Vietnam Pitcairns Reise 2012 - Teil 31 - Vietnam: Saigonspaziergang

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Saigon Spaziergang (1)
Wenn in deinem Kopf romantische Bilder von einem beschaulichen Indochina wie im gleichnamigen Film mit Catherine Deneuve, aber auch von Gassen voller Opiumrauch, geheimnisvollen Schönheiten, klappernde Fahrräder mit quietschenden Bremsen, Franzosen in hellen Leinenanzügen, gepflegte weisse Damen in langen Sommerröcken, Cyclos als Touristen-Haupttransportmittel herumgeistern, dann musst du ganz gehörig Abschminken. Schuld an diesem nostalgischen Bild haben mitunter die toten Schriftsteller, wie Somerset Maugham, der Saigon in den 30er-Jahren besuchte oder der Brite Graham Greene mit seinem Bestseller von 1955 Der stille Amerikaner. Die alten Kolonialhotels, in denen sie logierten und ihre Romanfiguren dort aufleben liessen, sind wie Sachwalter von Erinnerungen zwar alle noch da. Im Majestic und im Continental tummeln sich Touristen in kurzen Hosen, die dort den Geist und die exotische Eleganz des alten Saigon suchen, aber bloss zu warme Gin Tonics vorfinden.
Heutzutage sind Schönheiten und Wunder einer Reise nur kleine Dinge, die nicht im Reiseführer stehen. Versteckte Winkel, Sonnenuntergänge, Begegnungen mit Menschen, überraschende Szenen, witzige Situationen.

Vor dem Hotelausgang wimmeln wir alle Leute ab, denn wir benötigen keinen Transport, sondern machen uns nach asiatischer Auffassung, in der untersten Form der Fortbewegung – zu Fuss - auf, zu einem Stadtbummel von der De Tham in die Upmarket-Strasse D Dong Khoi. Auf dem Weg liegt der Benh Thanh Markt, kurz BTM genannt, der grösste Markt der Stadt. Er liegt westlich der Le Loi Strasse und ist ein typisch vietnamesischer Markt mit buntem Angebot und lebendiger Atmosphäre. Auch eine Eatery gibt es. In den vergangenen Jahren hat er eine starke Ausrichtung auf Touristen erfahren, so dass VerkäuferInnen mittlerweile sehr aufdringlich werden können. Handeln ist ein Muss! In der Nähe des Marktes reihen sich in einer Seitenstrasse die Frisör- und Kosmetikläden aneinander. Ein Laden macht mit einem Anschlag We speak English aufmerksam. Das Lokal ist vollständig leer und das Personal hochkonzentriert mit seinen Games auf den Cellularphones beschäftigt. Ich mache der Ladenchefin klar, dass ich meine Rübe gern völlig kahl rasiert haben möchte.

Ein freier Stuhl wird mir zugewiesen und ich nehme mitsamt meinem Tagesrucksack zwischen den Beinen, Platz. Wertsachen gebe ich prinzipiell nie aus der Hand. Das gehört zu meinem langjährigen und bewährten Sicherheitsdispositiv. Ein junger Herr legt mir einen Umhang um und beginnt anschliessend mit der Arbeit. Anbetracht seiner Unsicherheit wage ich zu vermuten, dass es sich um einen Lehrling handeln könnte, der vielleicht erstmals Gelegenheit erhält, seine Künste am Lebendobjekt auszutesten. Meine Vermutung scheint sich zu bestätigen, denn ich höre keine seelenschonende Geräusche und fühle keine zarten Frisörenhände. Der Kerl traktiert mich mit seiner Maschine wie ein Vietcong einen gefangenen GI. Als er mir zunehmend die rotierende Kante in die Kopfhaut drückt, schreie ich laut auf und die Chefin kommt angerast, um nach dem Rechten zu sehen.

