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Der schlimmste anzunehmende Ernstfall
Pitcairn auf seiner ungewöhnlichen Individualreise quer durch Bangladesch.
Junge, warst du schon einmal in Kairo oder Lagos? Der Verkehr hier in dieser total vermüllten Stadt ist noch schlimmer als dort und das will etwas heissen!!! Dhaka ist das Chaotischste, was du dir vorstellen kannst, hier findet durchgehend und nonstop der Mega-Giga-Supergau aller Verkehrskollapse statt. Was hier auf den Strassen der Innenstadt los ist, stellt alles bisher Gesehene und Erlebte in den Schatten: Die Masse der Personenbeförderungs-Fahrradrickshaws, hochbeladenen Transport-Fahrradrickshaws, gasbetriebene Autorickshaws (CNG), Microvans, verbeulte Kleinbusse, Personenwagen und einige Pferdekutschen, bestimmen das Strassenbild! Was die Rickshaw-Puller leisten ist unbeschreiblich! Vorne ein feingliedriges, unterernährtes 45 Kilogramm-Männchen am Pedalen, hinten drin ganze Familien oder gelegentlich zwei vollgefressene Westler mit schwerer Fotoausrüstung. Ich möchte manchmal aussteigen und dem bedauernswerten Wallah schieben helfen - würde ich dabei nicht mein eigenes Leben aufs Spiel setzen und hinterrücks von einem Bus plattgewalzt werden. Wer hier etwas anzubieten hat, verkauft es: Transporte, Waren, Muskelkraft, Befähigung, Schönheit und selbst Blinde, Verstümmelte und Verkrüppelte sind hier Geschäftsleute - sie verkaufen ihr Leid.
Die Stadt ist wie dafür geschaffen, sich in den Menschenmassen zu verlieren.
Eigentlich ist diese Metropole alles Mögliche, aber keine Stadt! Pure Energie, ein Moloch, ein alles anziehendes und jeden verschlingendes, wütendes schwarzes Drecksloch! Niemals schlafend, immer bereit zum Koitus und am schnellsten wachsend, wird es sich Dir niemals ganz offenbaren. Die Hölle für alle, die Menschenaufläufe fürchten, und der Himmel für jeden, der imstande ist, im Rausch mit einer Masse glücklich zu verschmelzen, sich im Dreck zu wälzen und in der Gosse zu suhlen. Ein Riesenghetto und Chaos, am Tag noch erträglich, nachts schlicht unzugänglich.
Es ist unwahrscheinlich, dass du gleich den Charme der Stadt erkennst, aber früher oder später wirst Du Dich geschlagen geben und das Inferno wird sich in einen Kessel von Kunst und Intellekt, Leidenschaft, Armut, Liebe und Hass verwandeln. Kairo, Kalkutta, Mumbai, Lagos stellen höchste Belastungsanforderungen an den Individualtraveller; aber das ist alles Peanuts im Vergleich zu Dhaka. Hier findet der schlimmste anzunehmende Ernstfall in Sachen Hardcore-Traveling statt; eine Steigerung ist selbst für einen abgefuckten Backpacker wie mich schwer vorstellbar. In dieser City gelten Höchstanforderungen, du ziehst alle Register, jeglicher jemals erworbener Überlebensstrategien.
Gerade eben habe ich einen Rickshaw-Crahs überlebt; aber das ist eigentlich nichts Besonderes, das passiert andernorts auch. Trotzdem - Gabriel sei gedankt, ich habe ihn unter Jahresvertrag. Zwölf Monate sind bald um und das Qualifikationsgespräch ist noch pendent. Im Rating von hundert Punkten, kann ich ihm gerne alle überlassen; er hat seine Sache gut gemacht. Jahreszielsetzung erfüllt - denn ich atme noch immer!
Nicht einmal in Kalkutta wirst du derart viel von Bettelmassen angegangen. Hier findet Asiens Super-Bettelgau statt. Hier befindet sich die Heimstätte aller Elendsquartiere, da sind die Ärmsten der Armen domiziliert. Eine unterernährte, ausgemergelte Frau sieht mich hilfesuchend und wortlos an, halbnackte Kinder mit flehenden Gesichtern zerren an meiner sauber gewaschenen Funktionskleidung, ein Gesicht ohne Lippen, von Lepra zerfressen, versucht sich zu mir hochzuangeln, hungrige Menschen strecken mir ihre ungewaschenen, schwieligen Hände entgegen, ein Mann will seine Kreuzspinne in einer Schachtel für ein paar Taka loswerden, ein Zuhälter hält Nacktfotos von minderjährigen Mädchen zu meiner Rickshaw hoch und will mich in eine dunkle, schmutzige Absteige lotsen. Ein kaum menschenähnliches Elefantengesicht grinst mich an und heischt um Bakschisch, ein Verkrüppelter schleppt sich auf dem Boden flach wie ein Käfer mühsam zu mir und schreit mit belegter Stimme nach Geld und ein verstümmelter Junge mit zwei ausgerissenen Armen tut es ihm gleich. Hier kann niemand Sozialhilfe oder eine Invaliden-Rente erschwindeln, denn das System kennt keine solchen Leistungen. Die Menschen steigen über die beiden hinweg. Hier musst du nicht ins Kino um einen Frankensteinfilm zu erleben; schonungslos werden die Schuldgefühle der Geldbesitzenden geknetet. Die Habenichtse wissen, dass die Reichen weiss aussehen. Die Rollen sind verteilt und für die Ewigkeit festgelegt.
