Pitcairns Reise 2012 - Teil 32 - Vietnam: Saigon Traffic / War Remnents / Cholon

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Saigon Traffic
Ich wünsche mir sehnlichst einen US-Kampfpanzer M1 A2. Natürlich nicht wie du denkt, um die Kommunisten hier in die Steinzeit zurückzubomben, wie es damals "Iron Ass" SAC-General Curtis LeMay zu sagen pflegte, sondern einzig und allein darum, um mich hier im städtischen Strassenverkehr durchzusetzen. Hier gilt ausgeprägt, wie selten in einem anderen Land der Dritten Welt, das Recht des Stärkeren. Die schwächsten Verkehrsteilnehmenden müssen vor den stärkeren kuschen. Hier kann es sich nicht wie in Europa, eine sozialromantische Grüngurke ohne Führerprüfung erlauben, ihr gesetzlich verbrieftes Vortrittsrecht durchzusetzen und ihren Stinkfuss demonstrativ, ohne weitere Beachtung des Strassenverkehrs auf einen der seltenen Zebrastreifen zusetzen, wie sie es zuhause gewohnt ist. Tut es die politisch Fehlorientierte dennoch, wird sie flachgewalzt wie eine Bambusratte.

Fussgänger haben hierzulande keine Rechte, sondern können nur versuchen, durch Taktik und Flinkheit ihre Destination zu erreichen. Die Überquerung einer stark befahrenen Strasse wird hier zum Erlebnis der Sonderklasse. Es gibt in der Stadt drei Regeln um unversehrt eine Fahrbahn zu traversieren: Regel Nr. 1: Versuche es am besten erst gar nicht und rufe ein Taxi! Regel Nr. 2: Als ungeschützter Fussgänger wartest du hierzulande auf eine weniger intensive Verkehrsphase und begibst dich dann tastend und wie man es vom Schwangerschaftsturnen her kennt, mit markantem Armkreisen auf die Fahrbahn und machst auf dich aufmerksam. Farbige Kleidung kann dich bei deinem Vorhaben flankierend unterstützen. Dabei schaust du den entgegenkommenden Scooter-Invasionen vorwurfsvoll und demonstrativ in die Gucker und arbeitet dich langsam im Slalom zur Strassenmitte vor. Vielleicht gibt es dort eine rettende Insel oder einen Grünstreifen. Die Scooter werden versuchen, dir als Fussgänger wie im Windkanal auszuweichen, nie aber abzubremsen oder anzuhalten. Bist du auf einem Zebrastreifen, geben sie absichtlich noch mehr Gas. Als Willensperson, setzt du deinen Weg demonstrativ und unbeirrt über die Hauptstrasse fort. Herannahende Geisterfahrer, PW-Rambos die ihr Glück auf der Gegenfahrbahn versuchen, Aufholjäger Stossstange an Stossstange, Endlos-Huper, beleuchtungsfreie Sattelschlepper, Lastwagen, Busse, Scooters – es nimmt kein Ende. Jeder kennt hier nur eine einzige Regel: in allerletzter Sekunde auszuweichen. Deine aufgesetzte Stoneface-Miene ist demonstrativ, ja geradezu provokativ, wie wenn du bereit wärst, jedem dir zu nahe kommenden Verkehrsraser eins auf die Omme zu laffeln. Das macht Eindruck. Beim Überqueren im Gruppenverband bist du stärker. Vielleicht hast du Glück und kannst dich einer Gruppe Pauschaltouristen anschliessen, die vom Reiseleiter über die Strasse geführt wird. Das wäre dann die advanced Version. Schlussendlich hier noch die Regel Nr. 3: Bete!


