Sompoth’s Flucht und der Geldregen
Sompoth krallt sich am Lenkrad fest, um das Zittern seiner Hände etwas unter Kontrolle zu behalten. Auf den zurückliegenden 60 Kilometern kurvenreicher und steiler Piste von Pilok bis her zum Stausee hat er seinem Mitsubishi Pajero alles abverlangt, was so ein Luxusgeländewagen hergibt. Buddhaseidank gab es so gut wie überhaupt keinen Gegenverkehr auf der gesamten Strecke, denn er benötigte bei seiner halsbrecherischen Fahrweise die gesamte zur Verfügung stehende Fahrbahnbreite für seine Kurverei den Pass erst hinauf und dann wieder hinunter.
Aber wer will schon nach Pilok? Es ist die regenreichste und westlichste Stelle Thailands, direkt an der burmesischen Grenze gelegen. Eine alte Zinnmine hatte hier in früheren Zeiten einmal für Boomtowncharakter gesorgt, aber das ist nun schon viele Jahre her. Schmuggler gab es dort zuhauf, illegale Burmesen und das wenige Personal vom Pipelineservice, welches die staatliche PTT oder Por Thor Thor-Gesellschaft an diesen schrecklichen Ort abkommandiert hat, um die riesengrosse Pump- und Volumenmess-Station an der Rohrleitung zu betreiben.
Die Gas-Pipeline, vom burmesischen Hafen im Indischen Ozean bis in die Industriegebiete weit im Osten Thailands führend, hat für Sompoth keinerlei besondere Bedeutung, aber ihr hat er die Tatsache zu verdanken, das es hier nun eine Asphaltdecke auf der Fahrbahn gab. Sompoths Scheibenwischer arbeiten im Schnellgang und halten die Sicht nach vorne auch in den tief hängenden Wolken hier oben auf dem Pass frei. Der feine Nieselregen, der hier so viele Tage im Jahr vorherrscht, lässt zwar die Vegetation recht üppig gedeihen, aber er wäscht auch permanent Erdreich und Geröll von den Hängen auf die Fahrbahn.
Sompoth ist völlig erschöpft, das Schlafdefizit, die nächtliche Raserei zur Grenze, das lange Warten auf den Kurier, das Handgemenge, der Blutverlust und nun die Rückfahrt. Seine linke Schulter schmerzt bestialisch, und die Stichwunde scheint bereits nicht mehr zu bluten. Doch auf dem schweissnassen Hemd Sompoths zeichnet sich ein grosser Blutfleck ab. Mehrfach drohte er unterwegs einzunicken, doch die kleinen, braunen Kratingdaeng-Fläschchen aus der Kühlbox zwischen den beiden vorderen Sitzen haben ihm jedes Mal weitergeholfen. Ein typisch thailändischer, aufputschender Zaubertrank mit dem Geschmack flüssiger Gummibärchen. Einstmals zunächst nur als Wachmacher für siamesische Überlandtrucker und Busfahrer angerührt worden, verhalf ausgerechnet ein österreichisches Marketinggenie dem Zeug erheblich später zu Weltruhm.
Ein immer dringlich werdender Druck von der Blase her zwingt ihn schliesslich zu einem ersten Stop seit dem rasanten Aufbruch in Pilok. Hier, an der Flanke des Stausees verläuft die Strasse recht lang geradeaus, und er würde seine Verfolger bereits ausmachen können, bevor er selber in deren Reichweite wäre. Sein Blick gilt der hinter ihm liegenden Hügelkuppe, während er mit der rechten Hand an seiner Hose nestelt.
Es ist äusserst unwahrscheinlich, dass jemand die Leiche so schnell entdeckt und die richtigen Schlüsse daraus zieht. Es gab keine Zeugen und die tiefen Wolkenbänke ringsherum sorgten für einen nebelartigen Sichtvorhang. Mord war es nicht, denn alles verlief eher ungeplant – man könnte es mit etwas Fantasie als Notwehr bezeichnen, aber wer würde Sompoth schon Glauben schenken. Ihm, dem Neuling im Distrikt – dem Hotelier und Berufssohn. Schnelles Geld wollte er machen, sein wohlhabender Vater hielt ihn finanziell schon immer an einer sehr kurzen Leine, viel zu kurz für seinen aufwendigen Lebensstil.