Thailändisch lernen

Die ,Nutten‘ von Pattaya

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von Dr.G.M. Gad Labudda




Die reservierte Urlaubsfrau - 6 Seiten - ('Victor Schluff' in 'Schnipselbuch)

- - Richard findet eine Frau, die fast ideal ist. Deshalb will er sie für seinen jährlichen Urlaub reservieren. Er schickt regelmäßig Geld und trifft sie tatsächlich auf ihn wartend. Die Sache hat nur einen kleinen Haken, aber das kann Richard ja nicht wissen - -

Eine größere Anzahl von Männern kommen in Pattaya nicht von dem Gedanken los, daß sie sich unbedingt eine junge Frau reservieren müssen, die abgeschieden von der Welt darauf wartet, daß ihr geliebter Farang sie jedes Jahr ein- oder zweimal besucht. Doch gegen entsprechende Unterstützung wird in Thailand jede Illusion umgehend erfüllt.

Pa und Pen hätten eigentlich ein besonders kräftiger Junge werden sollen. Zumindest hatten die Dorfbewohner das vorausgesagt, nachdem die Mutter schon im siebenten Monat ihrer Schwangerschaft einen stark gewölbten Bauch zeigte und ihr Mann sehr groß und kräftig gebaut war. Man prophezeite dem Ungeborenen eine große Zukunft. Doch dann erschienen zur Verblüffung des ganzen Dorfes die zwei Schwestern. Es muß für die Eltern ein großer Schock gewesen sein, denn sie legten vor der Produktion einiger Nachzügler eine zehnjährige Pause ein, obwohl sie etwas spät geheiratet hatten und schon nicht mehr die Jüngsten waren.

Pa und Pen waren sich zum Verwechseln ähnlich, sie wuchsen gemeinsam auf, gingen gemeinsam zu Schule und verließen diese gemeinsam im zarten Alter von zwölf Jahren. Dann warteten sie gemeinsam auf die Möglichkeit irgendeiner Tätigkeit. Währenddessen kamen noch drei kleine Geschwister hinzu. Das war wohl der Grund, daß die Eltern überzeugt waren, daß sie eine der Schwestern brauchten, damit sie sich um die Geschwister kümmern konnte. Diese Aufgabe sollte Pen beibehalten, während sie Pa hiervon befreiten und mit einem jungen Mann aus einem Nachbardorf vermählten, als sie siebzehn Jahre alt wurde. Es verlief alles wunschgemäß, auch die Geburt des ersten Enkelkindes war vorausgesehen und gewünscht worden. Irritierend war dagegen, daß auch Pen fast zeitgleich ein Kind erwartete, obwohl sie doch nachweislich gar nicht geheiratet, sondern nur an der Hochzeit teilgenommen hatte.

Irritierend war auch, daß Pas Ehemann nach scheinbarem Einvernehmen bei der Hochzeit doch bald viele heftige Auseinandersetzungen mit ihr erlebte und nach einer recht kritischen und heftigen Zeit mit seiner jungen, schwangeren Frau unvermutet spurlos verschwand, nachdem er noch kurz zuvor geschworen hatte, daß er nur mit seiner Frau im Bett gewesen wäre, wozu die Schwestern sich nicht weiter äußerten.

Doch die Eltern waren sehr pragmatisch und erkannten spontan die Nützlichkeit der von den Schwestern an den Tag gelegten Fähigkeiten. Deshalb entschieden sie, daß zwei Töchter mit zwei Kindern unbedingt einen Ernährer benötigten, nachdem ihnen gerade einer entlaufen war. Am zweckmäßigsten erschien es deshalb, daß Pen einen Ernährer suchte oder notfalls selbst etwas unternahm, um zur Versorgung ihrer Familie und insbesondere ihres Kindes beizutragen.

Da Pattaya sich im Verlaufe langer Jahre einen guten Ruf als Urlaubsressort für einzelne sowie besonders ruhebedürftige Personen erworben hatte, konnte kein besserer Ort für Pens neue Erwerbstätigkeit gefunden werden. Während ihrer Einarbeitungszeit wurde sie denn auch weitgehend in Ruhe gelassen, wobei sie nur die tobenden Lautsprecheranlagen der Bar als etwas störend empfand. Doch es war der Formschönheit der gerade achtzehn Jahre alt gewordenen Pen, ihrer hohen Eigenaktivität als auch ihrem sehr thailändischen Lächeln zuzurechnen, daß sie bald viele Ruhelager und anschließend auch viele Ruhebedürftige kennenlernen konnte. Deshalb konnte sie ihrer Familie regelmäßig eine ausreichende Unterstützung zuschicken, was diese ungemein beruhigte und keine Sorgen über das Befinden der jungen Mutter aufkommen ließ.

Je mehr Erfahrungen Pen in ihrer Tätigkeit sammelte und je besser ihre Englischkenntnisse wurden, desto häufiger fand sie auch Kunden, die mit ihr mehrere Tage oder ihren ganzen Urlaub verbringen wollten und auch jene Leute, die sie sich gleich ganz reservieren wollten. Diese Menschen treffen ein Mädchen im Alter von vielleicht achtzehn oder zwanzig Jahren, das sie für hübsch und sexuell brauchbar halten und sind fest überzeugt, daß dieses Mädchen sich in Zukunft in sein Zimmer einschließt und ein Jahr lang darauf wartet, daß ihr sie heiß liebender Farang mit ihr ins Bett geht. Dafür sollen sie dann jeden Monat ein paar tausend Baht bekommen, damit sie genug zu essen haben und nicht Hunger leiden, während sie auf ihren Farang warten.

Der Gedanke, daß ein Mädchen hier in Pattaya von zwei- bis dreitausend Baht monatlich leben kann und sich einschließen will, ist völlig absurd. Die Farang, die solch einen Vorschlag unterbreiten, reden sich tatsächlich ein, daß sie ein gutes Werk vollbringen, indem sie ein Mädchen aus einem schrecklichen Leben mit der Sünde befreien. Daß dieses Mädchen keine andere Arbeit finden kann, ist bekannt. Und nun glauben diese Farang, daß das Mädchen glücklich ist, weil es nicht zu arbeiten braucht und monatelang alleine in einem Zimmer sitzen darf, bis sein großherziger Gönner kommt, um mit ihm zwei oder drei Wochen lang ins Bett zu gehen. Die Großherzigkeit zeigt sich darin, daß diese Leute sogar bereit sind, dem Mädchen für seinen monatlichen Lebensunterhalt in Pattaya so viel Geld zu geben, wie sie selbst in Pattaya an einem oder zwei Tagen für ihr Vergnügen ausgeben, die Reisekosten nicht mitgerechnet.

Es ist aber wohl denkbar, daß ein Mädchen, das zuhause ein gesundes Familienleben und vielleicht ein oder zwei Kinder hat und tatsächlich nur nach Pattaya gekommen ist, um seine Familie zu unterstützen, lieber bei der Familie im Dorf als in Pattaya lebt, wenn es vier- oder fünftausend Baht im Monat erhält. Für ein Leben mit einer Familie in einem Dorf ist das viel Geld, nicht aber für einen einzelnen Menschen in Pattaya.

Üblich ist es aber, daß viele Mädchen ganz begeistert auf den Farang eingehen, wenn der sagt, es soll sich eine andere Arbeit suchen, er zahlt dann jeden Monat zwei- oder dreitausend Baht dazu, wenn es ein anständiges Leben jenseits der Sünde als auch anderer Männer führt und nie wieder mit einem anderen Mann ins Bett geht, sondern nur noch mit ihm, und darauf wartet, daß er im nächsten Jahr wiederkommt. Wenn die Mädchen zwei oder drei solcher Leute beisammen haben, kann das als eine willkommene Unterstützung der Familie bezeichnet werden und das Mädchen wird sich auch ernsthaft bemühen, sich für den Farang Zeit zu nehmen, wenn er denn tatsächlich im nächsten Jahr wiederkommt.

Pen hatte bisher nur zwei solcher Leute, die ihr im Monat zwei- bzw. dreitausend Baht schickten, damit sie ein Jahr auf sie wartet. Dieses Geld hatte ihr auch geholfen, zum ersten Geburtstag ihrer Tochter für einige Tage nachhause zu fahren. Bei dieser Gelegenheit hatten die Schwestern eine lange Unterhaltung über das Leben in Pattaya, bei dem man viel freier lebt und viel besser verdient, als im Dorf. Pen wollte viel lieber mit ihrer Schwester in Pattaya zusammenarbeiten und hoffte währenddessen, eine andere Lösung für die Unterbringung der Kinder zu finden.

Doch hier zeigte sich, daß die Schwestern, so identisch sie auch aussahen, doch unterschiedliche Meinungen hatten. Zwar hatte Pa keine Angst vor Männern, doch sie hatte Angst davor, alleine in einer Stadt zu leben. Im Dorf hatte sie ihre Familie, die Nachbarn, einige ehemalige Schulfreundinnen und die zwei Kleinkinder, zu denen sie noch ein weiteres zur Pflege angenommen hatte. Hier war sie beschäftigt und hatte ihre Gesellschaft, während sie in einer Stadt keinen Menschen kannte und sich bestimmt nicht zurechtfinden konnte. Pa wollte nicht nach Pattaya gehen. Sie sah aber ein, daß sie nicht erwarten konnte, von Pen ernährt und versorgt zu werden. Deshalb erklärte sie sich bereit, sich auch um Farang zu kümmern, wenn Pen einen hätte und wenn jemand da wäre, der sich um die drei Kleinkinder und die jüngeren Geschwister kümmerte.

Es dauerte nicht lange, bis Pen da auch schon einige Ideen hatte und sie nahm ihr das Versprechen ab, Englisch zu lernen, wenn sie ihr einen Cassettenkursus zum Erlernen dieser Sprache schickte. Das erledigte sie sofort, als sie nach Pattaya zurückkam und wartete auf den geeigneten Farang, der sich eine hübsche Urlaubsfrau gegen eine regelmäßige monatliche Unterstützung reservieren wollte.

In den folgenden Monaten hatte sie den normalen Kundenverkehr; Ausländer, die ein kurzes Abenteuer suchten, Geschäftsreisende, die sich von ihren Geschäften mit einer hübschen Begleiterin erholen wollten und Urlauber, die noch eine oder zwei Wochen weibliche Gesellschaft wünschten. Dann endlich kam Richard, der das erste Mal in Thailand war und noch seinen ganzen Urlaub vor sich hatte. Er befand sich gerade auf einer Geschäftsreise in Abu Dhabi, hatte er seiner Frau gesagt, worauf diese ihm das Flugticket buchte und ihn bedenkenlos ziehen ließ. Doch Richard flog nach einem kurzen Geschäftsgespräch in Abu Dhabi gleich am nächsten Morgen weiter nach Thailand. Das Leben mit seiner Frau war sehr unterkühlt und gar nicht erbaulich, doch war er von ihr abhängig, da ihr die Firma gehörte, in der er arbeitete und sehr gut verdiente. So war es kein Wunder, daß er nur eine einzige Nacht brauchte, um sich in die viel jüngere, schönere und anschmiegsame Pen zu verlieben, die ihm auch nach wenigen Stunden prompt gestand: „I love you too much!“

Nur wenige Tage dauerte es, bis Richard sich im siebten Himmel befand und überzeugt war, daß er sich dieses Glück erhalten mußte. Den anfänglich aufkommenden Gedanken, sich von seiner Frau zu trennen, wies er allerdings aufgrund ökonomischer Erwägungen weit von sich. Doch er bemühte sich um eine praktikable Lösung. Auf keinen Fall konnte er zulassen, daß irgendein Mann ihm seine Pen wegnahm und womöglich noch heiratete, wo er sie doch so liebte und sie mit einem anderen Mann sehr unglücklich sein mußte. Unerträglich war ihm auch der Gedanke, daß ein anderer Mann sie auslösen und mit ihr ins Bett gehen könnte.

Er hielt es für sehr geschickt und umsichtig, Pen zu fragen, warum sie an einer Bar arbeitet und fand umgehend eine Lösung aller Probleme, als sie ihm versicherte, daß sie dazu gezwungen ist, weil ihre Eltern so arm sind und sie Geld verdienen muß, damit ihre Eltern etwas zu essen haben. Wenn sie eine andere Arbeit verrichten könnte, würde sie selbstverständlich etwas anderes tun. Da sie aber nichts gelernt hat, würde das Geld, das sie verdienen kann, nur sehr knapp für ihren eigenen Lebensunterhalt, aber auf keinen Fall für die Eltern reichen. Nun wollte Richard wissen, ob sie lieber in Pattaya oder in ihrem Heimatdorf lebt, worauf sie ihm versicherte, daß sie viel lieber mit ihrer Familie in ihrer Heimat leben würde, als hier in einer fremden Stadt, die sehr teuer und voller Lärm ist, wo sie keinen Menschen kennt. Das hatte ihre Schwester einmal gesagt und es hatte sich sehr überzeugend angehört.

Nun brachte Richard seinen völlig neuen Gedanken hervor und fragte Pen, ob sie denn nicht lieber mit ihrer Familie in ihrem Heimatdorf leben würde, wenn er sie unterstützt, damit sie nicht in einer Bar arbeiten muß. Er versprach ihr sogar, daß sie ihn dann nicht verliert, weil er sie zwei- bis dreimal im Jahr besuchen würde, damit sie mit ihm zusammensein könnte und nicht so einsam ist. Pen zeigte sich hoch erfreut und sagte ihm: „I love you too much.“ Richard versprach ihr eine monatliche Unterstützung von zweihundert Euro, etwa zehntausend Baht. Pen war begeistert, weil dies eine Summe war, die im Dorf bereits einen außerordentlichen Wohlstand garantierte und sagte ihm, daß sie so glücklich wäre, wenn sie im Dorf mit ihrer Familie leben könnte und er sie besuchen kommt.

Als Richards Urlaub zu Ende ging, gab er ihr das Geld für die ersten drei Monate und bezahlte die Kosten für den Umzug ins Dorf. Um ja nicht übervorteilt zu werden, hatte er sich von Pen ihre Heimatanschrift geben lassen und nachgefragt, was ein Lastwagentransport nach Ubon kostet. Dem Farang sagte man natürlich, man gäbe ihm einen Sonderpreis von zwölftausend Baht, was weit überhöht, also nicht gelogen war. Pen wunderte sich zwar, warum sie für ihre zwei Plastiktüten und die Schlafmatte einen Lastwagen brauchen sollte, befand das Geld aber für ausreichend. Im letzten Moment des Abschieds gab er ihr auch noch seine restlichen Scheine thailändischer Baht und versprach, so bald wie möglich in ihr Dorf zu kommen. Pen meinte, das sei für einen Ausländer schwer zu finden und sie vereinbarten, daß er ihr vorher schreibt und sie würde ihn dann von einem Hotel in Ubon abholen.

Pen hatte nun viel Arbeit, denn sie mußte Pa ganz genau aufschreiben, was sie mit Richard erlebt hatte, worüber sie gesprochen hatten, wie er seinen Kaffee trank, welches Essen, welche Getränke er bevorzugte, wie er am liebsten schlief und welche anderen Gewohnheiten er hatte.

Tatsächlich dauerte es nur fünf Monate, bis Richard sich meldete und nach Ubon fuhr. Als Pa ihn vom Hotel abholte, umarmte er sie in alter Liebe und war glücklich, seine Pen wiederzusehen. Als sie ins Dorf kamen, sah er sofort, daß sie die ganze Zeit mit ihrer Familie und den Kindern verbracht hatte, zog es aber vor, die Zeit mit ihr in Pattaya zu verbringen, weshalb Pen dringend die Bar wechseln mußte, damit er ihr nicht begegnete. Als er Pa sagte, sie hätte sich verändert, erklärte sie, daß sie krank gewesen sei und noch nicht wieder ganz gesund ist, und daß sie in ihrem ruhigen Dorf ein ganz anderes Leben hat, was er voll verstand. Er freute sich, daß sie sich daran erinnerte, daß er Singha Bier ohne Schaum wollte, Kaffee ohne Zucker trank und zum Schlafen zwei Kopfkissen haben wollte. Er gestand ihr, daß er sich schon gleich am ersten Tag in sie verliebt habe, weil sie so einmalig und so ganz anders sei, als alle anderen Frauen und Ta sagte ihm: „I love you too much.“



von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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von Dr.G.M. Gad Labudda




Sie sind ja so süß, wenn sie betteln - 5 Seiten - ('Apichai Tamdii' in 'Die Geschichten gehen weiter')

- - Ein Bericht über Bettelkinder in den touristischen Orten - -

Immer wieder erscheinen in den Nachrichten Berichte über Gruppen von Erwachsenen, die Kinder zum Betteln zwingen. Meist sind es Kinder aus Kambodscha und aus Burma, seltener aus Laos, und die Erwachsenen sind meist Thailänder, die manchmal mit ein oder zwei Kambodschanern zusammenarbeiten. Man ist in Thailand nicht schok-kiert, noch nicht einmal überrascht über solche Berichte, denn sie sind ein Bild des Alltags. Zudem waren es ja auch nur Kinder und dazu noch arme Kinder aus Kambodscha, also keine Personen, um die man sich Gedanken machen müßte. Außerdem gehen sie einen nichts an und man kann ja doch nichts ändern. Und das ist zutreffend.

Mit dieser allgemein üblichen Meinung kann man wirklich nichts am Schicksal dieser Kinder ändern. Nicht, weil man nicht könnte, sondern weil man gar nicht will. Auch viele Ausländer sind dieser Meinung. Manchen tun diese Kinder allerdings leid und dann geben sie ihnen ein paar kleine Münzen oder sie kaufen aus lauter Mitleid ein Kaugummi, das sie eigentlich gar nicht haben wollen. Sie haben ein gutes Herz, oder vielleicht ein soziales Schuldgefühl. Aber manchmal wäre es besser, sie hätten einen klaren Kopf, um die Folgen ihres Mitleids zu überlegen.

Es ist kein Zufall, daß Bettelkinder dort zu finden sind, wo sich diese Ausländer mit dem guten Herzen aufhalten, nämlich an den Bars, denn das ist ihre Bestimmung, von den guten Herzen gutes Geld einzutreiben. Nun wissen wir zwar, warum die Ausländer mit den guten Herzen an den Bars sitzen. Aber es ist sicher auch gut, zu wissen, warum die Kinder an die Bars kommen und wie es dazu kommt, daß man sie ständig an den Bars findet.

Nehmen wir zum Beispiel den kleinen Norodom, der nach dem König Kambodschas, Norodom Sihanouk, benannt wurde, dessen Leben aber gar nicht königlich ist. Er wurde als viertes Kind einer alteingesessenen, erfolgreichen Bettlerfamilie in Phnom Penh geboren. Die ersten Jahre verbrachte er stets zusammen mit seiner Mutter; sie erhielt viel mehr Geld, wenn sie mit einem Säugling oder einem Kleinkind auf dem Arm bettelte. Als er drei Jahre alt war, brachte er nicht mehr so viel ein, was sein Vater bereits als einen günstigen Zeitpunkt vorausgesehen hatte, um seine Mutter gegen eine andere Frau auszutauschen, die nun ein Kind von ihm bekam und damit viel bessere Einnahmen versprach. Norodom wurde zu der Schar der Kinder abkommandiert, die vor den Kaufhäusern und insbesondere den Supermärkten betteln gehen mußten.

Doch dort brachte er nicht viel ein und kam nicht allzuoft mit erbetteltem Geld in nennenswerter Höhe zu der Bretterhütte an der Straßenecke, die sein Vater sich als Hauptquartier erkoren hatte. Ein Umstand, den sein Vater als erfahrener, professioneller Bettler mit einfachen Mitteln zu ändern wußte, als der Junge vier Jahre alt war. Mit Freude hatte er beobachtet, daß sein Sohn Linkshänder war. So hackte er ihm den rechten Arm ab, womit seinem Sohn sein Leben lang gute Einnahmen als Bettler garantiert waren, wenn er nur lernte, geschickt zu betteln und sich unter Vorzeigen des bald heilenden Armstumpfes als zu bemitleidendes Minenopfer auszugeben.

Der Erfolg gab ihm Recht; sein Sohn brachte nun trotz seiner vier Jahre erheblich bessere Summen in erfreulicher Höhe zu seinem Vater, was allerdings den wachsamen Augen der bösen Konkurrenz von einer anderen Straßenecke nicht verborgen blieb und unverhohlenen Neid erweckte, zumal es diesem Mann an eigenen Kindern und folglich auch an abhackbaren Armen mangelte. Angespornt von den großen Erfolgen des einarmigen Vierjährigen nahm er Kontakt mit einem besonders bedürftigen Thai auf, den es in Phnom Penh herumtrieb, und man schmiedete große Pläne und dachte insbesondere an einen Eroberungsfeldzug.

Dafür ist zwar ein gewisses Kapital erforderlich, aber es ist ein altes Vorurteil, anzunehmen, daß Bettler kein Geld haben. Normalerweise gehören sie zu den wohlhabenderen Schichten, indem sie von einem Mangel an Scham und einem dicken Fell profitieren. Sie haben zumeist nur wenige Gefühle und darunter schon gar nicht jene der Achtung oder der Rücksicht gegenüber anderen Menschen. Meist sind es Menschen, die alles tun, um Geld zu bekommen, und wenn man sich nur zu betteln traut, verdient man meist weitaus besser, als wenn man arbeiten geht. Die Leute, die wirklich arm sind, schämen sich, zu betteln und versuchen, irgendeine Arbeit zu finden. Deshalb haben sie kein Geld. Die Bettler dagegen sammeln ihr Geld auf der Bank. Arbeiten zu gehen, bedeutet für sie einen schmerzlichen Gewinneinbruch.

