Reise nach Lakshmipur

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Pitcairn auf seiner ungewöhnlichen Individualreise quer durch Bangladesch.

Von Mongla fährt uns ein Microvan nach Barisal ins Hotel Ali. Einmal mehr müssen wir über einen grossen Strom einschiffen.
Wer eine Fähre benutzt, muss viel Zeit einrechnen. Es dauert eine ganze Stunde bis wir an die Reihe kommen. Als die Fähre andockt, versuchen alle Fahrzeuge im gleichen Moment von der schwimmenden Plattform wegzukommen. Überladene Busse, Trucks, Microvans und PKW's erkämpfen sich Stossstange an Stossstange den Weg an Land. Im gleichen Augenblick drängen alle wartenden Fahrzeuge seitlich auf die Fähre zu. Das Timing stimmt bestens und die einfahrenden Fahrzeuge finden sich kurz darauf mit den ausfahrenden auf der sandigen Rampe ineinander verkeilt.
Je nach Wasserstand ist die Rampe mehr oder weniger steil. Viele Trucks kommen ohne Schwung wegen Untermotorisierung von der schaukelnden Unterlage nicht mehr weg. Die Fahrt führt an Deichen, Wasser und Plantagen vorbei. Die Vegetation ist grün und erinnert an klassische Bilder aus Südostasien, nur mit dem Unterschied, dass die Leute hier völlig anders angezogen sind. Kein bisschen Haut, Männer tragen Lunghis oder lange Hosen, die Frauen alle ein Kopftuch, einzelne sogar eine Burka. Das Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmenden ist sehr gewöhnungsbedürftig. Damit bei schnellen Geschwindigkeiten ein enges Kreuzen möglich ist, montieren viele Fahrer die Aussenspiegel nach innen. Wir erreichen Barisal um 18.00 Uhr und checken im Hotel Ali's ein. Die Unterkunft ist für meine Ansprüche ganz brauchbar, aber leider nicht für alle. Das versprochene Moskitonetz ist nicht aufzufinden und ich muss bei der Lobby monieren. Der unfreundliche Helfer knallt mir alles auf Bett, doch ich habe bessere Nerven als die meisten Leute, muss nicht sofort kontern und reagiere diplomatisch. Diese Verhaltenweise hat mir im Leben nur Vorteile gebracht. Ich bitte ihn speziell und freundlich darum, das Ding auch auf dem Holzgerüst zu montieren. Ich habe keine Lust, mich zu später Stunde nach dem Nachtessen noch darum zu kümmern. Mit grösstem Widerwillen macht er seinen Job - ich bedanke mich und bleibe freundlich. Was jetzt noch fehlt ist ein Leinentuch zum Zudecken. Nachdem ich ihn auch darum mehrere Male aufgefordert habe, bringt er mir endlich nach dem Duschen das verlangte Ding. Na also, jetzt habe ich bekommen was ich wollte und der arme Kerl hat sich selber qualifiziert. Natürlich weiss er, dass sein Verhalten nicht korrekt war, doch wir sprechen nicht darüber. Es ist nicht nötig ihn wissen zu lassen, dass er soeben sein Gesicht verloren hat. Mit einem Siegerlächeln schreite ich dem Nachtessen entgegen.