In der weiteren Prozedur bemüht sich der Bursche um eine etwas gefühlsvollere Arbeit, doch fehlt es ihm schlichtweg an Talent. Ich brauche keine Ausbildung zum Berufsberater, um zu erkennen, dass er es nie und nimmer zu einem befähigten Frisör und Barbier bringen wird. Den hier in Asien sonst üblichen Standartservice muss ich speziell monieren: das Schneiden der Augenbrauen, des Oberlippenbarts, den Haaren auf und in der Nase, in den Ohren und überall sonst, wo ich sie nicht brauche. Nur da, wo ich sie mir wünsche, nämlich auf dem Kopf, sind sie nicht zu entdecken. Oh Gott, ist das Leben brutal. So ziehe ich es vor, mit kahler Rübe durch den Asphaltdschungel zu wandeln, anstelle der Öffentlichkeit einen grauen Haarkranz zu präsentieren. In Pattaya haben mir auf meinen Stadtwanderungen die Girls von ihren Barhockern über die Beachroad des Öfteren "Hello Papa", zugerufen. So etwas ist von einem auf ewig jung machenden Backpacker wie mir schwer zu ertragen. Ich bin doch überhaupt nicht eitel
J
. Dann lieber Ratzeputz alle Federn und somit auch der Grauton weg.

Während ich tapfer meine Tortur ertrage, nimmt Vielliebchen gleichzeitig eine Maniküre und Pediküre in Anspruch. Ihr ergeht es nicht viel besser; die jungen Gören haben keine Ahnung von Qualitätsarbeit. Meine Angetraute nimmt ihrem Mädchen, Zange und Nagelklipser aus der Hand und legt selber Hand an, bis die Vorgesetzte auch von diesem Dilemma Wind bekommt, das Mädchen wegschickt und die Behandlung persönlich übernimmt. Bei solchen Nichtskönnerinnen hilft auch das mit Stolz an der Wand zur Schau gestellte L'Oreal-Schamponierdiplom nicht weiter. Nach einer halben Stunde knallt meine Finanzverwalterin zähneknirschend und widerwillig zweimal US $ 5.—auf die Ladentheke. Anbetracht der Umstände, verschwenden wir keinen Gedanken an ein Trinkgeld.
Auf gemeinsamen Reisen, ist stets Vielliebchen die Zahlmeisterin. Bis auf einen Notgroschen für das Taxi, sollte ich einmal verloren gehen, trage ich kein Geld auf mir. Ich geniesse es vor allem in der Dritten Welt immer wieder, wenn ich die überraschten Gesichter sehe, wenn meine Begleiterin die Rechnung verlangt.

Mit Garantie auf Rufschädigung und Nimmerwiedersehen machen wir uns über die Le Loi-Strasse auf den weiteren Weg mit Endziel Kathedrale von Notre Dame. Auf unserem Weg in die D Dong Khoi – übersetzt Strasse der Volkserhebung - erreichen wir das Hotel Rex. Majestätisch steht es an der Ecke des Nguyen Boulevards; anmutig, weiss und mit einer Krone auf dem Haupt. Das Rex Hotel nimmt mit seinen 286 Zimmern fast einen ganzen Block in HCMC ein und wirkt im Chaos der vielbefahrenen Hauptstrasse wie ein beruhigender Fels in der Brandung. Das Rex ist noch viel mehr. Es ist ein Symbol für die Veränderungen der Zeit, ein Zeichen für die Geschichte. In über 80 Jahren war das 5-Sterne Hotel immer wieder Mittelpunkt einschlägiger Veränderungen und Vorbote für die zahlreichen Metamorphosen Vietnams. In einer Stadt, die umkämpft, besetzt und letztendlich sogar ihres ursprünglichen Namens beraubt wurde, erwies sich das Rex als unbeugsames Manifest. Dort, wo die besten Mojitos der Stadt gemixt werden, gab es auch in den Wirren des Krieges stets gefüllte Gläser, die nach aufmunternden Trinksprüchen geleert wurden und ein Gefühl der Verbundenheit vermittelten. Berühmt-berüchtigt wurde das Hotel durch die täglichen Pressekonferenzen, mit denen das amerikanische Militär ihr Volk zu beschwichtigen versuchte. Tatsächlich arteten diese Sitzungen jedoch immer mehr zu Märchenstunden aus. Jeden Abend um 17.00 Uhr gaben Offiziere eine penibel manikürte Version der Kriegsgeschehnisse des Tages zum Besten, die so gut wie nichts mit den wirklichen Geschehnissen auf den Schlachtfeldern zu tun hat. Mit Sätzen wie "Wir mussten das Dorf zerstören, um es zu retten", machten sich die militärischen Pressesprecher zum Gespött der Journalisten. Gemütlich schwelgten US-Offiziere in der heimeligen Atmosphäre eines Landes, das sie anderntags mit Brandbomben übersäten. Für Veteranen oder Kriegsberichterstatter haftet dem Dachgarten bis heute eine geradezu mystische Aura aus jenen Tagen an, die bei den regelmässigen Treffen mit einer neuen Schicht Sentimentalität überzogen wird. Mit der Umbenennung der alten Hauptstadt Südvietnams von Saigon auf Ho Chi Minh City, erhält auch das Rex einen neuen Titel: Ben Thanh. Amerikaner und Reporter verschwinden 1975 nach Ende des Vietnamkrieges aus den Räumen, die Besetzung des Hauses nimmt trotzdem kein Ende. Nun quartieren sich die Kommunisten ein und verkünden 1976 aus dem Hotel heraus die Wiedervereinigung Vietnams. Erst 1986 bekommt der herrschaftliche Bau wieder seinen alten Namen, den Luxus und ein kleines Stück Autonomie zurück.

