Thailand Buddha, Beach & Beziehungskitsch – Gschichtn ausm Paulanergarten

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        #11  

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Wie man sich in eine Stadt verliebt

So vergingen die Tage.
Sie arbeitete, ich lebte mich ein.

Manchmal trafen wir uns in ihrer Mittagspause, manchmal am Abend. Wir kochten zusammen oder gingen essen, trafen Freunde von ihr, gingen ins Kino, lachten über dieselben Filme. Es fühlte sich nicht nach Urlaub an, sondern nach Alltag – einem dieser seltenen, leichten Alltage, in dem man gern aufwacht.

Ich lernte kleine Routinen kennen. Wo es den besten Eiskaffee gab, wie lange der Bus zur nächsten Station wirklich brauchte, wann der Pool leer war. Ich wusste, welcher 7-Eleven nachts noch geöffnet war und wo der Verkäufer mich schon mit einem Nicken begrüßte.

Und zwischen all dem – ohne dass ich es bewusst steuerte – wuchs etwas in mir.
Ein Gefühl von Zuhause.

Nicht im Sinne von Sesshaftigkeit oder Besitz. Sondern eher wie ein stilles Einverstandensein mit dem Moment.

Ich liebte die Stadt nicht, weil sie perfekt war. Ich liebte sie gerade wegen ihrer Widersprüche.
Weil sie mich nahm, wie ich war.
Und weil sie mir zeigte, wie viel Raum im Leben ist, wenn man ihn nicht komplett verplant.

Und während ich weiter durch ihre Straßen lief, in Cafés saß, ihre Sprache noch immer nicht verstand, wusste ich:
Ich würde sie vermissen, bevor ich überhaupt gegangen war.

Diese eigenartige Mischung aus Hitze, Chaos und Ruhe. Die Garküchen am Straßenrand, das schrille Lachen der Schulmädchen auf Mopeds, der Duft von gebratenem Knoblauch, das Summen der Klimaanlagen, das Tuckern der Boote auf dem Chao Phraya. Die Stadt war nicht schön im klassischen Sinn – aber sie war da, intensiv, unübersehbar.

Ich begann, mich in sie zu verlieben.

In ihre Unordnung, in ihre Gegensätze.
In das Gefühl, dass hinter jeder Ecke etwas Neues wartet – nicht immer Spektakuläres, aber etwas Echtes.
Ich mochte es, morgens durch unbekannte Straßen zu schlendern, ohne Ziel, nur mit der Neugier auf das Nächste. Ich mochte die kleinen Läden, die rostigen Tore, die Tempelglocken in der Ferne. Ich mochte es, einfach Teil davon zu sein – auch wenn ich nicht dazugehöre.

Es war keine stürmische Liebe.
Eher eine, die wächst, wenn man sich immer wieder begegnet.
Und irgendwann ertappt man sich dabei, wie man innehält, sich umsieht – und lächelt, ohne Grund.

So war das mit Bangkok.
Langsam, aber beständig.
Ein Gefühl, das blieb, auch wenn ich es nicht greifen konnte.

Die letzte Woche unserer Reise verbrachten wir in Chiang Mai. Auf die Inseln im Süden hatten wir diesmal keine Lust – vielleicht, weil uns der Trubel dort gerade nicht reizte, vielleicht auch, weil wir einfach etwas anderes suchten.

Nach den Tagen in Bangkok sehnten wir uns wieder nach mehr Ruhe, nach einem langsameren Takt. Und Chiang Mai empfing uns mit genau dieser Gelassenheit: kleinen Gassen, stillen Tempeln, den Bergen am Horizont.

Bangkok hatte mich auf seine eigene, rauschhafte Art in den Bann gezogen. Ich genoss jede Minute dort und spürte, wie ich begann, diese Stadt mit all ihrem Chaos, ihrer Hitze und ihrem Lärm zu mögen – vielleicht sogar zu lieben.
Aber es ist eine Liebe auf Zeit. Eine, die brennt, solange man mittendrin ist, die aber weiß, dass sie nicht bleiben kann.