Viele Männer sind dauernd am Spucken. Es gibt anständige, unanständige und ekelhafte Spitter. Vor den Spuckattacken gewarnt, werden Passanten normalerweise durch das Geräusch, das unweigerlich entsteht, wenn die Täter ihren Schleim im Munde sammeln. Es ist ein röhrender, aus der Tiefe des menschlichen Schlundes stammender Ton. Die anständigen Spucker behalten ihre Tatwaffe im Munde, bis sich ein geeigneter Platzierungsort anbietet, den niemanden direkt in Mitleidenschaft zieht; sie vollziehen ihre Tat möglichst versteckt. Die unanständigen Spucker platzieren ihr Geschoss unmittelbar nach dem Sammeln des grün-gelben Körpersaftes unter den Augen aller dort, wo sie sich gerade aufhalten. Die ekelhaften Spucker jedoch attackieren gezielt: Sie zielen auf feste und mobile Gegenstände - ganz egal. Der Landeplatz des grün-gelben Geschosses kann auch mal ein Lebendobjekt sein. Die eklige Tat bemerkst du erst, wenn der Schleim auf deinem Schuh oder den Trekkinghosen klebt. Permanent ist jemand hinter dir her. Hast du kein dickes Fell, wirst du diesen Dreck und all das Elend nicht lange ertragen und dich mit Spenden entlasten wollen. Doch mit jedem Taka den du verteilst, hältst du die Mitleidsmaschine weiter am Laufen. Almosen verderben die Seele des Gebenden und des Nehmenden zugleich. Sie verfehlen primär ihren Zweck, denn sie verschlimmern sogar die Armut. Die Wohltätigkeit gegenüber den Mitmenschen ist die dritte Säule des Islam und Pflicht eines jeden Gläubigen. Mittellose finden fünfhundert Jahre vor den Reichen Aufnahme ins Paradies. Durch Almosen kannst du dir bei den Armen ein paar Jahre frühere Erlösung einhandeln. Selten bedanken sich Bettler bei dir für eine milde Gabe. Im Gegenteil, sie erachten es als Gefallen, weil sie dein Geld annehmen. Eine verkehrte Welt und von einen Kapitalisten und Ungläubigen wie mich schwer zu verstehen. Siehst du, jetzt weisst du Bescheid. All who spend money here get to heaven. The more you spend, the closer you get to God.
Das Urban Improvement Project (Stadt-Verbesserungsprojekt) der Weltbankgruppe begleitet Besuchende in Dhaka auf Schritt und Tritt. 1200 Crore Taka - ein Crore sind 10 Millionen Taka - hat das Geldhaus vor ein paar Jahren in die Megacity hinein gebuttert. Die Zielsetzung ist, die Stadt zu verschönern und sicherer zu machen; unter anderem im Verkehr. Fertig geworden ist praktisch nichts, doch die Piselotten sind flöten. Betonpfeiler und Betontreppen, die ins Nirwana ragen, sind als Fussgängerüberführungen gedacht und bringen keinen Nutzen. Jetzt werden falsch gebaute Streetdivider bereits wieder auseinander geschlagen. Lack of management, auf höchster Stufe. Doch irgendwer hat bestimmt daran verdient. Wo sind all die Milliarden, die seit der Unabhängigkeit ins Land geflossen sind? Um eine Antwort zu erhalten, muss man sich nur die Villen der Politiker und der NGO-Eliten, vor allem der Governmental NGO's in den Nobelvierteln Gulshan und Banani ansehen.
Die staatlichen Entwicklungshelfer leben next door zu den korrupten politischen Eliten. Ihre Paläste stehen den anderen in der Umgebung in Prunk in nichts nach. Die dummen Geberländer machen den Fehler, dass sie kaum je selber ins Feld gehen, und kontrollieren, was mit ihren Kröten geschieht. 80 Prozent des Geldes, welches via Regierung verteilt wird, versickert in fremden Taschen.
Und es geht munter weiter. Bangladeschs Regierung beantragte 2014 bei der Internationalen Entwicklungsorganisation IDA einen Kredit in Höhe von US$ 250 Mio. zur Finanzierung eines Entwicklungsvorhabens. Ziel des Projekts ist die Verbesserung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs in der Hauptstadt Dhaka.
Schwerpunkte im Dhaka Transport Developement Project, bilden
die Bereiche Servicequalität, Erschwinglichkeit, Sicherheit und Umwelt. Schon jetzt ist allen klar, dass man nach der Kreditfreigabe, die Gelder genauso gut in den Padma werfen kann.
Der Bau des Dhaka Mass Rapid Transit, eine oberirdische Metro, ist von 2016 bis 2021 geplant und wird von einem japanischen Baukonsorzium finanziert. Doch zuerst braucht es einen Projektplan. Wo ist er denn? Wenn der Bau analog angegangen wird, wie seinerzeit das Parlamentsgebäude, wird es Jahrzehnte dauern bis jemals ein Bähnlein in der Höhe rattert. Dafür sind ein paar Politiker reicher und es gibt neue Villen in Banani. Von der Rückzahlung der Kredite wollen wir schon gar nicht sprechen. Das Bord und der CEO dieser Baugruppe dürften die gesamten Mittel ihrer Shareholder in den Sand setzen.
Die Gelder dienen vielmehr dazu, dass sich die Nomenklatura ein Luxusleben leisten kann. Einmal ein Bengale, immer ein Bengale, einmal ein Bescheisser, immer ein Bescheisser! Die würdelosen Schmarotzerfunktionäre mit ihren schnell wechselnden Regierungen sind zur Weiterentwicklung unfähig. Bei so viel Scheinheiligkeit, kann man eigentlich nur noch kotzen. Je mehr Entwicklungshilfe bezahlt wird, umso mehr reduziert sich das Bruttosozialprodukt. Es gibt keine bessere Lösung, als die Nation auf Geldentzug zu setzen und sich selber zu überlassen; das sollte generell für alle Drittweltländer gelten.
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Umfrage: "Geben Sie uns bitte Ihre ehrliche Meinung zur Lösung der Nahrungsknappheit im Rest der Welt ab!" Die Befragung stellte sich als Flop heraus. In Afrika wussten die Befragten nicht was "Nahrung" ist. Ostasien wusse nicht was "ehrlich" heisst. Westeuropa kannte das Wort "Knappheit" nicht. Die Chinesen wussten nicht was "Meinung" ist. Der Nahe Osten fragte nach, was denn "Lösung" bedeute. Südamerika kennt die Bedeutung von "bitte" nicht, und in den USA wusste niemand, was "der Rest der Welt" sein soll.
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Die Politiker begnügen sich in Bangladesch damit, einander vorzuhalten, was von der Vorgängerregierung falsch gemacht wurde. Da bleibt eben auch keine Zeit übrig, den Verkehr richtig zu organisieren. Der Bangladesh Road Transport Authority (BRTA) obliegt die Ausstellung von Führerscheinen nach bestandener Prüfung. Doch schätzungsweise 70 Prozent der motorisierten Fahrer hatte noch nie Kontakt mit dieser Behörde und ist hierzulande mit illegal kopierten oder gar keinen Papieren unterwegs.
