Was meinen Fall betraf, vermutete Sum, dass es sich um ein abgekartetes Spiel handelte. Die geforderten 100K waren ihrer Meinung nach viel zu hoch und vor allem dem Umstand geschuldet, dass so viele Leute involviert waren. Die Polizei würde nämlich garantiert ebenfalls beteiligt sein und vermutlich hatten die anderen dem Chief irgendwelche Fantasiesummen genannt, wie viel Geld ich denn angeblich zur Verfügung hatte.
Ein Schlag ins Gesicht wäre fast schon eine Lappalie und mit höchstens 10K aus der Welt gewesen, wenn überhaupt.
Als ich das anzweifelte und anmerkte, dass es ja beileibe keine Kleinigkeit sei, einer Frau ins Gesicht zu schlagen, lachte Sum nur. Für 100K hätte ich die ihrer Meinung nach schon halb totprügeln müssen. Letztlich spielte es aus Sums Sicht noch nicht mal wirklich eine Rolle, ob oder wie stark ich zugeschlagen hatte, oder ob der Chief mir glaubte oder nicht.
Sie vermutete, dass die Summe in etwa so aufgeteilt wurde, dass die Hälfte an das 'Opfer‘ und die 'Zeugen‘ ging und der Rest an die Polizei, wovon wiederum ein Großteil beim Chief verbliebe.
Wir beratschlagten, was ich da tun konnte, denn Sum meinte, dass es nicht einfach werden würde, den Chief runterzuhandeln. Vielleicht auf 80K, aber viel mehr sei nicht drin, so lange er teilen musste und alle Trümpfe in der Hand hielt.
Sie schlug daher vor, dass ich dem Chief einen für ihn besseren Deal anbieten sollte. Allerdings wäre es eine Beleidigung ihm einfach direkt Schmiergeld anzubieten. Schließlich war er als Chief ein angesehener Mann, ehrenhaft und unbestechlich.
Ich lachte spöttisch, aber Sum riet mir eindringlich das nicht zu vergessen, egal wie albern ich das fand. Der Schein musste gewahrt bleiben, auch wenn noch so offensichtlich war, was dahinter steckte.
Sie erklärte mir, dass er genau deshalb auch nicht nach Schmiergeld gefragt, sondern eine Geldstrafe für die Tat ausgesprochen hatte.
Unterm Strich waren ihm nur drei Dinge wichtig.
Erstens wollte er für sich möglichst viel Geld aus der Sache herausholen.
Zweitens wollte er die Sache so schnell, einfach und problemlos wie möglich abschließen
und drittens musste das alles so geschehen, dass er den Schein wahren konnte und gut da stand.
Das leuchtete mir ein, aber eine Idee, wie ein solcher Deal aussehen konnte, hatte ich nicht.
Sum empfahl mir, mich zunächst stur zu stellen und dabei den Vorwurf vehement zu bestreiten. Ich sollte dabei auch deutlich betonen, wie ehrenrührig dieser Vorwurf war, dass ich eine Frau geschlagen hätte. Das wäre nämlich in Deutschland mit das Schlimmste, was man überhaupt tun konnte.
Das würde mir sicher nicht schwer fallen, denn das sah ich ja wirklich so.
Sum fuhr fort, dass ich versuchen sollte, ihn davon zu überzeugen, dass ich lieber Monate im Knast sitzen und es auf eine Verhandlung ankommen lassen würde, als so etwas zuzugeben. Außerdem sollte ich darauf bestehen mit jemandem von der deutschen Botschaft zu sprechen, damit die mir beistehen und einen Anwalt besorgen konnte.
Ich sah mich in der Zelle um und dachte bei mir, dass mir das sicherlich deutlich schwerer fallen würde.
Zudem, plante Sum weiter, musste ich ihm klar machen, dass ich ohnehin gar nicht in der Lage war 100K zu zahlen, da das angebliche Opfer und ihre Freunde Nele-Imke und mich bereits zuvor um nahezu die gesamte Urlaubskasse betrogen hatten und dass selbst wenn ich würde zahlen wollen, die Summe gar nicht hätte und erst in Deutschland flüssig machen müsste. Auch dazu bräuchte ich dann natürlich die Botschaft, denn ich saß ja im Knast.
Das klang für mich alles ziemlich abenteuerlich. Vor allem sah ich den Deal nicht, auf den der Chief da eingehen sollte und schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit der Nummer für Monate in diesem Loch sitzen würde zwischen 99,9 und 100 Prozent.