In Chiang Mai ließen wir uns treiben. Die Tage begannen meist gemütlich mit einem Kaffee in einem der zahllosen kleinen Cafés – oft mit Blick auf grüne Innenhöfe, in denen sich streunende Katzen in der Sonne räkelten. Die Stadt fühlte sich an wie ein großes Dorf, ruhig, freundlich, überschaubar. Wir schlenderten durch kleine Gassen, entdeckten Streetart, Märkte und Tempel, die wie zufällig zwischen modernen Gebäuden auftauchten.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Abend auf dem Nachtmarkt: Das warme Licht, der Duft nach Gewürzen, das Gemurmel der Menschen. Wir aßen frisch zubereitetes Khao Soi an einem improvisierten Plastiktisch und ließen uns einfach treiben. Später saßen wir noch auf einer Dachterrasse, tranken Chang-Bier, schauten auf die flimmernden Lichter der Stadt und redeten stundenlang.

Chiang Mai war für uns ein Ort zum Ankommen, zum Durchatmen. Kein großes Sightseeing-Programm, kein Plan. Einfach nur Sein. Vielleicht war es gerade das, was es so besonders machte.

Als wir dann zurück nach Bangkok mussten, blieb uns nur noch ein letzter Abend. Wir verbrachten ihn bei ihr, gingen noch einmal gemeinsam aus, aßen an einem dieser kleinen Straßenstände und ließen uns treiben, als könnte man die Zeit so ein wenig anhalten.

Wir sprachen wenig über den Abschied, aber ich glaube, wir wussten beide, dass er näher rückte, unausweichlich und schwer. Gegen drei Uhr nachts sollte mein Flieger gehen. Ich beschloss, alleine zum Flughafen zu fahren – vielleicht weil ich dachte, es würde den Abschied einfacher machen.

Also standen wir irgendwann wieder dort, wo alles begonnen hatte – in der Lobby des Wohnkomplexes, in dem sie mich Empfang. Es war ein leiser Moment. Kein großes Drama, keine Tränen. Nur ein letzter Blick, ein kurzes Lächeln, eine Umarmung, die länger hätte dauern dürfen.

Dann stieg ich ins Taxi und sah zu, wie Bangkok in der Nacht an mir vorbeiglitt.

Die Fahrt zum Flughafen war still. Ich lehnte mich zurück, ließ die Fenster einen Spalt offen, hörte das Rauschen. Bangkok wirkte plötzlich fremd, fast unwirklich – als hätte die Stadt gewusst, dass ich gehe.

Am Flughafen war alles wie immer: Neonlicht, das einem zu grell vorkommt, wenn man müde ist, Stimmengewirr, das sich über die Lautsprecher legt, und Menschen, die eilig irgendwohin unterwegs sind. Ich checkte ein, ging durch die Sicherheitskontrolle und wartete am Gate.

In meinem Kopf lief alles vom ersten kennenlernen an wie ein Film rückwärts. Ich dachte an unseren ersten gemeinsamen Tag, an unser Wiedersehen, an unsere gemeinsamen Reisen durch Nord- und Südthailand, an die leisen Gespräche und das Lachen, das manchmal einfach so aus uns herausbrach.

Der Aufruf zum Boarding holte mich zurück in die Gegenwart. Ich stand auf, griff nach meinem Rucksack – und für einen Moment zögerte ich. Als müsste ich etwas zurücklassen, um den Rest überhaupt mitnehmen zu können.
 
        #12  

Member

Member hat gesagt:
Wie man sich in eine Stadt verliebt

So vergingen die Tage.
Sie arbeitete, ich lebte mich ein.

