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Pitcairn auf seiner ungewöhnlichen Individualreise quer durch Bangladesch.
"Sahib, hoping you have a smooth ride, like on a magic carpet -Sahib, möget ihr sanft reisen wie auf einem fliegenden Teppich“, wünschte mir der Immigrationsbeamte bei der Ankunft am Airport, doch Allah hat es anders gewollt. Mein Rickshaw-Wallah donnert im Salto mortale über den Lenker direkt kopfüber in den Chinakohl, während sein dreirädriges Gefährt gleichzeitig in den Gemüsestand kracht. Der Verkäufer rettet sich mit einem Seitensprung zum Nachbar in die Bananenauslage. Hinter uns kommt ein verbeulter Kleinbus mit quietschenden Reifen zum Stehen.
Hallo Sensemann, ich will nicht in die Erde furzen und ohne Zeremonie unbemerkt zugemulcht werden. Ich träume von einem Chor weissgewandiger Eunuchen, die nach der Abdankung mir zu Ehren, einen Schwarm weisser Tauben fliegen lassen. Gerne möchte ich, wenn es soweit ist, in einem Glas-Sarkophag mit Federkernmatratze in einem Ossuarium mit Fenster neben einem Runway, Airstrip, einem Geleise oder bei einer Hafenausfahrt bestattet werden. Sofern genügend Kröten übrig bleiben, kann es auch ein mit einem Obelisken gekröntes Mausoleum sein. Als Inschrift sehe ich folgenden, schlichten Text: Pitcairn, Reisender, 1953 - ???? Vergesst nicht, meine TEVA-Sandalen in die Kiste zu legen. Wenn ich beim Allmächtigen vor dem himmlischen Leuchterpalast einparke, möchte ich nicht mit einer Rickshaw vorfahren müssen; ein Toyota Landcruiser mit Frontwinde und Lederinterieur sollte es schon sein. Den Tod betrachte ich als neue Reise. Ich will nicht auf Arnold Böcklin's Toteninsel landen. Ich fordere die ganze Ewigkeit, um mich weiter zu amüsieren: Himmel, Highlife, Harfe, Halleluja! Man reiche mir bitte jetzt ein Papiertaschentuch und einen doppelten Blacklabel.
Am Ende meiner Tage verspüre ich keine Lust auf Bussrituale. Ich war von meinem Tun immer überzeugt. In meiner unbequemen Randgruppe der liberal-konservativen Langzeitreisenden fühlte ich mich immer wohl. Wenn ich mein Leben wiederholen könnte, würde ich vieles wieder gleich angehen. Selten habe ich etwas ausgelassen oder vertagt. Meine Überzeugung - das Reisen - habe ich nie verraten. Der Beruf und insbesondere die Familie mussten sich da immer zurückstehen. Unser Tod ist schon bei der Geburt vorbestimmt. Es fehlen nur noch die Koordinaten, die Fixierung in Raum und Zeit. Wir Menschen sind zeitlich limitiert, haben ein Ablaufdatum, wie die Volkswurstwaren im Supermarkt. Täglich werden wir mit dem Ende von Belangen konfrontiert. Denke an die untergehende Sonne oder der Ablauf eines Arbeitstages. Dass die Zeit irgendwann endet, weiss der Mensch, seit es sie gibt. Schwieriger wird es erst, wenn wir uns usque ad aeternitatem (bis in die Ewigkeit) vorstellen müssen.
Ich habe in die Glaskugel gestarrt. Before pushing up the daisies (Radieschen von unten betrachten), geht's weiter auf meinem irdischen Trip. Das letzte Reisekapitel ist noch nicht geschrieben. Du fragst, wie lange ich denn noch Travellen will? Nun, noch möglichst lange. Mit 95 mit der Kamera in der Hand auf einem Auslegerboot in den Marquesas im Sog der Erinnerungen friedlich einzuschlafen - das würde mir passen. Aber sicher lasse ich mich nicht hier von einem Bus auf einer Rickshaw plattwalzen. Später bin ich bereit, zu gehen, diese Erde zu verlassen. Auf dem Humus der Verwesenden gedeiht neues Leben. So ist der ewige Kreislauf. Vielleicht ergibt der Tod dem Leben doch noch einen abschliessenden Sinn. Mhhh?! Ich grüsse alle Vorausgegangenen.