Eine fehlende Verkehrsordnung führt zu skurrilen Situationen, zum Beispiel auf Strassenkreuzungen. Obschon es de facto Regeln gibt, kennt die Verkehrsordnung niemand und selbst wenn, respektiert sie niemand. Für die Polizisten ist es überlebenswichtig, dass die Verkehrsregeln nicht eingehalten werden. Zur Not erfinden sie auch schon mal welche oder lassen sich Übertretungen einfallen. Ihre Haupteinnahmequelle besteht darin, Strafzettel nicht auszuteilen und sich dafür von den vermeintlichen Sündern bestechen zu lassen. Es gilt als normales Verkehrsverhalten, mit 50 km/h auf eine Kreuzung zu preschen und ständig zu hupen. Das will heissen: "Jetzt komme ich! Hau ab, mach' ne Fliege!" Doch die Fahrer aus den anderen drei Richtungen sehen das genauso und bald ist die Kreuzung verstopft. Jeder beharrt auf seinem Vortritt, nie wird ein Fahrzeug vorgelassen, das wäre ein Zeichen von Schwäche. Begleitet wird solches Gebahren immer mit aggressivem Hupen. So eine Situation kann schon mal einige Minuten andauern. Eigentlich wäre ein Feststellknopf für die Hupe hier ganz praktisch und mit einer Investition in ein Kompressorhorn bist du eindeutig auf der besseren Seite. Natürlich ist am Ende immer der Rickshaw-Kuli Schuld, der zuletzt in die Szene kommt. Wild gestikulierend regen sich alle auf, und verkeilen sich immer mehr und mehr bis die Strasse völlig dicht ist. Es folgen weitere Fahrzeuge die bis auf zwei Millimeter auffahren und ins Hupkonzert einstimmen.
Jetzt sprechen wir von einem sich anbahnenden Verkehrskollaps - nichts geht mehr, alles steht still. Auf der New Elephant Road steht jetzt auch meine Rickshaw eingeklemmt von kreuz und quer eingefädelten Autos, Microvans, Pferde-Kutschen, verbeulten, rostigen Bussen und grünen CNG's. Immer länger werden die Warteschlangen der einfallenden Strassen. Jetzt steigt selbst der Rickshaw-Puller mit seiner Ladung Bananen resigniert vom Drahtesel. Die Dämmerung bricht über die Stadt herein, die nie schläft. Jetzt verstärken die aufbrechenden Lastwagen und Sattelschlepper den Stau; sie übernehmen die Macht der Strasse, um die City mit allem Notwendigen zu beliefern - tagsüber sind sie von der Innenstadt verbannt.
Ein Lastwagen ist zusammengebrochen, blockiert als Extraherausforderung eine komplette Fahrspur und trägt dazu bei, dass der Verkehrskollaps zum Verkehrsgau anschwillt. Anstelle der 5 Tonnen erlaubten Nutzlast, hat er 18 Tonnen Armierungseisen geladen. Hier kümmert sich kein Schwein um Limiten und Auflagen. Jetzt muss die ganze Ladung mit einem Hebekran zuerst abgeladen werden, bevor an ein Abschleppen des Fahrzeugs zu denken ist. Es kann Stunden dauern, bis der Kran eintrifft. An ein Durchkommen ist im Moment nicht zu denken. Alles steht vollständig still. Jetzt ist er da, der Verkehrs-Supergau, der sich erfahrungsgemäss erst nach vielen Stunden auflösen wird. Lieber Leser, so etwas musst du einmal erlebt haben, das ist nicht mehr zu toppen. Das Übel gibt es schon seit Jahrzehnten und es ist nicht selten, dass Berufsfahrer in Dhaka insgesamt ihr halbes Leben im Stau verbringen.
Wenn ich von der Rickshaw die Blechwände zu den Trucks und Bussen raufschaue, wähne ich mich im Streifen Gulliver bei den Riesen. Jetzt sind zur Abwechslung andere die wahren Könige der Strasse.
Jetzt schlägt die Stunde der Fussgänger. Diesen Triumpf muss ich den politisch Grünlastigen gönnen. Doch stehen sie hier zumindest nicht mit blassen Flugblättern in den Fussgängerzonen und hindern anständige Bürger an ihrem Nachhauseweg.
Fussgänger sind jetzt ausnahmsweise einmal im Vorteil, denn sie sind agil und beginnen vorsichtig über das Meer von Stossstangen auf die andere Strassenseite zu klettern. Mit Erfolg wehre ich mich gegen das Bedürfnis, dem Kuli zwanzig Taka auf den Sitz zu knallen, abzusteigen, mich über unzählige Kühlerhauben und Rickshaws zu angeln bis ich eine Strassenseite erreiche.
In so einem Mega-Giga-Verkehrsgau stecken literarische Chancen, dass muss der Schreiberling erkennen, da wird Inspiration geboten. Ich verzichte und entscheide mich mit dem Stau zu verschmelzen und tapfer den Diesel meinen Lungen zuzuführen. Aus meinem Daypack entnehme ich Notizblock und Kugelschreiber, beobachte vom Hochsitz die Szene und mache Notizen. Wir sind derart ineinander verkeilt, dass weder auf Knochen abgemagerte Bettler noch am Boden liegende Verkrüppelte durchkommen. Nach zwei Stunden zeigt sich erstmals ein Polizist in glattgebügelter Uniform. Er ist not amused und schlägt in unserer Einfallstrasse mit seinem Knüppel schonungslos auf die Fahrzeuge in der Strassenmitte ein, zwingt sie zu wenden, auf die Gegenfahrbahn auszuweichen und als Geisterfahrer zurückzufahren - ungeachtet der Risiken und Folgen. Nach einer weiteren Stunde beginnt sich der Stau langsam zu lockern. Ein Fahrer weigert sich seinen Toyota auf die Gegenfahrbahn zu steuern; er hat Angst. Das kommt beim Polizisten gar nicht gut an und er prügelt nicht nur auf das Auto, sondern noch auf den Fahrer ein. Verkehrsregelung in Bengalen ist Schwerstarbeit. Vielleicht hat der Schutzmann von frühen Kindesbeinen an Ziegelsteine zu Schotter zerklopft und seinen Beamtenjob gerade wegen dieser praktischen Vorbildung erhalten. Der Schlagknüppel ist ein ideales Instrument um in Form zu bleiben und erspart ihm das Abonnement im Fitnessstudio. Nach einer weiteren halben Stunde, beginnt sich der Knoten auf der New Elephant Road zu lockern. Seit 3 ½ Stunden bin ich hier auf Platz. Durch die von der Polizei aufgezwungenen U-Turns werden alle unfreiwillig zu Geisterfahrern und rollen in die falsche Richtung. Bereits beginnt sich der Verkehr erneut auf der Gegenfahrbahn zu stauen. Mit der Rickshaw sucht sich mein Kuli bald den Weg durch enge Nebenstrassen. Nicht weit von uns schieben sich Fahrzeuge in Zeitraffe vorwärts, wie ein treibender Kotklumpen in einer Kloake, in falscher Richtung zur Stadt hinaus. Mein Kuli gibt sein Bestes. Auch andere Pedaler mit Hirn, haben leider die gleiche Pfundsidee und schon landen wir in einem erneuten Stau. Sobald mein Puller nur die kleinste Lücke erspäht, springt er vom Rad und schiebt die Rickshaw todesmutig zehn Zentimeter vor, umringt von hupenden Autos, CNG's und natürlich Mengen anderer Fahrrad-Rickshaws.
