Thailändisch lernen

Guinsaugon - Philippinen

        #1  

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Es hat hier etliche Nachfragen zu meinem "Projekt Esteban" gegeben. Etliche der Member hier koennen damit nichts anfangen, weil ich zum betreffenden Zeitpunkt hier gar nicht als Member gefuehrt war, wohl aber war mein Nick "abstinent" vergeben. Jeff hatte das geradegebogen, und seitdem poste ich hier recht fleissig.
Um denen, die die Hintergruende der gesamten Story nicht kennen, einen Ueberblick zu verschaffen - erlaube ich mir diesen bebilderten Aufsatz hier auch einzustellen.
Bei den Lesern, welchen ich mit dieser Wiederholung auf "den Senkel" gehe, moechte ich mich dafuer entschuldigen. Ihr habt im angehangenen Poll die Gelegenheit das auszudruecken. Sachlichen Kommentaren oder Fragen sowie Kritiken sehe ich gerne entgegen.

Teilweise werde ich Fotos umarbeiten, "hinigugma" ist uebrigens mein Nick in Philippinenforen - auch erlaube ich mir einige Textpassagen zu korrigieren bzw. aktualisieren. Ich lasse aber den Anfangspart (nun zeitlich falsch) wie im Original.
Anschliessend erfolgt die Erklaerung und die Details zu der von mir in's Leben gerufenen Hilfsaktion und deren Ende.


© 2006 abstinent

GUINSAUGON - Nachruf auf ein Dorf

Auf meiner erst vor Tagen beendeten Philippinen-Rundreise mit Bussen, Leihmopeds und vielen Booten, lag auch das malerische Bauerndorf Guinsaugon. Bekannt wurde es weltweit quasi über Nacht durch den verheerenden Erdrutsch.
Von der Katastrophe selbst kann ich nicht viel mehr berichten, als die Medien der Welt seitdem gebracht haben. Die Rettungsarbeiten sind in vollem Gange, aber selbst Tausende von Helfern haben seit Freitag abend (das ist nun drei Tage her) keine Überlebenden mehr bergen können.
Ein gesamter Bergrücken aus Geröll und Erde hatte sich, einem leichten Erdbeben zufolge talwärts in Bewegung gesetzt. Man spricht von 500.000 Tonnen Matsche, die sich aufgrund starker Regenfälle gelöst hatten.

Anhang anzeigen 142.jpg

Das Dorf war an einem Berghang gebaut, ebenjenem Katastrophenberg - und nun existiert dort gar nichts mehr. Alles ist von der braunen Masse zerstört, überschüttet und getötet worden.

Mein Bericht hier soll euch einen Eindruck vermitteln von der Situation im Ort unmittelbar vor dem Unglück.

photo by chinadaily.com
 
        #2  

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DIE ANREISE

Leyte ist eine Insel, die von z.B. Manila nur in Etappen erreicht werden kann. Zur nördlich von Leyte gelegenen Insel Samar führt eine Brücke, welche die größte Stadt auf Leyte (Tacloban) mit der Transitstrasse in Samar verbindet.

Der Mayon-Vulkan bei Legaspi am Südende der Hauptinsel Luzon war erster Overnightstop auf meiner Reise, und die Busfahrt dorthin dauerte von Manila geschlagene 16 Stunden. Der Vulkan hüllte sich in Wolken, aber nicht in Schweigen, von seinen stattlichen 2400 Metern sah ich maximal die untersten 200. Grollen und kleine Erdstöße gab es rund um die Uhr, recht ungewohnt für einen Fremden.

Weiter ging dann es per Jeepney nach Matnog, der Fährenanlegestelle für den Kahn hinüber nach Samar. 8 Stunden warten war hier angesagt, denn der Seelenverkäufer schippert nur wenn er pickepacke voll ist - ich Idiot war um 5 Uhr in Legaspi aufgestanden, um eine frühe Fähre zu erhaschen...Pech gehabt. Irgendwann am späten Nachmittag schipperte die Rostdschunke dann los, und ich kam in der Abenddämmerung in Allen auf Samar an. Hier war guter Rat teuer, denn Jeepneys oder gar Busse gab es nicht mehr - dafür aber so um die 500 Fährenpassagiere, die alle gerne weiterwollten.
Eine Lösung bot sich in Form eines Kleinbusses an, der seine Minisitzbänke solchermassen vollquetschte, daß die Schiebetüre nur noch mit 2 Mann von außen zu schließen war. Fahrpreis nach Tacloban in Leyte waren utopische 500 Peso, dafür versprach der Fahrer die 180 Km auch in 6 Stunden zurückzulegen. Ich zögerte jedenfalls nicht lange, denn so etwas wie Übernachtungsmöglichkeiten gibt es hier schon 'mal gar nicht.