Der böse Konkurrent heuerte einen guten Freund an, der ein altes Auto besaß und bereit war, ihn und einige weitere Fahrgäste gegen ein besonders gutes Entgelt einschließlich Gefahrenzulage an die thailändische Grenze zu bringen. Dann fuhren sie zu einem großen Supermarkt, wo sie den einarmigen Norodom, ein weiteres besonders erfolgversprechendes Kind und drei sehr arm und mager aussehende Kinder im Alter von etwa sechs oder sieben Jahren einluden. Sie gaben ihnen Süßigkeiten und versprachen ihnen eine Fahrt, bei der sie einen Teil der weiten Welt sehen sollten. Bei dieser Gelegenheit nahmen sie schnell noch ein Kind mit, das vielleicht knapp ein Jahr alt war, in einem Kinderwagen vor dem Supermarkt lag und vom Alter her besonders gute Einnahmen versprach. Als sie mit den Kindern abfuhren, ließen sie über eine längere Strecke noch mehrere Banknoten von fünfhundert Riel aus dem Autofenster flattern, worauf alle Kinder dem Auto hinterher liefen und die Straße leer war.
Immerhin konnte man für fünfhundert Riel ein Ei kaufen und wurde von den Eltern belohnt. Die Kinder würden über den flatternden Banknoten die mitgenommenen Kinder vergessen und waren als Zeugen ohnehin nicht gut brauchbar.

Sie kamen bis dicht an die thailändische Grenze, die sich über Hunderte von Kilometern hinzieht und praktisch unkontrollierbar ist. Zu Fuß gelangten sie nach Thailand, wo bereits der thailändische Geschäftsfreund mit einem Auto auf sie wartete. Von hier aus begannen sie nun ihren Eroberungsfeldzug durch die touristischen Orte Thailands direkt in Pattaya, wo bereits weitere Mitarbeiter auf sie warteten. Die Kinder wurden nun aufgeteilt. Es waren zweimal zwei Kinder, die mit je einem Bewacher mitgingen, Norodom ging mit einem weiteren Bewacher und der Säugling wurde von einer Frau übernommen. Die Barbezirke wurden aufgeteilt, so daß die Kinder je zweimal durch die Bars gingen. Die Kinder begannen gleichzeitig im Süden, im Zentrum und im Norden und würden später die Bezirke wechseln.

Die Bewacher fuhren die Kinder mit Motorrädern zu den Bars und erklärten ihnen, wie sie zu gehen hatten. Sie selbst blieben unsichtbar in der Nähe und beobachteten die Kinder, damit sie nicht wegliefen und nicht bummelten. Es war Zwischensaison und die Kinder hatten mit Ausländern an den Bars noch keine Erfahrungen, deswegen waren die Forderungen ihrer Bewacher noch gering. Jedes Kind mußte bis Mitternacht mindestens dreihundert Baht einbringen, um etwas zu essen zu bekommen und nicht geschlagen zu werden. Kurz nach Mitternacht wurden sie zu einer am Rande der Stadt gelegenen Hütte gebracht, in der sie auf dem Boden schlafen durften. Sie erhielten einen Teller Reis mit Gemüse. Es war zu wenig, aber das war so beabsichtigt, denn sie mußten dünn, schwach und unterernährt aussehen, um Mitleid zu erwecken. Gut ernährte Kinder verdienen beim Betteln nicht viel.

Nach dem Essen durften sie sich hinlegen und sie durften den Raum bis zum Arbeitsanfang am nächsten Abend nicht verlassen. Es war nicht gut, wenn man die Kinder am Tag sah und man mußte auch aufpassen, daß sie nicht wegliefen. Es war nicht etwa so, daß sie Angst vor Problemen mit der Polizei haben mußten, denn die Kinder konnten hier mit niemand sprechen und ihnen war die Angst vor Polizisten anerzogen worden, zudem durften sie eine Anzeige nur mit Einwilligung der Eltern oder eines Vormundes erstatten, eine Rechtspraxis, die der Polizei und der Staatsanwaltschaft Arbeit sparen sollte. Wenn aber Kinder verschwunden waren, mußte man sich um eine andere Unterkunft und um andere Kinder bemühen, was umständlich war und oft einen erheblichen Verdienstausfall bedeutete.

Nachdem die Kinder tagsüber keine Beschäftigung hatten, den Raum nicht verlassen durften und geschlagen wurden, wenn sie laut wurden oder etwa herumtollen sollten, waren sie gegen achtzehn Uhr genug ‘ausgeruht’, um nach einem Teller Reis mit etwas Gemüse wieder mit ihrer Arbeit zu beginnen. Diesmal mußte jedes Kind mindestens vierhundert Baht einbringen, denn sie kannten ja jetzt die Arbeit und die Strecken, die sie abzulaufen hatten und sie wußten, wie sie sich gegenüber Ausländern zu verhalten hatten. Nur zwei oder drei Tage später würde das Pensum auf fünfhundert Baht pro Tag erhöht.

Nach zwei Wochen mit sich steigernden Einnahmen verließen sie Pattaya und würden sich jetzt drei Wochen in Bangkok aufhalten, um dort in den Vierteln der Bars und Vergnügungsbetriebe Geld zu verdienen. Auch hier wurden die Kinder wieder in einem Raum versteckt, in dem sie nicht laut sein und nicht spielen durften, denn sie sollten ihre Arbeit als Freude und angenehme Abwechslung erleben. Es ist selbstverständlich, daß diese Kinder nicht in eine Schule geschickt wurden, denn ihr einziger Bestimmungszweck bestand darin, ihren Bewachern Geld zu bringen. Wenn sie größer wurden, konnte man sie ohnehin nicht mehr zum Betteln schicken und dann war es für ihre Aufpasser auch unwichtig, ob sie zur Schule gegangen waren.

Doch schon nach einer Woche in Bangkok gerieten sie in eine Razzia und die Hälfte der Gruppe wurde gefaßt, darunter auch der kleine Norodom. Die Bewacher wurden wegen Bettelns und wegen Beschäftigung Minderjähriger und illegaler Ausländer vor Gericht gestellt, denn man konnte ihnen keinen Menschenraub nachweisen.

Die Kinder wurden nach Kambodscha zurückgeschickt, wo die Polizei die Aufgabe hat, die liebenden Eltern zu finden, um ihnen ihre kostbaren Kinder wieder zurückzubringen. Allerdings ist der kambod-schanischen Polizei bekannt, daß man Kinder auch einfach in Heime bringen kann, wenn man die Eltern trotz vielfältiger und aufreibender Bemühungen zufälligerweise nicht finden sollte oder die Kinder etwa nicht identifiziert werden konnten. Viele Kinder waren jahrelang unterwegs und konnten sich an ihre Eltern gar nicht mehr erinnern.

Möglicherweise habe ich mich nicht ganz klar ausgedrückt. Ich habe gesagt, der Bestimmungszweck dieser Kinder besteht darin, ihren Bewachern Geld zu bringen. Es läßt sich auch anders sagen: Sie werden geraubt, mißhandelt und geschlagen, weil mitleidige Menschen ihnen Geld geben. Denn nur dadurch haben sie einen Wert für ihre Entführer. Wenn sie kein Geld einbringen, sind sie für die Entführer völlig wertlos und sie würden überhaupt keinen Sinn darin sehen, sich mit Kindern zu beschäftigen.

Wer den Bettelkindern also aus lauter Mitleid Geld gibt, der verursacht damit, daß Kinder entführt und mißhandelt werden, daß sie hungern müssen, nicht spielen dürfen, ihre Eltern nie wiedersehen, nie in eine Schule kommen und ihr Leben wahrscheinlich als ungelernte Arbeiter, Analphabeten und illegale Ausländer fristen müssen.

Wenn jemand dennoch Mitleid mit den Kindern hat, dann sollte er ihnen etwas zu essen kaufen, Obst oder ein Fleischspießchen, einen Teller Reis oder eine Nudelsuppe. Solange die Kinder an einer Bar sind, werden die Wächter sich nicht trauen, sie zu schlagen oder ihnen das Essen zu verbieten, denn sie wissen genau, daß den Barmädchen und den Inhabern der Bars bekannt ist, daß sie nicht etwa bedürftige Eltern, sondern die Entführer sind, die die Kinder mißhandeln, um bequem leben zu können. Solange es aber noch Leute gibt, die diesen Kindern Geld geben, werden sie weiter hungern, mißhandelt und zum Betteln gezwungen.



von Dr.G.M. Gad Labudda
 
        #93  

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Das kann man eigentlich gar nicht oft genug erwähnen ...


Möglicherweise habe ich mich nicht ganz klar ausgedrückt. Ich habe gesagt, der Bestimmungszweck dieser Kinder besteht darin, ihren Bewachern Geld zu bringen. Es läßt sich auch anders sagen: Sie werden geraubt, mißhandelt und geschlagen, weil mitleidige Menschen ihnen Geld geben. Denn nur dadurch haben sie einen Wert für ihre Entführer. Wenn sie kein Geld einbringen, sind sie für die Entführer völlig wertlos und sie würden überhaupt keinen Sinn darin sehen, sich mit Kindern zu beschäftigen.

Wer den Bettelkindern also aus lauter Mitleid Geld gibt, der verursacht damit, daß Kinder entführt und mißhandelt werden, daß sie hungern müssen, nicht spielen dürfen, ihre Eltern nie wiedersehen, nie in eine Schule kommen und ihr Leben wahrscheinlich als ungelernte Arbeiter, Analphabeten und illegale Ausländer fristen müssen.

Wenn jemand dennoch Mitleid mit den Kindern hat, dann sollte er ihnen etwas zu essen kaufen, Obst oder ein Fleischspießchen, einen Teller Reis oder eine Nudelsuppe. Solange die Kinder an einer Bar sind, werden die Wächter sich nicht trauen, sie zu schlagen oder ihnen das Essen zu verbieten, denn sie wissen genau, daß den Barmädchen und den Inhabern der Bars bekannt ist, daß sie nicht etwa bedürftige Eltern, sondern die Entführer sind, die die Kinder mißhandeln, um bequem leben zu können. Solange es aber noch Leute gibt, die diesen Kindern Geld geben, werden sie weiter hungern, mißhandelt und zum Betteln gezwungen.


Leider sieht man immer wieder das Touristen da eine wesentliche Rolle spielen, vielleicht sollte dieser Artikel schon vor der Einreise zur Pflichtlektüre werden ... :shock:
 
        #94  

Member

Das ist echt super.
Schade das der Verfasser nicht mehr unter uns weilt.

Auch wenn natürlich alles nur fiktive Gestalten in den Berichten vorkommen muss man doch sagen....

@kalli vielen Dank das du uns daran teilhaben lässt.
 
        #95  

Member

Member hat gesagt:
@kalli vielen Dank das du uns daran teilhaben lässt.

:)Kelle

Kein Thema.

Es gibt ja auch bestimmt genug Member die Gad's Abhandlungen noch nicht kannten.

Vielleicht kann dem ein oder anderen geholfen werden ... ;)
 
        #96  

Member

von Dr.G.M. Gad Labudda


Keine Lady aus der Bar

- Sechs Seiten - von ‘Victor Schluff’ in ‘Treffpunkt Pattaya’ -

- Rudolf kommt auf den Gedankan, eine Frau nach Deutschland mitzunehmen, eine anständige, eine, die nicht in einer Bar gearbeitet hat. Weil die ganz anders sind. Wie anders die Anderen sind, überlegte er sich allerdings nicht. Er wollte mit ihr zusammen leben. Daß Menschen, die zusammen leben nicht unbedingt zusammenleben, wurde ihm erst später gesagt. Dennoch hatten alle Beiteiligten ihr Ziel erreicht, nur, daß es nicht daselbe war. -

Es war wirklich nur ein reiner Zufall, daß Rudolf bei seinem zweiten Aufenthalt in Pattaya die aufregende stille Schönheit fand, von der er schon immer geträumt hatte. Jung sollte sie sein, bildschön, unschuldig und unverdorben. Und natürlich sollte sie wenigstens Englisch sprechen und ihm im Bett das bieten, was er sich bisher noch nicht erträumt hatte.

Rudolf ist trotz seiner 48 Jahre ein sportlicher Typ, leger, aber immer aktiv, immer in Bewegung. Er ist Geschäftsmann und führt einen eigenen, kleinen Betrieb. Er ist Mitglied in verschiedenen Vereinen, wegen der Geschäftsverbindungen - und wegen der Einsamkeit, die ihn immer aus seinen vier Wänden trieb, wenn er nur eine Ahnung hatte, wo er hingehen konnte. Rudolf ist mittelmäßig gebildet, nicht gerade der Klügste, aber er hat eine hervorstechende Charaktereigenschaft; er ist grundehrlich.

Rudolf hat schon mehrere Frauenbekanntschaften gehabt, denn er hat eine gute Figur, hat Besitz und ist nicht kleinlich. Aber er ist schon zu lange Chef. Er hat grundsätzlich Recht und er mag keine Diskussionen. Überhaupt mag er keine langen Gespräche und er mag sich auch nicht gerne längere Zeit mit jemand beschäftigen. Da bestimmt er schon lieber, was getan werden muß, denn schließlich ist er der Chef und er bezahlt ja auch für die Arbeit. Daß die Frauen das anders sehen, kann er überhaupt nicht verstehen. Schließlich will er ja gar nichts von ihnen, fast nichts. Es reicht vollkommen, wenn sie da sind und ihn in Ruhe lassen. Von den Gesprächen über die Nachbarn und über ihre Arbeitskollegen und über die Mode, und ob sie auch wirklich schön sind, ob die Grünen Recht haben und mit einem neuen Vorstand mehr Wähler bekommen, interessiert ihn nicht. Sie sollen ihn in Ruhe lassen. Er will nur nicht alleine sein.

Es reicht ihm aber völlig, wenn sie sich um sich selbst kümmern und ihm zwischendurch höchstens ‘mal ein paar Butterbrote und einen Kaffee bringen. Wenn es für ihn Zeit wird, ins Bett zu gehen, dann wird er sich schon um sie kümmern; mehr will er ja gar nicht. Aber die Frauen, die er kennenlernte, waren damit nicht zufrieden und Rudolf war es jetzt leid. Er hatte von den hübschen Frauen in Thailand gehört und er hatte auch Bekannte, die mit einer Thailänderin lebten. Das war genau das, was er suchte; eine hübsche Frau, die für ihn da war, ihn etwas verwöhnte und ihn ansonsten in Ruhe ließ und sich mit sich selbst beschäftigte. Er war ja auch bereit, dafür zu bezahlen, zumal die Kosten in Thailand ja sehr niedrig sein sollten, sein Vergnügen also im Gegensatz zu den entsprechenden Vergnügungen in Deutschland auch noch ein gutes Geschäft war.

Bei seiner ersten Reise nach Thailand war sicherlich etwas schiefgelaufen. Er hatte zwar mehrere Mädchen aus der Bar mitgenommen, aber entweder waren sie im Tageslicht des nächsten Morgens nicht mehr hübsch oder sie waren im Bett nicht so zu gebrauchen, wie er sich das vorgestellt hatte oder sie waren zu dumm oder zu gerissen gewesen. Zwei der Mädchen hatten ihn geradezu ausgenommen, obwohl er auf jeden Baht geachtet hatte. Sie hatten ihn nach Ladydrinks, nach Geld für die Toilette, für Nudelsuppe, für Goldkettchen und für Kleidung gefragt. Nun ja, er hatte es gemerkt und nicht viel gesagt, aber für ihn war sofort klar gewesen, daß die für ihn nicht infrage kamen. Schließlich war er unverrichteter Dinge wieder nachhause gefahren. Aber er hatte sich vorgenommen, wiederzukommen, denn es war offensichtlich, daß es hier die Frauen gab, die er suchte; er müßte es mit der Suche wohl nur geschickter anfangen, mehrere Frauen ausprobieren und sich mehr Zeit für die Suche lassen.

Nun war Rudolf das zweite Mal in Pattaya und zwar schon seit fünf Tagen und er war seinem Ziel überhaupt nicht näher gekommen. Zwar hatte er des öfteren die Bar gewechselt, aber er hatte einfach nicht das gefunden, was er suchte. Am vorigen Abend hatte er vielleicht zwei oder drei Bars zuviel gewechselt; es war schon weit nach Mitternacht, als er schließlich alleine in sein Hotel ging, ganz ohne Begleitung. Deshalb war es auch etwas spät, als er zum Frühstück im Restaurant des Hotels erschien. Niemand ließ sich sehen. Nach einer Weile tauchte am gegenüberliegenden Ende des Restaurants jemand auf und er rief: „Hallo, hier!“ Doch es schien ein schreckhafter Mensch zu sein, der nur kurz zu ihm herüberschaute und sofort verschwand. Rudolf wartete weiter und wurde ungeduldig. Als er wieder jemand sah, rief er sofort mit aller Lautstärke: „Eh!“ Und wieder verschwand die Person. Rudolf wollte schon der Kragen platzen, als aus einer Tür dicht neben ihm ein bildschönes Mädchen auftauchte, einen Wai machte und sagte: „Yes, Sir, me E“.

Das verschlug Rudolf erst einmal die Sprache. Es war auch zuviel auf einmal, was er wollte. Zunächst erklärte er: „Breakfast“, worauf E mit einem Kopfnicken verschwinden wollte, doch Rudolf wollte mehr: „Wait, I like you...“, doch er kam mit seiner Bestellung nicht weiter, denn schon machte E große Augen, schüttelte den Kopf und sagte: „No“. Rudolf meinte: „I want…“ und schon schüttelte E den Kopf und sagte: „No“. Darauf entschied Rudolf, er müsse es anders anfangen und sie zum Essen einladen und sagte: „No, not you, I mean eat dinner, I like you to bring me dinner“ und schon verstand sie ihn falsch, strahlte, nickte mit dem Kopf, sagte: „Coming, Sir“ und war weg. Rudolf legte sich schon zurecht, was er sagen würde, wenn sie mit dem Frühstück kam, aber sie kam nicht, es war ein Kellner, der kam. Er sah sie auch an diesem Tag nicht wieder. Am nächsten Tag fragte er an der Rezeption nach E und hörte sofort: „E does not go with men.“ Aber Rudolf war darauf vorbereitet und fragte: „But does she eat?“, um auf den fragenden Blick des Empfangschefs fortzufahren: „I want to invite her for dinner.“ Der versprach, E zu fragen und dank seiner Vermittlung vereinbarte man schließlich ein Treffen an einem reservierten Tisch im Hotelrestaurant um 20 Uhr.

E war seit einem halben Jahr im Hotel tätig, sie war fast 18 Jahre alt, hatte sechs Jahre Schulbildung und kam aus Lamphang, nicht weit von Chieng Mai. Sie war wirklich bildschön, hatte weiße Haut und ein strahlendes Lächeln, was wohl die Hauptgründe für ihre Anstellung im Hotel gewesen waren, wo sie nun Reinigungsdienste verrichtete. E kam aus einer sehr guten, doch sehr armen Familie. Die Eltern hatten alles dafür gegeben, daß ihre drei Kinder die Schule besuchen konnten und nun waren sie stolz darauf, daß E in einem Hotel arbeitete, auch wenn sie von dem kleinen Gehalt nicht viel Geld nachhause schicken konnte. E hatte zuhause viel gelernt. Sie hatte gelernt, mit anderen Menschen zurechtzukommen, sie hatte gelernt, daß es sich lohnt, etwas zu lernen und sie hatte vor allen Dingen gelernt, daß es schlimm ist, arm zu sein. E wollte nie wieder arm sein. Deshalb war sie im Hotel und lernte Englisch. Einen Schreibmaschi-nenkursus hatte sie schon hinter sich und nun besuchte sie einen Computerkursus. Sie wollte sich hocharbeiten, um nicht mehr arm zu sein.

Rudolf war voller Ungeduld schon zehn Minuten zu früh erschienen und wartete auf E, die zehn Minuten zu spät in einem thailändischen Kostüm aus reiner Seide erschien und atemberaubend aussah. Die Unterhaltung dauerte länger, denn die komplizierten Vorschläge Rudolfs waren bei den beiderseits etwas beschränkten Sprachkenntnissen nicht leicht zu vermitteln, zumal es auch ein harter Handel wurde, aber schließlich wurde man sich einig: E würde unter bestimmten Voraussetzung später einmal mit Rudolf nach Deutschland gehen. Sie würde jetzt im Hotel bleiben und weiter lernen und einen Reisepaß beantragen und wenn Rudolf in einigen Monaten wiederkam, die erforderliche Unterstützung für ihre Eltern bezahlte und eine finanzielle Sicherheit für E garantierte, würde sie mit ihm nach Deutschland gehen, wo sie zunächst ein halbes Jahr zusammen leben würden, um zu sehen, ob sie auch weiterhin zusammenbleiben könnten.