Da greift die ganze Routine seiner fünfzigjährigen Velopraxis im Verkehrscombat und Dieseldunst von Dhaka. Irgendwann wird der Traffic flüssiger und er kann aufsteigen und trampen. Alles atmet und pulsiert, die Verkehrslawine gerät in Bewegung. Ein Ozean von Menschen und tausenden von ohrenbetäubend klingelnden Rickshaws, CNGs, Kleinbussen und Microvans, bahnen sich ihren Weg durch die Eingeweide der Metropole. Fussgänger werden wie Hühner weggescheucht. Jeder denkt nur an sich und wie er selbst am schnellsten vorankommt. Wer sich hier nicht kompromisslos durchsetzt, bleibt stehen; es ist nicht anders als im Geschäftsleben.
Kommt es zu einem Unfall, ist die erste gestellte Frage des Polizisten, ob der Lenker gehupt hat. Wenn ja, ist der Fussgänger schuld, weil er nicht ausgewichen ist. Hier wird gelebt, hier wird gestorben. Die Würde des Menschen ist antastbar. In Bangladesch, ein Land mit der höchsten Bevölkerungsdichte weltweit, wird der Kampf um tägliches Überleben überall geführt, auch auf den Strassen. Nirgends sonst wird so brutal und rücksichtslos gefahren wie hier, denn in Bangladesch fährt man im Strassenverkehr wie anderswo mit dem Autoscooter auf der Kirmes. Willst du mehr Platz, wird das Fahrzeug neben dir schlicht und einfach gerammt. Die Ambulanz kommt grundsätzlich immer zu spät um Verletzte abzutransportieren. Ist sie endlich durch den Stau hindurch, sind schwer Verletzte meist tot. Dann ist die Polizei am Zug; sie rückt bestenfalls an, wenn es Tote gibt. Wenn sie eintrifft, hat die aufgebrachte Menge oftmals Unfallbeteiligte meist schon massakriert.
Old Dhaka ist das grösste Nadelöhr im Verkehrssystem der Hauptstadt. Hier befindet sich auch die Welt der Basare, in denen jedes Handwerk sein eigenes Quartier hat. So gibt es die Strassen der Juweliere, der Süsswaren-Manufakturen, der Fahrradersatzteile, der Rickshaw-Malkünstler, der Modegeschäfte. Die Engros-Gemüse- und Früchtegrosshändler, haben unten am Flusshafen ihre Lager. Angeliefert wird zumeist mit Schiffen über das Wasser, den Buriganga River (Alter Ganges), eine stinkende, verpisste Kloake, aber nach wie vor die Zentralarterie des hiesigen Wirtschaftslebens. Vom Fluss gehen unzählige Wasserstrassen aus.
https://www.youtube.com/watch?v=eiAb-cokOLA
Der Abtransport erfolgt auf dem Landweg, und auch die Kunden kommen von dort -- über die Nawabpur Road. Sie kommen meist mit Bussen oder per Rickshaw, in denen sich die Fahrgäste eng zusammendrängen. Strassenverkehr in Dhaka, das ist der alltägliche Wahnsinn.
In der nach Tod und Elend stinkenden Metropole ist in der Nacht mehr Betrieb als in N.Y.C. Zu keiner Stunde kommt Dhaka vollständig zur Ruhe. Jede Stunde ist dem Bengalen gleich viel Wert. Die Menschen scheinen hier keinen Schlaf zu brauchen. Es herrscht immerwährender Betrieb, Hektik, Gehupe, Brüllen, Türen knallen.
Die mit dem Rücken zum Fluss erbaute Stadt hat nur wenig was für sie spricht. Die engen Strassen stehen häufig unter Wasser, breite Boulevards oder grossartige Prachtstrassen oder Ausblicke, bei denen das Herz höher schlägt und ich in Stimmungsorgasmus verfalle, gibt es nicht; schliesslich war Bengalen nie eine französische Kolonie. Nach dem Krieg begann die Stadt aus allen Nähen zu platzen, da so viele Menschen kamen, die nicht wussten wohin und noch mehr Menschen, die nichts zu beissen hatten. Die eine Art von Gewalt liessen sie in den Dörfern zurück und tauschten sie gegen eine andere in der Grossstadt. Und doch entscheiden sie sich für diese Strassen, auch wenn sie noch so eng und staubig sind. Sie ziehen die City einem Leben am Fluss vor, der sie bei jedem Monsun einschliesst. Sie tauschen ein Leben voll flehender Blicke gen Himmel, in der einen Woche in Hoffnung auf Regen, in der nächsten auf Sonne, eine Existenz mit nassen Füssen, krummen Rücken und Rheuma, die Arbeit auf den Reisfeldern gegen eine Existenz im Seuchenlager Dhaka. Doch dieser Tausch ist nichts anderes, als ein Handel von Teufel gegen den Beelzebub. Überleben in diesem Moloch heisst, sich mit ihm arrangieren und durchhalten. Allein hier länger am Leben zu bleiben, ist schon ein Sieg. Als Belohnung winkt der Tod. Im Himmel gibt es keine Elendsquartiere und für jeden genug zu essen.
Pitcairn, seit 40 Jahren auf der endlosen Reise.
Pitcairn hat mit seinem vierköpfigen Reiseteam Bangladesch in den Monaten Oktober - Dezember 2014 individuell bereist. Der Bericht ist ein Auszug aus der über zweihundertseitigen Globalversion Ein Land im fortgeschrittenen Zerfall. Die Publikation im Forum wird in den kommenden Monaten erfolgen.