Wenn man von der Le Loi linkerhand in die Nguyen Hue schaut, erblickt man das frühere Rathaus von Saigon, das Hôtel de Ville, ein 1906 im französischen Kolonialstil errichteter üppiger Bau. Leider ist der Eintritt für Touristen untersagt, doch das Gebäude stellt eines der beliebtesten Fotomotive dar, insbesondere mit der Statue von Ho Chí Minh davor. Repräsentierte es einst koloniale Macht, ist es heutzutage Sitz des Volkskommitees von HCMC.
Ein anderer Herr – die gleiche Dame. Wir erreichen die Upmarket-Strasse D Dong Khoi. Hier geben sich Sozialismus, Kolonialismus und Kapitalismus ein tägliches Stelldichein. Während der französischen Kolonialzeit hiess die Flaniermeile Rue Catignat. Dann wurde die Strasse auf D Tu Do umbenannt, wie sie während der GI-Zeit hiess. Während Kriegszeiten war ihr Image angekratzt, als sich hier die Bars und Bordelle für die US-amerikanischen Soldaten ansiedelten. Heute hat sie ihren alten Charme zurück erhalten und fungiert wieder als Shoppingmeile des gehobenen Geschmacks.

Wir schlendern die D Dong Khoi hoch und erreichen nach einer Weile die römisch-katholische Kathedrale Notre Dame; sie wurde zwischen 1877 und 1883 im neoromanischen Stil erbaut und steht auf dem Platz der Pariser Kommune, wo auch eine Statue Marias platziert worden ist. Sie markiert das Zentrum der katholischen Kirche in Südvietnam und gilt als eines der Wahrzeichen der Stadt. Ihre Türme sind 40 Meter hoch und aus Ziegelstein gefertigt. Der Zufall will es, dass eine Doppelhochzeit über die Bühne geht. Ich erwische die Bräute gerade noch vor der Kirche kurz vor dem Abfahren. Schönheit einzufangen ist mir als Hobbyfotografen ein Anliegen und löst in mir etwas aus, berührt mich, wie hier vor der Kathedrale in Saigon. Also wenn ich es recht bedenke, streichle ich meine Kamera sogar noch häufiger als meine FrauJ.