Noch im Stillstand hupt und gestikuliert der Fahrer wütend von oben. Das Schauspiel ist ihm wohl nicht genug, hat er vielleicht von mir noch einen doppelten Rittberger als Zusatzunterhaltung erwartet? Um Haaresbreite hätte er unsere Rickshaw zermatscht. Hier im Strassenverkehr gilt das Rechts des Stärkeren. Ich schäle mich langsam aus dem umgekippten Gefährt und greife nach dem Fotorucksack. Nichts ist passiert, alles optimal gepolstert und das Material unversehrt. Passanten recken sich die Hälse und fassungslose Gesichter starren uns an. Andere sitzen still in Kauerstellung im Schmutz und es scheint ihnen alles egal zu sein. Ein Menschenleben gilt hier eben nicht viel. Mit 160 Millionen Seelen ist dieses Land eines der dichtest bevölkerten der Welt. Da spielen ein paar Zweibeiner mehr oder wenige keine grosse Rolle. 2013 wurden 1200 Garment-Workerinnen unter den Trümmern einer zusammenstürzenden Textilfabrik, dem Rana-Plaza, begraben. Das war ein Fressen für die westliche Presse und es gab ein Riesenecho in der Medienlandschaft. Hier interessiert sich schon lange keine Sau mehr dafür, denn es gibt täglich neue Katastrophen. Der nagelnde Dieselmotor des alten Busses übertönt die Schreie meines dünngliedrigen Fahrers. "Halt die Fresse und mach nicht so ein Theater wie ein hysterisches Weib", gebe ich ihm auf Schweizerdeutsch zu verstehen. Der sprachbegabte Kuli versteht auch ohne Übersetzungsapp auf meinem iPhone sofort, um was es geht und wird still. Niemand fragt nach unserem Befinden - man sieht auch so, dass wir nach dem Crash agil und beweglich geblieben sind. Alle Extremitäten sind noch dran, kein Ärmchen oder Beinchen zermatscht, na also. Die lärmende Lawine hinter uns aus Rost und Stahl, kommt wieder in Bewegung. Mit einem Stinkefinger und "Pūrṇa āpani yaunasaṅgama iḍiẏaṭēra - ihr verdammten Vollidioten" -, verabschiedet sich der Fahrer grollend von seiner erhöhten Kanzel.
Ich erwidere den freundlichen Abschiedsgruss und zeige ihm angewidert den Vogel - meine Bangla-Sprachkenntnisse reichen nicht für mehr. Der Gemüsehändler geht sofort stillschweigend daran, seinen klapprigen Stand neu aufzubauen, das Gemüse vom Boden aufzuheben und aufzutischen. Der Kuli stellt seine Rickshaw auf die Räder und ich nehme erneut wie zu Zeiten des Britischen Raj auf meinem rollenden Hochsitz Platz. Niemand verschwendet unnötige Worte; ändern können wir ohnehin nichts. Hauptsache Gabriel schwebt weiterhin über mir - dann kann ich ewig reisen - das Einzige was zählt. Seit über vierzig Jahren bin ich als Getriebener unterwegs.
Im Nu sind wir bereit für den weiteren Challenge im Strassenverkehr. Ich befinde mich in Dhaka, der am schnellsten wachsenden Metropole Asiens mit der Rickshaw durch den tosenden Verkehr auf der North-South-Road zum grössten Flusshafen der Welt - Sadarghat.
Pitcairn, seit 40 Jahren auf der endlosen Reise.
Pitcairn hat mit seinem vierköpfigen Reiseteam Bangladesch in den Monaten Oktober - Dezember 2014 individuell bereist. Der Bericht ist ein Auszug aus der über zweihundertseitigen Globalversion Ein Land im fortgeschrittenen Zerfall. Die Publikation im Forum wird in den kommenden Monaten erfolgen.