Pitcairn auf seiner ungewöhnlichen Individualreise quer durch Bangladesch.
Junge, warst du schon einmal in Kairo oder Lagos? Der Verkehr hier in dieser total vermüllten Stadt ist noch schlimmer als dort und das will etwas heissen!!! Dhaka ist das Chaotischste, was du dir vorstellen kannst, hier findet durchgehend und nonstop der Mega-Giga-Supergau aller Verkehrskollapse statt. Was hier auf den Strassen der Innenstadt los ist, stellt alles bisher Gesehene und Erlebte in den Schatten: Die Masse der Personenbeförderungs-Fahrradrickshaws, hochbeladenen Transport-Fahrradrickshaws, gasbetriebene Autorickshaws (CNG), Microvans, verbeulte Kleinbusse, Personenwagen und einige Pferdekutschen, bestimmen das Strassenbild! Was die Rickshaw-Puller leisten ist unbeschreiblich! Vorne ein feingliedriges, unterernährtes 45 Kilogramm-Männchen am Pedalen, hinten drin ganze Familien oder gelegentlich zwei vollgefressene Westler mit schwerer Fotoausrüstung. Ich möchte manchmal aussteigen und dem bedauernswerten Wallah schieben helfen - würde ich dabei nicht mein eigenes Leben aufs Spiel setzen und hinterrücks von einem Bus plattgewalzt werden. Wer hier etwas anzubieten hat, verkauft es: Transporte, Waren, Muskelkraft, Befähigung, Schönheit und selbst Blinde, Verstümmelte und Verkrüppelte sind hier Geschäftsleute - sie verkaufen ihr Leid.
Die Stadt ist wie dafür geschaffen, sich in den Menschenmassen zu verlieren.
Eigentlich ist diese Metropole alles Mögliche, aber keine Stadt! Pure Energie, ein Moloch, ein alles anziehendes und jeden verschlingendes, wütendes schwarzes Drecksloch! Niemals schlafend, immer bereit zum Koitus und am schnellsten wachsend, wird es sich Dir niemals ganz offenbaren. Die Hölle für alle, die Menschenaufläufe fürchten, und der Himmel für jeden, der imstande ist, im Rausch mit einer Masse glücklich zu verschmelzen, sich im Dreck zu wälzen und in der Gosse zu suhlen. Ein Riesenghetto und Chaos, am Tag noch erträglich, nachts schlicht unzugänglich.
Es ist unwahrscheinlich, dass du gleich den Charme der Stadt erkennst, aber früher oder später wirst Du Dich geschlagen geben und das Inferno wird sich in einen Kessel von Kunst und Intellekt, Leidenschaft, Armut, Liebe und Hass verwandeln. Kairo, Kalkutta, Mumbai, Lagos stellen höchste Belastungsanforderungen an den Individualtraveller; aber das ist alles Peanuts im Vergleich zu Dhaka. Hier findet der schlimmste anzunehmende Ernstfall in Sachen Hardcore-Traveling statt; eine Steigerung ist selbst für einen abgefuckten Backpacker wie mich schwer vorstellbar. In dieser City gelten Höchstanforderungen, du ziehst alle Register, jeglicher jemals erworbener Überlebensstrategien.
Gerade eben habe ich einen Rickshaw-Crahs überlebt; aber das ist eigentlich nichts Besonderes, das passiert andernorts auch. Trotzdem - Gabriel sei gedankt, ich habe ihn unter Jahresvertrag. Zwölf Monate sind bald um und das Qualifikationsgespräch ist noch pendent. Im Rating von hundert Punkten, kann ich ihm gerne alle überlassen; er hat seine Sache gut gemacht. Jahreszielsetzung erfüllt - denn ich atme noch immer!
Nicht einmal in Kalkutta wirst du derart viel von Bettelmassen angegangen. Hier findet Asiens Super-Bettelgau statt. Hier befindet sich die Heimstätte aller Elendsquartiere, da sind die Ärmsten der Armen domiziliert. Eine unterernährte, ausgemergelte Frau sieht mich hilfesuchend und wortlos an, halbnackte Kinder mit flehenden Gesichtern zerren an meiner sauber gewaschenen Funktionskleidung, ein Gesicht ohne Lippen, von Lepra zerfressen, versucht sich zu mir hochzuangeln, hungrige Menschen strecken mir ihre ungewaschenen, schwieligen Hände entgegen, ein Mann will seine Kreuzspinne in einer Schachtel für ein paar Taka loswerden, ein Zuhälter hält Nacktfotos von minderjährigen Mädchen zu meiner Rickshaw hoch und will mich in eine dunkle, schmutzige Absteige lotsen. Ein kaum menschenähnliches Elefantengesicht grinst mich an und heischt um Bakschisch, ein Verkrüppelter schleppt sich auf dem Boden flach wie ein Käfer mühsam zu mir und schreit mit belegter Stimme nach Geld und ein verstümmelter Junge mit zwei ausgerissenen Armen tut es ihm gleich. Hier kann niemand Sozialhilfe oder eine Invaliden-Rente erschwindeln, denn das System kennt keine solchen Leistungen. Die Menschen steigen über die beiden hinweg. Hier musst du nicht ins Kino um einen Frankensteinfilm zu erleben; schonungslos werden die Schuldgefühle der Geldbesitzenden geknetet. Die Habenichtse wissen, dass die Reichen weiss aussehen. Die Rollen sind verteilt und für die Ewigkeit festgelegt.
