Thailändisch lernen

Oh yeah, freestyle we like it!

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Pitcairn auf seiner ungewöhnlichen Individualreise quer durch Bangladesch.

Ein Porter bringt mein Gepäck zu Fuss vom Hafen zur nicht weit entfernten Busstation und weist uns allen gleichzeitg den richtigen Weg. Die vermeintliche Station erweist sich als ein staubiger Naturparkplatz. Nicht auszudenken, wie das hier in der Monsunzeit aussehen muss. Es stehen mehrere verbeulte Busse herum. Konductors werben für ihre Gesellschaft Fahrgäste an. Wehe, du setzt dich in einen halbleeren Bus. Der muss sich erst füllen, sonst rechnet sich die Fuhre nicht und du musst lange warten oder sonst alle Plätze kaufen, wenn du früher weg willst. Voll besetzt sein, bedeutet in Bangla etwas anderes als in Westeuropa. Die rollende Sardinenbüchse muss bis auf's Dach mit Fahrgästen belegt ist. Erst dann, kann das gemütliche Reisli losgehen. Der Fahrpreis wird beim Einsteigen ausgehandelt und während der Fahrt beim Abkassieren noch einmal verteidigt. Da kann es schon passieren, dass der ganze Bus diskutiert, ob der Transportpreis für ein Langschwein wie mich angemessen ist. Doch ich halte mich in der Regel an die Einheimischenpreise. Es ist nicht einzusehen, weshalb Ausländer mehr bezahlen sollen. Oder bezahlt ein Bangladeschi in der Schweiz für den Postbus auch mehr als ein Schweizer? Nööö, so geht das bei Pitcairn nicht! Wenn mir als Liberalkonservativer etwas besonders auf den Sack geht, ist es diese sozialistische Zweipreispolitik.
Hier in diesem primitiv entwickelten Land, findest du noch Gefallen an nackter Technik. Du reist völlig unplugged, ohne Cervelat-Lenkung, ohne Bremskraftverstärker, ohne jegliche Elektronik - da dominiert die Mechanik. Das ist Vintage pur, eine solche Nostalgiefahrt musst du zuhause teuer bezahlen und kannst sie nicht überall erleben. Die Busse sehen aus wie vom Schrottplatz hergeholt; viele haben zerbrochene Windschutzscheiben, angeschriebene Zieldestinationen gibt's nicht. Carglass könnte hierzulande einen lukrativen Ableger eröffnen und sich dumm und dämlich verdienen. Die Fahrzeuge verfügen teils über extra Stossstangen, wie beim Autoscooter auf der Kirmes. Da kannst du von hinten nach Herzenslust in den Vordermann knallen, da passiert nicht viel. Unfälle sind an der Tagesordnung, Beulen und Kratzer im Lack gelten als normal. Der Chauffeur sagt, dass er von 6 – 23 Uhr unterwegs ist, bei Stau noch länger. Am Mittag gibt es 30 Minuten Pause. Hier in diesem Lande möchte ich eine Transportunternehmung gründen.

Busfahren in Bangladesch ist mindestens ebenso riskant wie Autofahren. Jeder drängt sich am anderen vorbei, die kleinste Lücke wird ausgenützt, um noch ein bisschen schneller zu sein. Das Risiko, von jemandem über den Haufen gefahren zu werden ist beträchtlich. In diesem Fall ist Fahrerflucht Pflicht, denn Lynchjustiz gehört hier zum System - der Mob ist unberechenbar und lebensgefährlich. Die Zeitungen sind täglich voll solcher Nachrichten. Wer immer in einen Verkehrsunfall verwickelt ist, versucht zu entkommen. Gelingt das nicht, sind zumindest den Beteiligten Prügel sicher. Die stets mit grosser Verspätung am Unfallort eintreffende Polizei, muss regelmässig Verursacher mindestens ebenso dringend retten, wie die Verkehrsopfer selbst. Nicht selten sind Ersterwähnte spitalreif geschlagen, wenn nicht gar schlimmer. Der Mob vollzieht seine Strafen, vorsorglich an allen Beteiligten. Die Menschen in diesem Land haben jedes Vertrauen in öffentliche Behörden verloren, denn die Polizei lässt Schuldige gegen Cash wieder springen. Falls du als Ausländer beteiligt bist, fährst du am besten weiter an den nächsten Ort und versuchst über eine Kontaktperson die diplomatische Niederlassung deines Landes zu erreichen und das Problem auf diese Art zu lösen.