Aber Sum war ja auch noch nicht fertig und erklärte mir, dass das natürlich nur ein Teil der Strategie war.
Dieser Teil würde dem Chief natürlich nicht gefallen und er wäre vermutlich auch nicht restlos davon zu überzeugen; egal wie glaubhaft ich das rüberbrachte. Aber - und darauf kam es an - er konnte sich auch keinesfalls sicher sein, dass ich nicht vielleicht doch so dumm oder verrückt war es darauf ankommen zu lassen.
Für den Chief wäre das alles andere als eine einfache und problemlose Erledigung der Angelegenheit und das würde er, wenn möglich, vermeiden wollen.
Dann kam Sum zum zweiten Teil ihrer Strategie, dem Deal.
Ich sollte insoweit Einsicht zeigen, dass ich an dem ganzen Schlamassel aber auch nicht ganz unschuldig war, da ich durch meine Unbeherschtheit den Streit erst verursacht hatte. Eine Schlägerei hatte ich natürlich nie im Sinn, aber es war sicherlich falsch dem Österreicher das Bier über den Kopf zu gießen. Dadurch hatte ich den Einsatz seiner fleissigen Beamten natürlich erst verursacht.
Sum meinte, dass ich mich für die Umstände, die ich der Polizei damit gemacht hatte, auch gern höflich entschuldigen konnte. Das kam immer gut an.
Letztlich hätte die Polizei ja auch nur ihre Arbeit gemacht und es wäre auch nachvollziehbar, dass man mich aufgrund der falschen Zeugenaussagen zunächst für schuldig gehalten und eingesperrt hatte. Demnach war meine Unterbrindung in der Zelle letztlich auch auf mein Fehlverhalten mit dem Bierglas zurückzuführen.
Das alles würde mir sehr leid tun und selbstverständlich würde ich für die Kosten des Polizeieinsatzes, sowie Kost und Logis aufkommen.
Im Hinblick auf die verbliebene Urlaubskasse würde ich allerdings hoffen, dass die Kosten den Betrag von 20K nicht überstiegen, denn mehr hätte ich nicht zur Verfügung.
Den Lügnern und Betrügern hingegen würde ich nicht einen einzigen Baht zahlen. Schon aus Prinzip nicht.
Sum meinte, dass das für den Chief mehr als eine Überlegung wert wäre, denn er müsste nicht teilen, hätte die Angelegenheit vom Tisch und stand auch noch in gutem Licht da.
Vermutlich, so Sum, würde er die Kosten ausrechnen und auf mehr als 20K kommen. Wahrscheinlich auf etwa 30K, aber dann konnte man mit ihm handeln und er würde großzügig den ein oder anderen Posten erlassen, so dass man am Ende so in etwa 25K zu zahlen hatte.
Ich dachte darüber nach, war von Sum mehr als beeindruckt und überlegte kurz, ob Nele-Imke, die sonst in solchen Dingen auch immer gut war, so einen Plan hinbekommen hätte. Das klang wirklich nicht so schlecht und konnte tatsächlich klappen.
Außerdem: Was hatte ich schon groß zu verlieren? Im schlimmsten Fall würde er nicht darauf eingehen und ich musste noch einen weiteren Tag in der Zelle verbringen. Das wäre zwar alles andere als schön, aber mit Sum in der Zelle auch kein Weltuntergang.
Auf die 100K konnte ich ja immer noch zurückkommen, um mich freizukaufen.
Ich beschloss es zu probieren und Sum und ich vertrieben uns die Zeit mit Rollenspielen, mit denen ich mich auf das Gespräch mit dem Chief vorbereiten wollte. Damit wir an meiner Rolle feilen konnten, spielte Sum den Chief und hatte daran auch nach der x-ten Wiederholung noch sichtlich Spaß.
Irgendwann öffnete sich die Tür und zwei Polizisten winkten mich hinaus. Nun war es also so weit. Endlich, denn ich hatte bereits sehnlichst darauf gewartet. Ich atmete tief durch und war bereit zum Gefecht.
"Please press me the thumbs.“ bat ich Sum beim Rausgehen, aber sie sah mich nur irritiert an und hatte mich wohl nicht verstanden.
"Good luck!“ rief sie mir dann doch zu. Ich hatte schon gedacht, das Sprichwort holprig übersetzt zu haben.
Ich lächelte ihr siegesgewiss zu und folgte den Beamten.