Rudolf wollte alle Kosten übernehmen und E könnte in Deutschland Deutsch und Englisch lernen und vielleicht auch noch andere Kurse besuchen. Sie brauchte nicht arbeiten zu gehen und sich nicht viel um Rudolf kümmern. Sie würde viel Zeit und alles Material zum Lernen haben und bekam im Monat 5.000 Baht für die Eltern und 100 Euro Taschengeld. Außerdem bekäme sie jetzt sofort für die Kosten der Reisevorbereitung 10.000 Baht. Sie konnte aber nicht auf sein Zimmer gehen, weil sie dann im Hotel entlassen würde. Aber auf ein Zimmer in einem anderen Hotel würde sie mitgehen. Rudolf gab ihr gleich die versprochenen 10.000 Baht, um sicher zu sein, daß sie es sich nicht anders überlegte und man verabredete sich in einem Restaurant außerhalb des Hotels für den nächsten Abend.

Am nächsten Abend war Rudolf fast sicher, weder die 10.000 Baht noch E jemals in seinem Leben wiederzusehen, doch er sollte sich irren und ging mit der Jungfrau E in ein anderes Hotel. Am nächsten Morgen war Rudolf sich zwar nicht sicher, ob E nun wirklich eine Jungfrau gewesen war. Da er aber noch nie mit einer Jungfrau ins Bett gegangen war, befand er, daß er das vielleicht nicht so genau beurteilen könnte. Auf jeden Fall aber hatte er eine herrliche Nacht voll zu seiner Zufriedenheit erlebt und fühlte sich sehr wohl, insbesondere mit einem Blick auf die Zukunft.

Rudolfs Abreisetag kam für ihn viel zu früh. E fuhr mit ihm abends zum Flughafen, doch es flossen keine Tränen, vielmehr irritierte Rudolf ihr strahlendes Lächeln. Dennoch – oder vielleicht deshalb? – gab er Ihr vor dem Check-in noch sein restliches thailändisches Bargeld, immerhin über 6.000 Baht. Die nächsten Monate hörte er nichts von E, obwohl er sich sicher gewesen war, Bettelbriefe zu erhalten. Als er ein knappes halbes Jahr später wieder nach Pattaya fuhr, glaubte er nicht, E jemals wiederzusehen. Ein Brief mit der Mitteilung, wann und mit welchem Flug er käme, blieb unbeantwortet. Desto größer war die Überraschung, als er schon an der Sperre des Flughafens die auf ihn wartende E traf. E gab ihre Arbeitsstelle im Hotel auf und fuhr mit Rudolf nach Deutschland. Sie besuchte Kurse und war sonst immer zuhause und lernte. Sie machte das Haus sauber und lernte schnell, Rudolf sein Abendessen zu bereiten und ihn in Ruhe zu lassen. Rudolf kümmerte sich nicht viel um sie, denn das hatten sie ja abgemacht und E zeigte immer ihr strahlendes Lächeln.

Nach dem ersten halben Jahr entschied Rudolf, daß sie zusammen leben könnten. Nein, heiraten wollte er deswegen nicht, aber er kam mit E überein, daß sie noch ein weiteres halbes Jahr abwarten sollten und dann würden sie erst einmal zusammen nach Thailand fahren. Und E lächelte, lernte, ging nicht aus und sparte. Und Rudolf war völlig zufrieden, daß sie in seinem Büro an einem anderen Tisch saß und lernte, ihm hin und wieder einen Kaffee oder einige Plätzchen brachte und ihn sonst nicht störte, bis er ihr so gegen Mitternacht sagte, daß er jetzt mit ihr ins Bett gehen will. Er war so zufrieden, daß er ihr zwischendurch auch noch einige Geldscheine in die Hand drückte. Genau so hatte er sich sein Leben immer gewünscht.

Das Jahr verging schneller als gedacht und Rudolf mußte aus geschäftlichen Gründen noch einmal drei Monate verlängern, bevor er mit E nach Thailand flog. Er gab ihr auch extra Geld dafür. Dann flogen sie nach Thailand fuhren nach Pattaya. Rudolf hatte sich Arbeit mitgenommen und E würde einige Tage ihre Eltern besuchen. Rudolf freute sich, daß er so seine Freiheit hatte. E fuhr zwei Tage zu ihren Eltern und freute sich, daß es ihnen gut ging. Sie hatte ihnen hin und wieder etwas Geld geschickt. Freilich keine 5.000 Baht. Zwei sparsame Leute in einem eigenen Haus auf dem Lande brauchen viel weniger. Und da auch die anderen Kinder etwas geschickt hatten, besaßen die Eltern sogar noch ein gutes Polster gesparten Geldes. So fuhr E beruhigt und zufrieden wieder nach Pattaya.

Sie suchte einen Ausländer, nein, nicht Rudolf und nicht fürs Bett. E war sich ihrer Wirkung bewußt und sie wußte auch, wie groß die Verlockung einer Frau sein konnte, wenn man sie nicht bekommt. E suchte mit verführerischem Lächeln einen Geschäftspartner. Immerhin hatte sie etwas zu bieten, was ihr neidlos jeder zugestand, der sie sah. Aber außerdem sprach sie ganz gut Deutsch und Englisch und sie hatte inzwischen über 120.000 Baht zusammengespart. Dennoch dauerte es über eine Woche, bis sie einen Partner fand, einen Ausländer, der bereit war, ebenfalls 120.000 Baht auf den Tisch zu legen.

Sie würden zusammen eine Bar aufmachen und der Ausländer würde einmal im Jahr nach Pattaya kommen. E wußte, daß 120.000 Baht für ihn nicht viel Geld waren, daß er damit nur etwas Schwarzgeld unterbrachte und daß er eigentlich etwas Anderes wollte; er wollte sie. Aber sie wußte auch, daß er an ihr nur solange Interesse haben würde, wie er sie nicht bekam. Dem Mann konnte geholfen werden. Sie machten die Verträge und suchten eine Bar. Dann gab der Ausländer E noch ein kleines Darlehen, weil die 240.000 Baht nicht ganz reichten. Er dachte…, aber sie ging trotzdem nicht mit ihm ins Hotel.

Dann ging sie zu Rudolf und sprach mit ihm. Rudolf war bestürzt, wo sie doch so gut zusammengelebt hatten. Doch E klärte ihn auf: „Rudolf, Du kannst mit keinem Menschen leben. Du brauchst einen Diener und eine Prostituierte. Du hast Angst vor anderen Menschen, vor ihren Gefühlen, und Du hast Angst vor Dir, vor Deinen Gefühlen. Es gibt keine Gemeinsamkeit mit Dir. Ich kann nicht mit einem Menschen leben, der mehr als doppelt so alt ist, wie ich, der nicht mit mir spricht, den es nicht interessiert, was ich fühle und was ich denke, der nicht wissen will, ob ich einsam bin oder krank, ob ich Kopfschmerzen habe oder Heimweh, der nur will, daß jemand sauber macht, ihm Essen hinstellt und mit ihm ins Bett geht. Wir hatten doch niemals einen echten Kontakt miteinander, es gab nichts an Gemeinsamkeit. Das ist kein Leben.“

Rudolf konnte überhaupt nicht verstehen: „Ich weiß nicht, was plötzlich in Dich gefahren ist, wir haben immer gut zusammen gelebt, ich habe Dich nie geschlagen oder schlecht behandelt, Du hast immer pünktlich Dein Geld bekommen, oft habe ich Dir sogar mehr gegeben und jetzt willst Du weg. Bedeutet Dir das alles denn gar nichts?“

E seufzte: „Wir haben nie zusammen gelebt. Du warst kein Mensch, nur ein Apparat am Schreibtisch. Du hast nie ein freundliches Wort, nie eine zärtliche Geste für mich gehabt. Ich war für Dich einfach nicht da. Du wolltest nie wissen, was ich mache oder wie ich mich fühle. Ich war für Dich kein Mensch, nur ein Stück Fleisch im Bett. Ich habe alles für Dein Geld getan, aber ich werde nie wieder arm sein, und mit den Mädchen in meiner Bar werde ich gemeinsam leben können. Und Du?“


von Dr.G.M. Gad Labudda
 
        #97  

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Vielen Dank Kalli das du die Geschichten hier reinstellst.
 
        #98  

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von Dr.G.M. Gad Labudda



Ein Kredit brachte den Wohlstand

- zwei mal sechs Seiten - Von 'Victor Schluff' in 'Die Geschichten gehen weiter' -

Es ist wirklich schlimm, wenn man kein Geld hat. Dauernd muß man sparen, muß auf jeden Baht achten und dennoch reicht das Geld nicht zum Leben. Da hilft nur ein Kredit, denn man muß investieren, um Geld verdienen zu können. Und wenn man den Kredit zum Investieren hat, kann man endlich einmal richtig Geld ausgeben.

Pani lebt schon lange in Pattaya. Vor fast dreißig Jahren kam sie aus der Provinz Udon Thani, um hier ihr Glück zu versuchen. Es war sehr schwer, damals. Pattaya war ein Ort, in dem gerade die ersten Hotels gebaut wurden und der Tourismus hielt sich noch sehr in Grenzen. Erst nach dem Bekanntwerden Pattayas als neuem Urlaubsressort sowie als Geheimtip für Junggesellen und dem Zustrom vieler internationaler Gäste in den achtziger Jahren wurde das Leben etwas leichter. Dank des zunehmenden Interesses jener Touristen, die die thailändische Kultur ausgerechnet in Pattaya kennenlernen wollten, wurde es nicht nur möglich, ein Leben ohne Hunger und krasse finanzielle Probleme zu führen, vielmehr konnte man bei einem sparsamen Lebensstil überdies etwas Geld für schlechte Zeiten auf die Seite legen, was Pani auch regelmäßig tat. Dabei konnte sie zwar keine Reichtümer anhäufen, aber sie brachte doch eine Summe zusammen, auf die sie voller Stolz blicken konnte, als sich bemerkbar machte, daß das allgemeine Publikumsinteresse an ihrer Zuneigung bereits seinen Höhepunkt überschritten hatte.

Pani suchte Ruhe. Sie wollte das aufregende internationale Leben hinter sich lassen und wieder in ein typisch thailändisches Leben einsteigen, so wie sie es von ihrer Kindheit her kannte. Deshalb mietete sie ein kleines Restaurant, in dem sie Thailändische Küche und Spezialitäten des Isan anbot, was ihr zwar garantierte, daß sie fast ausschließlich thailändische Gäste hatte, aber leider nicht, daß sie auch hohe Einnahmen haben würde. Wenn sich das Sprichwort bewahrheitete, das behauptet ‘redliche Arbeit ernährt seinen Mann’, so lag das nur daran, daß Pani in der Küche arbeitete und gar keine Zeit hatte, Geld auszugeben.

Tatsächlich war das Leben sehr mühsam und es blieb am Monatsende kein Geld übrig. Früh um sechs Uhr öffnete sie das Lokal, um thailändischen Kaffee mit Gebäck und Reissuppe anzubieten, sie bediente den ganzen Tag über einzelne Gäste, bis sie schließlich gegen Mitternacht jene Gäste verabschiedete, die einen gelungenen Tag oder eine schöne Feier traditionell mit einer Nudelsuppe und etwas Alkohol beschlossen, um von hier aus nach Hause zu gehen. Da es sich hierbei zumeist um Gruppen handelte, hatte sie zu dieser Zeit oft die höchsten Einnahmen, auf die sie nicht verzichten konnte, auch wenn diese Leute oft bis weit nach Mitternacht bei ihr blieben, was manchmal recht lästig war.

So hatte sie zwar den ganzen Tag über Arbeit, aber wenn schon Gäste da waren, so war meistens doch nur einer ihrer drei Tische besetzt und so rentierte sich ihre Arbeit nicht sonderlich. Schon lange hatte sie sich überlegt, ob sie nicht ihr Lokal vergrößern sollte, indem sie eine Wand zu einem großen Nebenraum abreißt, in dem nur drei Kisten mit Getränken standen. Aber dann hätte sie das ganze Lokal renovieren und neue Tische und Stühle kaufen müssen. Zwar war sie auch schon seit langer Zeit der Meinung, daß eine Renovierung nötig sei, um dem Lokal ein freundlicheres und helleres Aussehen zu geben, die Küche etwas besser vom Gästeraum zu trennen und das Lokal ordentlicher zu gestalten, aber sie hatte sich immer vor den Ausgaben gescheut, die so eine Umgestaltung mit sich brachte. Zwar hatte sie seit Übernahme des Lokals stets über fünfzigtausend Baht auf der Bank, die sie dort als eiserne Reserve hielt, aber dieses Geld wollte sie auf keinen Fall angreifen, weil es ihre einzige Sicherheit im Falle eines Unfalles, bei Krankheit oder sonstigen Notfällen darstellte. Das erhoffte Anwachsen ihres Bankkontos hatte sich aber trotz aller Bemühungen nicht eingestellt.

Die große Wende kam mit einem Brief von der Bank, in dem ihr mitgeteilt wurde, daß diese sich für ihre Treue bedankt und ihr aus die-sem Grunde einen Kredit von einhunderttausend Baht gewährt, über den sie schon wenige Tage nach einer problemlosen Beantragung verfügen kann. Das war die Lösung aller Probleme. Sofort ging sie zur Bank, stellte den Antrag, erklärte, daß sie mit dem Geld ihr Lokal renovieren und erweitern wollte und erhielt auch prompt die Mitteilung, daß ihr das Geld bereits in zwei oder drei Tagen zur Verfügung steht.

Das mußte selbstverständlich gefeiert werden. Sofort meldete sie sich bei zwei Freundinnen und dem Ehepaar vom Markt, bei dem sie immer ihr Fleisch kaufte, und lud sie zu einem Festessen im ‘Nang Nual’ ein, das oft als das beste Fischrestaurant Pattayas bezeichnet wird. Natürlich kamen auch ihre beiden fast erwachsenen Kinder mit zu dieser Feier. Bald wurde Pani nach dem Grund dieses Festessens gefragt, denn es war zweifellos ein außergewöhnliches Ereignis, da sie nie zuvor zu einem Essen eingeladen hatte.

Da Pani schon immer einmal richtig großes Glück haben wollte und ihr einfiel, daß ein Kredit eigentlich gar nicht so ein großes Glück darstellt, weil sie ihn ja zurückzahlen muß, zog sie vor, feierlich zu erklären, daß sie eine sechsstellige Summe in der Lotterie gewonnen habe. Das war selbstverständlich ein ganz besonders großes Glück und ein sehr triftiger Grund zum Feiern. Während des Essens wurde die Planung der Renovierung durchgeführt. Man kalkulierte den Preis der Umbauarbeiten sowie die Art und den Preis eines neuen Anstrichs. Dann kam jemand auf die Idee, daß Pani sich nun auch einen gebrauchten Pick up kaufen könnte, womit das Einkaufen für sie sicherlich leichter würde und sie einen höheren Status hätte.

Das erinnerte den siebzehnjährigen Sohn daran, daß sein Motorrad schon vor drei Monaten nach einem heroischen Kampf mit einem Bordstein und einem Straßenbaum als irreparabel diagnostiziert wurde. Schon bot eine der Freundinnen Panis das Motorrad ihres Sohnes an, der sich ein Auto gekauft hatte, weil er jetzt im entfernteren Sriracha arbeitet und das Motorrad nicht mehr braucht. Und das Metzgerpaar bot eine preiswerte Kühltruhe zum Kauf an, weil es eine neue, größere Kühltruhe kaufen wollte. Da die Arbeit in einem vergrößerten Restaurant viel leichter ist, wenn man eine große Kühltruhe hat, das Angebot von guten Freunden kam und so günstig war, sagte Pani zu.

Es war schwer, zu warten, bis das Geld auf der Bank lag, aber inzwischen überlegte Pani sich, wie das Geld am besten anzulegen ist. Dabei fiel ihr ein, daß ihre Tochter, die in Bangkok eine kaufmännische Ausbildung mitmachte, auch etwas erhalten muß, wenn ihr Sohn ein Motorrad bekommt. Sie hatte schon länger nach neuer Kleidung, einem Mobiltelefon und einer Couch gefragt. Das erinnerte sie an ihr eigenes Bett, das schon sehr alt war und so zog sie los und kaufte ein neues, großes Bett mit einer guten Matratze. Die konnte sie von ihrer eisernen Geldreserve bezahlen, weil der Kredit ja bald auf ihr Konto kam. Es versteht sich von selbst, daß zu dem neuen Bett auch neue Bettwäsche, eine neue Bettdecke und passende Gardinen gekauft werden mußten und schließlich auch noch ein neuer Kleiderschrank und ein Kosmetiktisch, weil diese alten Sachen nun gar nicht mehr zu dem neuen Bett paßten und im Zimmer geradezu störend wirkten.

Nun mußte sie die Party planen, um den neuen Wohlstand in großem Stil mit Freunden und Gästen zu feiern, sobald das Geld auf der Bank lag. Sie fuhr zum Metzgerpaar und man vereinbarte, das sorgsam ausgewählte Fleisch für diese Party am nächsten Tag zusammen mit der Kühltruhe zu liefern. Tatsächlich kam die Kühltruhe nur zwei Stunden nach dem Bescheid, daß das Geld auf der Bank lag. Nun mußte sie noch die restlichen Sachen für die Party beschaffen, zu der sie noch viele Gäste einladen wollte. Dabei bemerkte sie, daß ihr die Laufereien doch Mühe machten. Zwar befanden sich die Läden in ihrer Nähe, deshalb hatte sie bisher kein Fahrzeug benötigt, zumal auch ihre Wohnung nur fünf Minuten vom Restaurant entfernt war, aber die Leute, die sie kannte und einladen wollte, wohnten weit auseinander. Da die aber auch als Gäste in ihr neues Restaurant kommen sollten, mußte sie mit ihnen Kontakt halten.

Kurzentschlossen kaufte sie ein schönes neues Motorrad, daß sie sich dank des Kredites nun endlich erlauben konnte und ihr Leben bestimmt sehr erleichterte. Fast mühelos erreichte sie die Leute, die sie einladen wollte und war sehr froh über ihre Entscheidung, sich nicht einen gebrauchten Pick-up gekauft zu haben, denn mit dem Motorradkauf hatte sie wenigstens fünfzigtausend Baht gespart. Ob dieser Summe wurde ihr etwas schwindlig und sie bemerkte, daß der erhaltene Kredit eigentlich gar nicht so groß war, doch die Tatsache, daß sie nun endlich beweglich war, daß sie mit dem Motorrad viel Geld gespart hatte und der Stolz, ein besonders schönes neues Motorrad vorzeigen und vor die Tür stellen zu können, beruhigten sie wieder.

Doch der Gedanke an die Party ließ sie nicht los. Sie mußte etwas Besonderes bieten, vielleicht ein Zeichen der Erneuerung, das auf den neuen Wohlstand und die Verbesserungen des Restaurants hinwies. Vielleicht ein Stereogerät mit Lautsprechern für das erweiterte Lokal, dachte sie und ließ sich in einem Fachgeschäft beraten. Das hatte zur Folge, daß sie neben einer großen Stereoanlage auch noch ein Fernsehgerät mit Großbildschirm kaufte, an das man einen zweiten Bildschirm anschließen konnte, damit auch alle Gäste fernsehen konnten.

Als sie mit ihrem neuen Motorrad zu einer ihrer Freudinnen fuhr, begrüßte diese sie damit, daß sie etwas besonders Schönes für ihr neues Restaurant hat und zeigte zwei antique, übermannshohe Spiegel in einem breiten, handgeschnitzten Hartholzrahmen. Pani kaufte sie sofort, weil sie so schön waren, daß sie in dem neuen Restaurant bestimmt ein guter Blickfang würden, der das Lokal belebte, weil sie eigentlich gar nicht so teuer waren und weil sie schließlich zeigen mußte, daß sie jetzt im Wohlstand lebt und sich auch etwas Besonderes erlauben konnte.

Die Party war ein Riesenerfolg und ging noch lange weiter, nachdem man um Mitternacht die bunten Ballons zum Platzen gebracht hatte, die hier bei allen Lokalen obligatorisch sind, um die Feier bekanntzugeben und neue Gäste anzulocken. Die waren wohl für einen großen Teil des Erfolgs verantwortlich, denn es waren viele Leute erschienen, die nicht eingeladen und völlig unbekannt waren, darunter auch einige Ausländer. Zu Beginn der Party erhielt der Sohn sein Motorrad, die Tochter erhielt Geld für Kleidung, ein Mobiltelephon und eine Couch und Pani führte ein neues Seidenkleid vor, das sie sich für die Party hatte schneidern lassen. Schon beim Essen wurde der neue Fernsehapparat vorgeführt und dazu hämmerte dann die neue Stereoanlage in voller Lautstärke Tanzmusik des Isan, wie der arme Nordosten Thailands genannt wird, bis in den frühen Morgen.

Es wurde getanzt und getrunken, daß es eine Freude war und man sehr deutlich erleben konnte, daß das Leben doch viel schöner ist, wenn man Geld ausgeben kann. Die Party bot das Erlebnis eines Lebens in Wohlstand. Sogar ein außerordentlich schlanker Thai namens Wirachai zeigte Interesse an Pani und tanzte sehr oft mit ihr, wo Thailänder doch sonst vor alleinstehenden Frauen mit Kindern einen größeren Abstand halten. Dies brachte Pani auf den Gedanken, daß sich vielleicht ihr angeblicher Lotteriegewinn herumgesprochen haben könnte, wodurch sie auch für thailändische Männer wieder interessant wurde. Genauso, wie sie früher ihr Interesse an Männern gezeigt hatte, um auf diesem Weg an Geld zu kommen.