Das Wort Photographie stammt übrigens aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt malen mit Licht. Ob abstrakt oder gegenständlich, immer ist es das Engagement für die Sache, die ein gutes Bild ausmacht. Meine Pinsel, sind seit 1996 digitale Kameras und Objektive der Marke Canon. Früher verdankte ich die kräftige Farbpalette der Marke Nikon und Kodak Ektachrome. Seit 2011 begleitet mich die Canon EOS 5D Mark II auf Reisen. Die machte von Anfang an richtig Spass und wenn ich die Vollformat-Resultate zuhause am Eizo-Breitbildmonitor anschaue, bekomme ich ein Grinsen schwer aus dem Gesicht.

Nicht weit östlich der Kathedrale, steht das vor mehr als einhundert Jahren gebaute Hauptpostamt der Stadt. Es wurde in jüngerer Zeit liebevoll restauriert und stellt eine bedeutende Sehenswürdigkeit dar. Kein geringerer als Gustave Eiffel entwarf dafür die Stahlkonstruktion. Der Mann, welcher den berühmten Eiffelturm für die Weltausstellung 1899 konstruierte, hatte seinerzeit Projekte rund um den Globus. Immer wieder verfolgt mich dieser Name auf meinen Reisen. Da gibt es den Elevador de Santa Justa in Lissabon, den Bahnhof von Maputo in Mozambique, die Basilica de San Sebastian in Manila, das Tragwerk für die Freiheitsstatue in New York, die Busstation in La Paz, die Tramstation in Budapest, und und und. Man sollte nicht versäumen, den Innenbereich der Post zu besichtigen. Die gigantische Schalterhalle erinnert an alte Zeiten und man wähnt sich im kolonialen Indochina. Von hier dürften seinerzeit Plantagenbesitzer und Verwaltungsbeamte mit dem Cyclo in die Bar des Majestic Hotels oder ins Haus der fünfhundert Mädchen nach Cholon gefahren sein. Es mutet nostalgisch an, aber vor drei Jahrzehnten habe ich von hier aus noch Aerogramme und Postkarten nach Hause gesandt. Wer das heute im Zeitalter der virtuellen Post noch tut, gilt in der modernen Gesellschaft als verschrobener, eigenwilliger und ewiggestriger Kerl. Ein alter Vietnamese spricht mich auf Französisch an und wir plaudern ein paar Takte. Er war schon zu Zeiten der Grande Nation da und möchte seine Sprachkenntnisse nicht verlieren. Hier auf der Hauptpost hat er die beste Möglichkeit Gesprächspartner zu finden. Scheinbar hat er die richtige Intuition, auf die gesuchten Leute zuzugehen. Doch er kämpft auf verlorenem Terrain. Englisch ist heute in Vietnam die allesdominierende Fremdsprache. Französisch sprechen nur noch die alten Leute - und diese sterben zunehmend aus.

Es ist elend heiss und wir nehmen in der Nähe der Kathedrale auf einer erhöhten Restaurant-Terrasse Platz und warten geduldig, bis uns das Leben die Szene vorspielt, dich ich auf meine Memorykarte bannen möchte.
Ich fröne der vietnamesischen Kaffeekultur und bestelle mir einen Eiskaffee.
Im Lande wird Kaffee von guter Qualität angebaut, besonders in der Region Buon Ma Thuot im zentralen Hochland. Wer hätte das gedacht: Vietnam ist nach Brasilien der zweitgrösste Kaffee-Exporteur der Welt. Hochwertige Arabica-Sorten sind aber selten. Das starke Aroma wird durch Zugabe von gezuckerter Kondensmilch und der individuellen Zubereitung erreicht, die in ganz Vietnam ein beliebtes Ritual ist. Dazu wird gemahlener Kaffee in einen speziellen Metallfilter gegeben, der auf einer Tasse mit reichlich gezuckerter Kondensmilch aufsitzt. Der Filter wird mit kochendem Wasser übergossen und der Kaffee tropft in die Tasse. Der Kaffee wird vorsichtig mit der Kondensmilch verrührt und daraus resultiert der unglaublich aromatische, mollige, wunderbar süsse Cafe Sua Da. Die meisten Leute bevorzugen ihren Kaffee in einer grossen Tasse bzw. einem Glas mit Eiswürfeln. Es gibt kaum eine bessere Art, bei dieser Hitze, Eiskaffee zu geniessen.