Was zwischen dem Start in Nordsamar (Allen) und der Brücke im Süden hinüber nach Leyte so alles passierte, das ist alleine 2 bis 3 Reports wert - aber ich will ja nicht zu weit ausschweifen und nur die Tortur der Anfahrt richtig wiedergeben. Die Strasse war wohl seit der Befreiung der Phillies von den Japanern in den 40er Jahren nie mehr nachgebessert worden - in ganz Asien kenne ich nur noch die Piste von Poipet nach Siem Reap in Cambodia als ähnlich brutale Strecke. Ich saß glücklicherweise vorne neben dem Fahrer, und schon die Sicht nach draußen garantierte einmal mehr, das wieder wirklich kein Auge zugetan werden konnte.
Ankunft in Tacloban/Leyte also nach Mitternacht.

Hier in Tacloban hatte General MacArthur seinen Freiheitsfeldzug gegen die Japaner mit einer Gegeninvasion gestartet - den Beach musste ich natürlich besichtigen. 2 Tage wildes Crosscountrybiking stand dann auf dem Programm, und das machte in Leyte sehr viel Spaß. Die 200er Hondas machten nie schlapp, und dann ging es auf die letzte Etappe in Richtung Süden. Bis zur Provinzstadt St. Bernard fuhr ein Bus, wie ich dank mühevoller Herumfragerei ausfindig machen konnte.

5 qualvolle Stunden Country Road für nur 95 Peso - Da lache ich doch über die Sesselpupertouristen, die für ein Pseudoabenteuerritt auf einer computergesteuerten Animationsanlage in einem Vergnügungspark ein mehrfaches Entgelt für einen 5 minütigen Ritt berappen.

St. Bernard - eine kleine Provinzstadt... mit Tankstelle, Busbahnhof und einer Bankfiliale - aber ohne Arzt oder Krankenhaus. Egal, hier gab es den kuriosesten Bus, den ich jemals irgendwo gesehen hatte - und der fuhr bis exakt nach Guinsaugon, meinem heutigen Ziel.

Noch schnell ein paar weitere Dosen Kekse als Mitbringsel (sowas heißt hier Pasalubong) für die Sippe meiner einheimischen Freunde geshoppt. Ein paar Stündchen Warterei muss immer einkalkuliert werden, denn Busse fahren hier nur dann ab, wenn es sich für den Fahrer und Kontrolleur auch wirklich lohnt.

 
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        #3  

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Die Piste ist komplett unbefestigt. Leyte ist eine arme Insel. Reis- und Kokosnussfarming sowie etwas Fischerei an den Kuesten.
Die Familien leben ueberall auf diesen Inseln in Clans zusammen, meist in sogenannten Barangays. Asphalt gab es nur fuer die wichtigsten Transitrouten. Der Grobkiestrack stellt hier die Hauptstrasse dar.

Vorbei geht die Fahrt an wirklich malerischen Reisfeldern und Kokosplantagen, lattenumzaeunte Holzhaeuschen am Strassenrand oder unweit davon sieht man staendig.
Ueberall lachende Kinder, die ihr sorgloses Spiel unterbrechen, und dem Bus und seinen Insassen zuwinken. Laute Rufe "Kano" oder "Hey Joe" vernehme ich, sobald die Zwerge erkennen, dass sich mit mir ein Ortsfremder Foreigner im Bus befindet. Oft rennen die Kleinen dem Bus eine Strecke nach - barfuss auf dem Grobkies!
Dann ein Szenenwechsel, wir naehern uns Guinsaugon. Kokosfarmer gehen am Strassenrand in kuemmerlichen Huetten ihrem Gewerbe nach:

Die Piste wird fast unbefahrbar schlammig, je naeher sich das Vehikel dem Endpunkt der Strecke naehert:

Es scheint die Sonne, und ich bin trotz aller Widrigkeiten guter Dinge - in wenigen Minuten treffe ich meine Bekannten und Freunde in Guinsaugon, darauf freute ich mich schon sehr.
 