Manchmal trafen wir uns in ihrer Mittagspause, manchmal am Abend. Wir kochten zusammen oder gingen essen, trafen Freunde von ihr, gingen ins Kino, lachten über dieselben Filme. Es fühlte sich nicht nach Urlaub an, sondern nach Alltag – einem dieser seltenen, leichten Alltage, in dem man gern aufwacht.

Ich lernte kleine Routinen kennen. Wo es den besten Eiskaffee gab, wie lange der Bus zur nächsten Station wirklich brauchte, wann der Pool leer war. Ich wusste, welcher 7-Eleven nachts noch geöffnet war und wo der Verkäufer mich schon mit einem Nicken begrüßte.

Und zwischen all dem – ohne dass ich es bewusst steuerte – wuchs etwas in mir.
Ein Gefühl von Zuhause.

Nicht im Sinne von Sesshaftigkeit oder Besitz. Sondern eher wie ein stilles Einverstandensein mit dem Moment.

Ich liebte die Stadt nicht, weil sie perfekt war. Ich liebte sie gerade wegen ihrer Widersprüche.
Weil sie mich nahm, wie ich war.
Und weil sie mir zeigte, wie viel Raum im Leben ist, wenn man ihn nicht komplett verplant.

Und während ich weiter durch ihre Straßen lief, in Cafés saß, ihre Sprache noch immer nicht verstand, wusste ich:
Ich würde sie vermissen, bevor ich überhaupt gegangen war.

Diese eigenartige Mischung aus Hitze, Chaos und Ruhe. Die Garküchen am Straßenrand, das schrille Lachen der Schulmädchen auf Mopeds, der Duft von gebratenem Knoblauch, das Summen der Klimaanlagen, das Tuckern der Boote auf dem Chao Phraya. Die Stadt war nicht schön im klassischen Sinn – aber sie war da, intensiv, unübersehbar.

Ich begann, mich in sie zu verlieben.

In ihre Unordnung, in ihre Gegensätze.
In das Gefühl, dass hinter jeder Ecke etwas Neues wartet – nicht immer Spektakuläres, aber etwas Echtes.
Ich mochte es, morgens durch unbekannte Straßen zu schlendern, ohne Ziel, nur mit der Neugier auf das Nächste. Ich mochte die kleinen Läden, die rostigen Tore, die Tempelglocken in der Ferne. Ich mochte es, einfach Teil davon zu sein – auch wenn ich nicht dazugehöre.

Es war keine stürmische Liebe.
Eher eine, die wächst, wenn man sich immer wieder begegnet.
Und irgendwann ertappt man sich dabei, wie man innehält, sich umsieht – und lächelt, ohne Grund.

So war das mit Bangkok.
Langsam, aber beständig.
Ein Gefühl, das blieb, auch wenn ich es nicht greifen konnte.

Die letzte Woche unserer Reise verbrachten wir in Chiang Mai. Auf die Inseln im Süden hatten wir diesmal keine Lust – vielleicht, weil uns der Trubel dort gerade nicht reizte, vielleicht auch, weil wir einfach etwas anderes suchten.


Nach den Tagen in Bangkok sehnten wir uns wieder nach mehr Ruhe, nach einem langsameren Takt. Und Chiang Mai empfing uns mit genau dieser Gelassenheit: kleinen Gassen, stillen Tempeln, den Bergen am Horizont.

Bangkok hatte mich auf seine eigene, rauschhafte Art in den Bann gezogen. Ich genoss jede Minute dort und spürte, wie ich begann, diese Stadt mit all ihrem Chaos, ihrer Hitze und ihrem Lärm zu mögen – vielleicht sogar zu lieben.
Aber es ist eine Liebe auf Zeit. Eine, die brennt, solange man mittendrin ist, die aber weiß, dass sie nicht bleiben kann.