Nach einer Pause schlendern wir auf der D Dong Khoi mit Ziel Saigon-River zurück. Im Schatten einer Häuserfront bietet sich ein interessantes Bild.
Unter einem breiten Reisstrohhut, trägt eine alte Frau eine lange Lastenstange auf der linken Schulter, daran hängen zwei Behälter mit eisgekühlten Kokosnüssen.
Ich kann mich nicht zurückhalten und bitte sie darum, die Last einmal selber auf meinen eigenen Rücken zu laden, mit dem Hintergedanken natürlich, dass Vielliebchen davon ein Erinnerungsphoto schiesst. Doch ich scheitere kläglich, als ich versuche die Last hochzukriegen. Was bin ich für eine Memme. Erst jetzt wird mir dieses enorme Gewicht bewusst, welches die alte Frau täglich herumschleppt. So wird es auch gewesen sein, als in Einzelteile demontierte Geschütze über den Ho-Chi-Minh-Pfad transportiert wurden um den Franzmännern in Dien Bien Phu oder später den GI's, ganz gehörig zu Leibe zu rücken. Ein Drittel der Armeeangehörigen waren übrigens Frauen. Chapeau! Wir kaufen der Frau anständigerweise zwei Nüsse ab, doch die will noch mehr Kröten. Das typisch überdurchschnittlich ausgeprägte, hässliche Geschäftsbewusstsein dieser Mentalität, kommt einmal mehr zum Vorschein. Geld, Geld, Geld. Geldverdienen ist legitim, erlaubt und nicht unmoralisch, aber diese extrem zur Schau gestellte Raffgier ist unserem weissen Wesen fremd. Da gibt es keine Subtilität und keine Zurückhaltung mehr. Wir haben gelernt, mit dieser Begebenheit in bestimmten Ländern umzugehen und laufen einfach lächelnd davon.




























Saigonspaziergang (2)

Auf dem Lam Son-Platz, den man früher als Place Garnier kannte, steht das Hotel Continental mit seiner feinen weissen Fassade – eine altehrwürdige Institution Indochinas. Wie das Oriental in Bangkok, das Raffles in Singapore oder das Strand in Rangoon, gehört es zu den legendären Kolonialherbergen der östlichen Hemisphäre. Auf der berühmten Terrasse sassen Militärs, Kautschuk-Barone, Schriftsteller und Verwaltungsbeamte aus Französisch-Indochina beim Pastis.

Hier logierte der Erfolgsautor Graham Greene im Eckzimmer Nr. 214, als er 1951 seinen Roman Der stille Amerikaner über die Dreiecksgeschichte mit politischem Hintergrund zu schreiben begann. Das Hotel war nicht nur in der Vergangenheit eine der renommiertesten Adressen der Stadt, sondern ist es noch immer. Heute, nach einer umfassenden Renovation, hat die Luxusherberge keine Aussen-Terrasse mehr. Parteifunktionäre haben vor einigen Jahren den Warenverkauf im Aussenbereich verboten: inbegriffen sind dabei auch Essen und Getränke. Trotzdem besitzt das Haus noch seinen historisch klassischen Baustil. Die Zimmer verfügen über Deckenventilatoren, AC und Flachbild-Fernseher. Auch wurden bestimmte Badezimmer-Reliquien in die Neugestaltung übernommen. Die französischen Abkürzungen Froid und Chaud auf den altmodischen Porzellan-Hähnen deuten darauf hin. Ich spüre den Hauch der Geschichte, als ich durch die Eingangshalle wandle.

Auf meinen Reisen lese ich gerne Bücher an Originalschauplätzen. Greens berühmten Roman konsumiere ich zum zweiten Mal.