Viele Männer sind dauernd am Spucken. Es gibt anständige, unanständige und ekelhafte Spitter. Vor den Spuckattacken gewarnt, werden Passanten normalerweise durch das Geräusch, das unweigerlich entsteht, wenn die Täter ihren Schleim im Munde sammeln. Es ist ein röhrender, aus der Tiefe des menschlichen Schlundes stammender Ton. Die anständigen Spucker behalten ihre Tatwaffe im Munde, bis sich ein geeigneter Platzierungsort anbietet, den niemanden direkt in Mitleidenschaft zieht; sie vollziehen ihre Tat möglichst versteckt. Die unanständigen Spucker platzieren ihr Geschoss unmittelbar nach dem Sammeln des grün-gelben Körpersaftes unter den Augen aller dort, wo sie sich gerade aufhalten. Die ekelhaften Spucker jedoch attackieren gezielt: Sie zielen auf feste und mobile Gegenstände - ganz egal. Der Landeplatz des grün-gelben Geschosses kann auch mal ein Lebendobjekt sein. Die eklige Tat bemerkst du erst, wenn der Schleim auf deinem Schuh oder den Trekkinghosen klebt. Permanent ist jemand hinter dir her. Hast du kein dickes Fell, wirst du diesen Dreck und all das Elend nicht lange ertragen und dich mit Spenden entlasten wollen. Doch mit jedem Taka den du verteilst, hältst du die Mitleidsmaschine weiter am Laufen. Almosen verderben die Seele des Gebenden und des Nehmenden zugleich. Sie verfehlen primär ihren Zweck, denn sie verschlimmern sogar die Armut. Die Wohltätigkeit gegenüber den Mitmenschen ist die dritte Säule des Islam und Pflicht eines jeden Gläubigen. Mittellose finden fünfhundert Jahre vor den Reichen Aufnahme ins Paradies. Durch Almosen kannst du dir bei den Armen ein paar Jahre frühere Erlösung einhandeln. Selten bedanken sich Bettler bei dir für eine milde Gabe. Im Gegenteil, sie erachten es als Gefallen, weil sie dein Geld annehmen. Eine verkehrte Welt und von einen Kapitalisten und Ungläubigen wie mich schwer zu verstehen. Siehst du, jetzt weisst du Bescheid. All who spend money here get to heaven. The more you spend, the closer you get to God.
Das Urban Improvement Project (Stadt-Verbesserungsprojekt) der Weltbankgruppe begleitet Besuchende in Dhaka auf Schritt und Tritt. 1200 Crore Taka - ein Crore sind 10 Millionen Taka - hat das Geldhaus vor ein paar Jahren in die Megacity hinein gebuttert. Die Zielsetzung ist, die Stadt zu verschönern und sicherer zu machen; unter anderem im Verkehr. Fertig geworden ist praktisch nichts, doch die Piselotten sind flöten. Betonpfeiler und Betontreppen, die ins Nirwana ragen, sind als Fussgängerüberführungen gedacht und bringen keinen Nutzen. Jetzt werden falsch gebaute Streetdivider bereits wieder auseinander geschlagen. Lack of management, auf höchster Stufe. Doch irgendwer hat bestimmt daran verdient. Wo sind all die Milliarden, die seit der Unabhängigkeit ins Land geflossen sind? Um eine Antwort zu erhalten, muss man sich nur die Villen der Politiker und der NGO-Eliten, vor allem der Governmental NGO's in den Nobelvierteln Gulshan und Banani ansehen.
Die staatlichen Entwicklungshelfer leben next door zu den korrupten politischen Eliten. Ihre Paläste stehen den anderen in der Umgebung in Prunk in nichts nach. Die dummen Geberländer machen den Fehler, dass sie kaum je selber ins Feld gehen, und kontrollieren, was mit ihren Kröten geschieht. 80 Prozent des Geldes, welches via Regierung verteilt wird, versickert in fremden Taschen.
Und es geht munter weiter. Bangladeschs Regierung beantragte 2014 bei der Internationalen Entwicklungsorganisation IDA einen Kredit in Höhe von US$ 250 Mio. zur Finanzierung eines Entwicklungsvorhabens. Ziel des Projekts ist die Verbesserung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs in der Hauptstadt Dhaka.
Schwerpunkte im Dhaka Transport Developement Project, bilden
die Bereiche Servicequalität, Erschwinglichkeit, Sicherheit und Umwelt. Schon jetzt ist allen klar, dass man nach der Kreditfreigabe, die Gelder genauso gut in den Padma werfen kann.
Der Bau des Dhaka Mass Rapid Transit, eine oberirdische Metro, ist von 2016 bis 2021 geplant und wird von einem japanischen Baukonsorzium finanziert. Doch zuerst braucht es einen Projektplan. Wo ist er denn? Wenn der Bau analog angegangen wird, wie seinerzeit das Parlamentsgebäude, wird es Jahrzehnte dauern bis jemals ein Bähnlein in der Höhe rattert. Dafür sind ein paar Politiker reicher und es gibt neue Villen in Banani. Von der Rückzahlung der Kredite wollen wir schon gar nicht sprechen. Das Bord und der CEO dieser Baugruppe dürften die gesamten Mittel ihrer Shareholder in den Sand setzen.
Die Gelder dienen vielmehr dazu, dass sich die Nomenklatura ein Luxusleben leisten kann. Einmal ein Bengale, immer ein Bengale, einmal ein Bescheisser, immer ein Bescheisser! Die würdelosen Schmarotzerfunktionäre mit ihren schnell wechselnden Regierungen sind zur Weiterentwicklung unfähig. Bei so viel Scheinheiligkeit, kann man eigentlich nur noch kotzen. Je mehr Entwicklungshilfe bezahlt wird, umso mehr reduziert sich das Bruttosozialprodukt. Es gibt keine bessere Lösung, als die Nation auf Geldentzug zu setzen und sich selber zu überlassen; das sollte generell für alle Drittweltländer gelten.
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Umfrage: "Geben Sie uns bitte Ihre ehrliche Meinung zur Lösung der Nahrungsknappheit im Rest der Welt ab!" Die Befragung stellte sich als Flop heraus. In Afrika wussten die Befragten nicht was "Nahrung" ist. Ostasien wusse nicht was "ehrlich" heisst. Westeuropa kannte das Wort "Knappheit" nicht. Die Chinesen wussten nicht was "Meinung" ist. Der Nahe Osten fragte nach, was denn "Lösung" bedeute. Südamerika kennt die Bedeutung von "bitte" nicht, und in den USA wusste niemand, was "der Rest der Welt" sein soll.
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Die Politiker begnügen sich in Bangladesch damit, einander vorzuhalten, was von der Vorgängerregierung falsch gemacht wurde. Da bleibt eben auch keine Zeit übrig, den Verkehr richtig zu organisieren. Der Bangladesh Road Transport Authority (BRTA) obliegt die Ausstellung von Führerscheinen nach bestandener Prüfung. Doch schätzungsweise 70 Prozent der motorisierten Fahrer hatte noch nie Kontakt mit dieser Behörde und ist hierzulande mit illegal kopierten oder gar keinen Papieren unterwegs.