Busfahren in Bangladesch ist preiswert und effizient. Das Land verfügt über ein weit verzweigtes Strassennetz. Die meisten Bushaltestellen befinden sich nicht im Zentrum, sondern am Rande der Ortschaften. Das verringert Staus in den Städten, bedeutet für Reisende jedoch meist eine längere Anfahrt mit der Rickshaw. Die Büros der Busgesellschaften befinden sich dagegen oft in der Innenstadt. Dort und nicht an den Bushaltestellen, können Sitzplätze in gehobenen Busklassen reserviert werden. Für längeres Reisen, empfiehlt sich ein Platz im grossen und modernen Reisebus zu buchen - Chair-Coach genannt - falls ein solcher verfügbar ist. Du hast mehr Beinfreiheit und bekommst weniger Thrombosen, schneller aber bist du nicht. Die meisten Chair-Coaches rollen auf den Strecken zwischen Dhaka und den Städten im Westen des Landes. AC-Busse sind doppelt so teuer und du brauchst sie eigentlich nur in der heissen Jahreszeit. Die wichtigsten Betreiber von komfortablen Reisebussen heissen Soudia, Hanif Enterprise, Eagle Paribahan sowie Green Line. Bei Reisen in entlegene Gebiete Bangladeschs, sind normale Busse meist die einzige Reisemöglichkeit; sie sind wesentlich preiswerter, bieten mehr Unterhaltung, Kontakte und Überraschung. Die Fahrzeuge sind gezeichnet vom täglichen Nahkampf, kein Quadratzentimeter ohne Beule, die Scheinwerfer hängen lose an zwei Drähten hinunter. Busse privater Unternehmen sind häufig in besserem Zustand als die staatlichen Fahrzeuge von der Bangladesh Road Transport Corporation (BRTC). Diese Aussage gilt ebenso für Hotelunterkünfte. Dort wo der Staat die Pfoten ins Business steckt, ist alles weniger gut. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, musst du zwar nicht unbedingt nach Bängeldätsch, das ist in anderen Ländern auch nicht anders. Bei der Überquerung breiter Flüsse, verlassen die Passagiere immer den Bus. Proviant und Trinkwasser kaufst du von fliegenden Verkäufern unterwegs. Nächtliche Überfälle auf Landstrassen sind keine Seltenheit. Reisebusse sind deswegen im Innenraum durch ein schweres Eisengitter abgesichert. Dass das Vehikel keine gebrauchsfähigen Scheinwerfer mehr besitzt, wird als weitere Sicherheitsmassnahme verstanden. Je weniger wir auffallen, umso geringer die Chancen, unterwegs von Wegelagerern geplündert zu werden. Die Sitzordnung bzw. Stehordnung ist dermassen kompliziert, dass es mindestens fünfzehn Minuten dauert, um alle Mitreisenden platzsparend durch die Fenster einzuschichten. Hast du drinnen keinen Platz, klammerst du dich irgendwo draussen an der Karosserie fest oder nimmst auf dem Dach Platz. Während der Fahrt solltest du dich vor niedrig hängenden Ästen in Acht nehmen, denn sie kosten jedes Jahr zahlreichen Höhenenthusiasten das Leben. Dass du vor der Abfahrt vom Konduktor noch schnell gefilmt wirst, hat praktische Gründe und nichts damit zu tun, dass man von dir extra begeistert ist. Sollte der Bus unterwegs verunglücken, können entstellte Leichen besser identifiziert werden.

Meist weisst du nicht, wann du ankommst und noch weniger, wo du aussteigen musst, die bengalische Schrift bleibt dir ewig fremd. Vor der Abfahrt klärst du die ungefähre Fahrzeit ab und schaust dann auf deine Armbanduhr. Irgendwie geht es immer. Die Bengalen sind kommunikationsfreudige Leute und hilfsbereit. Beim Einsteigen in den (noch) fahrbaren, rostigen Untersatz wirst du vom Schaffner zu den schwitzenden und schon schlafenden Menschen reingedrückt. Aussteigen ist dann schon wesentlich schwieriger, dann musst du dich beeilen und durchkämpfen, oft stoppt der Bus gar nicht richtig.