In Chiang Mai ließen wir uns treiben. Die Tage begannen meist gemütlich mit einem Kaffee in einem der zahllosen kleinen Cafés – oft mit Blick auf grüne Innenhöfe, in denen sich streunende Katzen in der Sonne räkelten. Die Stadt fühlte sich an wie ein großes Dorf, ruhig, freundlich, überschaubar. Wir schlenderten durch kleine Gassen, entdeckten Streetart, Märkte und Tempel, die wie zufällig zwischen modernen Gebäuden auftauchten.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Abend auf dem Nachtmarkt: Das warme Licht, der Duft nach Gewürzen, das Gemurmel der Menschen. Wir aßen frisch zubereitetes Khao Soi an einem improvisierten Plastiktisch und ließen uns einfach treiben. Später saßen wir noch auf einer Dachterrasse, tranken Chang-Bier, schauten auf die flimmernden Lichter der Stadt und redeten stundenlang.

Chiang Mai war für uns ein Ort zum Ankommen, zum Durchatmen. Kein großes Sightseeing-Programm, kein Plan. Einfach nur Sein. Vielleicht war es gerade das, was es so besonders machte.

Als wir dann zurück nach Bangkok mussten, blieb uns nur noch ein letzter Abend. Wir verbrachten ihn bei ihr, gingen noch einmal gemeinsam aus, aßen an einem dieser kleinen Straßenstände und ließen uns treiben, als könnte man die Zeit so ein wenig anhalten.

Wir sprachen wenig über den Abschied, aber ich glaube, wir wussten beide, dass er näher rückte, unausweichlich und schwer. Gegen drei Uhr nachts sollte mein Flieger gehen. Ich beschloss, alleine zum Flughafen zu fahren – vielleicht weil ich dachte, es würde den Abschied einfacher machen.

Also standen wir irgendwann wieder dort, wo alles begonnen hatte – in der Lobby des Wohnkomplexes, in dem sie mich Empfang. Es war ein leiser Moment. Kein großes Drama, keine Tränen. Nur ein letzter Blick, ein kurzes Lächeln, eine Umarmung, die länger hätte dauern dürfen.

Dann stieg ich ins Taxi und sah zu, wie Bangkok in der Nacht an mir vorbeiglitt.

Die Fahrt zum Flughafen war still. Ich lehnte mich zurück, ließ die Fenster einen Spalt offen, hörte das Rauschen. Bangkok wirkte plötzlich fremd, fast unwirklich – als hätte die Stadt gewusst, dass ich gehe.

Am Flughafen war alles wie immer: Neonlicht, das einem zu grell vorkommt, wenn man müde ist, Stimmengewirr, das sich über die Lautsprecher legt, und Menschen, die eilig irgendwohin unterwegs sind. Ich checkte ein, ging durch die Sicherheitskontrolle und wartete am Gate.

In meinem Kopf lief alles vom ersten kennenlernen an wie ein Film rückwärts. Ich dachte an unseren ersten gemeinsamen Tag, an unser Wiedersehen, an unsere gemeinsamen Reisen durch Nord- und Südthailand, an die leisen Gespräche und das Lachen, das manchmal einfach so aus uns herausbrach.

Der Aufruf zum Boarding holte mich zurück in die Gegenwart. Ich stand auf, griff nach meinem Rucksack – und für einen Moment zögerte ich. Als müsste ich etwas zurücklassen, um den Rest überhaupt mitnehmen zu können.
Ich kenne es nur zu gut, der Abschied hat immer was Nostalgisches, aber auch mit der gewissen priese Zuversicht, dass man bald wieder dort ist.
 
        #13  

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Member hat gesagt:
vielen herzlichen Dank, dass Du uns weiter teilhaben lässt.
Auch wenn hin- und wieder der Eine oder Andere eine Meinung äußert die nicht höflich ist,
so hast Du Menschen die Dir gerne lesend folgen. Ich gehöre dazu.
Liebe Grüße
Gerhard
Hallo Gerhard, danke dass du dranbleibst. Ich bin mir sicher, du wirst’s nicht bereuen! ;-)
Member hat gesagt:
Ich lese hier auch gerne mit.