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        #4  

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DIE LETZTE ETAPPE

Die Rostlaube von Bus wog bestimmt etliche Tonnen, denn an allen sichtbaren Stresspunkten der Karosse waren Moniereisen in lustiger Puzzlearbeit eingefuegt worden. Solche Schweisskunstwerke kann man hier allerorts bestaunen, einen TUEV oder so etwas.... das gibt es hier noch lange nicht.
Im Innenbereich fuer Passagiere gab es zwei Holzpritschen und glaslose Permanentfenster an den Seiten. Der Bodenbelag, sofern noch existent wies erhebliche Abnutzungsspuren auf, und durch die Loecher unten konnte man das Spiel der Kardangelenke nett betrachten, auch gab der Einblick auf die Fahrbahn durch den Wagenboden Aufschluss ueber die miese Beschaffenheit der Piste.
Ein Busdach aus Blechstuecken und rostigen Metallstreifen wurde von einer hochglazpolierten Chromstange in entsprechender Hoehe gehalten, bei jeder Bodenwelle aechzte die Karosse gewaltig, und die schabenden Bleche erzeugten eine urige Geraeuschkulisse.
Dieser Bus verkehrt nur sehr unregelmaessig, wie man mir mitteilte, und nur das oben auf dem Dach befestigte Wellblech- und Kistencargo fuer Guinsaugon (Bestellung eines Bauherrn dort) ueberredete den Driver mit halbleerem Bus loszustochen.

Ich sass zunaechst ganz hinten (Raucherplatz!), befleissigte mich dann aber auf einen etwas erschuetterungsfreien Sitz direkt hinter dem Fahrer - denn Fotos konnte man bei der Schaukelei hinten gar nicht machen.

Der Blick nach vorne war cool, sofern die hin- und herbammelnden Troeddelchen an der Scheibe und die Risse im Glas das ermoeglichten. Mein Buckel schmerzte noch von der letzten Busreise von Tacloban nach St.Bernard, aber die kuerzer werdende Entfernung zum Ziel liess mich die Zaehne zusammenbeissen. Die schwangere Lady im Bus scherzte mit einer aelteren Dorfbewohnerin, und ich erkannte an einigen Vokabeln - dass ich der Gegenstand dieser Scherze bin.
Mit "Kano" bezeichnet man in den Visayas einen Fremden, Kurzform fuer "Amerikano".

Eine Behelfsbruecke voraus sah nicht so vertrauenswuerdig aus, und ich hielt mich krampfhaft an irgendwelchen stabilen Karosserieteilen fest.
 
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        #5  

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Der Klapperbus rollt in den Ort hinein, erstmals seit Verlassen der Ortschaft St. Bernard kuessen die Reifen wieder eine Betonfahrbahn.

Die seltsame Architektur hier erklaert sich einfach:
Jedesmal, wenn die Familie groesser wird, dann wird an den existierenden Verschlag halt noch ein Raum angebaut. Dabei sind die Aufenthaltsraeume gross und die Schlafgemaecher eher klein gehalten. Oft sind spaeter, mit der Einfuehrung von Kanalisation und Leitungswasser, auch Badezimmer, Duschen und Toiletten aussen angefuegt worden.

Am finalen Stop warten bereits etliche Menschen auf den Bus und seine Insassen, man lacht und ist froehlich - ich fuehlte mich augenblicklich sehr wohl.

Esteban Arbiol jr., mein junger Freund und begnadeter Dirtbikescout empfaengt mich mit seiner ganzen Familie, Esteban sr., Mutter Letecia und einer ganzen Schar von Kindern, welche ich nicht zuordnen konnte.