In Barisal bringen uns zwei CNG's mit dem Gepäck morgens um 5.30 Uhr zum naheliegenden Riverport. Auf den Strassen der Provinzmetropole ist es noch ruhig. All die Gestrandeten, Bettler, Verkrüppelten und Verstümmelten liegen noch in ihrem Zuhause im Strassengraben. Streunende Hunde erheben sich aus der Gosse und suchen in den Abfallhaufen nach etwas Fressbarem. Hier muss man nicht nur wie sonst in anderen Ländern üblich, zwischen arm und reich unterscheiden, es kommt noch eine dritte Kategorie, extrem arm, hinzu. Wenn schon ein Ladenbesitzer lediglich hundert Taka am Tag zur Verfügung hat, um seine siebenköpfige Familie zu ernähren, wird dir schlagartig bewusst, wie schlecht es den extrem Armen gehen muss, die nicht in der Lage sind, regelmässig genug Geld zu verdienen, um ihren Hunger zu stillen.
Der Tag ist noch zu jung und wir bleiben ausnahmsweise einmal unbehelligt von Zurufen und Bittstellern. Am Ferry Ghat präsentiert sich das pralle, pulsierende Leben, als wäre es bereits Mittag. Menschen strömen durch den Haupteingang den Schiffen zu und es bildet sich ein erster kleiner Stau. Unentwegt folgen neue Träger und drängen mit ihren Waren zu den vertäuten Schiffen. Man kennt die Leute und sie werden ohne Kontrolle durchgewunken. Der Kontrolleur am Eingangsgate, kann nicht alle Passagiere auf einmal abfertigen, die ihm eine Fahrkarte zustecken. Drinnen suchen schaffenswillige Porter nach Aufträgen und in den Garküchen brutzeln Chapatis und Samosas im heissen Öl zur Frühverpflegung der Reisenden. Meinen Reiserucksack übergebe ich ungern einem kleinen Männchen, der mir die Last unbedingt abnehmen will und unter dem Madden beinahe verschwindet. Vermutungsweise ist sein Körpergewicht nur doppelt so schwer wie mein Gepäck. Ich nenne ihm die Enddestination Lakshmipur, er nickt und buckelt los wie ein Roboter zur vertäuten LCT Kajal. Der schrottreife Kahn gehört der Bangladesh Inland Water Transport Corporation (BIWTC), die unzählige Schiffe auf den Wasserwegen von Bangla auf die Reise schickt. Ungefragt bringt er meinen Rucksack ins Oberdeck in die Erste Klasse. Scheinbar ist es selbstverständlich, dass ein Effendi immer in der Ersten Klasse reist. Ich traue meinen Augen nicht; der Standort käme bei uns im Westen nicht einmal als 4. Klasse durch. Die Sitze sind abgenutzt, verdreckt und die aufgerissene Polsterung sieht aus wie die unrasierte Vulva einer 70jährigen Prostituierten. Niemand hierzulande würde auch nur einen Moment daran denken, etwas zu reinigen oder zu reparieren. Ein Land, das Leute wie Ameisen transportiert, hält sich nicht mit solchen Details auf. Mir wird schlecht, dass ich vorher überhaupt daran dachte, eine Fahrkarte für die Economy-Klasse zu kaufen. Früher war ich in der Tat auf dem gesamten Globus prinzipiell nur in der 3. Klasse unterwegs und verdanke dem einfachen Reisen mit dem Volk viele gute Kontakte, Erlebnisse und natürlich viele, viele Storys, die in meinem Job als ??? auch guten Cash bedeuteten.
Die Sitzreihen der 1. Klasse sind alle Mittschiffs angeordnet, dann folgt eine Lounge die sich direkt unter der Brücke befindet. Hier nehmen wir Platz und deponieren unser Gepäck in Sichtweite. Einen Buben aus der Bordcombüse beauftrage ich mit der Frühstückbestellung, ein mitreisender Geschäftsmann hilft freundlicherweise bei der Übersetzung. Ein weiterer Vorteil in der 1. Klasse ist, dass die Leute etwas gebildeter sind; sie sprechen ein wenig Englisch und können mit uns rudimentär kommunizieren. Nach einer halben Stunde kommt das Essen: Tee, Kaffee, Rühreier zwischen zwei Toastscheiben; gar nicht schlecht, das hat geklappt!
Über der Frontdeck-Glasscheibe schwebt das Schwert Damokles: ein gigantischer 51 Zoll-Flachbildschirm und ich ahne Böses, will aber nicht auf Vorrat jammern und heulen, sonst ernte ich Kritik von Tofu-Schämpu. Dann ist es soweit; in das Schiff kommt Bewegung. Die Ankertrossen werden von den Pollern gelöst, wir verlassen den Hafen und nehmen langsam Fahrt auf. Ich bin gerade in meine Tagebuchnotizen vertieft, als ein Schiffsteward in zerlumpten Kleidern den TV einschaltet, eine DVD in den Recorder schiebt und den Sound aufdreht, dass sich die Wanten biegen. Beabsichtigt ist, dass auch die hintersten Sitzreihen der 1. Klasse mitbekommen können, was vorne aus den einzigen Lautsprechern dröhnt. Sofort kommt Leben in unsere Reisegruppe und wir machen dem Knaben unmissverständlich klar, dass Solches keinesfalls angehen kann und wir nicht gewillt sind, dieses Martyrium während Stunden auf der gesamten Reise zu ertragen. Die Einheimischen in der Nähe sind sich möglicherweise solchen Lärm gewohnt und verziehen keine Miene. Meine Menschenkenntnis lässt mich ahnen, dass ein diplomatisches Vorgehen in diesem Einzelfall nicht von Erfolg gekrönt sein wird. Als ich aufstehe und mich vor dem Diener zwei Köpfe höher aufbaue, lässt er sich von mir überzeugen und stellt etwas leiser, aber der Ton bleibt immer noch derart laut, dass es in unseren Ohren dröhnt. Ich fordere ihn demonstrativ auf, diese elende Kiste gleich abzustellen, was er nicht befolgt. Zumindest fährt er den Ton derart zurück, dass alle praktisch nur noch Bilder schauen können.
Dass die Welt in wenigen Tagen, den von den Vereinigten Nationen ausgerufenen Welttoiletten-Tag zelebrieren wird, weiss hier auf diesem Seelenverkäufer niemand. Für die ganze Erste Klasse gibt es auf dem Hinterdeck ein einziges zentrales Vintage-Trittklo der Marke Cloaca-Maxima für Frauen und Männer. Ein Tritt, ein Loch und eine Türe, die nicht verschlossen werden kann. Ich eskortiere Balance-Glucke, um für ihre notwendige Sicherheit und Diskretion zu sorgen. Andernfalls würde ich diesen neugierigen und verklemmten Bangladeschis mühelos zutrauen, Touristen selbst beim Kacken mit dem Smartphone abzulichten und die Bilder dann aufs Internet zu stellen. Die Bengalen sind nicht nur passionierte Bescheisser, sondern zu allem hin alle auch extrem neugierig. Unsere 4 ½ stündige Reise führt bei ruhiger See vom Ausgangshafen Barisal über die Wasserstrasse nach Mehindi Gonj, Bhola und weiter bis zum Ferry Terminal von Lakshmipur.

Pitcairn, seit 40 Jahren auf der endlosen Reise.

Pitcairn hat mit seinem vierköpfigen Reiseteam Bangladesch in den Monaten Oktober - Dezember 2014 individuell bereist. Der Bericht ist ein Auszug aus der über zweihundertseitigen Globalversion Ein Land im fortgeschrittenen Zerfall. Die Publikation im Forum wird in den kommenden Monaten erfolgen.









 
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