Scooter sind das ultimative Fortbewegungsmittel in HCMC; sie bewegen sich wie Ameisen durch die Strassen. In den frühen Morgenstunden sitzt meist nur eine Person auf dem Roller. Nach Feierabend sind es meist zwei oder sogar mehrköpfige Familien. Im Extremfall habe ich eine Treppe von bis zu 5 feingliedrigen Vietnamesen auf einem Roller gesehen. Junge Mittelstands-Kids umkreisen in einem nicht enden wollenden Corso bis Mitternacht lachend die Stadt und sehen nicht aus, als würden sie allein von ausreichend Reis glücklich werden. Verkehrsregeln werden nicht beachtet, Ampeln genauso wenig.

Öffentliche Verkehrsmittel sind für die Einwohnerschaft Saigons mehrheitlich keine Alternative zu den Motorrollern. Das Bussystem gilt als unzureichend und die erste geplante Subway soll nicht vor 2018 rollen. Autos können nirgendwo parkieren und deshalb sind die kostengünstigen Roller allgegenwärtig. Der absolute Verkehrskollaps wäre programmiert, wenn jeder hier ein Auto fahren würde. HCMC zählt 8 Millionen Einwohner und 6 Millionen zugelassene Motorräder, die in der Landessprache einfach Honda genannt werden. Hier wurde ein Markenname zum Allgemeinbegriff, ähnlich wie in der Schweiz Frigo für Kühlschrank oder auf den Philippinen Colgate für Zahnpasta. Fussgänger-Überführungen wie man sie zum Beispiel von Bangkok her kennt, sind hier inexistent. Als ahnungsloser Besucher bist du spätestens dann damit tangiert, wenn eine Armada von 200 Scootern auf dich zurast. Sei es göttliche Fügung oder kollektives Augenmass – Unfälle im Strassenverkehr passieren in HCMC auch nicht häufiger als in anderen asiatischen Metropolen. Selbst wenn von frühmorgens bis spät in die Nacht ein nicht enden wollender Strom von Zweirädern mit mindestens 60 Stundenkilometern um schutzlose Fussgänger herumsaust.


HCMC - War Remnents Museum
Ein neuer Tag bricht an, neue Eindrücke warten auf uns. Der Taxifahrer ist ein begnadeter Schwindler, wie jeder in seiner Berufssparte, der sofort behauptet, dass er sich auskenne als ich ihm den Zettel von der Hotelreception unter die Nase halte. Nichts von alledem, gar nichts hat er verstanden, wohin wir möchten. Mit dem Stadtplan auf den Knien merke ich bald, dass wir in die falsche Richtung fahren. Anbetracht der geschätzten Distanz, müssten wir längst am Ziel sein. Ich tippe ihm auf die Schulter und versuche ihm erneut begreiflich zu machen, wohin wir wollen. Bald merke ich, dass der Bursche gar nicht richtig lesen kann; den Zettel hält er verkehrtrum in der Hand. Leider ist kein Bild im Reisehandbuch und der iPod im Hotel. Ich übernehme das Kommando und lotse das Taxi mit Handzeichen in die Nähe des Bestimmungsorts. Wegen der vielen Einbahnstrassen ist eine Direttissima nicht möglich. Natürlich ist der Taxameter nach der Irrfahrt doppelt so hoch, doch ich habe heute keinen Bock zu streiten und Vielliebchen zahlt den angezeigten Betrag.