Der Busfahrer in weisser Kurta und mit Kopfbedeckung, trägt seinen orange gefärbten Vollbart auf Faustlänge und sein Oberlippenbart ist kurz gestutzt, wie es sich für einen gottesfürchtigen Muselman gehört. Um seinen Hals hängt an einer Kordel ein silbernes Miniatur-Imam-Ali-Schwert und seine Misbaha legt er auch beim Steuern niemals aus der Hand. In seiner Fahrerkanzel hat er sich wohnlich eingerichtet. Die Kabine ist eine Mischung von Bangla-Wohnzimmer und Moschee. Die Fussmatte dient gleichzeitig als Gebetsteppich. Am Rückspiegel schaukelt ein blaues Amulett mit islamischen Schriftzeichen und auf dem Handschuhfachdeckel klebt ein Sticker mit einer Koransure. Süsses Naschwerk gibt’s aus einer kleinen hin und her rutschenden Schatulle auf dem Armaturenbrett. Das Glaubensbekenntnis vor sich hinmurmelnd "La ilaha illa llah wa muhammadan rasul allah", gibt er dem Bus die Sporen und die Fahrt geht los. Jeder von uns hat einen Sitzplatz ergattert und das schwere Gepäck unten ist im Laderaum eingeschlossen. Mein Sitz entbehrt jeder Polsterung und ich sitze mit der linken Hinterbacke auf der Metallkante. Das verschafft mir am Zielort eine ausserordentliche Erlösung, wenn keine Eisenteile mehr ins Fleisch schneiden.
Nach dem Anfahren, gelangt der Bus in besorgniserregende Seitenlage, weil zu viele Passagiere tarzanartig draussen einseitig an den Haltestangen kleben. Der Konduktor muss die Leute rund um den Bus herum neu anordnen, ähnlich wie auf einem Vergnügungsschiff. Balance ist hierzulande auch im Strassenverkehr gefragt. Diesel überdeckt den Geruch von Kardamon, Zimt und Curry - der Fahrer murkst einen Gang rein und drückt auf den Pinsel - die Schaukelfahrt geht weiter. Durch mein offenes Fenster weht Bangladesch.

Wir kommen nicht mehr weiter und stehen bereits nach einer Stunde im Stau. Zuerst denke ich, es handle sich um ein vorübergehendes Problem. Doch es sollte anders kommen. Demonstranten stellen in der naheliegenden Innenstadt einen Bus quer zur Fahrbahn und blockieren damit den gesamten Verkehr, wie wir erst später feststellen werden. Polizeiwagen rollen vorbei, doch es passiert nichts. Dann folgt ein grosser Geländewagen der gehobenen Schaponesenklasse und im Fonds sitzt der Polizeichef himself, vorne sein Adjutant und der Fahrer. Der hohe Offizier lässt stoppen, als er uns vier Bleichgesichter am Strassenrand neben dem Bus warten sieht. Vier hellhäutige wandelnde Geldsäcke fallen auf wie rote Hunde. Wie alle anderen Banglas, will er von uns wissen, woher wir kommen und was hier tun.
Wir vernehmen in verständlichem Englisch, dass er schon ganz Westeuropa bereist hat - auch die Schweiz. Super, so etwas verbindet. Ich bin immer wieder überrascht, was unsere Nation im Ausland für einen ausgezeichneten Stellenwert besitzt. Alle scheinen hier unsere Heimat zu kennen, doch meistens, wenn ich eine Kontrollfrage stelle, kommt keine Resonanz. Diese Mal ist es anders. Die ganze Palette vom Jungfrauchjoch, Interlaken, Löwendenkmal, Bucherer-Uhren bis hin zum Jet-Fountain und United-Nation-Gebäude in Geneva wird ungefragt serviert.