Als ich durch den Haupteingang auf den Platz heraus trete, macht sich im gegenüber liegenden Saigon Opera House (Ho Chi Minh Municipal Theater) allerlei Lärm und hektisches Treiben bemerkbar. Beim näheren Hinsehen, sichte ich eine Anzahl Mädchen in weissen Kleidchen herumtollen.
Entweder sind sie direkt von der Bühne geflohen oder sie haben vom Regisseur eine Pause zugebilligt erhalten. Vorsichtig bewege ich mich über den Platz mit der schussbereiten Kamera auf sie zu. Sie scheinen nichts gegen eine Fotosession zu haben, verhalten sich aber wie ein Sack voller Flöhe und kreischen ununterbrochen. Jedes Mal wenn ich etwas sage, wird das Gekreische und Gelächter noch lauter. Verstehen tue ich kein Wort. Um keine verwackelten Bilder zu erhalten, muss ich die Verschlusszeit höher schrauben. Dann setze ich mit einem Bracketing ein. Die Girlies haben ein Höllengaudi. Schon nach ein paar Minuten ist der Spuk zu Ende und die Tänzerinnen werden von einer Beauftragten zurück an den Stage geholt. Wieder war mir das Schicksal hold und ich habe einen magischen Moment bildlich eingefangen. Fotos von berührender Ästhetik und jungem Leben sind entstanden. Hätte mich auf einer geführten City-Tour in diesem Moment ein Reiseleiter zum Weitergehen gedrängt, ich wäre alleine zurückgeblieben und hätte ihn zum Teufel gewünscht.

Wir spazieren weiter die D Dong Khoi entlang bis zum Majestic Hotel am Saigon River. Dieses traditionsreiche Haus wurde 1925 erbaut und beherbergte bereits viele Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, wie zum Beispiel den ehemaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterand, die Schauspielerin Catherine Deneuve (Film Indochine) oder den japanischen Prinzen Akishino. Immer wieder müssen wir die hartnäckigen Cyclo-Fahrer abwimmeln, die uns partout zu einem horrenden Preis für eine Stadtrundfahrt zu begeistern versuchen. Sie sprechen kein Wort Englisch, halten uns jedoch Tafeln mit Bildern von Sehenswürdigkeiten unter die Nase. Wir retten uns durch den Verkehr über die Strasse zum Fluss, wohin uns die Coolies mit ihren Fahrzeugen nicht mehr folgen können, aber mit wilden Gesten zur Rückkehr bewegen wollen. Nach einer Verschnaufpause stoppen wir auf der Strasse ein Public-Taxi und lassen uns ins Hotel zurück fahren. Meine Tagalin lagert die Beine hoch und ich tippe den Tagebuchtext ins Netbook und beantworte ein paar eMails.

Als wir wieder auf die Strasse hinaustreten ist es bereits Nacht geworden. Ein Public-Taxi bringt uns in ein ausgewähltes
Edel-Restaurants mit musikalischer Unterhaltung. Das Lokal sieht äusserst ansprechend aus, doch bereits beim Eintreten schlägt uns eine Kältewelle entgegen, schlimmer als in einem klimatisierten Lichtspielhaus in Bangkok. Die AC ist auf asiatische Bedürfnisse eingestellt. Je kälter umso attraktiver. Wir haben keine Lust zähneklappernd beim Dinner zu sitzen und machen den Leuten unmissverständlich klar: "We can't stand the cold in here." Plan B gelangt zur Anwendung und wir lassen uns ins
Restaurant Quan An Ngon im District 1 karren. Es ist nicht weit und nach fünfzehn Minuten sitzen wir bereits am Tisch. Das originelle Lokal bietet eine Wohlfühlatmosphäre in der Essen zum Erlebnis werden muss. Anstelle einer Klimaanlage wird draussen feiner, kühlender Wasserregen versprüht, wie in einer künstlichen Tropenhalle. Wer mal die Masoalahalle in Zürich besuchte, weiss was ich meine.