Ich werde vorgestellt und ueberreiche gerne die mitgebrachten Pasalubongs (Keksgeschenke). Grosses Jauchzen bei den Kleinen. Esteban senior bittet mich in sein Haus.

Es ist geraeumig und relativ sauber und aufgeraeumt dort. Sein Englisch ist duerftig, aber der Junior uebersetzt wieselflink in die hiesige Sprache Visayas.

Hier der Junior:
Das ist der Senior:

Den Junior kannte ich seit 2 Jahren, den Senior und die Mutter lernte ich erstmalig persoenlich kennen.

Mutter Letecia uebernimmt gerne die Rolle der Keksverteilerin, und in ihrem Mini Sari-Sari-Store (so etwas wie ein Mikro-Tante-Emmaladen) steht sie folglich am Schalter und gibt beidhaendig die Praesentkekse an Jeden, der sich dafuer interessiert. Ich habe 2 grosse Kanister von diesen Pasalubongs aus Tacloban hierhergeschleppt, und das erwies sich gerade 'mal als ausreichend.
Der kleine Lausbub mit dem roten Traegerhemdchen heisst Kevin Arbiol, und er ist mir besonders ans Herz gewachsen, denn er ist pfiffig und begabt.
Er ist einer der 4 Enkel von Esteban sr.

Gemeinsam mit seinem kleinen Bruder Kim Yolan ist er immer vor der Kamera, und mir gelingen ein paar Schnappschuesse.

Im Hintergrund erkennt ihr die Wand der Schlagwetterseite des Hauses. Bambussegmente angenagelt, mit alten Kartons und Plastikreklamefolien dichtgemacht. Nicht nur die Kleidung aller Kids ist hier auffaellig sauber, Reinlichkeit und Hygiene spielen auch in abgelegenen Doerfern eine grosse Rolle auf den Philippinen!
Meine Schlafstelle fuer die Nacht wird mir zugewiesen, ein ordentliches gezimmertes Bett mit Mosquitonetz rundherum - da stoert es mich dann auch nicht, dass zwischen den Aussenwaenden aus Bambussplinten riesige Abstaende bestehen. Recht luftige Konstruktion, so ein Haus in den phillipinischen Bauerndoerfern.
Waehrend Junior unsere Bikes praepariert, schnappe ich mir die Zwerge und erfuelle denen einen Wunsch.
Nichts leichter als das, man will mich den Klassenkameraden, Nachbarn und Freunden vorstellen.

Mit je einem Buben an der Hand geht es also per Pedes durchs Dorf. Ueberall sieht man freundliche Leute und in lachende Kindergesichter:
 
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        #6  

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Ich moechte euch noch von diesem netten Ort erzeahlen, von dem und seinen Einwohnern.
Es war schoen dort, wirklich sehr idyllisch und ruhig. Ueberall waren spielende Kinder und fleissige Hausfrauen bei der Arbeit zu sehen. Die Maenner gingen ihren jeweiligen Beschaeftigungen nach, und trafen sich abends bei Esteban, Mario oder in der Barangayhall zum Plausch.
An den Wochenenden gab es auch Hahnenkaempfe auf dem Dorfplatz, und aus Guinsaugon kam schon so manch' streitbarer Hahn und Champion der Provinz. Hahnenkampf ist uebrigens ein Volkssport auf den Philippinen, es gibt in den Ballungszentren regelrechte Stadien dafuer.

Man hatte nun in Guinsaugon eine stabile Stromversorgung per Ueberlandleitung bekommen, und die haeufigen Brownouts (=voruebergehender Stromausfall) der Vergangenheit stellten kein Problem mehr dar.
Das hier ist Juan Arbiol's ganzer Stolz, damit verdient er seinem Teil der Sippe das taegliche Brot:

Ein Schulbus ist das! Taxi, Krankentransporter und Vehikel fuer seltene Grosseinkaufe im abelegenen St. Bernard!

Fast alle Sippen bewirtschafteten seit Generationen kleine Kokosplantagen am Can-Abag Berghang, dem verhaengnisvollen Berg im Ruecken der Stadt. Abgeholzt hatte man dort vielleicht vor 150 Jahren - aber das Ganze war geologisch stabil, solange man denken konnte.