Eine fehlende Verkehrsordnung führt zu skurrilen Situationen, zum Beispiel auf Strassenkreuzungen. Obschon es de facto Regeln gibt, kennt die Verkehrsordnung niemand und selbst wenn, respektiert sie niemand. Für die Polizisten ist es überlebenswichtig, dass die Verkehrsregeln nicht eingehalten werden. Zur Not erfinden sie auch schon mal welche oder lassen sich Übertretungen einfallen. Ihre Haupteinnahmequelle besteht darin, Strafzettel nicht auszuteilen und sich dafür von den vermeintlichen Sündern bestechen zu lassen. Es gilt als normales Verkehrsverhalten, mit 50 km/h auf eine Kreuzung zu preschen und ständig zu hupen. Das will heissen: "Jetzt komme ich! Hau ab, mach' ne Fliege!" Doch die Fahrer aus den anderen drei Richtungen sehen das genauso und bald ist die Kreuzung verstopft. Jeder beharrt auf seinem Vortritt, nie wird ein Fahrzeug vorgelassen, das wäre ein Zeichen von Schwäche. Begleitet wird solches Gebahren immer mit aggressivem Hupen. So eine Situation kann schon mal einige Minuten andauern. Eigentlich wäre ein Feststellknopf für die Hupe hier ganz praktisch und mit einer Investition in ein Kompressorhorn bist du eindeutig auf der besseren Seite. Natürlich ist am Ende immer der Rickshaw-Kuli Schuld, der zuletzt in die Szene kommt. Wild gestikulierend regen sich alle auf, und verkeilen sich immer mehr und mehr bis die Strasse völlig dicht ist. Es folgen weitere Fahrzeuge die bis auf zwei Millimeter auffahren und ins Hupkonzert einstimmen.
Jetzt sprechen wir von einem sich anbahnenden Verkehrskollaps - nichts geht mehr, alles steht still. Auf der New Elephant Road steht jetzt auch meine Rickshaw eingeklemmt von kreuz und quer eingefädelten Autos, Microvans, Pferde-Kutschen, verbeulten, rostigen Bussen und grünen CNG's. Immer länger werden die Warteschlangen der einfallenden Strassen. Jetzt steigt selbst der Rickshaw-Puller mit seiner Ladung Bananen resigniert vom Drahtesel. Die Dämmerung bricht über die Stadt herein, die nie schläft. Jetzt verstärken die aufbrechenden Lastwagen und Sattelschlepper den Stau; sie übernehmen die Macht der Strasse, um die City mit allem Notwendigen zu beliefern - tagsüber sind sie von der Innenstadt verbannt.
Ein Lastwagen ist zusammengebrochen, blockiert als Extraherausforderung eine komplette Fahrspur und trägt dazu bei, dass der Verkehrskollaps zum Verkehrsgau anschwillt. Anstelle der 5 Tonnen erlaubten Nutzlast, hat er 18 Tonnen Armierungseisen geladen. Hier kümmert sich kein Schwein um Limiten und Auflagen. Jetzt muss die ganze Ladung mit einem Hebekran zuerst abgeladen werden, bevor an ein Abschleppen des Fahrzeugs zu denken ist. Es kann Stunden dauern, bis der Kran eintrifft. An ein Durchkommen ist im Moment nicht zu denken. Alles steht vollständig still. Jetzt ist er da, der Verkehrs-Supergau, der sich erfahrungsgemäss erst nach vielen Stunden auflösen wird. Lieber Leser, so etwas musst du einmal erlebt haben, das ist nicht mehr zu toppen. Das Übel gibt es schon seit Jahrzehnten und es ist nicht selten, dass Berufsfahrer in Dhaka insgesamt ihr halbes Leben im Stau verbringen.
Wenn ich von der Rickshaw die Blechwände zu den Trucks und Bussen raufschaue, wähne ich mich im Streifen Gulliver bei den Riesen. Jetzt sind zur Abwechslung andere die wahren Könige der Strasse.
Jetzt schlägt die Stunde der Fussgänger. Diesen Triumpf muss ich den politisch Grünlastigen gönnen. Doch stehen sie hier zumindest nicht mit blassen Flugblättern in den Fussgängerzonen und hindern anständige Bürger an ihrem Nachhauseweg.
Fussgänger sind jetzt ausnahmsweise einmal im Vorteil, denn sie sind agil und beginnen vorsichtig über das Meer von Stossstangen auf die andere Strassenseite zu klettern. Mit Erfolg wehre ich mich gegen das Bedürfnis, dem Kuli zwanzig Taka auf den Sitz zu knallen, abzusteigen, mich über unzählige Kühlerhauben und Rickshaws zu angeln bis ich eine Strassenseite erreiche.
In so einem Mega-Giga-Verkehrsgau stecken literarische Chancen, dass muss der Schreiberling erkennen, da wird Inspiration geboten. Ich verzichte und entscheide mich mit dem Stau zu verschmelzen und tapfer den Diesel meinen Lungen zuzuführen. Aus meinem Daypack entnehme ich Notizblock und Kugelschreiber, beobachte vom Hochsitz die Szene und mache Notizen. Wir sind derart ineinander verkeilt, dass weder auf Knochen abgemagerte Bettler noch am Boden liegende Verkrüppelte durchkommen. Nach zwei Stunden zeigt sich erstmals ein Polizist in glattgebügelter Uniform. Er ist not amused und schlägt in unserer Einfallstrasse mit seinem Knüppel schonungslos auf die Fahrzeuge in der Strassenmitte ein, zwingt sie zu wenden, auf die Gegenfahrbahn auszuweichen und als Geisterfahrer zurückzufahren - ungeachtet der Risiken und Folgen. Nach einer weiteren Stunde beginnt sich der Stau langsam zu lockern. Ein Fahrer weigert sich seinen Toyota auf die Gegenfahrbahn zu steuern; er hat Angst. Das kommt beim Polizisten gar nicht gut an und er prügelt nicht nur auf das Auto, sondern noch auf den Fahrer ein. Verkehrsregelung in Bengalen ist Schwerstarbeit. Vielleicht hat der Schutzmann von frühen Kindesbeinen an Ziegelsteine zu Schotter zerklopft und seinen Beamtenjob gerade wegen dieser praktischen Vorbildung erhalten. Der Schlagknüppel ist ein ideales Instrument um in Form zu bleiben und erspart ihm das Abonnement im Fitnessstudio. Nach einer weiteren halben Stunde, beginnt sich der Knoten auf der New Elephant Road zu lockern. Seit 3 ½ Stunden bin ich hier auf Platz. Durch die von der Polizei aufgezwungenen U-Turns werden alle unfreiwillig zu Geisterfahrern und rollen in die falsche Richtung. Bereits beginnt sich der Verkehr erneut auf der Gegenfahrbahn zu stauen. Mit der Rickshaw sucht sich mein Kuli bald den Weg durch enge Nebenstrassen. Nicht weit von uns schieben sich Fahrzeuge in Zeitraffe vorwärts, wie ein treibender Kotklumpen in einer Kloake, in falscher Richtung zur Stadt hinaus. Mein Kuli gibt sein Bestes. Auch andere Pedaler mit Hirn, haben leider die gleiche Pfundsidee und schon landen wir in einem erneuten Stau. Sobald mein Puller nur die kleinste Lücke erspäht, springt er vom Rad und schiebt die Rickshaw todesmutig zehn Zentimeter vor, umringt von hupenden Autos, CNG's und natürlich Mengen anderer Fahrrad-Rickshaws.