Die Fahrt von Lakshmi nach Chittagong dauert mit einem Überlandbus im Normalfall ungefähr 5 Stunden, kurze Zwischenstopps eingerechnet. Wegen der erwähnten politischen Manifestation kommt der ganze Fernverkehr für drei Stunden zum Erliegen. Den Bus dürfen wir verlassen, müssen aber in Sichtweite bleiben. Wir vertreiben uns die Zeit mit Gesprächen, Kontakten, Lesen, Besuchen im Teeshop, mit Spazieren etc.
In einer Apotheke kaufe ich ein Abführpulver. Die ganze Umgebung nimmt Anteil, als ich versuche dem sprachunkundigen Tablettenverkäufer mein Problem zu erklären. Alles lacht und grölt, als ich Pantomime zu Hilfe nehme. Doch es ist mir im wahren Sinn des Wortes völlig scheissegal und überhaupt nicht peinlich. Jegliches Schamgefühl habe ich mittlerweile abgelegt. Was soll's? Wenn die Leute wollen, dürfen sie mir sogar noch beim Abkacken zugucken. Es kennt mich ja eh keine Sau. Nur auf YouTube möchte ich nicht landen, da bin ich auf der Hut. Als ich beim Cha einen pensionierten Volksschullehrer kennenlerne, der einigermassen Englisch spricht, lasse ich für das erworbene Abführpulver, die genaue Indikation auf dem Beipackzettel überprüfen. Es stellt sich heraus, dass es sich nicht um das benötigte Mittel, sondern nur um ein Pulver zur Verdauungsanregung handelt; ich aber will endlich defäkieren. Vorsorglich schlucke ich das Zeugs runter. Nach Stunden kommt Bewegung in die endlose Wagenkolonne. Wir spurten zum Bus, die Fahrt geht weiter.

Der Fahrer blüht wieder auf, donnert über den löchrigen Asphalt und setzt immer wieder zu halsbrecherischen Überholmanövern an, vor denen sich korrekt entgegenkommende Rickshaws nur durch Flucht auf den staubigen Seitenstreifen retten können. Er outet sich als Strassen-Revolutionär. Seine dunklen Augen leuchten und flackern, etwas scheint in ihm zu brennen – tomorrow never comes.
Da könnte sich der Westen eine Scheibe davon abschneiden. Hier gibt es noch echten Verdrängungswettbewerb und eine satte Motorisierung hat noch Statuswert. Da bist du ein Monsieur, wenn du einen 5-Liter Diesel mit Bleifuss durch die Pampa stampfst und alles vor dir wegfegst. Überholt wird selbstverständlich auch bei Gegenverkehr. Wenn du laut genug hupst, kann eigentlich nicht viel passieren. Am sichersten fühlst du dich hier mit einem Kompressorhorn. "Everything depends to Allah! - Alles hängt von Allah ab!" Hierzulande herrscht Linksverkehr, eingeführt vom Britischen Empire, steht im Lonely Planet, doch ich merke schon bald, dass es sich um eine Fehlangabe handelt. Bangladesch fährt auf der Strassenmitte und es dürfte Sinn machen, die Hupe in Dauereinstellung zu fixieren. Besonders beliebt sind hier die wagemutigen Geisterfahrer. Was ich hier erlebe, ist kaum zu glauben und echt die Hölle. Auf allen Kontinenten war ich schon unterwegs, bin über die Anden gedonnert, durch Schwarzafrika geholpert, folgte der Camel-Trophy-Route in Madagaskar und mit dem Motorrad über die Seidenstrasse – was jetzt hier abgeht ist nicht mehr zu toppen. "Oh my goodness!"

In permanentem Challange mit höheren PS-Zahlen, lieferte sich unser Fahrer mit einem anderen Bus einen halsbrecherischen Combat. Ist ja auch gut so, denn dieser gottesgläubige Mann will sich an seinem vielseitigen Job etwas selbstverwirklichen. Jetzt hat Bangladesch das Kommando, ich bin eingeschlossenen in diesem blechernen Sarg, ziehe den Kopf ein und hoffe auf Gabriels Gnaden. Es zählt nur noch, dass wir weiter vorankommen.
Der Fahrer stanzt die verbeulte Kiste in den höheren Drehzahlbereich. Er kann nicht kuppeln, er kann nicht bremsen, er kann nicht scheinwerfern, doch er kann hupen. Zumindest ist eine solche Reise noch immer abwechslungsreicher als im Doppelstöcker mit Businessplatzsitzen auf einer Gruppenreise. Oh yeah, freestyle, we like it! In einer Kleinstadt unterwegs stoppt der Bus und viele Passagiere steigen aus. Der rollende Sarg ist noch immer brechend, aber zumindest nicht bengalisch brechend voll. Ein behinderter Bettler, flach wie ein Käfer am Boden liegend, bittet vor der Ausgangstüre um eine milde Gabe. Die Menschen steigen wortlos über ihn hinweg. Eine Frau in Lumpen, drückt den amputierten Körper ihres Kindes minütlich an die Fensterscheiben und will Geld. Gebe ich immer allen etwas, bin ich in zwei Wochen pleite. Gebe ich niemandem etwas, habe ich ein schlechtes Gewissen.
Gebe ich nur einen roten 10 Takaschein, fängt die Bettlerin an zu maulen und will mehr. Gebe ich 20 Taka, reisst sie mir das Geld aus der Hand ohne Danke zu sagen.
Mit einem observierenden Blick von oben am Fenster, kontrolliert Balance-Glucke bei jedem Halt, ob sich jemand an unserem Gepäck bei der Ladelucke vergreift. Das wäre dann allenfalls High-Alert für Pitcairn, der auf ein Zeichen wartet, um einem Fehlbaren eine handfeste Kopfnuss zu verpassen. Getränke und Snackverkäufer quetschen sich durch den Bus und preisen ihre Waren an -muss das wirklich auch noch sein?! Nach kurzem Stopp fährt der Bus weiter, die fliegenden Verkäufer drängen zur Tür und springen ab.