Nach dem Essen eröffnete das Metzgerpaar, daß es einen Bekannten hat, der zufälligerweise gerade sechs große massive Holztische mit den entsprechenden Stühlen aus einer Restaurantauflösung bei sich stehen hat, die sicher gut in Panis neues Restaurant passen und nicht teuer sein können. Man beschloß, gleich bei diesem Mann vorbeizufahren und Wirachai erklärte sich bereit, mitzukommen, da er etwas von Holzmöbeln verstünde. Nachdem der Preis ausgehandelt worden war, kaufte Pani die Möbel, wollte sie aber erst am nächsten Tag bezahlen, weil sie so viel Geld nicht bei sich trug. Wirachai, der bei den Kaufverhandlungen kein Wort gesagt hatte, erklärte sich bereit, das Geld vorzustrecken, er müsse nur erst nachhause gehen, um es zu holen. Man verzichtete, da die Möbel ohnehin erst am nächsten Tag abtransportiert werden könnten. Die Möbelverkäufer wurden zur Party eingeladen, um den Verkauf und das neue Restaurant zu feiern und so fuhren sie gemeinsam zurück, um noch einmal das neue Leben und den Wohlstand zu genießen. Zuvor jedoch erhielt der Möbelverkäufer einen Barscheck für seine Ware.

Zunächst war es ein Lotterieverkäufer, der von dem Wohlstand profitierte. Die leicht angeheiterten Gäste wollten auch einmal so viel Glück haben wie Pani, deren Wohlstand ja offensichtlich war. Und da Pani ihr Glück mit der Lotterie gemacht hatte, mußten sie es auch versuchen. Selbstverständlich mußte auch Pani jetzt wacker zugreifen, nachdem sie der Lotterie ihr Glück verdankte, deshalb kaufte sie für rund dreitausend Baht Lotterielose. Vielleicht würde sie mit einem dieser Lose ja tatsächlich etwas gewinnen, hoffte sie.

Doch nach dem Kauf der Lose beschlich sie ein ungutes Gefühl. Nie hatte sie Geld für die Lotterie ausgegeben, weil sie genau wußte, daß das Geld so gut wie weggeworfen war. Alle Leute, die sie kannte, hatten mehr Geld für Lose ausgegeben, als die Gewinne einbrachten und es war immer nur die Lotterie, die regelmäßig Gewinne verzeichnete. Und nun hatte sie dreitausend Baht für Lose ausgegeben. Könnte es da nicht sein, daß sie in der Euphorie der Kreditgewährung etwas leichtfertig mit dem Kredit umgegangen war? Doch die Party war noch nicht zu Ende, jetzt galt es noch, sich zu vergnügen, auch wenn die rechte Stimmung bei ihr nicht mehr aufkommen wollte und sie nun fortlaufend versuchte, die Ausgaben der letzten Tage im Kopf zusammenzurechnen, was ihr dank der fortschreitenden Fröhlichkeit und wohl auch des fortgeschrittenen Alkoholgenusses nicht gelang.



Als alle Gäste sich verabschiedet hatten, verschloß sie das Lokal, verzichtete vorsichtshalber auf die Benutzung des Motorrades und kam wenn auch nicht geradlinig, so doch unbeschadet nachhause. Doch am nächsten Morgen rechnete sie alle Ausgaben zusammen. Sie hatte den gesamten Kredit und noch fast fünfzigtausend Baht von ihrer eisernen Reserve ausgegeben. Jetzt hatte sie noch sechstausend Baht auf der Bank, nicht genug für den Umbau und keine Reserve. Aber sie konnte ja die angeschafften Sachen in den großen Nebenraum stellen, bis sie einmal das Geld für den Umbau zusammengespart hatte, auch wenn dies nun etwas länger dauern könnte. Und es war doch so eine schöne Zeit im Wohlstand gewesen, daß ihr die Ausgaben gar nicht leid taten.

Pani war sich aber darüber klar, daß sie nun unbedingt Geld verdienen mußte. Hatte sie zuvor nicht genug verdient, um Gewinne zu erzielen und Geld zurücklegen zu können, so mußte sie nun auch noch den Kredit zurückzahlen. Nach dem normalen Morgenverkehr mit Kaffee oder Reissuppe nahm sie Papier und Stift und setzte sich an einen leeren Tisch. Während sie noch versuchte, auszurechnen, wie hoch ihre Tageseinnahmen nun sein müßten, um die laufenden Kosten und die Kreditrückzahlungen tragen zu können, kam Wirachai, der nach einigen Komplimenten einen Tisch und eine Ente für ein Uhr bestellte, weil er sich mit drei Geschäftsleuten zu einer wichtigen Besprechung über eine äußerst lukrative Investition treffen wollte.

Wirachai war kaum gegangen, als drei Männer kamen, etwas zu essen bestellten und dann mit Pani sprechen wollten. Zunächst gratulierten sie ihr zu ihrem Lotteriegewinn, von dem sie angeblich in einer Zeitung gelesen hatten. Sie meinten, daß Pani ihr Geld sicher gewinnbringend anlegen will, weil die Bankzinsen so niedrig sind, daß sie dort keinen Gewinn erzielen kann. Nun brauchte sie die Möglichkeit, ihren Gewinn sicher und gewinnbringend anzulegen und sie könnten ihr eine absolut sichere Investition anbieten, bei der sie pro Jahr mindestens fünfzig Prozent Gewinn einkassieren kann. Allerdings müßte sie wenigstens eine halbe Million Baht investieren und sich schnell entscheiden, weil andere Investoren bereits starkes Interesse gezeigt haben, aber die erforderliche Mindestsumme nicht zusammenbringen. Aufgrund der Dringlichkeit würden sie die Investition demjenigen gewähren, der als erster eine halbe Million Baht auf den Tisch legt.

Pani hatte begriffen. Das Gerücht ihres Lottogewinns hatte sich herumgesprochen und nun kamen alle jene Leute, die von ihr Geld haben wollten. Zuerst jene Leute, die glaubten, daß sie keine Ahnung von Investitionen hatte und sie mit unmöglich hohen Renditeversprechungen betrügen wollten. Aber Pani hatte auch begriffen, daß sie diese Leute nicht einfach hinauswerfen durfte. Solange sie hoffen konnten, von ihr Geld zu bekommen, waren sie gut zahlende Gäste. Als reiche Männer, die Investitionen anboten, konnten sie sich nicht erlauben, bei ihr nur eine schlichte Nudelsuppe zu bestellen. Pani mußte diese Leute der Einnahmen wegen hinhalten, so lange es gerade möglich war. Sie erklärte, daß sie bereits andere Angebote hat.

Die seien zwar nicht so lukrativ, böten ihr aber die Möglichkeit einer aktiven Teilnahme am Geschäft und damit nicht nur eine gute Übersicht über den Vertriebsablauf, sondern auch einen doppelten Gewinn. Die Leute überschlugen sich, ihr Argumente zu unterbreiten, aufgrund derer eine Investition bei ihnen grundsätzlich sicherer und viel gewinnbringender sei, doch sie mußten sich gedulden, bis Pani ihnen eine Entscheidung mitteilte. Sie meinte, wenn sich vorher ein anderer Investor meldet, dann sollten sie ruhig zugreifen, da sie ja ohnehin schon ein gutes Angebot hat und nur abwägen muß, welches Angebot besser sei. Die Leute wollten am nächsten Tag wiederkommen, für den Fall, daß Pani sich dann entschieden hat.

Wirachai meldete sich mit seinen drei Leuten und auch sie wollten mit ihr über eine Investition sprechen. Sie hatten einen anderen Trick. Sie erklärten, daß sie bereit wären, zusammen mit ihr eine Firma zu gründen, an der alle zu gleichen Teilen beteiligt sein sollten. Sie wollten in Pattaya einen Autoverleih eröffnen. Dazu wollte der eine der Drei zwei Personenwagen kaufen, der zweite war Automechaniker und sollte die Wagen pflegen und reparieren, und Wirachai sollte als Fahrer eingesetzt werden. Da aber zwei Wagen für solch eine Firma nicht ausreichend sind, gaben sie Pani die Möglichkeit, ebenfalls zwei Personenwagen zu kaufen, womit dann jeder ein Viertel der Firma besaß und bei der Auszahlung am Monatsende jeweils ein Viertel des Gewinnes erhalten sollte. Man wollte ihr weismachen, daß jeder Wagen am Tag mindesten zweitausend Baht einbringt und daß sie dann über Jahre hinaus monatlich sechzigtausend Baht Gewinn kassieren kann.

Es war klar, daß der angebliche Autokäufer keine Autos kaufen würde. Er sah absolut nicht so aus, als ob er das Geld dazu hätte und sollte wohl nur als Muster dienen, um Pani weiszumachen, daß es eine kluge Handlung sei, Autos zu kaufen und den Gewinn dann mit einem Mechaniker und einem Chauffeur zu teilen. Es war aber noch nicht einmal sicher, ob diese Leute wirklich eine Firma eröffnen wollten, denn sie erklärten Pani, daß sie die Autos aufgrund ihrer besonderen Beziehungen und internen Verbindungen zu Autoherstellern mit vierzig Prozent Nachlaß erhalten könnten. Natürlich sei dieser Nachlaß nicht übertragbar, weshalb Pani ihnen das Geld geben sollte und sie würden dann für sie die zwei Autos kaufen, was sie nur rund schshunderttausend Baht kosten sollte. Pani war sich gar nicht sicher, ob sie nur das Geld einkassieren und verschwinden würden. Sie sagte ihnen wahrheitsgemäß, daß sie noch andere Investitionsangebote hatte und zunächst auf die näheren Informationen über diese äußerst lukrativen Angebote warten wollte, um sich die von ihnen angebotene Investition gründlich zu überlegen.

Am Nachmittag erschienen einige Leute, die sie um Geld anbettelten, weil sie doch nun per Zufall reich geworden war, aber es erschienen auch drei weitere Gruppen, die mit allen möglichen Gründen günstige Investitionen anboten, darunter auch ein Ausländer, der eine Wäscherei eröffnen wollte, wozu sein Kapital aber nicht reichte. Am Abend kamen noch einige Neugierige, die wissen wollten, wie Pani die Zahlen zusammengesetzt hat, mit denen sie gewonnen hat. Sie fragten, ob sie glückbringende Zahlen von einem Tempel, einem Wahrsager oder aus einer Zeitung erhalten hat. Dadurch war ihr Lokal an diesem Tag gut besucht gewesen und sie konnte ungewöhnlich hohe Einnahmen verbuchen. Die meisten der Gruppen, die ihre Investition suchten, kamen am nächsten Tag wieder, doch Pani erklärte, daß sie sich noch nicht entscheiden konnte. Aber das Restaurant war auch an diesem Tag recht gut besetzt gewesen und sie freute sich über den ungewöhnlich hohen Umsatz.

Am darauffolgenden Tag kam zur Mittagszeit jene Gruppe wieder, die als erste erschienen war und ihr fünfzig Prozent Rendite angeboten hatte. Die Leute gaben sich alle Mühe, sie von ihrer Vertrauenswürdigkeit und ihren guten Einnahmen zu überzeugen. Als sie gemeinsam mit Pani am Tisch saßen, zog einer der drei ein dickes Bündel Bangknoten aus der Tasche, schob sie einem anderen über den Tisch und sagte: „Das sind Deine einhunderttausend Baht Gewinn aus der Transaktion vom letzten Monat.“ Der stopfte das Paket achtlos neben seine Brieftasche in der Gesäßtasche und hielt eine lange Rede, daß er das Geld nicht nachzählen müßte, weil sie ja schon so lange zusammenarbeiten und er absolutes Vertrauen in die Korrektheit des Geschäftsführers hat, so daß es fast eine Beleidigung wäre, Geld nachzuzählen, das er von ihm erhält. Der erwiderte das Lob und sagte, daß seinerseits das Vertrauen so groß ist, daß er auch auf eine Quittung verzichten kann. Dennoch nahm Pani das Investitionsangebot noch nicht an, weil ihr noch Informationen fehlten, um sich entscheiden zu können. Als die Drei ihre Rechnung bezahlt hatten, kamen einige neue Gäste, die Drei gingen und Pani beschäftigte sich mit den Gästen. Als sie zwischendurch schnell auf die Toilette ging, lag dort ein Geldbündel. Das mußten die einhunderttausend Baht gewesen sein, die der Mann in seine Hosentasche gesteckt hat. Vermutlich hatte er sie beim Herunterziehen der Hose auf der Toilette verloren.

Da diese Leute mit absoluter Sicherheit beabsichtigten, sie zu betrügen, hatte Pani keine Bedenken, dieses Geld schnell zu verstecken und sich weiter um die andere Gästegruppe zu kümmern, die ihr auch eine Investition anbieten wollte, diesmal eine Teilhaberschaft an einer Bar. Die Leute hatten schon gegessen und man diskutierte die erforderliche Investition, als der Mann aus der ersten Gruppe zurückkam und auf den Stuhl und unter den Tisch schaute. Als Pani ihn fragte, wonach er sucht, erklärte er, daß er etwas verloren hat, etwas aus seiner Gesäßtasche. Pani war so nett, ihm bei seiner Suche zu helfen, wobei sie ihm erklärte, daß sie nichts gefunden hat und noch nicht einmal dazu gekommen sei, den Tisch richtig sauberzumachen. Sie gab ihm den guten Rat, im Autositz nachzuschauen, weil es öfter vorkommt, daß Männer etwas aus der Hosentasche verlieren, was sich dann später in der Spalte des Autositzes wiederfindent. Er meinte, das sei gut möglich und ging.

Nachdem die anderen Besucher gegangen waren und sich einige Gäste im Lokal befanden, die aber nicht mit ihr über Investitionen sprechen wollten, rief Pani sofort die Firma an, die die Renovierung ihrer Räume durchführen wollte, bis jetzt aber noch nicht erschienen war. Sie hatte sich schon vorgenommen, sich bei den Leuten zu entschuldigen und sie wieder wegzuschicken, nun aber beschwerte sie sich, daß die noch nicht erschienen waren und man vereinbarte den Beginn der Renovierung in drei Tagen. Ab sofort erzählte sie allen Gästen, daß das Lokal so gut läuft, daß sie es renovieren und erweitern muß, weshalb es drei Tage geschlossen haben wird, aber dann nach der Vergrößerung und Moderni-sierung auch mit einer erweiterten Speisekarte und größerem Luxus aufwarten kann. Sie erzählte von den beabsichtigten Veränderungen, gab den Gästen ein Getränk oder einen Nachtisch gratis und hing ein Schild aus, daß eine weitere Köchin oder eine Kellnerin gesucht wird.

Pani, der gerade noch der Schreck in den Knochen gesessen hatte, nahm sich vor, früh am nächsten Morgen in den Tempel zu fahren, um sich mit einem großen Korb voller notwendiger Kleinigkeiten und Eßwa-ren sowie einer Spende von eintausend Baht für ihre Errettung zu bedanken. Und dann nahm sie sich vor, grundsätzlich keine unnötigen Ausgaben mehr vorzunehmen, bis sie nicht den Kredit zurückgezahlt und auf dem Konto wieder ihre eiserne Reserve hatte.

Sie hatte eine schöne Woche erlebt, aber sie hatte auch viel gelernt. Sie hatte geglaubt, Geld zu haben und alles, was sie hatte und was sie zurückzahlen mußte, ausgegeben, weil sie meinte, sie hat ja Geld, bis sie nichts mehr hatte und es hätte leicht sein können, daß sie dabei ihr Geschäft ruiniert hätte, weil sie den Kredit wahrscheinlich nicht hätte zurückzahlen können. Durch den angeblichen Lotteriegewinn waren viele Leute gekommen, die von ihr auf unehrliche oder ehrliche Art Geld haben wollten. Dadurch sind viele neue Kunden gekommen, nur weil sie gesehen haben, daß bei ihr Betrieb ist, daß da Leute sitzen und daß das Restaurant dann ja gut sein muß. Und dann hatte sie gelernt, daß die Leute es mögen, wenn sie fragt, ob es ihnen schmeckt, wie es ihnen geht, sich nach ihrer Familie erkundigt und sich etwas mit ihnen unterhält. Sie durfte also nicht nur Essen hinstellen, sondern auch eine Art persönlicher Beziehung und etwas Unterhaltung anbieten.

Nach der Renovierung veranstaltete sie zur Wiedereröffnung eine Feier, zu der sie aber nur noch Hühnersuppe und kaltes Buffet anbot. Es erwies sich als gut, daß sie eine Köchin eingestellt hatte, denn nun konnte sie sich um die Gäste kümmern. Sie erhöhte ihre Preise nur minimal, machte aber Reklame dafür, daß ‘jedes dritte Gedeck, jedes dritte Glas gratis’ gegeben wird. Dadurch bemühten sich ihre Gäste, einen dritten Gast mitzubringen, der nicht zu bezahlen brauchte, oder sie kamen mit drei Personen und teilten sich die Kosten. So hatte sie nun ständig einige Gäste im Lokal, die wieder andere Gäste anzogen. Dann ging sie zur Bank und zahlte sechzigtausend Baht ihres Kredites zurück, wodurch sie nun geringere Zinsen zu bezahlen hatte und noch eine kleine Reserve in einem Beutel in der Küche versteckt hielt.

Die Leute, die von ihr eine Investition erwartet hatten, kamen noch einige Zeit, in der Pani ihnen erzählte, sie kann sich nicht zu einer Investition durchringen. Irgendwann verloren sie dann die Hoffnung und blieben weg. Aber sie war darüber nicht sonderlich traurig, denn diese Leute hatte sie ohnehin nicht sonderlich gemocht. Dafür waren neue Gäste gekommen, denen die neue Atmosphäre des Lokals gefiel und nun kamen auch immer mehr Ausländer zum Essen in ihr Lokal. Weil das Restaurant mit der neuen Einrichtung und neu gestrichenen und dekorierten Wänden einen viel besseren Eindruck machte, als zuvor, hatte sie sich überlegt, daß man doch auch einige Standardgerichte der Europäischen Küche anbieten sollte, weil viele Mädchen schon danach gefragt hatten.

Sie wollten mit ihren ausländischen Freunden zusammen essen gehen, aber das thailändische Essen in einigen ausländischen Restaurants war nicht gut, in anderen war es viel zu teuer und in manchen gab es überhaupt keine Thailändische Küche. Als sie ihre neue Köchin suchte, hatte sie deshalb darauf geachtet, eine Frau einzustellen, die sich auch mit Europäischer Küche auskannte. Die war zwar etwas teuerer, aber die geringe Differenz würde sich bezahlt machen. Sie hatte sich dann mit der Köchin zusammengesetzt und sie hatten zusammen eine zweisprachige Speisekarte mit Standardgerichten entworfen.

Pani hatte in ihrer früheren Tätigkeit genug Englisch gelernt, um sich mit Ausländern unterhalten zu können. Das sprach sich herum und so kamen bald Ausländer, die auf Englisch bestellen wollten und vielleicht einige Sonderwünsche hatten, Leute, die mit ihr wenigstens etwas sprechen wollten, Informationen suchten oder sagen wollten, daß das Steak gut durchgebraten sein sollte, daß sie statt Reis Kartoffeln haben oder Gerichte Thailändischer Küche ohne Chili essen wollten. Und dann kamen Ausländer mit ihren Mädchen, um gemeinsam zu essen, weil sie eine Übersetzerin brauchten oder weil sie jemand brauchten, der ihnen die thailändischen Sitten oder einige Probleme auf Englisch erklärt.

Außerdem aber kam Peter. Er mochte nicht nur das Restaurant, er mochte auch Pani. Peter war ein einfacher, aber freundlicher Mensch, der viel Geld hatte. Er kam mit Pani gut zurecht und Pani war zwar sehr vorsichtig, denn sie hatte schon viele sehr verschiedene Ausländer ken-nengelernt, die sie nicht gemocht hatte. Aber sie mochte Peter auch noch nach zwei Wochen, sie mochte, wenn er länger blieb und je länger er blieb, desto mehr mochte sie auch, wenn er über Nacht blieb. Es gab nämlich ein kleines Problem mit dem Restaurant. Es war jetzt genau so, wie sie es eigentlich nie haben wollte. Sie hatte ein Restaurant eröffnet, weil sie in Ruhe leben wollte und nun war es ein lebhafter Ort mit viel Betrieb und internationalem Publikum, mit dem sie von sechs Uhr morgens bis gegen Mitternacht beschäftigt war und das war ihr einfach zu viel.

Sie fühlte sich zu abgearbeitet dafür. Und es interessierte sie eigentlich gar nicht mehr, daß das Lokal jetzt auch gute Gewinne brachte. Aber sie wollte immer noch ihre Ruhe und hatte das Restaurant in seine internationale Richtung gehen lassen, weil sie nun das Geld brauchte, um ihren Kredit zurückzahlen zu können. Aber Spaß machte die Arbeit jetzt nicht mehr, da machte Peter entschieden mehr Spaß. Der war nur wenig älter als sie und wollte auch seine Ruhe haben, erklärte aber, daß er diese Ruhe nicht allein haben wollte, denn das wäre ihm wieder zu ruhig. So ähnlich ging es auch Pani. Ihr war es oft zu ruhig gewesen, allein zu sein, sobald die Gäste das Lokal verlassen hatten und sie hatte sich oft gewünscht, daß da noch irgend jemand sein sollte.

