Meine Familie wohnt auf Leyte, ca. 80km Luftlinie, westlich von Tacloban.
Kurz nach Abreise auf den Philippinen am Donnerstag um 18:00 hatte ich beim Umsteigen in DXB (0600 LT) nochmal Kontakt mit meiner Partnerin. Als ich in FRA gelandet war, erhielt ich eine SMS, dass der Wind jetzt das Wasser ins Haus drücken würde - gesendet um 0700LT, als ich schon wieder in der Luft war...
Da dies zunächst das letzte Lebenszeichen war, hatte ich über das Wochenende Zeit, vor Ungewissheit fast die Wände hochzugehen. Und das Netz nach verlässlichen Informationen zu durchforsten... Die Fülle an Informationen erschlägt einen nahezu und in erster Linie handelt es sich (natürlich?) um den Seite-1-Aufmacher mit schlimmen Bildern. So funktioniert sie nun einmal, unsere bunte Medienwelt: blood sells...
Am Sonntag bin ich dann nach und nach fündig geworden. Die Seite der Philippines Airforce, die FB-Seite der Stadt Ormoc, der Blog des Guardian. Endlich mal Seiten mit Informationen, die nicht von irgendwelchen selbsternannten Fachleuten zu Zerrbildern der Realität verunstaltet wurden.
Mir wurde klar, dass die Katastrophe in Tacloban nicht auf alle vom Sturm heimgesuchten Gebiete gleichermaßen zu übertragen ist: der Naturhafen von Tacloban hatte den Wind gefangen und hat das Wasser mehrere hundert Meter ins Landesinnere getrieben. In der Folge wurden ganze Küstenorte weggespült.
Die auf kommunaler ebene eingesetzten Rettungskräfte des NDRRMC (National Disaster Risk Reduction & Management Council) vergleichbar vielleicht mit Zivil- oder Katastrophenschutz, wurden selbst zu Opfern, Betroffenen und Hilfsbedürftigen.
Die ersten Tage herrschte m.E, Chaos - die nationalen Rettungskräfte mussten sich selbst erst neu organisieren und konnten (erst?) ab Sonntag mit Aufräumarbeiten beginnen.
Den Eindruck, der völlig unkoordinierten Hilfe möchte ich gerne mit einem Einsatz der Feuerwehr vergleichen: man kommt an der Einsatzstelle an, muss sich ein Bild der Lage machen. Der Angriffstrupp macht sich startklar, während Wasser- und Schlauchtrupp ihren originären Aufgaben nachgehen. Da wird gerufen, gebrüllt, Material mehr oder minder hektisch hin- und her gezerrt, während der Einsatzleiter sich Gedanken macht, ob der Angriffstrupp besser durch die Haustüre ins Feuer geht oder doch besser wartet, bis die Drehleiter eintrifft, um durch das Fenster der ersten Etage zu löschen.
Die Bordsteinkommandanten wissen es natürlich besser und vermuten eine Tür auf der Rückseite des Hauses.
Hat der Einsatzleiter die Situation alles richtig entschieden und die Menschen sind aus dem brennenden Haus gerettet, beklagen die Bordsteinkommandanten, dass das Löschwasser zu kalt gewesen sei...
Hat er eine fragwürdige Entscheidung getroffen bedarf es eines fähigen Fachmannes, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, bzw. den Einsatz weiter zu leiten.
Während also die ersten Rettungskräfte scheinbar nicht wussten, was sie taten, war internationale Hilfe auf dem Weg, kam aber nicht durch, weil neben der zerstörten Infrastruktur im Schadensgebiet die tangierten Behörden nicht so funktionierten, wie wir das als "Bordsteinkommandanten" gerne hätten. Da waren strenge Einreiseformalitäten zu erledigen und der Amtsschimmel wieherte mehr als laut. Da steht dieser armselige Immigrations-Fuzzi und lässt die Götter in weiß nicht durch - Frechheit.
Es ist Samstagmittag, grade eben hat die deutsche Bundesregierung 500.000€ Soforthilfe zugesagt - ein lächerlicher Betrag. Es ist aber niemand im Amt, der (wie dann am Montag geschehen) eine angemessenere Entscheidung hätte treffen können. Genausowenig, wie der arme immigrations-Officer vor Ort weiß, dass sein Ministerium am Sonntag das Einreiseprocedere für Hilfskräfte vereinfachen wird.
Während also die Bordsteinkommandanten noch mit der Besserwisserei beschäftigt sind, ist die Wasserversorgung hergestellt und die vermeintliche Hektik an der Einsatzstelle nimmt ab. Während der Wassertrupp das zweite C-Rohr zum Angriff vorträgt, trifft der Kreisbrandinspektor ein, trifft weitreichendere Entscheidungen und übernimmt die Einsatzstelle...
Seit gestern sind die US-Streit- und Rettungskräfte vor Ort und konnten, Dank der von der AFP (Air Force of tthe Philippines) geleisteten Luftaufklärung nahezu unmittelbar mit Hilfsflügen beginnen und die Koordination des Einsatzes übernehmen.
Gewisse Ähnlichkeiten sind gewollt - auch wenn manche Dinge vereinfacht dargestellt worden, um es begreiflicher zu machen. Da fällt mir noch ein, dass die Feuerwehren in Deutschland an Heilig Abend nicht mit Blaulicht durch die Straßen fahren, weil es irgendwo in diesem Ort, irgendwann im Gemeindegebiet brennen wird.
Die Vorbereitungen des THW sind bereits am Freitag angelaufen, sodass am Samstag der erste Hilfsflug mit 250 Tonnen Hilfsgütern in Frankfurt starten konnte - bis sie auf diesen kleinkarierten Immigrations-Menschen getroffen sind... (siehe oben).
