Kaum hatte Nele-Imke den Plan akzeptiert und dessen Dringlichkeit verinnerlicht, begann sie das konkrete Vorgehen durchzuspielen.
"Heute werde ich bei der Botschaft nichts mehr … aber wenn ich heute noch nach Bangkok fahre, bin ich gleich morgen früh die Erste … wo ist die Botschaft eigentlich? … das muss ich vorher noch im Internet recherchieren … ein Hotel brauche ich auch … das buche ich am besten auch im Internet … und ein Taxi … das suche ich mir dann nachher … " sinnierte sie vor sich hin. Genau so hatte ich mir das gedacht und beobachtete sie schweigend. Ich wollte sie keinesfalls stören. Sie war genau auf dem richtigen Weg.
"Ich frag‘ mal, ob die hier Internet haben. Dann kann ich schon mal nachgucken, bis Pong wieder da ist. Ich muss ja eh auf sie warten, um mich zu verabschieden. Außerdem brauche ich wohl ihren Pass für die Botschaft ...“ sagte Nele-Imke schließlich und wollte schon aus dem Zimmer.
"Warte mal“ unterbrach ich ihren Tatendrang kurz "da ist noch was.“
Nele-Imke hielt inne und sah mich fragend an.
"Wo du gerade Pong erwähnst ...“ begann ich zögerlich. Nele-Imke blickte nun besorgt bis skeptisch. "Reg‘ dich bitte nicht auf, aber … naja ...“ setzte ich mit gespielter Unsicherheit fort, was bei Nele-Imke nun zu ernsthafter Besorgnis führte.
"… Ich will ihr wirklich nichts unterstellen und wahrscheinlich bin ich nach dem Ganzen hier auch nur paranoid. … und wenn du es nur mir zuliebe tust, nur damit ich beruhigt bin und es endgültig abhaken kann – und sei es nur, damit einen nicht ewig nagende Zweifel plagen … " stammelte ich zögerlich. "Um Himmels willen, nun sag‘ schon was los ist!“ drängte Nele-Imke ungeduldig. Man konnte förmlich sehen, dass ihre Nerven zum Zerreißen angespannt waren.
"Nun ja, können wir wirklich sicher sein, dass Pong die ist, die sie zu sein vorgibt?“ erlöste ich sie.
Nele-Imke atmete hörbar aus, offensichtlich erleichtert, dass es nur um meinen aus ihrer Sicht absurden Verdacht ging. "Fängst du schon wieder damit an? Wer soll sie denn sonst sein? Dir ist schon klar, dass du nicht nur Pong verdächtigst uns zu betrügen und eine schäbige Nutte zu sein, sondern auch meinen Vater ein Sextouri zu sein, oder? Das kann nicht dein ernst sein. Du hast doch gehört, was Pong gesagt hat. Und alles andere passt doch nun auch nicht zu einem Sextouri und seinem Sexspielzeug. Die herzlichen E-Mails, die Unterstützung und so weiter. Glaubst du ernsthaft, dass mein Vater sich so ein junges Ding kaufen und vergewaltigen würde? “
Mit der Reaktion hatte ich gerechnet und erwiderte: "Nein, natürlich nicht, aber vielleicht gibt es auch noch eine ganz andere Erklärung, die uns gar nicht in den Sinn gekommen ist. Irgendwie kommt mir hier alles spanisch vor. Ich glaube ja auch nicht wirklich, dass dem so ist, aber ich bin mir halt nur zu 99,99% sicher. Aber wenn wir jemanden bei uns aufnehmen wollen und mit ihr in Deutschland zusammenleben wollen, wäre ich gern bei 100%. Wie gesagt, selbst wenn es nur zu meiner Beruhigung ist und um das Thema engültig abhaken zu können.“
Nele-Imke war sichtlich genervt und fragte bissig: "Und wie stellst du dir das vor? Fragen nützt ja wohl nichts, wenn du ihr eh nicht glaubst. Was soll Pong überhaupt denken, wenn wir ihr mit sowas kommen? Hast du mal daran gedacht, wie sie sich fühlen muss, wenn sie von deinem Misstrauen erfährt? Das können wir doch nie wieder einrenken.“
Fast musste ich schmunzeln bei dem Gedanken, wie gut ich Nele-Imke kannte und ihre Reaktion vorhersagen konnte. Während ich mich langsam zum Nachttisch beugte und diesen öffnete, erklärte ich ihr: "Sie muss es ja nicht erfahren. Du könntest einfach einen Gentest machen. Dann haben wir die Bestätigung und alles ist gut. Vielleicht brauchen wir den ja sowieso für die Botschaft. Da könnte ja jeder kommen und behaupten, dass er ein Visum für eine Blutsverwandte braucht. Die Botschaft will bestimmt irgendeinen Nachweis.“
Das hatte Nele-Imke entwaffnet. "Einen Gentest?“ wiederholte sie nachdenklich und fragte "Wie soll das gehen, ohne dass sie davon etwas mitbekommt?“
Auf die Frage hatte ich nur gewartet. Der Zweifel war gesät, nun musste ich nur noch bewässern und warten, bis die Saat aufging und Früchte trug. Ich reichte ihr die Haarbürste aus dem Nachttisch, die sie mit Fragezeichen in den Augen entgegen nahm. "Die habe ich vorhin von Pong stibitzt.“ erklärte ich ihr.
Für einen Moment sagte Nele-Imke gar nichts, sondern sah mich nur nachdenklich an. "Davon darf Pong nie etwas erfahren.“ willigte sie schließlich ein, wickelte die Bürste in einige Papierhandtücher aus dem Spender neben dem Waschtisch ein und ließ sie in ihrer Handtasche verschwinden.
Dann verließ sie ohne ein weiteres Wort das Zimmer, um einen Internetzugang zu suchen.
Ich lehnte mich zufrieden zurück. Das hatte alles hervorragend geklappt. Noch eine Stunde, vielleicht zwei, dann würde Nele-Imke auf dem Weg nach Bangkok sein. Sie würde Noi nie wieder sehen und ihre Telefonnummer hatte Noi nicht.
Wie lange würde so ein Gentest wohl dauern? Zwei Tage? Vielleicht drei? Egal.
Ein paar Tage konnte ich Pong problemlos etwas vorspielen und darauf warten, dass Nele-Imke völlig aufgelöst anrief, um mir mitzuteilen, wie recht ich doch hatte und was Pong für eine schäbige Betrüger-Nutte war. Ich war mir mittlerweile ziemlich sicher, dass Pong uns belogen hatte und der Test folglich negativ ausfallen würde. Dann würde ich Pong vor die Tür und mich ins Taxi nach Bangkok setzen, um Nele-Imke zu trösten und mit ihr zurück nach hause zu fliegen.
Nele-Imke würde auch Pong nie wieder zu Gesicht bekommen und ich konnte in aller Ruhe einen passenden Moment abwarten, um Nelke-Imke eventuell zu beichten. Wenn dieser Moment denn jemals kommen würde.
Nur eine Frage war noch offen: Da Nele-Imke Nele-Imke Pong ja eh nicht wiedersehen würde und Pong dann auch definitiv nicht ihre Schwester ist, sollte ich mir von Pong noch nehmen, wofür ich bezahlt hatte?
Aber das hatte noch Zeit. Das konnte ich später noch entscheiden. Ich entspannte mich und döste mit einem Lächeln ein.