Nein, sicher war es keine himmelhochjauchzende Liebe, aber sie kam mit Peter gut aus, sie verstanden sich gut und hatten keinerlei Probleme, sie konnten sich gut miteinander unterhalten und hatten oft auch viel Spaß miteinander, scherzten und lachten. Es war einfach schön. Und dazu kam, daß sie kein internationales Restaurant betreiben mußte, wenn sie mit Peter lebte. Es war sein Vorschlag, in ihrem Heimatort ein Haus zu bauen und sich dort mit Gemüseanbau und Orangenzucht zu beschäftigen, einfach nur, um noch etwas Sinnvolles zu tun und nicht den ganzen Tag herumzusitzen, nicht, um reich zu werden oder auch nur Geld zu verdienen. Er hatte das einmal in einem Buch von Günther Ruffert gelesen, der in der Provinz so etwas Ähnliches gemacht hatte und damit nun ein angenehmes Leben führt und vielen Dorfbewohnern Arbeit und Einkommen verschafft. Auch Peter sah solch eine Tätigkeit als sinnvoll an, zumal er ja nicht dazu gezwungen war, etwas zu tun.

Das Problem bestand schließlich nur noch in ihrem Restaurant. Sie konnte nicht einfach die Tür zumachen und gehen. Sie mußte das Restaurant verkaufen, bevor sie aufs Land zurückging. Doch das war kein Problem für Peter. Da die Köchin das Restaurant unbedingt übernehmen wollte, lieh Peter ihr das Geld, das sie in monatlichen Raten zurückzahlen sollte. Darauf gab er Pani das Geld für ihr Restaurant, die nun überrascht war und sich fast etwas überrumpelt fühlte. Nun dauerte es nur noch zwei Wochen, bis sie nach üppigen Einkäufen mit einem Geländewagen in Panis Heimat fuhren, wo sie noch Land besaß, aber sicherlich nur noch wenige Leute kannte.

Im Dorf angekommen, fand sie nur ältere Leute, die sich noch schwach an sie erinnern konnten, aber sie fanden ein altes Haus, das sie vorübergehend mieten konnten und sie fanden viele Leute, die mit Freuden ein Haus bauen wollten und darauf hofften, vielleicht später eine Arbeit beim Gemüseanbau zu finden.



von Dr.G.M. Gad Labudda

 
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von Dr.G.M. Gad Labudda


Muu sucht ihr eigenes Leben

- 19 mal 5 Seiten - von ‘Victor Schluff’ - in ‘Kein Frühling in Thailand’ -

- Ein Mensch, der sich aus den schlimmsten Situationen einer thailändischen Kindheit durchkämpft und den Sinn des Lebens sucht, als Erwachsene endlich Unterstützung erhält, ein Studium ablegt, die Prüfung besteht - und dann nicht mehr weiß, wofür. Die Entwicklung des Menschen in der frühen Kindheit und die Grundlagen gemeinsamen Lebens werden oft übersehen. Die hier geschilderten Erfahrungen sind sehr selten, zeigen aber Möglichkeiten undWege des Verständnisses als auch deren übliche Grenzen. -

Die Geburt war ohne Komplikationen verlaufen. Die kamen erst nach dem Beginn des Lebens. Als sie nachhause kam, warteten bereits vier Geschwister auf sie, die ältesten zwei waren Schwestern im Alter von acht und sieben Jahren, die Brüder waren fünf und vier Jahre alt und nun waren sie fünf. Als ihr Vater sie das erste Mal sah, meinte er, sie sähe aus wie ein kleines Ferkel, deswegen würde man sie ihr Leben lang ,Muu‘ rufen, ,Schwein‘, was aber in Thailand als ein schöner Name gilt, da ein Schwein ein sehr friedliches und vor allen Dingen schmackhaftes Tier ist. Ihren richtigen Namen sollte sie von den Grosseltern bekommen.

Die Eltern waren mit der Folge der Kinder sehr zufrieden. Nicht etwa, weil sie die Kinder geplant hätten, schliesslich ist es ja normal, dass verheiratete Leute Kinder bekommen, da braucht man ja nichts zu planen. Sie waren zufrieden, dass zwischen den älteren Schwestern und den jüngeren Brüdern ein guter Zeitabstand war. Wenn die Söhne alt genug waren, um in die Schule zu gehen, würden sie die Mädchen von der Schule nehmen, dann hätten sie immerhin schreiben und lesen gelernt. Das Einkommen der Eltern würde sicherlich nicht reichen, um mehr als zwei Kinder zur Schule zu schicken, das wäre im Dorf auch völlig unüblich, gab es doch sogar eine Reihe von Kindern, die nie in die Schule gingen.

Da sie aber nur zwei Söhne hatten, würden sie wohl mit den Kosten zurechtkommen. Es galt als selbstverständlich, dass die Mädchen auf den Reisfeldern mitarbeiten und dann irgendwann einen Jungen aus dem Dorf oder vielleicht aus einem Nachbardorf heiraten, der sie zu ernähren hatte und man war sicher, dass sie nicht viele Schulbildung brauchten. Die Arbeit auf dem Feld und im Haushalt würden sie schon zuhause lernen und mehr brauchten Frauen nicht zu kennen, wenn sie in einem Dorf in der Provinz Buriram geboren waren. Sie würden gute Ehefrauen sein, die auf dem Feld arbeiten, saubermachen und kochen konnten und fähig waren, Kinder zu kriegen.

Die Eltern, die einige kleine Felder nicht weit weg von der kambodschanischen Grenze hatten, waren selbst nicht zur Schule gegangen und sie hielten die Schule auch nicht für wichtig. Sie waren während der kambodschanischen Bürgerkriegswirren geboren, als Soldaten und Rebellen, Feuergefechte und Flüchtlinge immer wieder über die Grenze kamen. Sie selbst hatten oft vor Bewaffneten flüchten müssen oder sich während der Grenzkämpfe in Bunkern versteckt. Da war die Schule kein vorrangiges Problem gewesen und sie hatte au keinem von ihnen helfen können. Es gab auch nur wenige Schüler und der Unterricht war spärlich gewesen.

So hatten die Eltern nur etwas schreiben und lesen gelernt und die wenigen Tage, die sie in der Schule gewesen waren, hatten sie nicht in guter Erinnerung. Sie sahen aber ein, dass es gut war, wenn ihre Kinder zur Schule gingen, denn schliesslich sollten sie ja später dafür sorgen, dass die Eltern im Alter etwas zu essen haben und dass es ihnen gut ging. Das war eine Selbstverständlichkeit, so wie es bei ihnen auch selbstverständlich war, dass der Vater aus einem Nachbardorf gekommen und nach der Hochzeit bei den Eltern seiner Frau eingezogen war, um mit ihr zusammen für ihre Eltern zu sorgen. Denn sie war die jüngste Tochter und diese hat immer die Pflicht, sich persönlich um ihre Eltern zu kümmern, und wer die jüngste Tochter heiratet, der weiss, dass er diese Pflicht mit übernimmt. Im Lauf der Jahre war der Grossvater gestorben und sie brauchten sich nur die Grossmutter zu versorgen und sich um sie zu kümmern, in deren Haus sie nun lebten.

So erlebte Muu ihre ersten Jahre vorwiegend in der Gegenwart ihrer Geschwister und der Grossmutter, wenn die Eltern auf die etwas grösseren Felder gingen, die weiter entfernt waren. Als sie drei Jahre alt war, gingen ihre zwei Brüder schon zur Schule und so war sie meistens in der Obhut ihrer beiden Schwestern, für die sie wohl eher eine lästige Pflicht darstellte, als eine brauchbare Spielgefährtin. Sie störte beim Spielen, sie kam beim Nachlaufen nicht mit, verstand viele Spiele nicht und war ganz einfach zu klein, um irgend etwas mit ihr anfangen zu können.

Vielleicht geschah es aus Langeweile, vielleicht auch nur, um zu demonstrieren, wieviel grösser und klüger sie waren, als die Schwestern ihr einige Buchstaben aus dem thailändischen Alfabet beibrachten, wie sie es in der Schule gelernt hatten. Zu dieser Zeit war Moo noch keine vier Jahre alt. Sicher war es ein Zufall, dass sie eines Tages vor dem Haus sass und mit einem Stöckchen Buchstaben in den Sand malte, als die Eltern sich mit Nachbarn zu einem kleinen Schwätzchen zusammensetzten. Die Aufregung war gross, als man sah, dass die kleine Muu schreiben konnte. Sicher war es kein Roman, den sie da schrieb, aber es waren doch immerhin einzelne Worte mit zwei und sogar mit drei Buchstaben.

Es war ein Ereignis für das ganze Dorf, indem man ohnehin alles als Sensation betrachtete, was etwas aus dem Alltagstrott hinausragte. Muu bekam viel Aufmerksamkeit und Zuneigung und man beschäftigte sich mit ihr sehr lange. Auch an den nächsten Tagen kamen die Eltern mit Nachbarn vorbei und Muu musste immer wieder Worte schreiben. Nun hatte sie ein Mittel gefunden, Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie konnte etwas tun, was andere als gut bezeichneten und sie bekam dafür Zuneigung. Es war selbstverständlich, dass sie jetzt noch mehr Buchstaben und Worte lernen wollte und die Schwestern halfen ihr bereitwillig, denn ein Teil der Aufmerksamkeit erreichte ja auch sie als die Lehrerinnen. Und auch die Brüder beteiligten sich und zeigten Moo, was sie in der Schule lernten. Sie hatten ja sonst nicht viele Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und dafür auch noch bewundert zu werden, wie es Muu bei diesem Unterricht aus vollem Herzen ausgiebig tat.

Muu galt bald als besonders begabtes und intelligentes Kind, was auch darauf zurückzuführen war, dass man in ihrem Dorf Suai sprach, eine dem kambodschanischen Khmer verwandte Sprache, die nicht geschrieben wird, während die Schüler in der Schule Thai sprechen und schreiben lernten. Die kleine Muu konnte nach Ansicht der Dorfbewohner schon mit vier Jahren eine Fremdsprache schreiben. Selbst der Lehrer aus dem grösseren Nachbardorf, in dem die Schule war, kam eines Tages vorbei. Er liess Muu einige Worte schreiben und war erstaunt. Er versprach, sich dafür einzusetzen, dass Muu ein Jahr früher in die Schule gehen konnte und dass sie vielleicht eine finanzielle Unterstützung bekommt, nachdem die Eltern sagten, dass sie die Kosten für den Schulbus und das Schulgeld für drei Kinder nicht aufbringen können, denn das waren für jeden Schultag und jedes Kind, das in die Schule ging, zehn Baht, für drei Kinder also gut die Hälfte des elterlichen Einkommens.

Die Zeit verging und sah Muu jeden Tag Buchstaben schreiben und neue Worte lernen. Es war das einzige Spielzeug, das sie hatte, aber es brachte ihr viel Zuneigung und Aufmerksamkeit. Es sah so aus, als wenn Muus Zukunft schon gesichert wäre, doch dann kam alles ganz anders. Die Mutter war wieder schwanger und erwartete Zwillinge. Bei der Geburt gab es Komplikationen. Die Zwillinge kamen gesund auf die Welt, doch die Mutter musste im Krankenhaus bleiben. Sie wurde nicht wieder gesund und starb kurz nach der Geburt.

Für den Vater war dies ein schwerer Schlag. Er war ein ruhiger, zurückhaltender Mensch, dem nun sein Lebenspartner, sein Antrieb fehlte. Er war aus der Bahn geworfen. Er konnte nicht alleine die Felder bestellen und die Kinder versorgen. Dazu hatten die hohen Kosten für das Krankenhaus und für die Beerdigung die wenigen Ersparnisse verbraucht und Schulden verursacht, die er nun bezahlen musste. Das grösste Problem bestand aber darin, dass nun die Mutter seiner verstorbenen Frau ihm die Schuld am Tod der Tochter gab, ihn als Mörder bezeichnete und ihm das Leben zur Hölle machte. Sie wollte ihn jetzt nicht mehr in ihrem Haus sehen.

Muu konnte sich später nur noch daran erinnern, dass die Mutter nicht wiederkam, dass die Schwestern sich mit den Säuglingen beschäftigten, dass es im Haus viel Streit und Zank gab und dass der Vater anfing, zu trinken. Die grossen Schwestern versuchten so gut es ging, die Hausarbeit zu verrichten, aber sie hatten viele Probleme mit der Grossmutter. Der Vater war nur noch selten zuhause und wenn er einmal kam, schimpfte er, sprach unverständliches Zeug und legte sich schlafen.

Dann erinnerte sie sich daran, dass eines Tages viele Leute kamen, die sie nicht kannte, von denen es aber hiess, sie gehörten zur Familie. Es hiess, der Vater könnte sie nicht versorgen. Eine Familie nahm die zwei Schwestern mit, weil die schon bei der Arbeit auf dem Feld und im Haushalt helfen konnten, die Brüder kamen in ein Kloster, weil man sich dann nicht um sie kümmern musste und sie dort weiter zur Schule gehen konnten und was mit den Säuglingen geschah, erfuhr sie nicht mehr, weil sie von einer Familie nach Si Saket mitgenommen wurde. Es hiess, die hatten eine Tochter, die eine Spielgefährtin gebrauchen konnte. Sie fuhren gleich ab, während der Vater auf dem Fussboden lag und schlief. Die Versammlung der Verwandten hatte sich nicht gross um ihn gekümmert. Für sie war er der Familienvater, der sich nicht um seine Familie kümmerte und sich entschieden hatte, sein Leben als Säufer zu fristen.

Es dauerte nicht lange, bis Muu begriff, dass sich ihr Leben vollständig geändert hatte. Man machte ihr klar, dass sie keine Eltern mehr hatte und nicht zur Familie gehört, dass man sie nur aus Mitleid mitgenommen hat. Man erklärte ihr, dass sie dafür etwas tun muss. Sie lernte, das Geschirr und das Haus sauberzumachen, was bald ihre alleinige Aufgabe wurde. Sie merkte schnell, dass die Leute sie nicht mochten, aber mitgenommen hatten, weil sie dafür von Verwandten der Mutter bezahlt worden waren. Sie schienen aber mit dem Handel nicht zufrieden zu sein und betrachteten Muu als eine Belastung. Das Mädchen, das drei Jahre älter war, brauchte auch keine Spielgefährtin, betrachtete sie auch nicht als eine neue Freundin, sondern vielmehr als eine Dienerin.

Man hatte ihr gesagt, sie sollte sich von den Kindern in der Nähe des Hauses fernhalten und mit niemandem sprechen. Als sie dann doch einmal mit den Kindern in Berührung kam und die etwas zu ihr sagten, konnte sie nichts verstehen. Sie wusste nicht, dass die Leute hier Lao sprachen, während man in ihrem Dorf Suai gesprochen hatte. Die Kinder lachten sie aus und trieben ihren Spass mit ihr, bis sie weglief. Sie fühlte sich sehr einsam und vergoss viele Tränen.

Es wurde immer schlimmer. Sie wurde zu immer mehr Arbeiten herangezogen, aber sie konnte ihren Pflegeeltern und deren Tochter nichts recht machen. Es wurde viel geschimpft und sie wurde viel geschlagen. Als sie einmal vor dem Haus sass und traurig ihre Buchstaben in den Sand malte, kamen zwei Mädchen vorbei, die schon viel älter waren, als sie. Die Mädchen blieben stehen und sagten etwas zu ihr, aber sie konnte nichts verstehen. Dann zeigte ein Mädchen auf die Worte, die sie geschrieben hatte und sagte etwas. Muu las das Wort, und dann noch einige andere Worte, die sie geschrieben hatte. Wieder versuchten sie, miteinander zu sprechen. Schliesslich bekamen die Mädchen heraus, dass sie Muu heisst, aus einem Dorf in Buriram kommt und jetzt hier wohnt. Eines der Mädchen hiess Ta und war hier in Si Saket geboren. Das andere Mädchen hiess Chada und kam aus Bangkok.







Zweiter Teil:

Chada fragte langsam, ob sie gern Thai lernen möchte und Muu antwortete mit einem heftigen Kopfnicken und ganz grossen Augen. Sie war ja so glücklich, dass sie zwei Menschen sah, die zu ihr nett waren. Sie konnten sich aber nicht viel unterhalten, weil sie nichts verstehen konnte. Die Mädchen sagten noch etwas zu ihr und dann gingen sie wieder. Muu blieb noch sitzen und malte ihre Buchstaben in den Sand, aber sie fühlte sich jetzt viel leichter. Bis ihre Pflegeeltern kamen.

Muu schaute nun dauernd aus dem Fenster, in der Hoffnung, die beiden Mädchen zu sehen, aber die Strasse blieb leer. Erst am nächsten Nachmittag kamen die Mädchen wieder. Muu hatte Angst, etwas falsch zu machen und blieb im Sand sitzen, als die Mädchen auf sie zukamen. Chada holte aus einer Tüte ein altes Buch, ein Schreibheft, einen Bleistift und einen Radiergummi. Dann setzte sie sich zu Muu und zeigte ihr das Buch. Es war einem anderen Buch ähnlich, das die Brüder zuhause gehabt hatten, mit vielen bunten Zeichnungen und gross geschriebenen Worten. So ein Buch bekam man, wenn man in die Schule ging. Dann las das Mädchen einige Worte und Muu wiederholte die Worte. Später musste sie die Worte alleine lesen.

Dann nahm das Mädchen das Heft und schrieb einige Worte auf die linke Seite und erklärte Muu, sie sollte die Worte üben und selbst dahinter schreiben. Muu fand ihre Buchstaben gar nicht schön, aber Chada schien sich über die Worte zu freuen und so schrieb Muu weiter und gab sich alle Mühe, die Buchstaben so schön zu schreiben, wie es ihr möglich war. Dann schrieb Chada noch viele Worte aus dem Buch auf die linke Seite der Heftseiten und sagte Muu, die sollte sie zuhause am Tisch so schön wie möglich nachschreiben. Sie zeigte ihr, wie man den Radiergummi benutzt und sagte, dass sie am nächsten Tag wiederkommt, um sich anzusehen, was sie geschrieben hat.

Muu hatte jetzt einen Schatz. Nein, sie hatte keine Puppe und keinen Teddy, aber sie hatte ein Buch von Chada und das trug sie jetzt immer bei sich und legte es nur weg, wenn sie im Haus arbeiten musste. Später setzte sie sich hin, schrieb die angefangenen Seiten voll und schrieb noch viele neue Worte aus dem Buch dazu. In den nächsten Tagen war Muu voll mit ihrem Buch und dem Schreiben beschäftigt, wenn sie nicht gerade etwas im Haushalt tun musste, ws sie dann ohne Widerworte tat.

Ihrer Pflegemutter, die zeitweilig in einem Raum sass und für eine Kleiderfabrik nähte, war das sehr recht, weil Muu sich dabei mit sich selbst beschäftigte und sie nicht störte. Sie wurde nur manchmal böse, weil Muu über dem Schreiben die Hausarbeiten vergass, die sie zu verrichten hatte. Es war ihr sehr recht, dass sie nicht auf Muu aufpassen musste, ansonsten kümmerte sie sich aber nicht um das, was Muu dort schrieb; sie sah es sich nicht einmal an, denn es interessierte sie ebensowenig, wie Muu, die sie nur als eine Belastung betrachtete, für sie sie nur wenig Geld erhalten hatten, die also kein gutes Geschäft war.

Chada kam nun jeden Tag nach der Schule für eine halbe Stunde vorbei und half Muu beim Lesen neuer Buchstaben und neuer Worte. Doch bald musste sie ein neues Heft mitbringen. Weil es mit dem Spitzen des Bleistiftes Probleme gegeben hatte, brachte sie auch einen Kugelschreiber mit. Für Muu war das eine Art von Beförderung. Es bedeutete, dass man ihre Buchstaben nicht mehr wegradieren musste und dass sie, so wie die Erwachsenen, schon mit einem Kugelschreiber schreiben durfte. Es spornte sie enorm an und sie verstärkte ihre Bemühungen.

Als Chada einige Tage später schnell wieder gehen wollte, bat Muu sie mit grossen Augen, noch etwas zu bleiben. Chada zeigte auf eine Gruppe von Kindern, die etwas weiter weg spielten, aber Muu schüttelte den Kopf. Chada bekam heraus, dass Muu vor den Kindern Angst hatte. Dann nahm sie Muu an die Hand und ging mit ihr zusammen zu den Kindern, denen sie sagte, dass Muu aus Buriram kommt, einem anderen Ort in Thailand, wo viele Leute eine andere Sprache sprechen, dass es aber sehr viel Spass machen kann, wenn man trotz unterschiedlicher Sprachen versucht, sich miteinander zu verständigen, wo es doch alles Thailänder sind, und dass man sich gegenseitig helfen muss, um Freunde zu haben. Es wurde eine sehr lustige und schöne Stunde. Als die Kinder gerufen wurden, ging Muu nachhause.

Muu war glücklich. Sie hatte ein richtiges Buch und sie hatte jetzt auch Freunde. Und vor allen Dingen hatte sie Chada. Die kam allerdings bald nur noch alle paar Tage einmal vorbei, denn sie musste jetzt selbst viel lernen, weil die Prüfungen in der Schule begannen. Aber sie brachte Muu etwas zu lesen mit und Muu lernte und schrieb weiter und wartete jeden Nachmittag vor dem Haus darauf, dass Chada kam und dann lief sie ihr entgegen. Wenn sie nicht kam, dann ging sie zu den Kindern, die nach der Schule vor dem Haus spielten.