Ein Kellner bringt das Hotpot-Equippement. Es handelt sich um ein spezielles Rechaud mit heisser Brühe, ähnlich wie man es auch im Schweizerlande vom Fondue her kennt. Der Topf wird mit einem darunterliegenden Brenner mit Paste zum Kochen gebracht. Es gibt die unterschiedlichsten Konstruktionen von Hotpot-Rechauds. Andere Geräte werden mit Holzkohle, Gas oder Elektrisch beheizt. Je nach Hunger, Gusto und Budget, bestellt der Gast seine Zutaten, um sie im Topf zu garen. Die Regel peel it, cook it, or forget it muss hier von empfindlichen Traveller-Mägen nicht beachtet werden. Es handelt sich allerdings nicht um eine ausschliesslich vietnamesische Essensart, denn sie ist in weiten Teilen Asiens verbreitet. Typische Garzutaten sind beispielsweise dünn geschnittenes Fleisch, Blattgemüse, Pilze, Fisch und Meeresfrüchte, die meist mit einer Sauce gegessen werden.

Das vietnamesische Ehepaar am Nebentisch ist uns bei der Bestellung behilflich und empfiehlt uns in Streifen geschnittenes Hundefleisch und eine spezielle Schildkrötenbouillon für den Gartopf. Sicher würden die beiden dafür jede Bernerplatte beiseite stellen. Igitt, mein Magen beugt sich auf wie eine bucklige Katze. Ich habe schon verlockendere kulinarische Empfehlungen erhalten. Doch Hunde zu essen ist keine Frage der Ethik, sondern allein eine Frage der Kultur. Warum soll man so einen Kläffer eigentlich nicht in die Pfanne hauen. In vielen Ländern der Welt werden Hunde gegessen – selbst bei uns auf den Philippinen. Meist werden die Vierbeiner lebend in einen Reissack gesteckt, an einen Ast gehängt und bis zur Panik geprügelt, damit das Blut optimal zirkuliert. Dadurch verspricht man sich eine bessere Fleischqualität. Nach der Quälerei wird dem lebenden Tier die Kehle aufgeschnitten und es wird zerlegt. Da uns kein elftes Gebot bekannt ist, du musst in Vietnam Hundefleisch essen, entscheiden wir uns für konventionellere Zutaten wie assortiertes Gemüse, Pilze, Tofu und Meeresfrüchte, Huhn und Schweinefleisch. Auch das erfreut das Herz und befeuert die Sinne. Genau das richtige Menu für einen Gewichtsbenachteiligten wie mich. Es dauert reichlich lange, bis die vorgewärmte Brühe richtig zu kochen beginn. Der Kellner ist uns beim Handling behilflich und erklärt das Prozedere. Der Trick dabei ist, die korrekte Reihenfolge der Zutaten und das Timing beim Garen zu wählen. Hier ist Essen keine reine Beseitigung von Hunger, sondern ein Ritual mit Genuss. Trotzdem werde ich ungeduldig, denn ich habe echten Kohldampf. Es dauert immer ein paar Minuten, bis der Nachschub im Topf gar ist. Doch mit der Zeit hat man den Dreh raus und kommt damit klar. Wir beenden den Abend mit gesättigtem Bauch und der Gewissheit, einem Hund das Leben erhalten zu haben.
Pitcairn




















 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
        #2  

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Das National-Museum fand ich auch sehr interessant , auch bzgl. Fotos machen ..und den botanischen Garten ....ist ein Besuch wert , ...
 
        #3  

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Dali
mon ami,
un excellent rapport de voyage historique sur le vieux Saigon, tout simplement génial, merci!
kloon
 
        #4  

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Muss man so einen Uralt Fred wieder hevor holen, noch dazu das der TE ein Ex ist...?

@Moderatoren-Team ist mir schon ein paar mal jetzt aufgefallen z. B. in einem Shovel Fred der vor x Jahren erstellt wurde, oder "Kostenlose Zigaretten" nur damit die "Kartei Schlaefer" sich reaktivieren? Das solltet Ihr vielleicht nochmal ueberdenken....
Evtl. auf die Historie des Members schauen, hat er sich frueher mehr eingebracht? Berichte geschrieben? Und jetzt wieder mehr aktiv?
Oder war er schon immer eher ein "Einzeiler"?
 
