Only one minute, sorry, Sir."
Wir brauchten einen Moment um zu realisieren, dass wir wohl doch nicht mit der Klapperkiste fahren mussten. Der Fahrer verstand, was wir befürchtet hatten, brach in Gelächter aus und meinte, dass er lieber zu Fuss nach Angeles gehen als mit der Kiste fahren würde.
OK, das klang doch mal vernünftig.
Erleichtert bestiegen wir wenige Minuten später den gerade vorgefahrenen, weissen, sauberen und fast neuen Minivan und starteten Richtung Angeles. Das war ja wenigstens schon mal ein kleiner Lichtblick, aber ein mulmiges Gefühl blieb und die Zweifel mehrten sich.
War das hier wirklich ein Land, in dem man Party-/Sexurlaub machen konnte? Das es ein Wohlstandsgefälle zwischen Europa und den Philis gibt, war klar. Das ist in Thailand ja auch so. Aber in Thailand scheint meist der Wunsch nach einem angenehmeren Leben, ob nun für sich selbst und/oder die ganze Familie der Grund zu sein, der die Mädels in die Bars treibt.
War das hier genau so, evtl. auf einem noch etwas niedrigerem Level, oder ist der Grund hier das nackte Elend, pure Armut, gar Hunger?
Feiern und vögeln mit Mädels, die sich von dem Geld Klamotten oder von mir aus dem Brüderchen oder Stecher ein Moped kaufen ist eine Sache. Eine ziemlich geile sogar.
Aber immer im Hinterkopf zu haben, dass das Girl nur da liegt, weil es keine andere Möglichkeit hat, was zu essen auf den Tisch zu kriegen oder dem Kind Schuhe kaufen zu können, das wäre schon was Anderes. Spaß würde das mit Sicherheit nicht machen, von Party ganz zu schweigen.
War das hier wirklich so krass? Nach Party sah das hier bisher nicht aus, eher nach Not und Elend. Die ersten ca. 200 Philippinos, die ich bisher gesehen hatte, schienen jedenfalls ganz andere Sorgen zu haben als Touristen zu bespaßen.
"Hast du das so erwartet?"
Anton schienen ähnliche Gedanken zu beschäftigen.
Während wir durch Manila fuhren, schaute ich aus dem Fenster, in der Hoffnung etwas zu erblicken, das mich etwas beruhigte, das den ersten Eindruck etwas relativierte, normalisierte.
Auch das Stadtbild Manilas war sicherlich nicht mit Singapur oder Hongkong zu vergleichen. Hatte ich auch nicht mehr wirklich erwartet.
Vielleicht mit Bangkok vor 15 Jahren? So gute Erinnerungen hatte ich zwar nicht mehr daran, wie Bangkok vor 15 Jahren aussah, aber ich beschloß, dass das wohl hinkommen könnte. In jedem Falle wirkte Manila im Vorbeifahren deutlich "normaler", als es der erste Eindruck am Airport vermuten liess. Wir fuhren weder durch Slums, noch über matschige Strassen. Die meisten Autos sahen soweit ok aus und die Passanten waren normal gekleidet. Werbetafeln, soweit das Auge reichte und keine Spur von offensichtlicher Armut oder Obdachlosen oder bettelnden Menschen.
Die Gebäude wirkten teilweise etwas heruntergekommen und das Stadtbild war weit davon entfernt eine schillernde Metropole darzustellen, aber alles in allem kam dies meinen Erwartungen schon deutlich näher. Bangkok vor 15 Jahren halt, fast normal.
Ich war etwas beruhigt, als Anton mich aus meinen Gedanken riss.
"Was für ein Hotel haben wir eigentlich? Wieviel Sterne?", fragte er.
"Keine Ahnung, die haben keine Sterne. Zumindest haben die auf der Website keine angegeben. Sieht aber gut aus." antwortete ich.
"Was heisst keine Serne? Das ist jetzt nicht dein Ernst. Dir ist schon klar, dass du hier mindestens 5 Sterne brauchst, wenn du fliessend Wasser haben willst, oder?"
Nacktes Entsetzen schwang in der Stimme mit, schlug aber direkt in Resignation um, da er wohl einsah, dass jetzt nichts mehr zu ändern war.
"Ist auch egal, spätestens morgen sitzen wir eh im Flieger nach Bangkok. Dein Forum ist echt für'n Arsch. Philippinen, Angeles City, so ein Mist hier. Und nur Kröten. Anton im Häslettenland. Ich glaub' das alles nicht."
Seine Begeisterung hielt sich ganz offensichtlich in sehr engen Grenzen. Bei mir war es nicht ganz so schlimm, aber auch ich hatte schon daran gedacht, die nächste Maschine nach Bangkok zu nehmen.
Gegen 19:00 Uhr kamen wir in Angeles an. Es war zwischenzeitlich dunkel geworden und hatte zu regnen begonnen, so dass wir erst rafften, dass wir da waren, als wir vor dem Hotel hielten.
Gesehen hatten wir von Angeles noch nichts.