Muu hatte mit den Kindern guten Kontakt und lernte schnell. Sie konnte sich mit ihnen bald auf Lao verständigen und es dauerte kein Jahr, bis sie genausogut Lao sprach, wie die anderen Kinder. Aber mit Chada sprach sie das Thai, wie sie es in den Büchern lernte. Chadas Vater war Lehrer und kam aus Thonburi. Chada sprach zwar auch Lao, aber sie meinte, es wäre besser, wenn Muu mit ihr in Thai spricht. Sie fühlt sich wohler, wenn sie Thai spricht, sagte sie, und für Muu wäre es besser, wenn sie auch Thai spricht, wenn sie schon Thai schreiben lernt. Ausserdem hätte sie es dann leichter, wenn sie in die Schule geht, wo nur Thai gesprochen wird. Muu konnte zwar nicht verstehen, warum man in einer Schule eine andere Sprache spricht, als zuhause, da sie sich aber erinnerte, dass das bei ihren Brüdern und Schwestern auch schon so gewesen war, machte sie sich darüber keine weiteren Gedanken. Auf jeden Fall wollte sie aber lesen und schreiben können und in die Schule gehen und dann musste sie eben Thai lernen, auch wenn sonst alle nur Lao sprachen.

Als es Zeit war, dass Muu eingeschult werden sollte, sagten ihr die Pflegeeltern, dass sie nicht in die Schule zu gehen braucht. Sie hätten kein Geld für die Schule und sie könnte ja ohnehin schon schreiben, sie könnte sich also die Schule sparen, weil das, was sie gelernt hat schon für ihr Leben reicht. Für Muu war das sehr schlimm und sie war verzweifelt. Die Schule war ihre grosse Hoffnung gewesen, sie hatte sich schon so lange auf die Schule gefreut. Als Chada wieder kam, erzählte sie ihr, dass sie nicht zur Schule darf, und dabei schluchzte sie leise, aber herzzerreissend. Chada war erschüttert und versuchte, sie zu trösten. Aber dann sprach sie mit ihrem Vater und der machte noch in derselben Woche auf den Weg zu einem ,Freundschaftsbesuch‘ bei Muu’s Pflegeeltern.

Er stellte sich als Direktor der Schule vor und erklärte, er wollte bei der Einschulung von Muu behilflich sein, weil es hier zu Schwierigkeiten kommen könnte, wenn das Mädchen noch nicht als wohnhaft gemeldet sei. Nebenher erwähnte er, dass das Mädchen Glück hat, hier in der Stadt bei so guten Leuten untergekommen zu sein. Auf dem Lande hätte sie möglicherweise gar nicht zur Schule gehen können, aber hier in der Stadt sei das anders, weil genügend Schulen da sind und die Stadtverwaltung streng darauf achtet, dass die Schulpflicht, die für alle Kinder gilt, auch eingehalten wird. In machen Fällen habe man sogar schon die Polizei eingeschaltet, um die Kinder zur Schule abzuholen und den säumigen Eltern eine Strafe aufzuerlegen. Er beeilte sich, hinzuzufügen, dass man an solche Probleme natürlich nicht bei einer eingesessenen Familie denken könne, die eine gutgehende Schlosserei besitzt und aus lauter Mitleid ein armes Mädchen aufgenommen hat, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Nach einer weiterhin freundlichen und belanglosen Unterhaltung verabredete er einen Termin in der Schule für die Anmeldung von Muu und verabschiedete sich.

Als Chada das nächste Mal kam, freute sie sich sehr, als Muu ihr entgegengelaufen kam und schon von Weitem schrie: „Chada, ich geh’ in die Schule!“ Sie hatte Muu nichts erzählt und Muu wusste auch nicht, dass jemand mit ihren Pflegeeltern darüber gesprochen hatte. Diese kamen pünktlich zum Termin und sie brachten Muu zum Schultest. Den führte der Direktor selbst durch, nachdem er durch seine Tochter von Muu gehört hatte. Er wollte selbst sehen, was mit dem Mädchen los war. Er staunte, als er sah, wie gut Muu schon schreiben konnte und war sehr stolz auf seine Tochter, als Muu ahnungslos erzählte, dass sie das bei ihrer grossen Freundin Chada gelernt hat, die ihr immer geholfen hat, ein sehr gutes Mädchen ist und deren Vater ein richtiger Lehrer sei.

Er machte einen zweiten Test und schliesslich kam Muu gleich in die zweite Klasse, weil sie schon alles konnte, was in der ersten Klasse unterrichtet wird. Dieser Vorfall hatte aber auch Folgen für Chada. Ihr Vater gehörte zu den wenigen Lehrern, die ihren Beruf aus Überzeugung ausübten und er hatte gezweifelt, ob seine Tochter sich für diesen Beruf eigne. Er hatte vorgehabt, sie nach nach der Schule in einer Verwaltung unterzubringen. Aber nun änderte er seine Meinung und fragte Chada, ob sie nicht lieber Lehrerin werden wollte. Die war bass erstaunt, denn das hatte sie schon seit Jahren gewollt und es war der Vater gewesen, der immer versucht hatte, ihr das auszureden. Nun würde Chada also auf eine pädagogische Hochschule gehen, um Lehrerin zu werden.

An Muu’s erstem Schultag führte der Direktor sie selbst in die zweite Klasse ein, weil er aus Erfahrung wusste, dass neue Schüler aus anderen Landesteilen manchmal Probleme haben. Aber die Einführung durch den Direktor und die Tatsache, dass Muu das Lao mit dem Akzent von Si Saket sprach, sorgten dafür, dass sie von ihren Mitschülerinnen und ihrer Lehrerin voll akzeptiert wurde und bald neue Freundinnen hatte.

Es ist immer traurig, wenn Kinder sich jeden Tag darauf freuen, in die Schule zu gehen, weil das bedeutet, dass zuhause etwas nicht in Ordnung ist. Für Muu aber war die Schule ein Glück, denn hier fühlte sie sich viel wohler, als zuhause. Sie hatte einen kleinen Vorsprung vor der Klasse, sie lernte gerne und bemühte sich, diesen Vorsprung auch weiterhin zu behalten, wodurch sie wiederum viele Freundinnen hatte. Schlimm war nur, dass sie Chada nun kaum noch zu sehen bekam, weil die jetzt zur Pädagogischen Hochschule ging. Aber Chada war in der letzten Zeit nur noch ein- bis zweimal in der Woche erschienen, so dass ihre Besuche nicht mehr regelmässig, sondern eher zufällig erschienen. Muu verstand die Situation und schliesslich war sie ja auch selbst mit ihrem Schuleintritt und ihren neuen Schulkolleginnen beschäftigt. Dass sie zuhause immer mehr Arbeiten auszuführen hatte, störte sie nicht; sie sah das als den Preis an, den sie dafür zu zahlen hatte, dass sie zur Schule gehen durfte.

Muu konzentrierte sich voll auf die Schule und das Lernen. Sie hatte Freundinnen, von denen sie gebeten wurde, ihnen bei den Schularbeiten zu helfen. Dadurch hatte sie Gesellschaft und einige dieser Freundinnen hatten auch grössere Geschwister, wodurch Muu sich hin und wieder schon einmal ein Buch ausleihen konnte, das sie immer schnell zurückgab, um sich möglichst bald wieder ein anderes ausleihen zu können.

Da Muu nicht zum Lebenskreis ihrer Pflegeeltern gehörte, baute sie sich ihren eigenen Lebenskreis mit Büchern auf. Sie las alles, was ihr unter die Finger kam und ihre grösste Freude bestand darin, dass Chada ihr zum Neujahrsfest und zu ihrem Geburtstag immer ein Buch schenkte. Meist waren es Kurzgeschichten aus Thailand, die Muu gleich mehrmals las. Nur eine Anerkennung und eine Bestätigung ihrer Fähigkeiten war es dagegen, als sie zum Ende der Schuljahre eine Urkunde als beste Schülerin erhielt - ein Buch wäre ihr lieber gewesen, denn eine Urkunde kann man nicht lange lesen und war nach einem Tag wieder vergessen.





Dritter Teil:

Während die Grundschulzeit mit vielen Büchern langsam verging, braute sich jedoch im Kreise der Pflegeeltern Unheil zusammen. Muu war ein schlechtes Geschäft gewesen. Die Leute hatten sich ausgerechnet, dass das Geld, das sie für die Unterbringung von Muu erhalten hatten, weniger war, als sie nun für Muus Unterbringung und ihren Schulbesuch bezahlen würden. Und die Hausarbeit, die Muu verrichtete, hätte schliesslich auch die eigene Tochter erledigen können, so dass man sie nicht zu berechnen brauchte. So verursachte Muu Kosten, die es in Zukunft zu vermeiden galt. Und diese Möglichkeit wurde nun emsig gesucht.

Wenn Muu weiter zur Schule ginge, so würden sich die Kosten weiterhin steigern. Ausserdem war es den Pflegeeltern äusserst unangenehm, dass Muu regelmässig die Klassenbeste war, während ihre eigene Tochter nur sehr mässige Leistungen zeigte. Dieses Mädchen hatte am Lernen keinerlei Interesse und sass jetzt nur noch zuhause herum, so dass sie auch bequem die Arbeiten im Haus verrichten konnte und man sich die Kosten für die fremde Muu einsparen konnte.

Da Muu bei ihrer Einschulung ein Jahr vorversetzt worden war, hatte sie die Grundschule nur drei Jahre zu besuchen brauchen, aber sie bekam ein hervorragendes Abschlusszeugnis aus der vierten Klasse. Danach würde sie nach Meinung ihrer Lehrerin und des Rektors sicher weiter zur Schule gehen, auf die ,Secondary School‘, um später das Abitur zu machen und zu studieren. Aber Muu’s Pflegeeltern waren dem zuvorgekommen. Sie hatten sich bei der Familie von Muu’s verstorbener Mutter gemeldet und erklärt, dass sie mehr Geld brauchten, wenn Muu weiter zur Schule gehen sollte.

Aber Muu’s Onkel und Tanten hatten wenig Geld und noch weniger Interesse daran, Geld auszugeben, damit ein Mädchen auf eine höhere Schule geht, wo Frauen doch nur zum Kinderkriegen und für den Haushalt taugen, wozu sie keine Schulbildung brauchen. So einigte man sich nach einigen Gesprächen darauf, dass Muu zu einem Onkel aufs Land kam, der einige kleinere Reisfelder hatte. Muu war jetzt neun Jahre alt und konnte dort bei der Arbeit und im Haushalt helfen, ohne grosse Kosten zu verursachen, war also dort rentabel.

Der Direktor der Schule versuchte, mit Muu’s Pflegeeltern zu sprechen, damit das Mädchen weiter zur Schule gehen konnte. Die aber beharrten darauf, dass sie keine Kosten für ein Kind übernehmen, das nicht ihr eigenes Kind ist, und dass sie gesetzlich nicht dazu verpflichtet sind. Er versuchte, für Muu ein Stipendium zu erreichen, was aber misslang. Dann fand er einen kleinen Industriebetrieb, der sich bereit erklärte, die Schulkosten für Muu zu übernehmen. Aber das scheiterte daran, dass Muu’s Pflegeeltern dann auch Geld für ihre Unterbringung und Ernährung verlangten. Sie sahen nicht ein, dass Muu bei ihnen ohne einen Grund gratis essen und schlafen sollte, meinten sie. Und der Inhaber des Industriebetriebes sagte, er sieht nicht ein, dass er dem reichen Besitzer eines gutgehenden Schlossereibetriebes Geld in den Rachen stecken soll, um für dessen Verwandte eine Schale Reis und einen Schlafplatz auf dem Fussboden zu bezahlen, nur weil er selbst bereit ist, diesem ihm fremden Mädchen zu helfen und seine Schulkosten zu übernehmen.

Am Tag nach ihrem Schulabschluss wurde Muu bereits am frühen Morgen zu ihrem Onkel ins Dorf gebracht. Er war schon etwas älter und verheiratet, seine Kinder hatten das Dorf vor langer Zeit verlassen und lebten in der Stadt. Er war froh, eine Hilfskraft zu haben, die ihn nichts kosten würde. Muu war sehr traurig, dass sie nicht mehr zur Schule gehen durfte, aber sie hatte sich damit getröstet, dass sie der kalten Atmosphäre ihrer Pflegeeltern entkommen konnte. Sie hatte geglaubt, dass sie jetzt zu netten Leuten käme, weil sie ja zu ihrer Familie gehörten. Aber das stellte sich schnell als Irrtum heraus. Muu sollte bald merken, dass sie hier nur als Arbeitskraft geduldet war.

Sie kannte niemand im Dorf und es interessierte sich auch niemand dafür, sie kennenzulernen. Das nächste Haus war weit weg und sie durfte das Gelände des Onkels nicht verlassen. Das Lesen von Büchern hielt er für völlig überflüssig, ja sogar für schädlich. Schliesslich hatte er nie ein Buch gelesen und war auch so ein anständiger Mensch geworden. Muu sollte besser darauf achten, dass sie ein anständiger Mensch wird, statt Bücher zu lesen. Und auf gar keinen Fall würde er Geld für Bücher ausgeben. Die schaut man einmal an und dann wirft man sie fort. Dann kauft man für das Geld besser ein Stück Schweinefleisch, davon wird man wenigstens satt, erklärte er.

Als Muu ihn einmal bat, den Lehrer im Dorf fragen zu dürfen, ob er ihr ein Buch zum Lesen leiht, wurde er ärgerlich. Ansonsten hielt er es für überflüssig, mit einem kleinen Mädchen zu sprechen. Seine Frau war ebenso wortkarg und meinte nur einmal, dass Muu hier nur zur Arbeit geholt worden war. Sie sei nicht mit ihr verwandt und sie hätte deshalb auch nicht für Muu zu sorgen. Sie sollte also gefälligst arbeiten und froh sein, dass sie etwas zu essen bekommt und einen Schlafplatz hat.

Muu verrichtete in dieser Zeit die ihr aufgetragenen Arbeiten, aber es gab niemand, mit dem sie sprechen konnte, niemand, in dessen Nähe sie sein konnte. Sie war sehr einsam. Hin und wieder las sie eines der fünf Bücher, die sie hatte mitbringen dürfen, aber die kannte sie schon fast auswendig und sich Bücher zu leihen, war ihr verboten worden.

Eine sehr schlimme Zeit hatte Muu, als Chada ihre Anschrift herausbekommen, einen Brief geschrieben und ein Buch geschickt hatte. Der Onkel war sehr wütend, als er das Päckchen öffnete. Er zerriss den Brief und das Buch und verbrannte das Papier. Er verbot Chada, auf den Brief zu antworten und erklärte, dass Leute, die lesen und studieren, nicht gut sind, das könnte man ja jeden Tag hören. Besonders die Studenten. Das sind Leute, die nicht arbeiten und nichts tun, aber dann den ganzen Tag Krawalle machen und gegen die Regierung demonstrieren, während sie selbst zu faul sind, etwas zu tun und stattdessen das Geld ihrer Eltern verschwenden. Gerade jetzt hätten die Studenten wieder gegen die Regierung demonstriert und Unruhe gestiftet, und Chada wäre ja auch so eine Studentin, deshalb verbat er Muu jeden Kontakt mit ihr.

Von diesem Tag an wurde nur noch das Allernotwendigste gesprochen und Muu bemühte sich, nicht in die Nähe ihres Onkels oder seiner Frau zu kommen. Sie wartete darauf, diesen Ort einmal verlassen zu können. Der Tag kam früher, als sie es erhofft hatte. Als sie dreizehn Jahre alt war, erklärte ihr der Onkel, sie hätte jetzt genug gefaulenzt und es wäre an der Zeit, dass sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdient. Da eines seiner Kinder seine Arbeitsstelle verloren hatte, würde es nachhause kommen und die Arbeiten erledigen, die Muu bisher getan hatte. Sie wurde nicht mehr gebraucht und war damit überflüssig. Ein Händler hätte mit ihm gesprochen und für sie eine gute Stelle in einem Haushalt bei wohlhabenden Leuten gefunden, die in Surin leben. Sie sollte ihre Sachen packen, der Händler würde sie in einer Stunde abholen.

Moo war nicht traurig, dass sie das Haus ihres Onkels verlassen und in einer Stadt arbeiten sollte. Sie fühlte sich nur entsetzlich hilflos, da sie nicht einmal wusste, was man über sie beschlossen hatte, wo sie hinkam und was sie dort erwartete, aber es war klar, dass sie gehorchen musste. Doch ihr Leben konnte eigentlich nicht schlimmer werden, als es jetzt war. Vielleicht würde sie in Surin nette Menschen kennenlernen.

Sie packte ihre fünf Bücher und ihre Wäsche in denselben Beutel, mit dem sie ins Dorf gekommen war. Als sie noch etwas gegessen hatte, ging sie vors Haus, wo der Händler schon wartete. Zum Abschied zog der Onkel einen Schein von einhundert Baht aus der Tasche, den er Muu gab und sagte: „Der Händler hat mir versprochen, dass die Stelle im Haushalt gut ist. Wenn er aber nicht die Wahrheit gesagt hat und Du kommst in ein Restaurant oder an irgendeinen Ort, wo viele Mädchen sind, dann kommst Du sofort zurück, dann suchen wir für Dich eine andere Stelle.“ Damit ging er zurück ins Haus, Muu stieg beim Händler ein und der fuhr gleich aus dem Dorf auf die lange Landstrasse. Muu sah sich nicht einmal um.

Der Onkel hatte 6.000 Baht bekommen, das Gehalt, das Muu während ihres ersten Arbeitsjahres bekommen sollte, 500 Baht im Monat, zuzüglich Unterkunft und Verpflegung. Der Onkel hätte vielleicht bei einem anderen Händler mehr bekommen können, doch er wollte sicher sein, dass Muu nicht in einem Bordell landete. Nicht, dass ihn Muu’s Schicksal sonderlich interessierte, aber es würde ein schlechtes Licht auf ihn werfen; die Leute würden denken, er hätte sie an ein Bordell verkauft. Und schliesslich waren sechstausend Baht immer noch mehr, als ihn Muus Unterbringung gekostet hatte, und zudem hatte sie noch gearbeitet. Sie war für ihn letztlich doch ein gutes Geschäft gewesen.

Der Händler fuhr noch durch zwei Nachbardörfer, in denen er kurz hielt und mit einigen Männern sprach, um mit ihnen Geschäfte oder Erledigungen abzusprechen, dann fuhr er direkt nach Surin, wo er etwas ausserhalb des Zentrums vor einem grossen Haus hielt. Er bedeutete Muu, auszusteigen, indem er sagte, das ist ihre neue Arbeitsstelle, der Eigentümer sei ein hoher Beamter und hätte viel Geld.

Als sie an einem schmiedeeisernen Tor klingelten, erschien die Verwalterin, die öffnete und Muu begutachtete, ohne eine besondere Reaktion zu zeigen. Sie brachte Muu in das Haus. Als sie am Wohnzimmer vorbeigingen, erwähnte sie nebenher, dass sie diesen Raum nicht zu betreten hat, wenn sie nicht gerufen wird. Sie zeigte ihr, wo die Küche ist und brachte sie in ein kleines Zimmer im dritten Stock, das ein vergittertes Fenster hatte. Dann ging sie nach unten und sagte, Muu sollte in die Küche kommen. Muu legte ihren Beutel weg, schaute kurz aus dem Fenster und ging gleich in die Küche. Dort sass eine Frau an einem grossen Tisch, die sie fragte, was sie will. Muu sagte, dass sie hier arbeiten soll und ihr eine Frau gerade ihr Zimmer gezeigt und gesagt hat, sie soll in die Küche kommen. „Das war Khun Preecha, die Verwalterin, sie wird dann sicher gleich kommen“, meinte die Frau und erklärte, sie würde Mae gerufen, sie sei die Köchin und Muu würde ihr in der Küche helfen und beim Saubermachen, was die Aufgabe einer anderen Frau ist.

Die Verwalterin liess nicht lange auf sich warten und fragte Muu nach ihren Eltern und nach dem Dorf, aus dem sie jetzt kommt. Muu erzählte, sie ist in Buriram geboren, aber ihre Mutter sei früh gestorben und deshalb habe sie bei ihrem Onkel gelebt. Die Verwalterin nickte nur mit dem Kopf und meinte abschliessend, das sei hier alles gleichgültig, hier komme es nur darauf an, dass gut gearbeitet wird. Sie erklärte Muu kurz das Aufgabengebiet, das darin bestand, dass sie der Verwalterin, der Köchin und der Putzfrau zu helfen und zu gehorchen hat. Dann fügte sie noch hinzu, dass sie mit den anderen Personen im Haus nichts zu tun hätte, insbesondere nicht mit dem Chauffeur. Später hörte sie von der Köchin, dass die Hauseigentümer nur morgens, abends und an den Wochenenden im Hause sind. Sie hätten drei Kinder, aber die seien schon gross und hätten das Haus schon lange verlassen.

Die Verwalterin machte auf Muu einen sehr unnahbaren Eindruck. Sie sprach wenig und unpersönlich und verzog dabei kaum einmal das Gesicht. Aber am Abend wurde sie Muu schon viel sympathischer. Als nach dem Abendessen der Herrschaften abgeräumt wurde, kam mit dem Geschirr auch eine Zeitung in die Küche. Und als die Angestellten gegessen hatten und Muu mit dem Abwaschen fertig war, die Küche aufgeräumt und aufgewischt hatte, fragte sie die Köchin, ob sie die Zeitung haben könnte.