Zuletzt bearbeitet:
        #5  

Member

Member hat gesagt:
Muss man so einen Uralt Fred wieder hevor holen, noch dazu das der TE ein Ex ist...? ....

Nein, muss man bestimmt nicht.

Aber der Bericht von @Dali ist für mich lesenswert, nicht zuletzt deswegen, weil er die deutsche Sprache "unfallfrei" zu benutzen versteht.

Ich schließe mich @kloon an und sage Merci.
 
        #6  

Member

Member hat gesagt:
Evtl. auf die Historie des Members schauen, hat er sich frueher mehr eingebracht? Berichte geschrieben? Und jetzt wieder mehr aktiv?
Oder war er schon immer eher ein "Einzeiler"?
Ich meine, dass hätten die Mods aber so auch erklärt. Reaktivierung-Posts werden qualitativ bewertet. Wenn dadurch ein paar Schätze nach oben kommen ist es gerade aktuell für das TAF vielleicht ja auch ganz gut. Ich glaube es gibt mehr Member denen nerven die Dauerposter mehr als wenn mal einer nach 5 Jahren Piep sagt.

Member hat gesagt:
Aber der Bericht von @Dali ist für mich lesenswert, nicht zuletzt deswegen, weil er die deutsche Sprache "unfallfrei" zu benutzen versteht.

Ob die Berichte von Pitcairn ein wirklicher Schatz sind muss jeder für sich bewerten. Er hatte früher einen eigenen Berichteteil im TAF und irgendwann ist dann rausgekommen, dass die ganzen Fotos in einem Bericht zusammengeklaut waren. Der Verdacht lag dann nah, dass er auch alle anderen Berichte erfunden hatte. Was da sonst noch an Beweisen vorkam weiß ich nicht. Generell scheint es einige Leser ja auch nicht zu stören ob die Inhalte wahr oder erfunden sind. Gab ja vor ein paar Wochen (Namen schon vergessen) ein Member der wohl viel Spaß am Schreiben und Erfinden hatte und angeblich 10 Jahre alte Reisen zu detailgetreuen Werken veredelte. Will damit auch nichts bewerten und weiß nicht ob Pitcairn teilweise unrecht getan wurde, sondern soll eher ein Hinweis für den Leser sein.
 
        #7  

Member

Pitcairn? Ah. Der Schreibstil kam mir auch irgendwie bekannt vor. Anyway. Wenn ein Bericht gut geschrieben ist, bin ich, was Authentizität und Wahrheit angeht, nicht so pingelig.

An die Berichte dieses "10-Jahres-Members", dessen Name mir ebenfalls entfallen ist, kann ich mich noch gut erinnern. Ein brilliantes Erinnerungsvermögen mit nie nachlassender Performance feierten da ein fröhliches Stelldichein.
 
        #8  

Member

Wie gesagt ein super und informativer Beitrag von Dali !!!!

Also , wer sich für Französisch-Saigon interressiert ,
mal die Nase in den Büchern von Graham Green,Scholl-Latour oder Peter Arnett gesteckt hat ,
selbst mal die ehemalige Rue Catinat entlang gelascht ist und im legendären Continentel Hotel logiert
hat,der hat ein Kopfkino und kann mit dem Beitrag von EX 12587 etwas anfangen!

Klar, alles im Leben ist Geschmacksache,der eine interessiert sich für Micky Maus, der andere für historische Informationen.

Der Beitrag vom EX 12587 hat mit Geschichte zu tun und die ist ja bekanntlich zeitlos, bestimmt nicht nur für mich allein.

Da ist es nur gut, dass man ,,alte Beiträge,, zur Erinnerung bringen kann,für Leute mit Interesse .
AlIe nicht interessierten Leser empfehle ich alle Tolerranz aufzubringen und auf ein anderes Thema auszuweichen.

Noch eins, an alle ,,selbsternannten Forumswächter,, Geschichte hat mit Bildung zu tun,, jezt aber bitte keine
Schnappatmung !

Gruss Kloon
 
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