Die Schule des Ortes war direkt dort hingebaut, wo der Ort an den Berg grenzte. 40 Jahre lang wurden dort den Kids des Ortes Grundschulwissen verabreicht.
Esteban war der Dorfschreiner in Guinsaugon. Jedem seiner 4 Kinder hat er nach der obligatorischen Schulausbildung eine Highschool verschafft. Die Opfer dafuer hat er gerne gebracht, und er ist sehr stolz auf seine Schar. Ueblicherweise haben Familien auf dem Land oft 8 oder noch mehr Kinder, aber Esteban und Letecia wussten, dass sie mit ihrem bescheidenen Auskommen den Vieren etwas bieten konnten, was nicht zwingend auf dem Land ueblich ist. Letecia posiert hier mit meiner Sonnenbrille:

Esteban Junior's grosser Traum war es, einmal Auto- oder Motorradmechaniker zu werden. Als Schrauber lernte ich ihn auch seinerzeit kennen, als er fachgerecht und spottbillig ein geliehenes Dirtbike von mir nach einem Crash im Gelaende wieder gerichtet hatte.
Seitdem gab es immer wiederkehrende Treffen mit gemeinsamen Dirtbikeausfluegen. Seit seinem Abitur arbeitete er als Mechaniker in verschiedensten Werkstaetten des Landes, um sich das Geld fuer einen Collegebesuch zusammenzukratzen. Seit ein paar Wochen ist er in seinem Heimatort Guinsaugon, und kuemmert sich um alle reperaturbeduerftigen Zweiraeder im Umkreis. Seinem Onkel Juan (siehe Bikefoto oben) bastelte er gerade ein neues Busbike aus Schrottteilen zusammen. Das Leatherman-Tool welches ich ihm in 2005 schenkte, um das er mich auf frueheren Trips so beneidete, leistete immer noch gute Dienste - das hat er immer am Guertel, den Rest seiner Werkzeuge traegt er stolz in einer alten Munitionsbox der US-Army umher.

Discos, Drogen oder Nightlife gab es in Guinsaugon nicht - eine einfache Karaokebude diente den Einwohnern an Wochenenden zum Entertainment.
Fast jeder hatte fuer den Eigenbedarf ein kleines Reisfeld bewirtschaftet. Letecia kredenzte mir einen selbstgemachten Kokoswein, den man hier Toba nennt. Sah aus wie Rotwein, schmeckte wirklich nicht schlecht. Man bewirtete mich mit einem leckeren Reisgericht, und ich ass mit dem ganzen Familienclan. Mitgebrachte Schokoladenvorraete und Suessigkeiten gingen zur Neige, denn die Kids hatten auch viele Freunde.

Die unbefestigte Strasse vor dem Haus sah am anderen Morgen aus wie nach einem Schneefall, so viele Stanniolpapierchen der kleinen Schokokugeln lagen am Boden verstreut umher. Nach dem Essen ging man zum gemuetlichen Teil ueber, und man stellte mir viele Fragen. Wie das Leben denn so in Thailand sei, und wo ich schon ueberall gewesen bin. Ich holte daraufhin meinen alten Reiselaptop aus dem Backpack und hatte dort ein paar Pics von frueheren Trips. Wat Phra Keouw in Bangkok faszinierte sie alle, der verschneite Weihnachtsmarkt in Essen, Angkor Wat und die Beaches in Cambodia, Elefanten kannten sie nur aus dem Fernsehprogramm. Leider hatte ich keine Picture-CDs mitgebracht, aber die kleine Diashow auf dem Laptop fesselte die Einwohner sehr.
Der Aufenthaltsraum mit seinen rund 60 Quadratmetern in Esteban's Haus fuellte sich zusehends, und bald gab es keinen freien Platz mehr.