Im Kriegs-Relikte- Museum (War Remnents Museum / Nha Trung Bay Toi Ac Chien Tranh)informieren wir uns über den letzten Krieg aus Sicht der Nordvietnamesen. Was viele nicht wissen: Bei uns im Westen wird der beendete Konflikt als Vietnamkrieg, hier im Lande jedoch als Amerikanischer Krieg bezeichnet. Natürlich kommen die US-Amerikaner und die ehemalige Südvietnamesische Armee im Museum schlecht weg. Von Ausgewogenheit keine Spur. Das ist einmal mehr nicht fair. Doch Demokrat Barak Obama hat andere Sorgen, als deswegen in der Uno eine Diskussion vom Zaun zu reissen. Da braucht es schon einen Republikaner, um die Ehre der Nation wieder herzustellen. Die ausgestellten Fotos sind nichts für Leute mit schwachem Magen; Geburtsmissbildungen von Agent Orange-Verseuchten, Napalm-Opfer, Gefolterte, von Panzern zu Tode Geschleifte, von Tretminen Zerfetzte, das Massaker von Mi Lay etc., ein richtiges Gruselkabinett. Genauso müsste man auch die Schandtaten des VC und der NVA anprangern: Hue und Dak Son, um nur die zwei grössten zu nennen. Im Outdoorbereich stehen erbeutete amerikanische Hubschrauber, Panzer und Kampfjets und in einem Nachbau gibt es sogar einige Folterzellen zu besichtigen. Das passt alles wunderbar zusammen. Wie bei allen Besichtigungen, lohnt sich hier ganz besonders eine gute Vorbereitung, um die erhaltenen Informationen skeptisch und objektiv beurteilen zu können.

HCMC - Cholon
Wie Clint Eastwood im Streifen High Plains Drifter habe ich das schwere schussbereite Ding umgehängt und schlendere durch die Strassen von Cholon und beobachte das Tun der Leute.
An meiner Seite hängt allerdings kein Colt, sondern meine schwere Kamera. Exotische Gerüchte und Düfte ziehen an unseren Nasen vorbei und aus den Pagodenanlagen qualmt Opferrauch. Einfachste Verpflegungsmöglichkeiten gibt es überall: Frauen mit mobilen Garküchen an den Schulterstangen, Fahrräder mit einem Topf frittierter Bananen auf dem Gepäckträger, improvisierte Essstätten mit zwei, drei Kunststoffstühlen, die im Westen eher für einen Kinderhort zum Einsatz kämen. Das in Asien verbreitete Prinzip der Themenstrasse – siehe Hanoi oder die Volksrepublik China – hat man hier perfektioniert. Das Chinesenviertel weist die meisten geschäftlichen Aktivitäten von HCMC auf. Viele davon werden im Binh Tay Markt abgewickelt, dem authentischen und im Angebot absolut vielfältigen Gegenstück zum Zentralmarkt Ben Thanh im District 1.

Die Quan-Am-Pagode ist eine der Hauptsehenswürdigkeiten. Der Ort ist ständig von frommen Pilgern bevölkert, die hier ihre unzähligen Götter verehren. Die Atmosphäre ist speziell, insbesondere im hinter der Pagode liegenden Hof. Besuchenswert ist auch der Thien-Hau-Tempel. Er wird vor allem von einheimischen Frauen aufgesucht, die Me Sanh, der Göttin der Fruchtbarkeit, und Long Mau, der Göttin der Mütter und Neugeborenen, ihre Opfergaben darbringen.

Cholon stellt das Chinatown von HCMC dar. Einst eine eigenständige Stadt, ist die Gegend seit den Fünfzigerjahren längst mit dem übrigen Saigon zusammengewachsen. Cholon heisst übersetzt Grosser Markt und fungiert als eigener Stadtteil und fünfter Bezirk Saigons, der die höchste Dichte an chinesischer Besiedlung aufweist. Die Vorfahren der Bewohner sind aus verschiedenen Regionen Südchinas nach Vietnam eingewandert und haben ihre Dialekte und Sitten behalten. Die eingewanderten Chinesen taten sich rasch nach ihren Herkunftsprovinzen zusammen und konzentrierten sich auf bestimmte Tätigkeiten, was besonderen Erfolg versprach: Beispielsweise handelten Leute aus Fujian mit Reis, jene aus Taiyan mit Fisch und Tee, die Kantonesen mit Lebensmitteln.

