Die Fahrt mit dem Motorrad in die Stadt war für Jack nach wie vor ungewohnt und er fühlte sich immer noch verunsichert, ja teilweise etwas verängstigt, wenn sie von den großen LKWs überholt wurden, die auch mal urplötzlich, wahrscheinlich wegen überholenden Gegenverkehrs einen Schlenker auf den Seitenstreifen machten, den sie mit ihrem Motorrad befuhren. Sie erreichten Buriram allerdings ohne Zwischenfälle und Jack war froh, dass sie endlich in der Stadt waren, runter von der viel befahrenen Hauptstraße, die ihm das unbehagliche Gefühl einer ständigen Gefahr bescherte.
Chalitah bog am Bahnhof an der Kreuzung mit der Turmuhr nach links ab, fuhr noch ein Stückchen und stoppte vor einer Kreuzung.
„Nun Jack, wie wäre es mit einem vernünftigen Frühstück und eine Kaffee? Ich denke mal, dass es heute Morgen etwas dürftig war und du bestimmt Hunger hast!“
Jack schaute sich um, fand aber auf den ersten Blick nichts, was auch nur annähernd an ein Restaurant erinnerte. Chalitah deutete auf einen von Büschen umgrenzten Bereich, der von einem schräg abfallenden Wellblechdach überschattet wurde.
„Das ist die Bamboo Bar. Hier treffen sich häufig die in Buriram lebenden Farang und hier gibt es ein annehmbares Frühstück. Lass uns hineingehen.“
Chalitah wurde freundlich von dem Personal begrüßt und Jack wurde auf die gleiche Art und Weise empfangen.
„Es leben recht viele Farang in und um Buriram. Die Bamboo Bar hat sich als ein beliebter Treffpunkt etabliert und das Essen hier ist auf deren Bedürfnisse ausgerichtet. Ich empfehle dir ein American Breakfast, das wirst du in der Art wohl überall finden.“
Jack stimmte Chalitah zu. Das Essen war wohl recht schnell zubereitet und Jack merkte erst jetzt, wie hungrig er war. Chalitah hatte sich ebenfalls ein American Breakfast bestellt und sie genossen ihr nachgeholtes Frühstück schweigend.
Jack hatte sich so sehr auf das Frühstück konzentriert, und darüber überhaupt nicht mitbekommen, dass sich mittlerweile einige andere Gäste eingefunden hatte, zwei Paare, Westler mit ihren thailändischen Frauen. Er spürte ihre neugierigen Blicke fast körperlich. Die beiden Frauen schienen sich mehr für Chalitah zu interessieren und würdigten ihn selbst keines Blickes
Die beiden Männer hatten scheinbar ihre Neugier gestillt und ihre Gesichter verschwanden hinter den Zeitungen, die ihnen von einer Servierkraft gereicht worden sind. Lediglich die Frauen tuschelten untereinander und blickten immer wieder zu Chalitah herüber.
„Lass dich durch ihre Blicke nicht stören. Es sind Stammgäste hier, schon seit Jahren verheiratet und sie fristen hier ihr Dasein.“
„Und warum tuscheln die beiden Frauen und blicken immer wieder zu dir?“
„Das ist wohl eine Sache für sich, es hat einen gewissen Background. Viele der Mädchen hier haben mal in Pattaya, Bangkok oder anderen Hotspots des Tourismus gearbeitet, nicht unbedingt alle im Milieu, aber da, wo diese Schnittpunkte liegen, waren sie nicht abgeneigt, sich auch mal ähnlich wie ein Mädchen aus dem Milieu auf einen Farang einzulassen. Die erfolgreichen Ergebnisse ihres Lebens siehst du da drüben. Sie haben sich in ihre Zeitungen vertieft und schenken ihren Frauen kaum noch Beachtung. Ich kenne die beiden Typen. Des Abends sind sie ohne ihre Frauen unterwegs und vergnügen sich in Massagen und anderen, einschlägig bekannten Locations, haben ihre eingespielten Gewohnheiten als Spaßtouristen nie richtig ablegen können. Den Frauen ist das möglicherweise bewusst, aber sie verschließen lieber ihre Augen vor einer möglichen Realität. Was da in den Blicken mitschwingt, ist ein wenig Melancholie, Erinnerung an die alten Zeiten und ein lockeres Leben. Sie selbst sind jetzt mehr oder weniger gefangen in einer sich ständig wiederholenden Monotonie eines Alltags, der diametral dem gegenübersteht, was sie während ihres freien Lebens zuvor erlebt hatten. Der Preis der Aufgabe lockeren Lebens war die Absicherung ihrer Zukunft, eine gesicherte Existenz für sie und ihre Kinder, teilweise auch für den Rest der nahen Familie, sofern sie noch lebt. Jetzt sehen sie mich mit einem ihnen unbekannten, neuen Farang, was die Brücke zu ihrer Vergangenheit schlägt und ihnen ihren aktuellen Status deutlich macht und sie erkennen müssen, dass sie sich in einer Einbahnstraße ohne Ausweg befinden. Ich verstehe die Beiden recht gut und irgendwie tun sie mir leid. Aber ändern kann ich nichts. Es gibt aber auch jede Menge Ausnahmen von dieser Art der Beziehung. Ich würde mal sagen, dass es die Mehrheit ist. Also, mein Lieber, nimm es einfach so hin!“
Jack hatte aufmerksam zugehört. Er hatte mittlerweile zahlreiche Eindrücke gesammelt, allerdings wurde ihm dadurch auch bewusst, dass es nur ein winziger Bruchteil dessen war, was man zum Verständnis unterschiedlichster Sichtweisen benötigte. Die Saat des Verstehens, warum Lin ihn nach Thailand geschickt hatte, schlug erste, zarte Wurzeln. War es anfangs lediglich eine zweckgebundene Entscheidung, Lins Forderung Folge zu leisten, die ihn hatte nach Thailand reisen lassen, so sah er mittlerweile den Hauch der Notwendigkeit aufkeimen.