Dieses (vom kleinen Kevin gemachte) Foto zeigt links Mario, den aeltesten Bruder Estebans (Englischlehrer an der Elementaryschool), mich in der Mitte und rechts Esteban sr.:

Fuer Esteban senior hatte ich einen alten Schwingschleifer mitgebracht, der bei mir nur noch im Keller gelegen hatte. Den Stecker hatte ich ihm noch auf das hier gaengige Stromsystem umgestrickt, und er fuehrte mir stolz seine anderen Werkzeuge vor. Neben einem umfangreichen Arsenal an Handwerkzeug hatte er eine Kreissaege und eine Stichsaege. Von der Farbe an den Geraetegehaeusen war nicht mehr viel zu erkennen, aber sie waren gut gewartet und funktionierten bestens. Jeder im Ort bestellte ihn, wenn es etwas zu bauen, auszubauen oder zu reparieren galt. (Am 17. Februar war er gluecklicherweise gerade im Nachbardorf, um in Auftragsarbeit einen Dachstuhl auszubessern)
 
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        #7  

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Dieser umgebaute Kleinlaster ist die Alternative zu der schrottigen Rostlaube, mit der ich herkam. Der Eigentümer ist Hauptfinanzier seiner Kirchengemeinde und ein sehr frommer Mann, R.J. ist recht beliebt im ganzen Dorf. Er gilt als schwerreich, denn solch ein Vehikel hat immerhin einen Gegenwert von 300.000 Peso ( ca. 5.000 Euro)

Überhaupt sind hier viele auffällig christlich, was ansonsten in Asien eher selten ist. Die jahrhundertelange Versklavung der Filipinos durch die Spanier hat überall deutliche Spuren hinterlassen. Es gab hier in Guinsaugon gleich mehrere verschiedene Kirchengemeinden.

So wie das Gefährt auf obigem Foto beladen ist, so fuhr es in den Ort hinein. Dachlasten in den Philippinen müssen nicht immer nur aus Gütern bestehen!

Kinderreich sind hier offensichtlich viele Familien, und die Kleinen haben Spass an dem "Kano" - denn es hatte sich wohl herumgesprochen, daß der nicht beißt:

Die erste Nacht im Hause Estebans war etwas ungewohnt - Schöpfkellenduscherei ist wahrhaft kein Neuland für mich, aber hier gab es keine Türe - die man hätte schliessen können. Ich bekam eine Art Wickelrock, so wie ihn die anderen Familienmitglieder auch benutzten, und sollte vorgehen.
Hmmmmm.......

Ich wollte mir das lieber erst einmal bei den anderen anschauen - und gab vor noch eine Zigarette rauchen zu wollen. Der Küchenbereich, in dem auch geduscht wurde - war vom Wohnraum nur durch eine halbhohe Mauer getrennt, eine Tür gab es nicht. Eine Toilette gab es auch, die hatte aber eine Tür und somit den benötigten Sichtschutz in einem angegliederten Quadratmeterchen.

Die Mitglieder der Familie duschten einer nach dem anderen, und behielten ihre Umhänge dabei an. Der kletschnasse Duschumhang wurde dann gegen einen trockenen Ausgetauscht, der dann auch als Nachtgewand diente.

Sehr lange lag ich noch wach und dachte über das hier Erlebte nach. Eine glückliche und gesunde Familie war das, bitterarm nach westlichen Gesichtspunkten - aber zufrieden und sehr gastfreundlich. Im Kopf machte ich mir Notizen, was ich bei meinem nächsten Besuch so alles noch mitbringen koennte.

Ich schlief tief und fest, und mit dem auesserst angenehmen Duft heissen Kaffees in der Nase wurde ich nach einer wohltuenden Nachtruhe dann am frühen Morgen wach.

Ein Pflichtbesuch bei dem ortsansaessigen Englaender wurde mir angehalst, und gemeinsam mit den 4 jungen Erwachsenen ging ich die 50 Meter die Strasse hinauf. Trebor kam aus einer Ecke Englands, in der ein seltsamer Slang gesprochen wurde, und er war schwer zu verstehen. Obendrein war ein bereits am fruehen Morgen angeheitert, und war mir fast schon boese, weil ich das angebotene Bier ausschlug. Ich mag Bier nunmal nicht, besoffene Englishmen auch nicht - und saufen am fruehen Morgen ist nicht mein Ding.
Sein Haus war sehr gross und bieder eingerichtet, Fliesenboden ueberall und sehr geraeumige Zimmer. Trebor fuehrte uns herum, und waehrend der Fuehrung zwinkerten Esteban Junior und ich uns oft mit den Augen zu, oder verdrehten diese. Die Schwestern fanden das alles ganz interessant, und die Gruppe ging auf die andere Strassenseite, um das Schweinestallgebaeude des ehemaligen Matrosen zu besichtigen. Schweine auf den Philippinen stinken genauso, wie in Niedersachsen oder Vorarlberg - und uns verschlug es fast den Atem. Ich nutzte die naechstbeste Gelegenheit, um uns dort loszueisen - denn es gab noch Wichtigeres zu tun, als den Lebens- und Leidensgeschichten eines wehleidigen Matrosen zuzuhoeren.