Danke
Vielen Dank auch dir Lennie, kommen noch einige aufregende aber auch haarstäubende Momente.
Member hat gesagt:
Ich kenne es nur zu gut, der Abschied hat immer was Nostalgisches, aber auch mit der gewissen priese Zuversicht, dass man bald wieder dort ist.
Ja, dieser Abschied hatte was Nostalgisches… fast zu friedlich.
Wenn ich bedenke, was da noch kommt... sagen wir mal so: Der ruhige Teil ist spätestens nach dem Philippinen Urlaub offiziell vorbei 😁
 
        #14  

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Ilaya – und das leise Glück, das bleibt

Als ich zurück in Deutschland war, war plötzlich alles anders.

Thailand, Ilaya – sie hatten mich verändert.

Zurück im Alltag war zwar alles noch da: die Arbeit, die Freunde, das vertraute Tempo. Aber irgendwie fühlte es sich an, als würde ich nur noch durch die Kulisse meines alten Lebens laufen. Nicht fremd, aber auch nicht mehr ganz richtig.

Ilaya war wieder in Bangkok. Ich hier.

Unsere Tage begannen und endeten oft mit einer Nachricht. Ein Foto vom Frühstück, ein kurzer Videoanruf vor dem Einschlafen. Manchmal fiel es schwer, einander auf dem Laufenden zu halten – nicht, weil nichts passierte, sondern weil das, was fehlte, immer zwischen den Zeilen lag: Nähe. Ein gemeinsames Schweigen. Das unaufgeregte Zusammensein.

Vier Monate lang lebten wir so. Zwischen Sprachnachrichten und schlechten Verbindungen, zwischen vermissen und weitermachen. Es war nicht einfach, aber irgendwie hielten wir uns daran fest.

Und dann saß ich schon wieder im Flieger. Diesmal nicht nach Bangkok, sondern weiter auf die Philippinen, in Ilayas Heimat.

Vier Wochen Urlaub lagen vor uns. Sonne, Reisfelder, Familienessen, Jeepneys, Sand unter den Füßen. Aber eigentlich war das alles nur die Kulisse für das, worum es wirklich ging: endlich wieder sie.

Die ersten zehn Tage verbrachten wir bei ihrer Familie, im Norden von Luzon.

Ein kleines Haus, umgeben von Reisfeldern und Palmen, irgendwo zwischen sanften Hügeln und staubigen Dorfstraßen. Die Hitze war drückend, aber der Wind roch nach Leben – nach Erde, Feuerholz, Meerluft in der Ferne.

Ihre Eltern sprachen kein Englisch. Ihre Mutter lächelte viel, reichte mir dampfende Teller mit frisch gekochtem Essen. Ihr Vater sagte wenig, doch sein Blick war ruhig und wach – als würde er mehr beobachten, als er zeigte.

Die Gespräche liefen meist über Ilaya. Oder über ihre drei jüngeren Geschwister: zwei Brüder und eine Schwester (die andere lebte in den USA) alle auf ihre Art neugierig, ein bisschen schüchtern, aber offen. Besonders abends, wenn wir zusammen saßen – mit Karaoke, oder einfach nur auf der Terasse mit ein paar kalten Getränken – taute alles auf.

Ich lernte erste Wörter in ihrer Sprache, stolperte über die Aussprache, wurde ausgelacht – aber auf diese freundliche, warme Art, die zeigt: Du bist jetzt Teil davon.

Und obwohl ich vieles nicht verstand, verstand ich das Wesentliche.

Wie Ilaya aufging in ihrer Rolle als Tochter, Schwester, Vermittlerin. Wie vertraut sie mit allem war – und doch nie ganz gleichgültig. Wie sie sich zu Hause bewegte und mich zugleich einlud, mitzugehen.

Abends, wenn wir uns zurückzogen, sprachen wir über ihre Kindheit, über Dinge, die mir bisher verborgen geblieben waren. Ich sah sie anders. Tiefer. Klarer.