Die Wagen vor uns verlangsamen ihre Fahrt. Unser Driver will kein Tempo drosseln, setzt zum riskanten Überholmanöver an. Dieser Mentalität zufolge ist die Unfallstatistik haarsträubend mit verheerenden sozialen Folgen. Bald muss sein Spatzenhirn realisieren, dass dieses Mal weder der linke Pannenstreifen noch die Gegenfahrbahn als Reservefahrspur zur Verfügung steht; sie ist mit Autos vollgestopft. Niemand lässt sich mehr verdrängen und der allerletzten Strassenmatcho wird zu demokratischem Verständnis forciert. Mit zwei Millimeter Mindestabstand und gedrückter Kompressorhupe schleichen wir hinter einem Sattelschlepper her. Etwas weiter vorne präsentiert sich die Ursache der Verlangsamung: Ein Kleinbus ist mit einem grossen Laster auf frontalen Kollisionskurs gegangen. Das Leben auf den Strassen ist eine Schlacht, die man auf relativ einfache Art verliert. Hier dominiert das Recht des Stärkeren und der PS-Zahl. Der kleinere ist gegenüber dem grösseren immer im Nachteil. Die Happyend-Story David gegen Goliath, findet nur im Alten Testament statt. Der Koran kennt übrigens eine ähnliche Geschichte. Die beiden Religionen haben mehr gemeinsam als du denkst.
In der zusammengedrückten Kabine des Kleinbusses präsentiert sich ein Schauerbild. Der Fahrer ist bis zur Unkenntlichkeit zermatscht und hat seinen letzten Weg in den Zwischenhimmel angetreten, lässt eine mehrköpfige Familie zurück und darf zur Abwechslung auf 71 versprochene Jungfrauen hoffen. Wir Menschen gelangen alle unbestellt auf diese Erde und müssen nach einem Gastspiel wieder abreisen. Die einen später und noch intakt, andere eben früher und etwas deformiert. Das spielt keine grosse Rolle, wenn der Sargdeckel einmal zugeklappt ist. Jetzt rollt vermutungsweise eine soziale Katastrophe auf die hinterlassene Familie zu. Da besteht keine Sicherheit und keine finanzielle Hilfe. Die Ausrichtung des Begräbnisses führt die Witwe in die Verschuldung. Der Kleinbusbesitzer wird versuchen, dass ihm der entstandene Schaden ersetzt wird. Natürlich kann die Frau mit dem Lohn ihrer Tagesarbeit von 100 Taka nicht einmal die Mäuler der fünf Kinder stopfen, geschweige denn, einen Kleinbus abbezahlen. Ist sie noch einigermassen tageslichttauglich, muss sie ihm zu Willen sein. Allah möge ihr beistehen, dass sie nicht noch einmal schwanger wird. Ihre Kinder wechseln von der Schule direkt in den Steinbruch um für 50 Taka pro Tag Steine zu klopfen. So bald als möglich, wird die Mutter versuchen, ihre Töchter nach Erreichung der Pubertät zu verheiraten oder sonst wie loszuwerden. Ab 12 Jahren gelten Kinder hier nach der Volksmeinung als erwachsen. De facto sind es nach Gesetz 18 Jahre, doch diese Altersgrenze wird nur angewandt, um Geld zu verdienen und pädophile Ausländer zu erpressen. Die Frau muss sich erneut verschulden, um den Eltern des Bräutigams eine bescheidene Mitgift auszurichten. Schlimmstenfalls landen die Mädchen als Bettlerinnen auf der Strasse oder in einem der zahlreichen Grossbordelle des Landes: Kandupatti, Dauladtia, Faridpur, Nimtoll, Kandhapara, Magura, Madaripur, Bani Shanta, Jessore etc wie sie alle heissen mögen. In dieser abgeschirmten Parallelwelt, sind sie dann endgültig lebende Toten, von der Gesellschaft geächtet und nicht einmal Wert, später auf einem Gottesacker begraben zu werden. Die Spirale des Elends und der Armut dreht sich weiter und überträgt sich auf die nächste Generation – niemals wird es besser.
Der Driver stellt sich wiederkehrend seinem täglichen Challenge mit anderen Fahrzeugen und PS-Zahlen. Er holt das Allerletzte aus seiner Blechkiste raus und ist als Rowdy nicht zu überbieten. Er fährt, als könnte er die vielen verlorenen Wartestunden alle wieder einholen, überholt zwischen zwei Fahrzeugen links und rechts wie es ihm gerade passt. Es befinden sich fast nur Nutzfahrzeuge auf der Strasse. Korrekt entgegenkommende Fahrzeuge verweist er auf den erdigen Pannenstreifen. Unser Fahrer reisst den Hino-Bus zum Überholen mit einem ruckartigen Vierteldreh am Steuerrad aus der Fahrspur und zwingt einen grösseren Ashok-Layland Lastwagen auf den hinteren Rang. Dann zwängt er sich zwei Zentimeter vor einem Isuzu-Truck zurück in die dichte Kolonne und zwingt die anderen Fahrer zu abrupten Bremsmanövern. Unser Bus schwankt hin und her wie ein Fährschiff zu Monsunzeiten. Ein Wrack am Strassenrand erinnert an das vorzeitige Ende einer anderen Busreise. Was ich hier erlebe, übertrifft meine schlimmsten Befürchtungen. Am liebsten möchte ich dem Fahrer sagen, er solle anhalten und mich aussteigen lassen. Ich habe Angst! Um 17.30 Uhr legt Allah den Hebel von Tag auf Nacht um und es wird stockdunkel.