Heute waren endlich Testfahrten angesagt, und gemeinsam mit Esteban junior und einem seiner Freunde ging es auf den Dirtbikes den Fluß entlang in Richtung Norden, dorthin - wo sein Vater eine kleine Kokosplantage mit ca. 100 Bäumen seit 2 Generationen bewirtschaftete. Ueber uns zog sich eine bedrohlich dunkle Wolkenwand zusammen, und mit den ersten Regentropfen preschten wir dann ueber den immer schlammiger werdenden Weg schnell zurueck. Wie begossene Pudel kamen wir nach wilder Fahrt am Haus an, unten matschig - oben tropfnass!
 
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        #8  

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Im Haus hing viel Waesche zum Trocknen, und es war schwuel an diesem Nachmittag. Mario kam und erzaehlte uns vom Wetterbericht, und das ein stationaeres Tiefdruckgebiet hier wohl nun noch Tage abregnen wird. Wir hockten uns unter ein Vordach und kloenten bis die 3 Toechter von Esteban mit dem juengsten Baby von Melanie, der aeltesten der Drei Maedels durch den Regen angerannt kamen. Keian-Jane hatte ein bischen Fieber, und Esteban hatte immer einige Medikamente auf Vorrat, denn die naechste Apotheke ist weit entfernt.
Melanie, eine bildhuebsche junge Mama von 4 fabelhaften Kindern ist mit einem jungen Mann aus der Coquilla-Sippe verheiratet. Yolan, der Ehemann war zu Montagearbeiten in Maasin, der Provinzhauptstadt.

Die mittlere der Drei plante einen Trip nach Cebu fuer den uebermorgigen Tag, denn sie wollte sich an der dortigen Uni die Bewerbungsunterlagen fuer ein Studium abholen. Eine entfernte Verwandte hatte dort eine Bakery, und dort koennte sie neben dem Studium etwas arbeiten. Die juengste wollte sich einmal Cebu ansehen, und Melanie fiel ein - dass sie nach noch etliche Anziehsachen fuer die Kids braeuchst, also planten die Drei einen gemeinsamen Trip auf die rund 200 KM westlich gelegene Insel.
Ich war noch unschluessig, den Dirtbiking im Dschungel ist schon etwas ganz Tolles!
Der folgende Tag sah auch nicht besser aus, Dauerregen und dichteste Bewoelkung. Wir vertroedelten den Tag im Haus und ein abendlicher Anruf nach Cebu erbrachte die fuer eine Entscheidungsfindung wichtige Information. Keine Wolke sei am Himmel, alles strahlend blau - schon seit Wochen heiss und sonnig. Ich packte meine Reisetasche und beschloss, mich am kommenden Tag bis nach Cebu den Maedels anzuschliessen. Cebu oder Borocay lagen sowieso neben Mindoro noch auf meiner "Islands to visit" Liste fuer diesen Trip.

Keian-Jane hatte am Morgen hohes Fieber, und Melanie aenderte ihre Reiseplaene. Anstatt mit nach Cebu zu kommen wird sie uns bis Saint Bernard begleiten, und ihre Tochter dort zum Kinderarzt bringen. Nach einem Schnellfruehstueck ging es dann unter einer grossen Plane mit der ganzen Sippe zum Busstop.
 
        #9  

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Die Verabschiedung von Letecia und Esteban Senior fand schon vor dem eigentlichen Sonnenaufgang noch im Haus statt, deren Gastfreundschaft die Beiden mussten per Mopedtaxi in's Nachbardorf.
Mit Esteban Junior vereinbarte ich in Kontakt per Handy und Email zu bleiben, und wir verabredeten uns fuer den Spaetsommer in Legaspi.
Die "Bye-Bye" Zeremonie mit den ganzen winkenden Kids im Regen in der Morgendaemmerung wird mir immer in Erinnerung bleiben.