Es war kein leichtes Leben, aber auch keines ohne Freude. Weihnachten mit der ganzen Familie auf einer Matte unter dem Sternenhimmel. Geburtstage mit selbst gemachten Torten aus Reismehl. Und diese eine, die zu ihr sagte: „Du kannst mehr, als du glaubst.“

Ich hörte zu, versuchte mir das alles vorzustellen: die kleine Ilaya auf den steinigen Schulwegen, mit einem zu großen Rucksack und einem neugierigen Blick, der mehr wollte als das, was man ihr zutraute.

In diesen Momenten verstand ich, warum sie so war, wie sie war: stolz, zäh, liebevoll – mit einem wachen Sinn für das Wesentliche.

Und mir wurde klar: Ich war nicht nur in ein fernes Land gereist. Ich war jemandem wirklich nähergekommen.

Die Tage im Norden von Luzon hatten ihren eigenen Rhythmus. Keine festen Pläne, kein Termindruck – nur das, was der Tag brachte: Sonne, Mahlzeiten, Gespräche, Regen manchmal. Ich wurde langsamer. Aufmerksamer. Und vielleicht auch ein Stück leiser.

Morgens weckte uns das Krähen der Hähne. Die Luft war kühl, bevor die Sonne über die Palmen stieg. Ilayas Mutter war dann oft schon wach, kochte Reis, schnitt Gemüse, schob die Kohlen in der kleinen Feuerstelle zurecht. Ich durfte manchmal helfen – oder es zumindest versuchen. Es wurde viel gelacht.

Nach dem Frühstück spazierten wir durchs Dorf oder fuhren mit dem Moped in den nächsten Ort. Auf dem Markt: bunte Tücher, glitschige Fischstände, gespreizte Hühnerfüße, süßes Obst in Körben.

Und überall: Blicke. Neugierig, freundlich, manchmal vorsichtig. Ich war hier der Einzige mit heller Haut, der Einzige, der kein Tagalog verstand. Ein junger Mann aus einem anderen Kontinent, der plötzlich Teil dieses lebendigen, einfachen Dorflebens geworden war.

Die Kinder winkten mir nach, einige lachten. Alte Männer beobachteten mich mit verschmitztem Grinsen, während sie Karten spielten oder unter einem Baum saßen. Niemand hier war unhöflich. Nur erstaunt, dass ich da war.

Nachmittags saßen wir oft im Schatten hinter dem Haus, den Blick auf die Felder. Die Brüder kamen vorbei, spielten Basketball auf dem Betonplatz. Die Schwester zeigte mir Bilder auf ihrem Handy, fragte nach Deutschland, nach Schnee, nach Zügen, die nie zu spät kommen, dachte sie zumindest.

Abends wurde gekocht, gegessen, gesungen. Karaoke war hier kein Partyspiel, sondern ein Alltagsritual – wie Zähneputzen. Ilayas Mutter sang alte Lieder, ihre Vater summte leise mit. Ich brauchte einige Abende, bis ich mich traute mitzusingen. Aber dann tat ich es. Und es war egal, wie schief es klang.

Diese Welt war nicht meine, und doch war ich mittendrin. Nicht als Zuschauer – als Gast mit Herzklopfen.

Es war nicht spektakulär. Aber echt. Und vielleicht war das gerade das Besondere daran.

Nach zehn Tagen auf dem Land stiegen wir in den Bus nach Manila – eine lange, holprige Fahrt durch Reisfelder, Kleinstädte, und immer wieder Haltestellen, bei denen irgendwer zustieg, irgendwas verkaufte oder einfach nur neugierig schaute.

In Manila blieben wir nur eine Nacht, dann flogen wir weiter nach Boracay.