Ich wollte aber die Geschichte meiner Familie weitererzählen:
Yolanda ist also unmittelbar über diesen Ort mit seinen 30.000 Einwohnern hinweggezogen.
Die Ungewissheit zerfrisst mich und ich nehme mir fest vor, am Montag alles für eine Abreise klar zu machen - bis mich montags erfahrene Mitarbeiter des Krisenmanagements in der Firma zu Boden zwingen. Wenn meine Freundin tot sein sollte, dann ist sie es nächste Woche noch genauso. Wenn sie schwer verletzt ist, hat sie nach drei Tagen entweder Hilfe erfahren oder eben nicht - ändern kann ich es jetzt sowieso nicht.
Was meine Freundin braucht, ist ein gesunder Nixus, der zur gegebenen Zeit ein As aus dem Ärmel zieht und einfach weiß was zu machen ist - oder, der im Zweifelsfall sein Portemonnaie aufmacht und die notwendigen Mittel bereitstellt.
Das Risiko, durch Seuchen, Verlust der öffentlichen Ordnung oder Raub diese Rolle nicht ausüben zu können, wird mir schlagartig bewusst. Ich wäre noch ein zusätzliches, hungriges Maul, das irgendwo einen Schlafplatz unter einer Plastikplane suchen müsste.
Schlimmstenfalls würde ich sogar Rettungskräfte binden, wenn ich sehenden Auges in mein Verderben laufe und die sich dann um mich kümmern, mich retten müssen. Wer läuft schon mit einem 5-Liter Eimer los, um der Feuerwehr beim Löschen eines Dachstuhlbrandes zu helfen?
Kurz nach dem Gespräch erhalte ich über Umwege die Information, dass meine Freundin und ihre Familie wohlauf sind.
Plötzlich scheinen mir meine kopflosen (und herzgesteuerten) Reisepläne völlig hirnrissig. Wie will ich dort helfen?
85% der Behausungen hat der Sturm weggefegt. Die übrigen 15% (nahezu ausschließlich Stein- bzw. Betonbauten) sind größtenteils ohne Dach. Meine Familie lebt derzeit mit 15 Personen auf etwa 20 m² (nämlich dort, wo das Dach noch intakt ist). Baumaterial ist nicht erhältlich, die Straßen sind noch nicht frei...
In diesem Ort sind erfreulicherweise keine Toten zu beklagen und die Verletzungen beschränken sich auf Knochenbrüche und kleinere Schnitt- und Platzwunden.
Während ich am Dienstag meine Reisepläne auf Ende November verschiebe, erreichen mich Nachrichten, dass "Rebellen" Hislfskonvois überfallen hätten. Neben der Tatsache, dass ich mit meinem Sack Reis auf den Schultern ein noch leichteres Ziel gewesen wäre fällt mir auf, dass diese verzweifelten Menschen vor Ort, die ums nackte Überleben kämpfen, plötzlich als "Rebellen" bezeichnet werden. Crime sells...
Heute Morgen hat sich meine zukünftige Frau mit dem Motorrad auf den Weg gemacht, ist über 60 km nach Ormoc gefahren, um mit mir zu telefonieren. In Ormoc wurde, ebenso wie in Tacloban, an einem zentralen Punkt ein "Hotspot" für Mobiltelefone eingerichtet. Das wusste sie vom hören-sagen und wollte sich davon überzeugen.
Wir sprachen über 15 Minuten miteinander und mehrfach brach sie in Tränen aus. Das Erlebte wird wohl noch lange an ihr nagen.
Die Situation außerhalb der Region Tacloban hat sich inzwischen verbessert: in ihrem Ort wird die Wasserabfüllanlage inzwischen mit einem Aggregat betrieben, die Tankstelle läuft auch auf Notstrom (110 PHP/Liter - 2 Stunden Wartezeit). Die Läden sind nahezu leer gekauft - das Kilo Reis wird derzeit mit 120 PHP gewuchert. Hunger ist allgegenwärtig - aber verhungern wird in Tabango aus ihrer Sicht niemand. Ab morgen nehmen die Mini-Vans die individuell arrangierte Versorgung auf und ebenfalls für Mittwoch hat ein Lebensmittelladen aus ihrem Ort eine Lieferung mit Grundnahrungsmitteln avisiert.
In Ormoc sind ebenfalls schwere Schäden an den Gebäuden zu erkennen. Auch hier wurden Häuser aus Naturmaterialien einfach weggefegt. Ormoc wurde ebenfalls vom Auge des Sturmes gestreift. Allerdings scheint das Stadtzentrum schon fast normal: die Läden haben die nötigsten Lebensmittel in ausreichendem Maße vorrätig und wer es sich leisten kann, kauft reichlich ein. Im Statdtzentrum kann telefoniert werden und ab morgen soll ein ATM der BPI wieder funktionieren. Die für nächste Woche geplante Tagesreise nach Cebu, um Geld zu beschaffen, kann also abgesagt werden.
Natürlich zieht dieses Angebot verzweifelte Menschen an, wie das Licht die Motten; meine Freundin hat ein ungutes Gefühl, mit prallen Einkaufstaschen zurückzufahren.
Als ich erzähle, dass ich noch am Wochenende vorhatte, mich auf den Weg zu machen unterbricht sie mich jäh: "Komm' noch nicht hier her. Du bist ein hungriges Maul, das versorgt werden muss. Du würdest leiden - und ausrichten kannst Du momentan nicht viel..."
Aber irgendwas muss ich doch tun können!? Irgendwie helfen...
Ich hab' da eine Idee...