"Come back soon!" "Happy Trip!" "Thanks for the nice Pasalubong!" die Stimmen der Kids klingen mir auch heute noch beim Betrachten der Fotos im Ohr. Die Girls und ich winkten beidhaendig zurueck, waehrend sich der ominoese Bus langsam talabwaerts in Bewegung setzte. Niemals haette ich auch nur im Entferntesten vermutet, das dies an jenem Tage ein Abschied fuer immer sein wuerde.

Die Schaukeltour zog sich ziemlich in die Laenge, und zerschlissene Planen an den Seiten vor den Fensteroeffnungen hielten nur einen kleinen Teil des Regens ab. Wild drehende Windrichtungen waren deutliche Vorboten eier weiteren Verschlechterung der Wettersituation.
Ich hielt Keian-Jane in einer Decke auf dem Schoss und spielte ein wenig mit ihr, das Fieber schien abzuklingen - aber mit der Gesundheit von Babies soll man nicht spassen oder experimentieren.

Der Busfahrer kannte die Insassen alle, fuhr einen kleinen Umweg und hielt netterweise direkt vor dem Haus des Kinderarztes. Ich half den Beiden noch hinein und bedankte mich noch fuer das leckere Huehner/Reisgericht, welches mir von ihr am Vorabend zubereitet wurde. Auch diese Zwei werde ich nun leider nicht mehr wiedersehen koennen.

Hier endet nun der selbst erlebte Teil meines Guinsaugon-Berichts, meine Reise fuehrte in der Folge ueber Mactan bei Cebu (Magellan's Monument), Manila und Mindoro wieder ueber Macau zurueck in meine thailaendische Heimatbasis. Die Highlights davon habe ich in eigenen Berichten zusammengefasst, bzw. bin dabei das zu tun. Diese Kleinberichte werden ebenfalls hier eingestellt werden, sofern sie nicht schon hier veroeffentlicht sind.

Meine bescheidene Dokumentation zu den Vorfaellen geht nun unter Verwendung von nicht eigenen Fotos weiter.
 
        #10  

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DER BERG


Der Can-Abag Mountain war ein gruener, dichtbewachsener Vertreter seiner Gattung. Hier im tropischen Regenwaldbereich war der Dschungel oft undurchdringlich. Narra-Baeume und Tuogs wuchsen hier, wie die Natur sie gesetzt hatte. An Holzwirtschaft oder dergleichen war nicht zu denken.
Schon seit Generationen bewirtschafteten die Einwohner des Dorfes an zugaenglichen Hangflecken Kokoshaine, und jeder Farmer freute sich zur Ernte ueber das extra Essen und auch das daraus erzielbare Einkommen, welches die Kokospalmen boten.
Oekologische Landwirtschaft war das vom Feinsten!
Hier hat man weder Geld noch Sinn fuer Kunstduenger oder gentechnisch manipuliertes Saatgut. Die Baeume wurden gepflegt, und seit den wilden Abholzungsaktionen der Besatzungsmacht Spanien vor rund 150 Jahren (Schiffsbau) hat hier keine eingreifende oder wesentliche Veraenderung mehr stattgefunden.
Die dummen Schuldzuweisungen mancher Presseorgane heute werte ich als billige Ausreden, sonst nichts! Ein unkontrolliertes Abholzen, so wie man es noch heute aus Laos, Cambodia oder Thailand kennt, hat zumindest hier nicht seit Generationen stattgefunden. Der saisonuntypische Dauerregen der Wochen vor dem Unglueck (der auch zu meiner verfruehten Abreise dort fuehrte) - der hat dem Berg die gesamte organische Substanz weggewaschen....und Millionen von Tonnen an Schlamm und Geroell waren die Folge:

Das gesamte Dorf Guinsaugon wurde unter der Schlammlawine begraben, und mit ihr fast alle Einwohner


photocredit: provincial government of southern leyte
 
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