Da greift die ganze Routine seiner fünfzigjährigen Velopraxis im Verkehrscombat und Dieseldunst von Dhaka. Irgendwann wird der Traffic flüssiger und er kann aufsteigen und trampen. Alles atmet und pulsiert, die Verkehrslawine gerät in Bewegung. Ein Ozean von Menschen und tausenden von ohrenbetäubend klingelnden Rickshaws, CNGs, Kleinbussen und Microvans, bahnen sich ihren Weg durch die Eingeweide der Metropole. Fussgänger werden wie Hühner weggescheucht. Jeder denkt nur an sich und wie er selbst am schnellsten vorankommt. Wer sich hier nicht kompromisslos durchsetzt, bleibt stehen; es ist nicht anders als im Geschäftsleben.
Kommt es zu einem Unfall, ist die erste gestellte Frage des Polizisten, ob der Lenker gehupt hat. Wenn ja, ist der Fussgänger schuld, weil er nicht ausgewichen ist. Hier wird gelebt, hier wird gestorben. Die Würde des Menschen ist antastbar. In Bangladesch, ein Land mit der höchsten Bevölkerungsdichte weltweit, wird der Kampf um tägliches Überleben überall geführt, auch auf den Strassen. Nirgends sonst wird so brutal und rücksichtslos gefahren wie hier, denn in Bangladesch fährt man im Strassenverkehr wie anderswo mit dem Autoscooter auf der Kirmes. Willst du mehr Platz, wird das Fahrzeug neben dir schlicht und einfach gerammt. Die Ambulanz kommt grundsätzlich immer zu spät um Verletzte abzutransportieren. Ist sie endlich durch den Stau hindurch, sind schwer Verletzte meist tot. Dann ist die Polizei am Zug; sie rückt bestenfalls an, wenn es Tote gibt. Wenn sie eintrifft, hat die aufgebrachte Menge oftmals Unfallbeteiligte meist schon massakriert.
Old Dhaka ist das grösste Nadelöhr im Verkehrssystem der Hauptstadt. Hier befindet sich auch die Welt der Basare, in denen jedes Handwerk sein eigenes Quartier hat. So gibt es die Strassen der Juweliere, der Süsswaren-Manufakturen, der Fahrradersatzteile, der Rickshaw-Malkünstler, der Modegeschäfte. Die Engros-Gemüse- und Früchtegrosshändler, haben unten am Flusshafen ihre Lager. Angeliefert wird zumeist mit Schiffen über das Wasser, den Buriganga River (Alter Ganges), eine stinkende, verpisste Kloake, aber nach wie vor die Zentralarterie des hiesigen Wirtschaftslebens. Vom Fluss gehen unzählige Wasserstrassen aus.
https://www.youtube.com/watch?v=eiAb-cokOLA
Der Abtransport erfolgt auf dem Landweg, und auch die Kunden kommen von dort -- über die Nawabpur Road. Sie kommen meist mit Bussen oder per Rickshaw, in denen sich die Fahrgäste eng zusammendrängen. Strassenverkehr in Dhaka, das ist der alltägliche Wahnsinn.
In der nach Tod und Elend stinkenden Metropole ist in der Nacht mehr Betrieb als in N.Y.C. Zu keiner Stunde kommt Dhaka vollständig zur Ruhe. Jede Stunde ist dem Bengalen gleich viel Wert. Die Menschen scheinen hier keinen Schlaf zu brauchen. Es herrscht immerwährender Betrieb, Hektik, Gehupe, Brüllen, Türen knallen.
Die mit dem Rücken zum Fluss erbaute Stadt hat nur wenig was für sie spricht. Die engen Strassen stehen häufig unter Wasser, breite Boulevards oder grossartige Prachtstrassen oder Ausblicke, bei denen das Herz höher schlägt und ich in Stimmungsorgasmus verfalle, gibt es nicht; schliesslich war Bengalen nie eine französische Kolonie. Nach dem Krieg begann die Stadt aus allen Nähen zu platzen, da so viele Menschen kamen, die nicht wussten wohin und noch mehr Menschen, die nichts zu beissen hatten. Die eine Art von Gewalt liessen sie in den Dörfern zurück und tauschten sie gegen eine andere in der Grossstadt. Und doch entscheiden sie sich für diese Strassen, auch wenn sie noch so eng und staubig sind. Sie ziehen die City einem Leben am Fluss vor, der sie bei jedem Monsun einschliesst. Sie tauschen ein Leben voll flehender Blicke gen Himmel, in der einen Woche in Hoffnung auf Regen, in der nächsten auf Sonne, eine Existenz mit nassen Füssen, krummen Rücken und Rheuma, die Arbeit auf den Reisfeldern gegen eine Existenz im Seuchenlager Dhaka. Doch dieser Tausch ist nichts anderes, als ein Handel von Teufel gegen den Beelzebub. Überleben in diesem Moloch heisst, sich mit ihm arrangieren und durchhalten. Allein hier länger am Leben zu bleiben, ist schon ein Sieg. Als Belohnung winkt der Tod. Im Himmel gibt es keine Elendsquartiere und für jeden genug zu essen.
Pitcairn, seit 40 Jahren auf der endlosen Reise.
Pitcairn hat mit seinem vierköpfigen Reiseteam Bangladesch in den Monaten Oktober - Dezember 2014 individuell bereist. Der Bericht ist ein Auszug aus der über zweihundertseitigen Globalversion Ein Land im fortgeschrittenen Zerfall. Die Publikation im Forum wird in den kommenden Monaten erfolgen.
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