Die schaute unangenehm überrascht auf und antwortete, die kann sie nicht nehmen, weil die Zeitungen gebraucht werden, um die Fenster zu putzen, als gerade die Verwalterin in die Küche kam. Die schaute Muu an und fragte, was sie mit der Zeitung will. Verdattert antwortete sie: „Ich möchte sie lesen.“ Die Verwalterin fragte Muu, wo sie lesen gelernt hat. Als sie antwortete, sie hat die Schule in Si Saket abgeschlossen, sagte die Verwalterin zur Köchin: „Es schadet den Fensterscheiben nicht, wenn die Zeitungen vorher gelesen wurden“, und meinte zu Muu: „Du bringst die Zeitungen sauber gefaltet wieder zurück“, und verabschiedete sich.



von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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von Dr.G.M. Gad Labudda


Vierter Teil:

Am nächsten Tag erlebte Muu gleich zwei Überraschungen. Die Verwalterin fragte sie auf Lao, ob sie die Zeitung zurückgebracht hat. Als Muu auf die sauber gefaltete Zeitung auf einem kleinen Stapel in einem Regal zeigte, sagte die Verwalterin, dass sie aus Si Saket kommt und fragte Muu, wie lange sie in Si Saket war und welche Leute sie dort kennt, sagte aber auf Muus Antwort nichts, sondern ging still aus der Küche.

Die zweite Überraschung war die Putzfrau. Sie sprach Muu gleich auf Khmer an und wechselte auf Suai, als Muu ihr auf Suai antwortete. Dabei sagte sie aber, dass Suai keine gute Sprache ist, weil man sie nicht schreiben kann und nur von wenigen Menchen an der kambodschanischen Grenze gesprochen wird. Weil sie aber dem Khmer sehr nahe ist, würde sie mit Muu Khmer sprechen, damit Muu die Sprache richtig lernt.

Nachdem sie einige Zeit zusammen gearbeitet hatten, wobei sie nach dem Frühstück das Haus reinigten und putzten, erzählte die Putzfrau, die sich Monea nannte, dass sie Kambodschanerin ist. Sie war Lehrerin gewesen, als Pol Pot an die Macht kam. Ihr sei die Flucht nach Thailand gelungen und dann sei sie hiergeblieben, weil sie in Kambodscha als Lehrerin nicht genug Geld verdient, um leben zu können. Später bot sie Muu an, ihr das Lesen und Schreiben in Khmer beizubringen. Muu war begeistert und von nun an sass sie jeden Tag eine halbe Stunde und manchmal auch länger mit Monea zusammen, die ihr das kambodschanische Alphabet und danach letztlich auch die Sprache beibrachte.

Muu fühlte sich hier wesentlich wohler, als bei ihrer Pflegefamilie oder bei ihrem Onkel, denn sie kam mit dem Personal gut zurecht und Monea wurde für sie langsam zu einer Art Ersatzmutter. Es störte sie nicht, dass sie die Herrschaften kaum zu sehen bekam, da sie sich aus dem Wohnzimmer fernzuhalten hatte, sie hatte eher etwas Angst vor ihnen. Das legte sich, als ihre Herrschaften eines Tages sagten, sie würden mit ihren Kindern fünf Tage verreisen. Das Personal hätte Urlaub, Muu würde auf das Haus aufpassen und Monea sollte einmal am Tag kurz vorbeikommen. Als die Verwalterin das in der Küche mitgeteilt hatte, sagte Muu, dass sie dann während der fünf Tage nichts zu tun hat und fragte, ob sie vielleicht ein Buch aus dem Wohnzimmer leihen darf. Die Verwalterin sagte, das sei nicht möglich, weil die dem Hausherrn gehörten und sie ihn nicht mit solchen Fragen stören dürfte. Aber sie erzählte es einer Tochter des Hausherrn, deren Kinder selbst schon gross waren, die rief Muu ins Wohnzimmer, fragte, ob sie gern liest und was sie schon gelesen hätte.

Hier kam Muu die Verwalterin zu Hilfe, die erklärte, dass Muu auch jeden Tag nach Feierabend die Zeitung liest und immer sauber gefaltet zurückgebracht hat. Darauf nahm die Tochter des Hauses ein Buch und liess sie einige Sätze lesen. Dann nahm sie drei Bücher aus dem Regal und sagte: „Die kannst Du lesen. Die habe ich vor über zwanzig Jahren selbst gelesen. Aber Du musst sie mir am nächsten Wochenende sauber zurückgeben und dann musst Du mir erzählen, was Du gelesen hast. Ich möchte wissen, ob Du die Bücher auch verstehst.“ Damit war Muu verabschiedet. Sie ging mit den drei Büchern glücklich aus dem Zimmer und brachte sie nach oben, damit sie in der Küche nicht beschmutzt würden

Die Tochter des Hauses amüsierte sich über die Putzhilfe, die Bücher lesen wollte, aber sie meinte, das wäre besser, als auf der Strasse oder in Diskotheken herumzuhängen. Nein, in einer Diskothek war Muu noch nie gewesen und sie wusste auch nicht, was sie auf der Strasse hätte tun sollen; wenn sie sich auch unter den ständigen Befehlen und der ständigen Kontrolle übergeordneter Personen nicht wohl fühlte, so hatte sie doch Angst vor der Aussenwelt, von der sie selbst aus ihrem Zimmerfenster nicht viel sehen konnte. Am nächsten Wochenende hatte sie ein Buch gelesen und konnte der Tochter des Hauses den Inhalt erzählen. Die gab ihr ein weiteres Buch und meinte, das wäre besonders gut.

Einige Wochen später wurde Muu gerufen, als die Tochter des Hauses mit ihrem Wagen vorgefahren war. Muu musste einen Karton mit Büchern ausladen und die Frau sagte dazu: „Das sind alte Bücher von meiner Tochter, die in Bangkok studiert. Sie hat gesagt, sie hat keinen Platz mehr für neue Bücher und fragt, ob Du die alten brauchen kannst.“ Muu war wieder einmal glücklich. Aber sie merkte bald, dass diese Bücher schwer zu lesen und noch schwerer zu verstehen waren. Es waren Bücher über die Gesellschaft, über das Zusammenleben von Menschen, Bücher von Philosophen, Psychologen und Gesellschaftskritikern. Muu las diese Bücher gerne, aber sie machten sie sehr nachdenklich.

Ein Buch in Khmer, das Monea ihr mitgebracht hatte und in Khmer über die Zeit von Pol Pot berichtete, hatte sie schon sehr traurig gestimmt. Nun aber gaben ihr die neuen Bücher einige Möglichkeiten, verschiedene Handlungen der Menschen zu verstehen. Es machte sie nicht glücklicher, aber sie gewann an Selbstbewusstsein, ohne dass sie es selbst merkte. Da sie gleichzeitig beim Personal auch wegen ihrer guten Arbeitsleistungen und ihres freundlichen Wesens beliebt war und keine Tadel erhielt, nahm ihr Selbstbewusstsein ständig zu. Gleichzeitig wuchs auch ihr Wunsch, mehr zu wissen, um noch mehr zu verstehen.

Muu verstand jetzt auch besser, was in den Zeitungen stand, und vor allen Dingen, was die Berichte eigentlich aussagten. Sie merkte, dass sie mit der Köchin nicht darüber reden konnte, aber mit Monea hatte sie viele gute Gespräche über Zeitungsberichte und das Zeitgeschehen. Und sie begann sogar langsam zu verstehen, warum ihr Onkel so sehr gegen das Lesen war. Viel zu lesen und mehr zu wissen, machte nicht glücklich; es vertiefte das Gefühl der Hilflosigkeit und nahm viel Freude und Hoffnung, aber gleichzeitig nahm dieses neue Wissen auch die Angst und förderte das Verständnis anderen Menschen gegenüber. So merkte Muu kaum, wie die Jahre vergingen, während sie ihre Arbeit verrichtete und immer mehr Bücher las. Sie hatte sich in ihr Leben längst eingefunden und es hätte noch lange so weitergehen können, wenn da nicht das Jahr 1997 mit der plötzlichen Wirtschaftskrise gekommen wäre.

Der Hausherr hatte viel Geld verloren, das er nicht etwa als Beamter verdiente, sondern durch einen eigenen Betrieb, dem er dann als Beamter die erforderlichen Aufträge vermitteln konnte. Das hört sich für Europäer etwas fremd an, ist aber in Thailand so üblich, ,damit die armen Beamten eine Möglichkeit haben, ihr mageres Gehalt aufzubessern‘, hatte früher einmal ein Innenminister erklärt.

Der hohe Beamte musste nun seine Firma schliessen, er löste den Haushalt auf und zog in ein kleines Haus, das er in Bangkok hatte. Das Personal wurde entlassen. Hatte Muu sich vor der Strasse gefürchtet, so war die Strasse jetzt ihr Zuhause. Sie kannte keinen Menschen und sie hatte keine Bleibe. Aber sie hatte in den vier Jahren fast 12.000 Baht gespart. Es war ihr eine grosse Erleichterung, als Monea ihr anbot, sie könnte eine zeitlang bei ihr unterkommen und versuchen, in Surin eine andere Arbeit zu finden. Monea lebte mit einer älteren Schwester zusammen, die nur Khmer sprach. Dadurch war es für Muu eine gute Übung, um ihr Khmer zu verbessern. Monea hatte auch viele Bücher, die sie lesen konnte, wodurch sich die Sprachkenntnisse wesentlich verbesserten. Sie kam mit den beiden Frauen gut zurecht, machte sich bei ihnen nützlich und übernahm für sie den grössten Teil der Hausarbeit.

Eine besonders wertvolle Hilfe war es für Muu, die sich in den letzten Jahren weder vom Grundstück ihres Onkels noch aus dem Gelände ihrer Herrschaften entfernen durfte, dass Monea bei den ersten Vorstellungsgesprächen, die Muu hatte, mitging. Als sie sich etwas in der Stadt auskannte, ging sie auch oft alleine. Doch nur zu oft wurde ihr gesagt, dass schon viele Leute vor ihr nach Arbeit gefragt hätten und dass die Lage sehr schlecht sei. Viele Menschen waren arbeitslos geworden und es gab viel weniger Arbeitsstellen als früher. Für ein Dorfkind mit einem Abschluss aus der vierten Klasse der Volksschule und einem Beschäftigungsnachweis als Putzhilfe gab es hier nicht viele Chancen.

Als Muu das Monea erklärte und fürchtete, dass sie mit ihrer Anwesenheit stört, erklärte ihr diese kopfschüttelnd, dass es im Moment nirgends besser sei, dass sie auf keinen Fall stört und dass sie zu dritt noch ganz gut zurechtkämen. Ausserdem sei es für Muu besser, wenn sie noch etwas bleibt, um wenigstens ihre Kenntnisse in Khmer zu festigen. Wenn sie nach einiger Zeit gar keine Arbeit findet, könnte sie immer noch nach Bangkok gehen und ihr Glück dort versuchen, aber sie sollte nichts übereilen, weil die Situation auf dem Arbeitsmarkt auch in Bangkok nicht gerade gut ist und viele Leute vom Lande dort nach Arbeit suchten.

Muu blieb noch einige Zeit, aber die Lage war hoffnungslos. Es gab keine Arbeit, obwohl sie alle drei ständig auf Arbeitssuche waren. Sie hatten schon fast alle Stellen abgegrast, bei denen eine Anstellung denkbar war. Muu wurde immer deutlicher, dass sich nichts ändern konnte, solange sie hier war. Zwar hatte sie Angst vor einer Veränderung, aber sie hatte auch Angst davor, dass sich nichts veränderte und sie nur ihr weniges Geld ausgab. Was würde sie tun, wenn nichts übrig war? Die Chancen, in Surin Arbeit zu finden, waren verschwindend gering. Eines Tages erklärte sie Monea, dass sie nach Bangkok fahren wird, um dort Arbeit zu suchen. Sie vereinbarten, dass sie ihre Habseligkeiten bei ihr in Surin lassen kann und nur mit dem Allernötigsten nach Bangkok fährt. Letztlich hatten die Schwestern die Hoffnung, dass Muu vielleicht auch für sie eine Arbeitsstelle in Bangkok finden konnte.

Muu sass im Bus nach Bangkok und begann zu verstehen, dass es für sie keinen Platz gab, zu dem sie wirklich gehörte. Es war eigentlich gleich, wo sie sich befand, es war niemals ein Zuhause, nie eine Heimat. Die Heimat hatte sie mit ihrer Mutter verloren und eine Heimat würde sie immer dort erleben, wo sie sich wohl fühlte. Dennoch hatte sie Angst vor Bangkok, einer Riesenstadt, in der sie keinen Menschen kannte. Sie hatte nur in den Zeitungen über Betrug, Kriminalität und illegale Drogen gelesen, sie hatte auch gelesen, dass es dort viele Arbeiter gab, aber sie hatte keine Vorstellung darüber, wie sie eine Stelle suchen sollte. Sie hatte im Haushalt gearbeitet, aber sie konnte nicht gut von einem Haus zum näch-sten gehen, um zu fragen, ob man nicht eine Haushaltshilfe brauchte. Am Nachmittag kam sie auf dem Busbahnhof in Morchit an und fühlte sich völlig verloren, als sie die Massen von Menschen und den hektischen Betrieb sah. Hier musste sie eine Arbeitsstelle und Unterkunft suchen, um zu überleben. Aber was sollte sie jetzt tun?

Als sie unschlüssig dastand und überhaupt nicht wusste, in welche Richtung sie gehen sollte, kamen sofort zwei Männer, die fragten, ob sie Arbeit sucht und ihr gleich phantastische Angebote mit einem Monatslohn von über 6.000 Baht machten. Nach einem kurzen Augenblick der Hoffnung fielen ihr die Geschichten ein, die sie in der Zeitung über die Arbeitsvermittler an den Busbahnhöfen gelesen hatte. Die meisten waren Betrüger, die ihr entweder Geld für eine Vermittlung abnehmen wollten, die sie dann nicht durchführten, oder sie irgendwohin bringen würden, wo sie als Prostituierte zu arbeiten hatte. So sagte sie einfach, ihr Vater würde sie abholen und die Männer verschwanden.




Fünfter Teil:

Erst einmal musste sie aus dem Busbahnhof raus. Sie ging in eine belebte, grössere Strasse und nachdem sie eine Weile gegangen war, kaufte sie sich zwei Spiesschen mit Hühnerherzen und fragte den Verkäufer, wo sie Arbeit suchen kann. Der sagte ihr prompt, dass sie sich da keine Sorgen machen soll: „In der Patpong ist noch jede Frau untergekommen, da sitzt das Geld locker.“ Muu war es egal, was dieser Mensch von ihr dachte. Sie fragte, in welcher Richtung die Patpong sei, denn sie hatte gelesen, dass die im Zentrum der Stadt war. Der Mann vom Essensstand riet ihr, sie soll sich ein Taxi nehmen, das könnte sie sicher ,abarbeiten‘. Aber Muu antwortete nicht und ging in die Richtung aufs Zentrum weiter, die der Mann ihr gezeigt hatte.

Als sie müde und hungrig wurde, setzte sie sich bei bei einer Frau, die einen Essensstand betrieb, an einen der Plastiktische, die auf dem Bürgersteig standen und bestellte eine Nudelsuppe. Sie fragte die Frau, ob sie etwas über Arbeitsplätze wüsste. Die fragte erst vorsichtig, als was sie denn arbeiten wollte und Muu meinte, das wäre ihr egal, in einem Haushalt, in einem Betrieb oder irgendwo, wo sie Arbeit und möglichst auch eine Unterkunft finden könnte. Die Frau verstand, dass Muu nicht in einer Bar arbeiten wollte und versicherte ihr dann erst einigemale, dass sie ihr leid tut und dass sie selbst zu wenig verdient, um eine Hilfe einstellen zu können. Schliesslich sagte sie ihr, dass in der Nähe ein Industriegebiet ist, wo an Laternenpfählen oder Zäunen manchmal Zettel kleben, auf denen Arbeitsangebote stehen. Dann zeigte sie in eine andere Richtung, wo einige Hotels waren, die mitunter Personal suchten, aber sie sagte gleich dazu, dass die Zeiten sehr schlecht sind, dass viele Arbeitslose herumlaufen und dass es derzeit sehr schwer ist, Arbeit zu finden.

Muu wollte es erst einmal bei den Hotels versuchen, weil das ihrer letzten Tätigkeit als Haushaltshilfe am nächsten kam, über die sie zum Abschluss noch ein sehr gutes Zeugnis bekommen hatte, in dem auch ihre Kochkünste gelobt wurden. Als sie bezahlte und losging, rief die Frau sie noch einmal zurück, versicherte ihr nochmals, dass sie ihr leid tut, dass sie ihr bei der Arbeitssuche nicht helfen kann, fügte dann aber hinzu, dass sie bei ihr in einer Nebenkammer schlafen kann, wenn sie nicht weiss, wo sie über Nacht bleiben kann. Sie erklärte, dass sie auch aus Si Saket kommt und auch einmal allein nach Bangkok gekommen ist. Sie zeigte auf ein Haus, das nicht weit entfernt war und sagte, dass sie gegen acht Uhr den Stand abbricht und dann in diesem Haus zu finden ist.

Muu ging zu den Hotels und schaute unterwegs nach Zetteln mit Arbeitsangeboten. Sie fand auch zwei, aber da waren die Jalousien schon heruntergezogen, sie müsste dort am nächsten Vormittag hingehen. In einer Eisenwarenhandlung war man nicht unfreundlich, lehnte sie aber ab, weil die Arbeit für ein kleines Mädchen zu schwer sei. Die Arbeit sei hart und man suchte eigentlich kräftige junge Männer. Man nannte ihr noch ein Hotel, das etwas versteckt in einer Seitenstrasse lag, das Personal suchte. In diesem Hotel war auch keine Stelle frei, aber der Portier wollte ihr ein gutes Angebot machen. Sie könne da sitzen bleiben und er würde ihr Männer vermitteln, den Verdienst könne man sich dann ja teilen. Auch in den anderen Hotels wurde sie sofort abgelehnt, bis sie begriff, dass es wohl eine verkehrte Zeit war, um sich vorzustellen. Sie ging noch weiter durch die Strassen und merkte sich Stellen, bei denen sie sich am nächsten Tag bewerben wollte. Dann wurde es Zeit zurückzugehen, um sich bei der Frau mit dem Essensstand zu melden und ihr Angebot anzunehmen, damit sie einen Schlafplatz hatte.

Sie kam rechtzeitig, um beim Abbau des Standes helfen zu können und mit der Frau mitzugehen. Sie unterhielten sich noch etwas über Si Saket und die Schule. Dann erzählte die Frau über Bangkok und meinte, dass sie genug verdient, um unabhängig zu sein, ihr Essen und ihre Unterkunft zu haben, aber am Monatsende bleibe nichts übrig, weil die Zeiten jetzt sehr schlecht sind und sie kaum einen Gewinn erwirtschaften kann. Niemand hat Geld und alle Menschen suchen nach Arbeit. Das bedeutete, dass die Arbeiter mit ihren Ansprüchen sehr bescheiden sein müssen und kaum das nötige Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen.

Dann erzählte die Frau, dass sie diesen Stand nun schon vier Jahre betreibt, dass sie aber weder Ersparnisse noch Freunde hat. Sie lernt nur Menschen kennen, die umsonst essen wollen, weil sie kein Geld haben, klagte sie und beschwerte sich, dass die Arbeit, den Stand alleine aufzubauen und am Abend wieder abzubauen, für sie sehr schwer sei. Muu begriff schnell, dass sie hier eine Freundin gefunden hatte oder doch zumindest jemand, mit dem man etwas gemeinsam machen könnte, um sich gegenseitig etwas zu helfen.

Am Morgen stand sie früh auf und half der Frau beim Einkauf der Waren und beim Aufbauen des Standes. Weil es für sie noch zu früh war, um sich bei Arbeitgebern vorzustellen, blieb sie noch etwas dort und ass eine Nudelsuppe zum Frühstück, die sie auch bezahlte. Dann machte sie sich auf den Weg, um Arbeit zu suchen, aber sie hatte kein Glück. Nach sieben Uhr kam sie wieder zurück zu der Frau am Stand, ass etwas, bezahlte und fragte, ob sie noch einmal bei ihr schlafen kann. Die sagte, solange sie keine eigene Unterkunft hat, sei sie jederzeit willkommen. Dann half Muu beim Abbau des Standes und sie setzten sich wieder eine Weile zusammen, bevor sie schlafen gingen.

