Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Nele-Imke bereits weg. Natürlich hatte sie mich weder geweckt, noch eine Nachricht hinterlassen. Das wunderte mich nicht. Schließlich war ja Tag eins der Bewährungsphase. Vermutlich sollte ich mir Gedanken, Sorgen oder was auch immer machen.
Etwa die gleiche Wirkung sollten vermutlich die leeren Bierdosen und Fläschchen haben, die Nele-Imke wie eine stummes, anklagendes Mahnmal ordentlich auf meinem Nachttisch aufgereiht hatte, statt sie im Papierkorb zu entsorgen.
Zum ersten Mal funktionierte das jedoch nicht. Ich hatte andere Sorgen und war eher froh darüber etwas Ruhe zu haben, um mich mental auf meinen Gang nach Canossa vorzubereiten.
Viel schlauer war ich in Bezug auf die Sache mit Noi allerdings noch nicht.
Fest stand nur, dass ich noch einmal in den Massagesalon musste. Nicht nur, um die Massage zu bezahlen, sondern auch und vor allem, um Noi um Verzeihung zu bitten und die Sache zu klären.
Ich hatte keine Ahnung was mich dort erwarten würde.
Hatte Noi mich vielleicht angezeigt und man suchte schon nach mir? Klapperte die Polizei vielleicht gerade die Hotels mit einem Phantombild auf der Suche nach dem "German Rapist" ab? Vielleicht lief ich ihnen aber im Massagesalon auch direkt in die Arme. Was, wenn ich verhaftet würde? Was hatte ich als Vergewaltiger zu erwarten? Die Gefängnisse sind in Thailand bestimmt die Hölle. Wie lange müsste ich da wohl überstehen, bis die Botschaft meine Abschiebung erwirkte und mich nach Deutschland überstellte? Sechs Monate? Vielleicht ein Jahr? Das würde hart werden, aber das würde ich schaffen. In Deutschland würde ich das ganze austherapieren und wäre nach weiteren ein bis zwei Jahren wieder gesund, resozialisiert und frei.
Toll waren diese Aussichten nicht, aber wenn ich Noi missbraucht oder genötigt hatte, war ich auch nicht unschuldig. Krank oder nicht, Strafe musste schließlich sein.
Wieder zwang ich mich dazu, mich auf die angenehmere Variante zu konzentrieren. Verführer und Betrüger ist definitiv besser als Vergewaltiger. Das hatte ich bereits entschieden. Ob es aber wirklich die angenehmere Variante war, bezweifelte ich, je mehr ich darüber nachdachte.
Was sollte ich sagen, wenn ich Noi gegenüberstand? Ich hatte keine Ahnung.
Sollte ich mich entschuldigen? Und wenn ja, wofür? Sollte ich ihr sagen, dass es mir leid täte ihr den Kopf verdreht zu haben? Tat es das denn überhaupt? Und was hatte ich denn überhaupt konkret getan, dass sie veranlasst hatte, meinen Penis zu lutschen? Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung. Wie sollte ich mich für etwas entschuldigen, was ich nicht wusste?
"Wie wäre es damit, dass du dem netten Mädchen in den Mund ejakuliert hast?" mahnte mich eine Stimme in meinem Kopf. Das war nicht wegzudiskutieren. Egal, was es mit dem Ganzen auf sich hatte, das war etwas, wofür ich mich in jedem Falle entschuldigen musste. Selbst wenn die absurde Idee, dass Noi sich unsterblich in mich verliebt hatte und sich deshalb vor mir wegen irgendwelcher abstrusen Traditionen erniedrigte, hatte sie sicher nicht gewollt, dass ich noch einen drauf setzte.
Aber wie entschuldigt man sich für so was? Ist das überhaupt zu entschuldigen? "Tut mir sehr leid in ihren Mund gespritzt zu haben" war sicher noch nicht ganz das Richtige. Daran musste ich noch feilen.
Insgeheim betete ich auf dem Weg zum Massagesalon, dass Noi frei haben und ich einfach nur zahlen und wieder verschwinden könnte.
Aber natürlich saß Noi vor dem Laden und sah mich schon von Weitem. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht realisiert hatte, wie weit ich gegangen war. Als ich Noi sah, verließ mich auch der spärliche Rest von Mut, den ich mir bis dahin bewahrt hatte. Aber nun war es zu spät um umzukehren. Zögernd ging ich mit langsamen und kurzen Schritten auf sie zu. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass es sich um eine Falle handeln konnte und ich sah mich panisch nach dem Dutzend auf Polizisten um, dass in meiner Erwartung auf mich zustürmte.
Aber da waren keine Polizisten. Erleichtert war ich dennoch nicht, denn ich war bei Noi angekommen und mir war noch immer nicht eingefallen, was ich ihr sagen konnte. Ich setzte gerade zu gestottertem Unsinn an, als Noi mir zuvorkam: "Me sorry, me think before you like me. Now I know you not like me. Me sorry. ... but ... but ... me liked you so much ... you very handsome and good man ... and me thinking before you like blowjob ... because ... you know ... all men like blowjob ... but me forget you special and maybe you not like blowjob ... and ... but ... me not know what to say more ... me very sorry"