"Sahib, hoping you have a smooth ride, like on a magic carpet -Sahib, möget ihr sanft reisen wie auf einem fliegenden Teppich“, wünschte mir der Immigrationsbeamte bei der Ankunft am Airport, doch Allah hat es anders gewollt. Mein Rickshaw-Wallah donnert im Salto mortale über den Lenker direkt kopfüber in den Chinakohl, während sein dreirädriges Gefährt gleichzeitig in den Gemüsestand kracht. Der Verkäufer rettet sich mit einem Seitensprung zum Nachbar in die Bananenauslage. Hinter uns kommt ein verbeulter Kleinbus mit quietschenden Reifen zum Stehen.
Hallo Sensemann, ich will nicht in die Erde furzen und ohne Zeremonie unbemerkt zugemulcht werden. Ich träume von einem Chor weissgewandiger Eunuchen, die nach der Abdankung mir zu Ehren, einen Schwarm weisser Tauben fliegen lassen. Gerne möchte ich, wenn es soweit ist, in einem Glas-Sarkophag mit Federkernmatratze in einem Ossuarium mit Fenster neben einem Runway, Airstrip, einem Geleise oder bei einer Hafenausfahrt bestattet werden. Sofern genügend Kröten übrig bleiben, kann es auch ein mit einem Obelisken gekröntes Mausoleum sein. Als Inschrift sehe ich folgenden, schlichten Text: Pitcairn, Reisender, 1953 - ???? Vergesst nicht, meine TEVA-Sandalen in die Kiste zu legen. Wenn ich beim Allmächtigen vor dem himmlischen Leuchterpalast einparke, möchte ich nicht mit einer Rickshaw vorfahren müssen; ein Toyota Landcruiser mit Frontwinde und Lederinterieur sollte es schon sein. Den Tod betrachte ich als neue Reise. Ich will nicht auf Arnold Böcklin's Toteninsel landen. Ich fordere die ganze Ewigkeit, um mich weiter zu amüsieren: Himmel, Highlife, Harfe, Halleluja! Man reiche mir bitte jetzt ein Papiertaschentuch und einen doppelten Blacklabel.
Am Ende meiner Tage verspüre ich keine Lust auf Bussrituale. Ich war von meinem Tun immer überzeugt. In meiner unbequemen Randgruppe der liberal-konservativen Langzeitreisenden fühlte ich mich immer wohl. Wenn ich mein Leben wiederholen könnte, würde ich vieles wieder gleich angehen. Selten habe ich etwas ausgelassen oder vertagt. Meine Überzeugung - das Reisen - habe ich nie verraten. Der Beruf und insbesondere die Familie mussten sich da immer zurückstehen. Unser Tod ist schon bei der Geburt vorbestimmt. Es fehlen nur noch die Koordinaten, die Fixierung in Raum und Zeit. Wir Menschen sind zeitlich limitiert, haben ein Ablaufdatum, wie die Volkswurstwaren im Supermarkt. Täglich werden wir mit dem Ende von Belangen konfrontiert. Denke an die untergehende Sonne oder der Ablauf eines Arbeitstages. Dass die Zeit irgendwann endet, weiss der Mensch, seit es sie gibt. Schwieriger wird es erst, wenn wir uns usque ad aeternitatem (bis in die Ewigkeit) vorstellen müssen.
Ich habe in die Glaskugel gestarrt. Before pushing up the daisies (Radieschen von unten betrachten), geht's weiter auf meinem irdischen Trip. Das letzte Reisekapitel ist noch nicht geschrieben. Du fragst, wie lange ich denn noch Travellen will? Nun, noch möglichst lange. Mit 95 mit der Kamera in der Hand auf einem Auslegerboot in den Marquesas im Sog der Erinnerungen friedlich einzuschlafen - das würde mir passen. Aber sicher lasse ich mich nicht hier von einem Bus auf einer Rickshaw plattwalzen. Später bin ich bereit, zu gehen, diese Erde zu verlassen. Auf dem Humus der Verwesenden gedeiht neues Leben. So ist der ewige Kreislauf. Vielleicht ergibt der Tod dem Leben doch noch einen abschliessenden Sinn. Mhhh?! Ich grüsse alle Vorausgegangenen.