Dort war alles heller, offener, lauter. Die Insel wirkte wie aus einer Postkarte gefallen – puderweißer Sand, türkisfarbenes Wasser, Palmen, Sonnenhüte, Bars am Strand. Ein kleiner Kulturschock für mich nach den Tagen im Dorf. Aber auch ein anderer Rhythmus zwischen uns.

Tagsüber spazierten wir den White Beach entlang, hielten an für frische Fruchtsäfte oder um Muscheln zu sammeln. Ich konnte stundenlang einfach aufs Meer schauen. Sie nicht. Sie wollte Action, Bewegung, neue Ecken entdecken. Manchmal stritten wir uns darüber – sie nannte mich „langsam“, ich sie „hektisch“. Dann lachten wir wieder.

Einmal fragte ich, ob wir den nächsten Tag einfach faul am Strand verbringen könnten. Sie sah mich an, ernst, und sagte: „Du kommst doch nicht so weit, um dann nichts zu machen, oder?“ Ich verstand, was sie meinte – und auch, dass unsere Vorstellungen von Urlaub, von Zeit, manchmal nicht die gleichen waren.

Abends fanden wir wieder zueinander. Beim Essen, bei Sonnenuntergängen, bei kleinen Gesten. Sie bestellte Fisch, den ich nicht kannte, und zeigte mir, wie man ihn mit der Hand isst. Ich wollte Messer und Gabel – sie rollte die Augen. Es war nicht immer Harmonie, aber irgendwie stimmte der Grundton.

Nach ein paar Tagen ging es weiter nach Palawan.

Steile Felsen, versteckte Lagunen, endlos scheinende Bootsfahrten. Wir tauchten in klaren Höhlenseen, stiegen auf rutschigen Pfaden zu Aussichtspunkten. Die Landschaft war spektakulär, aber es waren die kleinen Dinge, die blieben: das Geräusch der Wellen nachts, die Stille in den Buchten, das Gefühl, mit jemandem unterwegs zu sein, der dieselbe Richtung sucht, auch wenn man manchmal verschiedene Wege nimmt.

Es gab Momente, in denen wir einander nicht verstanden – nicht nur sprachlich, sondern tiefer. Wenn ich mich zurückzog, um nachzudenken, hielt sie das für Unzufriedenheit. Wenn sie lachte, obwohl ich ernst war, hielt ich das für Leichtfertigkeit. Dabei war es ihre Art, mit Unsicherheiten umzugehen. Ich lernte, nicht alles mit meinen Maßstäben zu messen. Sie lernte, dass Stille nicht immer Ablehnung bedeutete.

Einmal sagte sie, halb im Scherz: „Du Deutsche denkt zu viel.“ Ich grinste. „Und ihr Filipinos fühlt zu schnell.“ Dann grinsten wir beide.

Die letzte Nacht verbrachten wir in Manila, in einem einfachen Hotel nahe des Flughafens. Das Zimmer war klein, die Klimaanlage surrte leise, draußen brummte der Verkehr. Wir lagen nebeneinander, müde von den vergangenen Wochen – aber auch ruhig, wie nach einem langen Gespräch, das nichts mehr beweisen muss.

Es war kein dramatischer Abschied. Kein tränenreiches Loslassen. Vielleicht, weil wir beide wussten: Es war nicht das Ende, nur eine Pause.

Am nächsten Morgen tranken wir gemeinsam Kaffee im Flughafencafé. Ich blickte auf die Anzeigetafel: zwei Flüge, zwei Ziele. Sie zurück nach Bangkok. Ich nach Deutschland. Zwei Wege, die sich trennten – aber nicht verloren gingen.

Wir umarmten uns lange, aber nicht klammernd. Lächelten, obwohl es wehtat. Denn diesmal wussten wir: Der nächste Flug war nur eine Frage der Zeit.

Und als ich durch die Sicherheitskontrolle ging und sie zurückblickte, da war es nicht der Schmerz des Abschieds, der überwog. Es war das stille Wissen: Wir sehen uns wieder.

Bald.
 
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