Wenige Minuten später rief Emily jemanden an, angeblich wohl ihre Eltern oder andere Verwandte. Natürlich verstanden Anton und ich kein Wort, aber der Anruf sollte sicherlich ihre Story einleiten. Wir konnten nicht mal deuten, ob sie wirklich ihre Eltern anrief, oder die Zeitansage vollquatschte, aber es musste wohl überzeugend geklungen haben, denn Anna und Mary zeigten kein Misstrauen, als Emily uns fragte, ob wir sie nach Manila mitnehmen könnten. Ihre Trauermine hatten die beiden noch immer nicht abgelegt.
So langsam fing das an zu nerven. Man konnte es auch übertreiben.
Anton und ich gaben das Startsignal. Fertigmachen, essen fassen und dann ab in die Disco, aber niemand rührte sich.
Das hatte schon mal besser funktioniert.
Anton und ich gingen erstmal mit gutem Beispiel voran und machten uns ausgehfertig.
Als wir wieder ins Wohnzimmer kamen, hatte sich nichts geändert. Alle drei saßen da wie bei einer Beerdigung. Mary sah mich mit flehendem, hilflosen Blick an, der bat, dass ich mir das doch nochmal überlegen sollte. Anna tat Gleiches bei Anton.
Emily versuchte den Blick ebenfalls, bekam ihn aber nicht richtig hin. Vielleicht wirkte das auch nur so, da ich bei ihr ja sicher wusste, dass es gespielt war. Sie freute sich sicher immer noch riesig und hatte wohl ohnehin Mühe, keine Mine zu verziehen.
Ob das bei Anna und Mary nun komplett gespielt war, konnte ich immer noch nicht sicher sagen, aber es war in jedem Falle ein 'touch to much'.
So konnten wir den Abend auch gleich abhaken. Mit der Stimmung würde schon das Essen zur Qual werden. An Party im High Society brauchten wir erst recht keinen Gedanken zu verschwenden.
Wir suchten also nochmal das Gespräch und erklärten, dass es doch nicht so schlimm sei, wir ja auch ganz sicher bald wieder kämen und sie uns doch bitte, bitte nicht gerade diesen letzten, gemeinsamen Abend verderben sollen, da wir doch Angeles und sie in guter Erinnerung behalten wollten und warum sie denn wollten, dass wir uns schlecht fühlten.
Ihre Antworten überraschten uns nicht wirklich.
Das wollten sie natürlich nicht, sie wüssten ja auch nicht, was mit ihnen los sei, aber sie hatten noch nie jemanden so gern gehabt wie uns, würden uns jetzt schon vermissen, würden ja auch gern einen schönen Abend haben, aber sie wären nun mal so traurig, dass das einfach nicht ginge und sie könnten jetzt einfach nicht fröhlich sein.
So kamen wir nicht weiter, das war klar. Schlimmer noch, das Gespräch drohte immer mehr zu dem zu werden, dass wir vor Stunden bereits hinter uns gebracht hatten. Die Diskussion mussten wir nun wirklich nicht nochmal haben.
Das grenzte ja bereits an Meuterei, an Sabotage.
Aber was sollten wir tun? Eine klare Ansage machen, sie wegschicken, oder allein losziehen? Eine gute Stimmung und Party würde nichts davon bringen und das war ja nun mal das Ziel. Außerdem waren wir uns immer noch nicht sicher, wieviel und was davon gespielt war.
Das würde noch 'ne harte Nummer werden.
Das sah wohl auch Emily so und keifte mich plötzlich von der Seite an.
Ob ich denn glauben würde, sie sei eine Maschine, die einfach ihre Gefühle abschalten könnte. Wenn sie traurig sei, sei das nun mal so und sie könnte dann auch nicht einfach fröhlich feiern und sie wäre sehr enttäuscht und könnte gar nicht verstehen, wie ich sowas von ihr überhaupt verlangen könnte, und, und, und.
Alle, ich wohl am Meisten, sahen sie verdutzt an.
Was war denn jetzt los? Tickte die nicht mehr richtig?