Noch im Stillstand hupt und gestikuliert der Fahrer wütend von oben. Das Schauspiel ist ihm wohl nicht genug, hat er vielleicht von mir noch einen doppelten Rittberger als Zusatzunterhaltung erwartet? Um Haaresbreite hätte er unsere Rickshaw zermatscht. Hier im Strassenverkehr gilt das Rechts des Stärkeren. Ich schäle mich langsam aus dem umgekippten Gefährt und greife nach dem Fotorucksack. Nichts ist passiert, alles optimal gepolstert und das Material unversehrt. Passanten recken sich die Hälse und fassungslose Gesichter starren uns an. Andere sitzen still in Kauerstellung im Schmutz und es scheint ihnen alles egal zu sein. Ein Menschenleben gilt hier eben nicht viel. Mit 160 Millionen Seelen ist dieses Land eines der dichtest bevölkerten der Welt. Da spielen ein paar Zweibeiner mehr oder wenige keine grosse Rolle. 2013 wurden 1200 Garment-Workerinnen unter den Trümmern einer zusammenstürzenden Textilfabrik, dem Rana-Plaza, begraben. Das war ein Fressen für die westliche Presse und es gab ein Riesenecho in der Medienlandschaft. Hier interessiert sich schon lange keine Sau mehr dafür, denn es gibt täglich neue Katastrophen. Der nagelnde Dieselmotor des alten Busses übertönt die Schreie meines dünngliedrigen Fahrers. "Halt die Fresse und mach nicht so ein Theater wie ein hysterisches Weib", gebe ich ihm auf Schweizerdeutsch zu verstehen. Der sprachbegabte Kuli versteht auch ohne Übersetzungsapp auf meinem iPhone sofort, um was es geht und wird still. Niemand fragt nach unserem Befinden - man sieht auch so, dass wir nach dem Crash agil und beweglich geblieben sind. Alle Extremitäten sind noch dran, kein Ärmchen oder Beinchen zermatscht, na also. Die lärmende Lawine hinter uns aus Rost und Stahl, kommt wieder in Bewegung. Mit einem Stinkefinger und "Pūrṇa āpani yaunasaṅgama iḍiẏaṭēra - ihr verdammten Vollidioten" -, verabschiedet sich der Fahrer grollend von seiner erhöhten Kanzel.
Ich erwidere den freundlichen Abschiedsgruss und zeige ihm angewidert den Vogel - meine Bangla-Sprachkenntnisse reichen nicht für mehr. Der Gemüsehändler geht sofort stillschweigend daran, seinen klapprigen Stand neu aufzubauen, das Gemüse vom Boden aufzuheben und aufzutischen. Der Kuli stellt seine Rickshaw auf die Räder und ich nehme erneut wie zu Zeiten des Britischen Raj auf meinem rollenden Hochsitz Platz. Niemand verschwendet unnötige Worte; ändern können wir ohnehin nichts. Hauptsache Gabriel schwebt weiterhin über mir - dann kann ich ewig reisen - das Einzige was zählt. Seit über vierzig Jahren bin ich als Getriebener unterwegs.
Im Nu sind wir bereit für den weiteren Challenge im Strassenverkehr. Ich befinde mich in Dhaka, der am schnellsten wachsenden Metropole Asiens mit der Rickshaw durch den tosenden Verkehr auf der North-South-Road zum grössten Flusshafen der Welt - Sadarghat.
Pitcairn, seit 40 Jahren auf der endlosen Reise.
Pitcairn hat mit seinem vierköpfigen Reiseteam Bangladesch in den Monaten Oktober - Dezember 2014 individuell bereist. Der Bericht ist ein Auszug aus der über zweihundertseitigen Globalversion Ein Land im fortgeschrittenen Zerfall. Die Publikation im Forum wird in den kommenden Monaten erfolgen.
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