Muu versuchte angestrengt, hier in der Nähe eine Arbeitsstelle zu finden, denn sie wollte den Kontakt mit dieser Frau nicht verlieren. Doch erst am vierten Tag hatte sie Glück, und zwar durch einen reinen Zufall. Sie meldete sich beim Empfangschef eines Hotels und fragte nach einer Arbeitsstelle. Darauf wollte der wissen, ob sie Fremdsprachen spricht. Als Muu antwortete, sie spreche Suai, Khmer, Lao und Thai, lachte der Mann laut und erklärte einem in der Nähe sitzenden, mit Papieren beschäftigten Mann, der sich umsah, dass Muu Arbeit sucht und Fremdsprachen spricht: „Suai, Khmer, Lao und Thai“. Dann wandte er sich gleich wieder an Muu und sagte: „Das sprechen hier alle. Fremdsprachen sind Englisch, Französich oder Deutsch.“

Doch der andere Mann wandte sich breit lächelnd an Muu und sagte etwas spöttisch, wenn sie diese Fremdsprachen beherrscht, dann könne sie die sicher auch schreiben. Doch Muu liess sich nicht irritieren. Sie sagte, dass sie diese Sprachen schreibt, ausser Suai, weil Suai nicht geschrieben wird. Darauf stand der Mann auf, liess sich vom Empfangschef einen Zettel und einen Kugelschreiber geben und sagte zu Muu, sie möchte doch bitte übersetzen und auf Khmer schreiben: „Unser Restaurant ist ab 18 Uhr geöffnet. Wir möchten Sie zu einem Party-Abend mit unserer Hauskapelle begrüssen.“ Muu schrieb in Khmer. Dann sagte er, sie solle jetzt in Lao übersetzen und schreiben: „Wir bedauern, dass wir die laotische Währung ,Kip‘ nicht akzeptieren können. Die Banken haben morgens ab 8.30 Uhr geöffnet.“ Muu schrieb Lao. Der Mann schüttelte den Kopf. Dann rief er zwei Namen, worauf zwei Frauen erschienen, denen er den Zettel zeigte. Die sollten ihm auf Thai übersetzen, was das heisst. Die Übersetzung war richtig.

Als der Empfangschef zu bedenken gab, dass hier nur selten laotische oder kambodschanische Gäste kommen, lächelte der Mann. „Richtig“, sagte er. „Wer aber in dem Alter schon vier Sprachen spricht, der hängt nicht nur tatenlos herum, der hat Freude am Lernen und lernt auch leicht noch eine oder zwei andere Sprachen dazu.“ Dann erklärte er, er sei der Geschäftsführer und fragte Muu, ob sie Papiere hat. Muu zeigte ihr letztes Schulzeugnis und das Zeugnis als Haushaltsgehilfin. Der Mann nickte zufrieden. Immerhin waren es sehr gute Zeugnisse und sie hatte ihre letzte Arbeitsstelle erst vor kurzer Zeit verlassen, nachdem sie vier Jahre dort gearbeitet hatte. Das war gut, denn Hotels leiden darunter, dass das Personal viel zu schnell wechselt, wenn es etwas ausgebildet wurde und immer wieder neue Leute eingearbeitet werden müssen.

Er sagte, dass er vielleicht Arbeit für sie hat und machte ihr zwei Angebote. Sie könnte als Putzhilfe und Zimmermädchen anfangen, wobei sie wahrscheinlich auch zu Arbeiten in der Küche herangezogen wird. Sie kann im Hotel Unterkunft und Verpflegung erhalten, dann verdient sie zum Anfang im Monat eintausendvierhundert Baht. Weil das Hotel aber an Platzmangel für das Personal leidet, wäre es ihm lieber, wenn sie selbst eine Unterkunft hat, dann bekommt sie im Monat dreitausend Baht und er fügte hinzu, dass sie dann trotzdem mittags mitessen kann, weil immer etwas übrig ist. Aber sie müsste in jedem Fall auch an den Wochenenden arbeiten. Muu war begeistert und erklärte, dass sie wegen der Unterkunft kurz mit einer Bekannten sprechen müsste und bat, dann wiederkommen zu dürfen, um Bescheid zu sagen. Der Geschäftsführer sagte, er sei am Nachmittag durchgehend anwesend.

Muu lief nun sofort zum Essensstand ihrer neuen Freundin und erzählte aufgeregt, dass sie ein Arbeitsangebot hat und dass sie Möglichkeiten sieht, wie sie sich gegenseitig helfen können. Sie erklärte das Angebot des Geschäftsführers und schlug vor, dass sie bei ihr in der Kammer bleibt und dafür etwas für die Miete hinzuzahlt. So könnte sie auch beim Aufbau und Abbau des Essenstandes helfen. Man einigte sich auf sechshundert Baht für die Miete, was in Bangkok ein ausserordentlich günstiger Preis ist. Der grösste Vorteil aber bestand für beide wohl darin, dass sie nicht alleine waren und sich gegenseitig helfen konnten. Muu ging gleich zum Hotel zurück und sagte Bescheid, dass sie eine Unterkunft in der Nähe des Hotels hat. Sie erhielt noch einige generelle Hinweise zur Arbeit im Hotel und konnte gleich am nächsten Tag anfangen.

Am nächsten Morgen wurde ihre Identitätskarte kopiert und ihre Anschrift notiert, sie erhielt eine Uniform des Hotelpersonals und wurde zum Putzen und zum Reinigen der Zimmer eingewiesen. Sie gewöhnte sich schnell ein und fand es vorteilhaft, dass im Hotel immer mehrere Zeitungen auslagen. Als sie zum Monatsende ihren Lohn erhielt, lobte der Geschäftsführer ihre Arbeit, gab ihr ein Englischbuch zum Lernen und sagte, dass es für sie wichtig sei, Englisch zu sprechen, wenn sie beruflich einmal aufsteigen will. Ausserdem erlaubte er ihr, abends eine Zeitung mitzunehmen, wenn noch eine im Empfang liegen sollte, wenn sie nach der Arbeit nachhause geht.

Die Arbeit wurde bald zur Routine und Muu arbeitete selbständig. Sie erhielt eine Anzahl von Zimmern, die sie in tadellosem Zustand zu halten hatte. Dies betrachtete sie nun als ihr Aufgabengebiet und sie gab sich alle Mühe, diese Zimmer nicht nur sauber zu halten, sondern auch für die Gäste angenehm zu gestalten. So besorgte sie Informationsmaterial für Touristen, das sie in die Zimmer legte und wenn Familien oder Paare ein Zimmer belegten, so stellte sie auch Blumen in das Zimmer.

Nach wenigen Monaten fehlten eines Tages Arbeitskräfte in der Küche, da zwei Mitarbeiter zum Monatsanfang nicht mehr erschienen waren und Muu wurde in die Küche beordert. Neben dem Geschirrspülen wurden ihr auch kleinere Aufträge für die Essenszubereitung übertragen und da sie sich geschickt anstellte und man Personal einsparen wollte, lernte sie auch etwas von der Zubereitung der Speisen Internationaler Küche und machte dabei gute Fortschritte.

Muu war mit ihrem Leben nun eigentlich ganz zufrieden. Sie hatte ihre Arbeit und ihr Auskommen mit ihrer Freundin, mit der sie jeden Abend zusammensass und hin und wieder auch einmal ausging. Muu ging es besser, als je zuvor und so hätte das Leben nun ungestört weitergehen können. Dass dem nicht so war, lag daran, dass nach dem Fortbleiben eines Koches ein neuer Hilfskoch eingestellt wurde.

Nun war es nicht so, dass dadurch Kompetenzstreitigkeiten entstanden wären. Der Neue kannte sein Fach und brachte Muu noch viele Kenntnisse für die Zubereitungen vieler Speisen bei. Es war viel schlimmer; Muu fand diesen neuen Koch äusserst sympathisch, weil er so nett zu ihr war. So nett war früher noch kein Mensch zu ihr gewesen und vor allen Dingen kein Mann. Er war besonders freundlich und immer hilfsbereit. Er scherzte mit ihr und er lud sie sogar einige Male zum Abendessen ein. Er verstand es geschickt, sich langsam anzunähern und Muu dachte bald nur noch an ihren Somkiat und genoss es, von ihm in den Arm genommen zu werden. Es dauerte nicht lange, bis die Verbindung ernsthafter wurde und beide immer öfter gemeinsam ausgingen.



Sechster Teil:

Muu hatte Bücher gelesen, aber vielleicht war das Leben doch etwas anders. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es einen Menschen gegeben hätte, der sie je berührt hatte. So wurde der neue Hilfskoch Somkiat, der ihre Hand streichelte, der sie in den Arm nahm und der so viel besser kochen konnte als sie, ihr Held. Sie war glücklich, zu hören, dass sie schön ist, grosse, schöne Augen und einen vollen Mund hat. Es vermittelte ihr das Gefühl, erwünscht zu sein und geliebt zu werden. Sie war sicher, dass sie in ihrem Leben noch nie erwünscht gewesen war und schon gar nicht geliebt wurde. So hatte sie auch das Gefühl, ihm etwas geben zu können

Ein Mensch, der ihr zeigte, wie man internationale Gerichte kocht, der ihr eine Blume brachte, gerne mit ihr zusammen sass, um ihr zuzuhören und sich mit ihr zu unterhalten, war für sie völlig neu. Muu war sicher, das musste die wahre Liebe sein, von der sie schon einmal etwas gelesen hatte. Warum sonst sollte ein Mensch sich mit ihr unterhalten und hören, was sie sagt, wo ihr höchster sozialer Status noch nicht einmal Putzfrau, sondern nur Putzhilfe gewesen war?

Nun waren zwar persönliche Beziehungen zwischen der Angehörigen des Hotelpersonals strengstens verboten. Das bedeutete aber nicht mehr, als dass sie sich während der Arbeitszeit nichts anmerken lassen durften. Aber Muu konnte sich ja mit ihrem Helden auch ausserhalb des Hotels treffen, nach der Arbeitszeit. Sie war sicher, dass das die wahre Erfüllung des Lebens war, was sonst? Nie hatte sie solche Aufmerksamkeit und solche Zuneigung erlebt, und noch nie solche Intimität. Sie fand, es war wundervoll, von solch einem Menschen geliebt zu werden.

Es war also nicht sehr verwunderlich, dass Muu eines Tages schwanger wurde, und da sie nie aufgeklärt worden war und nie etwas über Sexualität gehört hatte, war auch nicht verwunderlich, dass sie es etwas spät bemerkte, nachdem sie sich wunderte, warum sie schon seit drei Monaten keine Periode mehr erlebte. Es war ihre Freundin vom Essensstand, die sie losschickte, einen Schwangerschaftstest zu machen. Und dann war das Staunen gross. Wieso bekam sie ein Kind, wo sie doch nur ganz selten mit Somkiat zusammengewesen war, und nur, weil er es unbedingt gewollt und darauf bestanden hatte?

Als sie ihrem Helden von den Ergebnissen seiner Heldentaten und der bevorstehenden Geburt eines Kindes berichtete, zeigte der gar keine grosse Freude. Er war im Gegenteil sehr ruhig, sagte Muu aber nach einigen Minuten, dass er sie liebt und dass sie zusammen leben und für immer glücklich sein würden. Diese ernste und verhaltene Reaktion kam Muu etwas seltsam und nicht ganz echt vor. Da sie aber keine Erfahrung und keine Freunde hatte, glaubte sie selbstverständlich ihrem Helden und bereitete sich auf ein gemeinsames Familienleben vor.

Der Held allerdings wurde nach der nächsten Lohnauszahlung vermisst. Er kam nicht mehr zur Arbeit und man bemerkte, dass so einige kostbare Sachen gleichzeitig mit ihm recht plötzlich aus der Küche verschwunden waren. Muu konnte es erst nicht glauben, aber sie musste nach einigen Tagen akzeptieren, dass ihr Held für immer verschwunden war. Für sie brach eine Welt zusammen. Sie versuchte zunächst, sich tapfer zu halten. Teils in der Hoffnung, dass ihr Somkiat sie doch liebte und auch kein Dieb sein konnte, wartete sie darauf, dass sich seine Abwesenheit als eine tragische Verkettung unglücklicher Umstände herausstellen würde, wartete darauf, dass er wiederkam und sie in die Arme nahm.

Aber bald musste sie einsehen, dass damit nicht mehr zu rechnen war. Dann wollte sie ihren Zustand vor den Mitarbeitern verbergen, aber es dauerte nicht lange, bis man ihr ansah, dass sie schwanger wurde. Sie hatte aber davon der Hotelleitung nichts erzählt. So war es denn kaum ein Zufall, dass sie bald entlassen wurde, offiziell wegen der schlechten Wirtschaftssituation und einer Personaleinsparung, inoffiziell aber, weil schwangere Frauen ein Kostenfaktor sind und normalerweise nach der Geburt eines Kindes ohnehin ihre Arbeit niederlegen.

Zwar war es Muu erspart geblieben, einzugestehen, dass sie mit Somkiat ein Liebesverhältnis gehabt hatte, andererseits aber wusste sie, dass ihr Schicksal praktisch besiegelt war. Es gab kaum eine Möglichkeit, arbeiten zu gehen und einen Säugling grosszuziehen. Über eine Abtreibung nachzudenken, war sinnlos geworden. Durch ihre Unwissenheit war es dafür nun bereits zu spät und sie musste das Kind austragen und versorgen.

Muu versuchte, darüber nachzudenken, was sie jetzt tun könnte, aber die Auswahl war nicht gross. Eine Frau, die nur vier Jahre zur Schule gegangen war, als Putzhilfe gearbeitet hatte und nun einen Säugling versorgen musste, konnte sich nicht aussuchen, was sie tun will. Sie könnte sich umbringen. Aber sie sah nicht ein, dass sie ihr Leben lang nur gelitten haben sollte, um sich jetzt umzubringen. Diese Möglichkeit konnte ihr keiner nehmen, deshalb konnte es immer noch der letzte Ausweg sein, wenn gar nichts Anderes mehr ging. Ansonsten blieb ihr nur übrig, das zu tun, was viele andere Frauen taten, die von ihren Männern verlassen worden waren; sie konnte ihr Kind irgendwo in Pflege geben und in einer Bar Arbeit suchen. Dann müsste sie zwar mit Männern ins Bett gehen, aber war es besser, sich umzubringen?

Sie musste ihr Kind irgendwo in Pflege geben, sie konnte mit einem Säugling im Arm unmöglich eine Arbeitsstelle finden. Aber ihr Kind sollte ein besseres Leben haben, als sie es gehabt hatte. Sie konnte es also nicht an Leute weggeben, die sie gar nicht kannte, konnte es nicht im Krankenhaus lassen und nicht zur Adoption geben. Das Kind sollte umsorgt werden, zur Schule gehen und tun dürfen, was es wollte. Dann aber musste sie für die Unterbringung des Kindes viel Geld bezahlen, mehr, als sie als Putzhilfe verdienen konnte. Sie verfiel immer wieder auf den Gedanken, dass Monea und ihre Schwester die geeignetsten Personen sind, um ihr Kind aufzunehmen. Es waren gute und gebildete Menschen, und sie konnten keine Arbeit finden. Wenn sie selbst nun gut verdienen würde und für den Unterhalt des Kindes genug bezahlte, so dass Monea oder ihre Schwester nicht arbeiten gehen brauchten, dann wäre es sicher das Beste für ihr Kind und auch für die Schwestern.

Der Gedanke, einen Mann zu finden, der sie heiraten würde, wäre zwar ein anderer Ausweg, aber der kam ihr völlig absurd vor. Es gab keinen Mann, der eine Frau heiratete, die nichts tun konnte, keinen Beruf hatte und nichts weiter besass, als ein hungriges Kind. Aber Muu hatte gehört, dass viele Frauen, die in den Bars arbeiteten, mit Ausländern gingen und später mit Ausländern zusammen lebten und sogar geheiratet wurden. Ausländer schien es weniger zu stören, mit einer Frau zu leben, die schon einmal verheiratet war oder ein Kind hatte. Allerdings waren die Chancen dazu auch nicht sehr gross.

Der Gedanke, mit einem Ausländer zu leben, schien ihr gar nicht verlockend, aber was bedeutete es schon, ein Ausländer zu sein? War nicht ihre beste Freundin, Monea, Ausländerin? Und war sie nicht selbst aus Buriram kommend, in Si Saket und in Bangkok als eine Fremde angesehen, quasi als eine Ausländerin? Sicher, sie kamen aus einem ähnlichen Kulturkreis, sie waren keine ,Farang‘, die so ganz anders waren, als die Menschen in Thailand. Aber sie hatte gelernt, dass es nicht darauf ankam, wo ein Mensch herkommt, sondern vielmehr darauf, wie er ist, und jeder Mensch ist anders. Es war nur schwierig, jemand kennenzulernen.

Allem zum Trotze war ihr der Gedanke, mit einem Ausländer zu leben, nicht gerade sympathisch, doch was gab es, was besser war? Mit allen möglichen Männern mitzugehen, die gerade eine Frau im Bett haben wollten, oder sich umzubringen, schien durchaus keine bessere Lösung zu sein und so bestand ihre grösste Hoffnung noch darin, vielleicht einen Ausländer zu finden, mit dem sie leben konnte. Sie musste also eine Arbeitsstelle in einer Bar suchen, die von Ausländern besucht wurde. Das sollte in Bangkok nicht weiter schwierig sein.

Sie sprach mit Daeng, ihrer Freundin, die den Essensstand hatte, bei der sie immer noch in der Nebenkammer wohnte. Die konnte ihr zwar nicht helfen, aber sie hatte wenigstens Verständnis. Daeng bot ihr an, dass sie mit dem Kind weiter bei ihr wohnen kann, auch wenn sie nichts bezahlt, aber das Einkommen des Essensstandes würde nicht ausreichen, um beide Frauen und das Kind zu ernähren. Und es war sicher, dass Muu’s magere Ersparnisse nach der Entbindung schnell schrumpfen würden. Sie verblieben so, dass Muu bis nach der Entbindung bei Daeng bleibt, bis sie glaubte, das Kind nach Surin bringen zu können und es sollte gleichgültig sein, ob Muu für das Zimmer bezahlt oder nicht.

Daeng war Muu eine grosse Hilfe gewesen und so bezahlte Muu das Zimmer und versuchte, ihr in der Zeit bis zur Geburt des Kindes so gut zu helfen, wie es ihr möglich war. Muu hatte Monea und ihrer Schwester in der Zwischenzeit schon zweimal geschrieben und berichtet, dass die Aussichten auf Arbeit sehr schlecht seien, dass sie auch in ihrem Hotel gefragt hatte, dass man dort aber nur junge Mädchen oder fachlich versiertes Personal mit einer Ausbildung und Berufserfahrung annahm und dass es bei anderen Arbeitsstellen auch nicht anders aussah. Nun schrieb sie ein drittes Mal, teilte ihre Lebenssituation mit und fragte, ob sie vielleicht ihr Kind nach der Geburt zu ihnen bringen könnte, wobei sie versprach, ihnen regelmässig das Geld für die Versorgung und den Unterhalt zu schicken.
Die Antwort liess nicht lange auf sich warten. Monea schrieb, sie solle auf jeden Fall mit dem Kind nach Surin kommen, dort könne man über alles Weitere sprechen. Nebenher erwähnte Monea noch, dass der Unterhalt eines solch kleinen Kindes ja nicht viel Geld kostet und dass ein kleines Kind den beiden älteren Frauen vielleicht sogar neues Leben ins Haus bringt. Als Muu den Brief las, liefen ihr Tränen übers Gesicht.

Die Geburt verlief ohne Komplikationen und wurde nicht einmal so teuer, wie Muu befürchtet hatte, obwohl es für sie viel Geld war. Dann kam sie mit dem Kind zu Daeng, wo sie zuvor schon alles vorbereitet hatte. Sie blieb noch gut zwei Monate dort, in denen sie für das Zimmer bezahlte und Daeng beim Aufbau und Abbau des Standes half, manchmal auch bei der Zubereitung der Speisen, weil ihr Zimmer ja gleich in der Nähe war und sie den Säugling auf jeden Fall hören würde, wenn er schrie. Als sie meinte, das Mädchen wäre nun kräftig genug, um eine Reise nach Surin auszuhalten, machte sie sich auf den Weg. Daeng nahm ihr das Versprechen ab, dass sie bei ihr vorbeikommt, wenn sie Surin wieder verlässt und nach Bangkok kommt.

Muu kam mit sehr gemischten Gefühlen zu Monea und ihrer Schwester. Sie fürchtete sich vor Vorwürfen, aber die kamen nicht. In langen Gesprächen erzählte Muu von Bangkok und den Auswirkungen, die die Wirtschaftskrise dort gezeigt hatte. Sie erzählte, wie es ihr dort ergangen war, erzählte von Daeng und wie sie Somkiat kennengelernt und verloren hatte. Nach langen Gesprächen fanden auch die beiden Schwestern keine besseren Möglichkeiten für Muus Zukunft. Monea meinte zum Trost, dass die meisten Frauen mit ihren Männern ins Bett gehen, ohne es selbst zu wollen, sondern nur, weil der Mann das will. Dann würde es wahrscheinlich auch nicht so schlimm sein, wenn es ein fremder Mann ist, wenn man dafür genug Geld zum Leben bekommt.

Muu blieb einen Monat dort, dann sagte sie, dass sie eine Arbeitsstelle finden muss, bevor ihr Geld verbraucht ist. Als sie für die Versorgung des Kindes dreitausend Baht Vorschuss geben wollte, lehnten die Schwestern ab, weil der Umgang mit dem Kind ihnen Freude bereite und kaum Kosten verursache. Muu sagte, dass sie keine Arbeit und keine Einnahmen haben und deshalb etwas für die Versorgung des Kindes erhalten müssen. Sie einigten sich darauf, dass Muu ihnen jetzt eintausend Baht gab und erst dann Geld schicken sollte, wenn sie etwas verdient.





von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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