Um 1900 bis weit in die Fünfzigerjahre war Cholon ein verruchtes Vergnügungsviertel, wo der Konsum von Opium nur eines der angebotenen Vergnügen war. Zahlreiche Bordelle waren hier angesiedelt und Fremdenlegionäre begaben sich nach Ankunft von der zweimonatigen Überfahrt von Frankreich oft gleich direkt hierher. Auch der britische Schriftsteller Graham Greene war unter den Besuchern. Seine Romanfigur Pyle, hat hier in diesem District den Tod gefunden. Die verstopften Strassen waren seinerzeit auch ein ideales Versteck für die Vietminh und später die NLF, was Cholon für Franzosen und später für Amerikaner gefährlich machte.

Nach der Wiedervereinigung mit Nordvietnam 1975 und während des Konflikts mit der Volksrepublik China 1979, entvölkerte sich dieser Stadtteil und verfolgte Leute versuchten im Land des einstigen Agressors und anderen westlichen Ländern Zuflucht zu finden; vietnamesische Chinesen machten einen grossen Anteil der Boat People aus. Oft verliessen sie Hals über Kopf Cholon, flüchteten in teilweise seeuntüchtigen Booten, mussten Immobilien und Geschäfte zurücklassen. Ihr Geld hatten sie nicht in Wertpapieren, sondern in physischem Gold angelegt, das sie in Koffern mitschleppten. Viele strandeten auf der Insel Palawan, dem westlichsten Ausläufer der Philippinen. Diese ist von Nahtrang auf kürzester Distanz nur 1050 Km entfernt. Nach einer Warteperiode wurden sie von dort auf andere Länder verteilt.

Es folgte ein Jahrzehnt des Niederganges, der erst mit der Zeit der Erneuerungspolitik Doi Moi aufgefangen wurde. Erst Jahrzehnte danach, kehrten die Chinesen, nun mit neuer Nationalität, als Investoren zurück. Die Zeit als Cholon ein gefährliches und prekäres Pflaster war, gehört der Vergangenheit an.

Der Nachmittag ist fortgeschritten. Bald wird die grosse Rushhour über Saigon hereinbrechen. Wir fahren mit dem Taxi in die De Tham zurück um uns zu retablieren und für das Nachtessen vorzubereiten.

Wir sind müde und wollen heute nicht mehr aus dem Quartier hinaus. In einer nahegelegenen Gaststätte in der nächsten Parallelstrasse, finden wir noch zwei Plätze draussen. Unsere Präsenz ruft einen Buben mit einem grossen Stapel Bücher auf den Plan, die er über die Strasse zu uns herüber balanciert. Im Nu steht er da und beginnt, seine Piratenliteratur auf dem Tisch auszubreiten. Ich denke, mit einer Notlüge den Burschen übertölpeln zu können: "We no spick Englisch, only German". "No problem at all, mister, I got german books", konterte der Bengel und rennt von Dannen. Ich kaue noch immer an meinem gebratenem Fisch herum, als er mir schon nach weniger als fünf Minuten eine Auswahl Bücher in Teutonisch auf den Tisch legt. Wow! Nun bin ich an meiner eigenen Taktik gescheitert, komme nicht ungeschoren davon und muss ihm zähneknirschend zumindest einen raubkopierten Schunken abnehmen. Der Knabe hat mich in seinen Fängen. "Best prices, come on! Get one or two!“ Der Habenichts weiss, dass die Reichen weiss aussehen. Er reibt sich seinen flachen Bauch und versucht meine Schuldgefühle zu kneten. Wir sitzen vor unseren halbvollen Tellern. Sein Grinsen über das ganze Gesicht ist nicht nur professionell, sondern bewegte auch mein sonst gestähltes Travellerherz. Doch mein Stolz muss wieder hergestellt werden und ich will um jeden Preis eine Win-Win-Situation. So wechselt Der Liebhaber den Besitzer, aber nicht ohne, das ich vorher den Preis von US $ 8 auf US $ 3 auf einigermassen vietnamesisches Niveau heruntergedrückt habe und dem jungen Schlitzohr sein Grinsen aus dem Gesicht gewichen ist. Beim Feilschen gehe ich nicht gerade über Leichen, zumindest aber über Verletzte. Pitcairn




























 
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