Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie Panik in mir aufstieg. Mir war klar, dass ich das nun vorsichtig angehen musste. Aber viel Zeit blieb mir nicht. Wer wusste schon, was in Pongs Kopf vorging und wie sich das entwickeln würde?
Jedenfalls wollte ich das nicht in Nele-Imkes Beisein klären.
Ich tat überrascht, was mir nicht schwer fiel: "You don‘t want to go to Germany?“ Pong überlegte einen Moment und antwortete schließlich: "I don‘t know.“
Ihr Tonfall verriet, dass das nicht nur so dahergesagt war, sondern sie wirklich unsicher war. Ich schaute sie sprach- und fassungslos an.
Pong brauchte nur 'ja' zu sagen und konnte mit ihrer Tochter ganz bequem mit dem Flugzeug in ein neues Leben starten.
Andere Dritte-Welt-Bewohner geben sonstwas für die bloße Chance nach Europa oder gar Deutschland zu gelangen. Sie zahlen tausende von Dollars an irgendwelche Schlepper, um in Schlauchbooten und sonstigen Seelenverkäufern übers Meer zu schippern, riskieren dabei jämmerlich zu ersaufen oder an irgendeinem Strand angespült zu werden und alles für eine mehr als vage Hoffnung auf Sicherheit und vielleicht ein besseres Leben – aber Madame war sich nicht sicher. Unglaublich.
Am liebsten hätte ich sie gefragt, ob sie noch ganz bei Trost war, beschränkte mich jedoch darauf nachzuhaken, warum sie sich nicht sicher war, wo sie doch zuvor auch zu Wolfgang nach Deutschland gehen wollte.
"Wolfgang take care me Germany“ sagte sie leise. "Wolfgang dead now. Cannot take care me anymore.“ fuhr sie fort. Erleichtert atmete ich auch aus und musste fast lachen. Wenn es sonst nichts war.
"Don‘t worry. I will take care you.“ versicherte ich ihr und ihre Miene hellte sich ein wenig auf. "You take care me? Really?“ wiederholte sie. Pong schien etwas verwundert, was mich wiederum verwunderte. Was hatte sie gedacht? Das wir uns von ihnen am Flughafen in Deutschland verabschieden und sie und Off sich selbst überlassen würden? "Auf sowas musste man erstmal kommen“, dachte ich amüsiert und versicherte ihr: "Yes, of course!“
Pong schien tatsächlich irritiert und fragte: "What about Noi. Me thinking you like Noi.“
Noi? Was hatte die denn damit zu tun? Dann verstand ich: Pong hatte offenbar gedacht, dass ich bei Noi in Thailand bleiben wollte und Nele-Imke allein sie und Off nicht versorgen konnte. Fast hätte ich laut darüber gelacht, was Pong für absurde Gedanken hatte, aber dann fiel mir ein, dass es wenige Tage zuvor gar nicht so absurd war. Ich hatte ja selbst von einem Leben mit Noi geträumt und Pong konnte ja nicht wissen, dass es aus war mit Noi. Nicht einmal Noi wusste das.
"I am finished with Noi.“ klärte ich Pong auf. Pong erwiderte mit einem leichten Schmunzeln: "Oh, me not know.“ Dann hob sie eine Augenbraue und ergänzte: “You butterfly!“
Tja, das hatte sie gut erkannt. Schmetterlinge im Bauch hatte ich tatsächlich bei Noi, aber das war ja vorbei. Also antwortete ich wahrheitsgemäß mit etwas Wehmut in der Stimme: “No butterfly. You know ... Noi had sex with other man … and …"
Weiter musste ich nichts erklären, denn Pong hatte schon verstanden und unterbrach mich gleich: "Ah, I see. Not your fault. Not butterfly. Noi bad girl. Not good, girl have many man.“
Ich war in Gedanken an Noi abgedriftet und es dauerte wohl einen Moment zu lange, dass ich etwas sagte. Jedenfalls schien Pong mein Schweigen missverstanden zu haben, als würde ich mich darüber wundern, dass ausgerechnet jemand der selbst auf den Strich ging sowas sagte und ergänzte: “Me one man woman. Me good girl. Me not like working bar.“
Ich beeilte mich ihr zu versichern, dass ich natürlich nie daran gezweifelt hatte, dass sie ein gutes Mädchen sei: "Of course. I know you are a good girl and I understand why you work at the bar. Believe me, I really like you very much. That‘s why I want you to come to Germany.“
Pong strahlte, aber nur für einen Moment, dann machte sich Skepsis in ihrem Gesicht breit: "And Nele? She OK you take care me? She OK you take me Germany?“ Pong machte mir wirklich Spaß. Was dachte die sich nur? Ihr schien tatsächlich nicht klar zu sein warum Nele-Imke und ich das alles auf uns genommen hatten und dass Nele-Imke mindestens so sehr um das Wohlergehen iherer Schwester besorgt wäre wie ich, wenn nicht noch mehr.
"Yes, of course she is OK with it.“ versicherte ich Pong schmunzelnd, woraufhin das freudige Strahlen schlagartig zurück war und sie mir freudestrahlend um den Hals viel.
Ich schrie auf. Halb vor Überraschung, halb vor Kopfschmerz. Pong erschrak und lockerte die Umarmung. "Me so happy, Malte … and me take care you. Me take care you very, very good.“ flüsterte sie mir ins Ohr.
Pong machte mir echt Spaß. Als würde ein Thaimädchen in Deutschland so ohne weiteres zurechtkommen. Sie würde sicher nicht klar kommen, geschweige denn, dass sie sich um ein Kind oder gar jemand anderes kümmern konnte.
Aber darauf kam es ja nicht an. Wichtig war nur, dass Pong sich jetzt nicht quer stellte und alles geklärt war, bevor Nele-Imke zurück kam.
Pong fragte: “Me go bring passports?“ Ich nickte zustimmend und sie lief los. Dabei wäre sie fast mit Nele-Imke kollidiert, die gerade zur Tür hereinkam. "Me go bring passports.“ rief Pong ihr fröhlich zu und verschwand.
Nele-Imke schaute ihr verwundert nach und sah mich dann fragend an. Ich erklärte ihr, dass Pong sich nur freute, weil wir sie mit nach Deutschland nehmen wollten und dass Pong das zuvor nicht klar gewesen war.
"Dummes Ding“ sagte Nele-Imke lächelnd und in liebevollem Ton. "Was hat sie gedacht, warum wir hier sind?“
Pong brauchte keine Stunde, bis sie mit den Pässen wiederkam und Nele-Imke diese feierlich übergab.
Nele-Imke verabschiedete sich noch herzlich von Pong und mir und machte sich auf nach Bangkok.