Der Verkehr verlangsamt sich geringfügig; kein Anlass für unseren Driver defensiver zu fahren. Einige Busse und Trucks fahren ohne Licht. Unser Konduktor erklärt, dass die Chauffeure Licht sparen wollen. Rechts und links der Strasse tummeln sich lichterlose Rickshaws, das kleine Positionslämpchen unter dem Fahrgastsitz ist in der Dunkelheit von fern nicht zu erkennen. Auf den Strassen liegt um diese Jahreszeit ein nebelartiger Dunst aus Staub und Smog, deshalb fahren alle in der Mitte der Strasse. Das geht solange gut, als kein Fahrzeug von hinten auffährt oder ein Überholendes entgegen kommt. Hat dieses Lichter und kommt von vorne, kannst du vielleicht ausweichen. Hat es kein Licht - dann gute Nacht. Auch dir winken als Entschädigung 71 Jungfrauen.

Endlich nähern wir uns langsam den ersten Ausläufern von Chittagong, der zweitgrössten Stadt des Landes. Es hat viel Verkehr und der Fahrer kann die Geschwindigkeit nicht erhöhen und muss wiederkehrend die Drehzahl drosseln. Ich atme auf, als wir bei dunkler Nacht um 20.20 Uhr an den Busstopp rollen. Nicht weniger als zehn Vollbremsungen habe ich mitgezählt. Die hinter uns liegende Fahrt war schlimmer als ein Dauerride auf einer Berg- und Talbahn auf dem Rummelplatz. Junge, du machst es mir wirklich schwer, ein Bangabandhu zu werden. Wir steigen aus. Unser Gepäck liegt bereits im Strassendreck. Der freundliche Konduktor hat es bereits rausgeschmissen. Dann geniesse ich den Schlagabtausch mit den CNG-Citaros um einen angemessen Transportpreis. Es ist genau 21 Uhr, als wir im gewünschten Hotel eintreffen.

Humor im Bangla-Strassenverkehr: https://www.youtube.com/watch?v=y3FR2DvhYVQ
Pitcairn, seit 40 Jahren auf der endlosen Reise.

Pitcairn hat mit seinem vierköpfigen Reiseteam Bangladesch in den Monaten Oktober - Dezember 2014 individuell bereist. Der Bericht ist ein Auszug aus der über zweihundertseitigen Globalversion Ein Land im fortgeschrittenen Zerfall. Die Publikation im Forum wird in den kommenden Monaten erfolgen.

 
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