"Hab' ich jetzt was nicht richtig mitgekriegt? Ich dachte die will mit." sagte Anton sichtlich verwirrt.
Dachte ich auch. Wollte sie auch, da war ich sicher. Aber was sollte das dann?
Ich versuchte fieberhaft, mir einen Reim darauf zu machen.
Hatte sie es sich anders überlegt? Hatten Anton oder ich etwas gesagt, dass sie bewogen haben konnte, ihre Meinung zu ändern? Ziemlich sicher nicht. Wir hatten bisher quasi mit Engelszungen mit den Madels gesprochen und sie war viel zu heiss auf den Urlaub, es hätte schon verbaler Breitseiten bedurft um sie davon abzubringen.
Vielleicht fand sie die Idee bei genauerer Überlegung doch nicht so gut und wollte aus der Mitreisenummer raus? Auch Unsinn, das war sehr unwahrscheinlich und das hätte sie viel einfacher haben können.
Warum machte sie aber nun so ein Faß auf? Irgendwie musste ich darauf reagieren. Der Moment, in dem Totenstille herrschte, alle auf meine Reaktion warteten, war schon jetzt zu lang.
Sowohl Inhalt, als auch Tonfall waren eine klare Herausforderung, eine Anklage. Nicht beleidigend, aber damit hatte sie ganz deutlich jede Grenze überschritten, die es mir ermöglichen würde in dem bisherigen, freundlichen Ton zu antworten.
Das erwartete sicher auch niemand. Ich konnte die Blicke von Anna und Mary förmlich spüren. Sie erwarteten ein Gewitter, das war klar. Das wäre auch längst losgebrochen, wäre ich nicht so verwirrt gewesen. Das machte immer noch keinen Sinn, war komplett unlogisch.
Auch Emilys Blick zeigte, dass ihr durchaus bewusst war, das ich das so nicht hinnehmen und eine entsprechende Reaktion folgen würde. Wenn man davon ausging, dass sie wirklich traurig war oder wenigstens versuchte, verzweifelt einen Customer umzustimmen, war ihr Blick nicht anders zu deuten.
Das konnte es aber nun mal nicht sein. Trotzdem musste ich nun irgendwas sagen. Ich holte gerade Luft um loszulegen, als der Groschen plötzlich fiel.
Ging man davon aus, dass Emily bester Laune und die Trauermine nur gespielt war, konnte man ihren Blick auch als "Denk' nach, du Trottel. Das kann doch nicht so schwierig zu verstehen sein" deuten.
Sollte das eine Vorlage sein? Eine Einladung, mit ihr Klartext zu reden, klipp und klar sagen zu können, was erwartet wurde und was anderenfalls die Alternativen wären?
Die anderen beiden würden das garantiert verstehen, und ihre Trauermine ablegen, wären aber nicht direkt angesprochen und die Stimmung wäre gerettet.
Das war genial, aber war Emily so clever? Hatte sie so weit im Voraus gedacht? Das hätte ja auch nach hinten losgehen könnten.
Emily war nicht dumm, dass war sicher, ich traute ihr das durchaus zu. Zudem war sie diejenige, mit der wir am Meisten gesprochen hatten, da ihr Englisch sehr gut war. Sie konnte uns sicher am besten einschätzen.
Ich war mir nicht sicher, aber da meine Antwort ohnehin nicht viel Anders hätte ausfallen können, legte ich los.
Ich sagte ihr in ernstem Ton, das wir sie alle zwar wirklich sehr gern hatten, und sie auch sicherlich vermissen würden, ob sie es nun glaubten, oder nicht, dies aber nichts daran ändern würde, dass das hier kein Kindergarten sei und wir dort Spaß haben wollten und uns das mit Sicherheit von ihnen nicht versauen lassen würden. Anton und ich würden jetzt was essen und dann ins High Society feiern gehen. Wenn sie wollten, könnten sie ja mit besserer Laune nachkommen, ansonsten könnten sie auch gern weiter den Fernseher anheulen. Sie sollte mir nur sagen, wie sie es denn gerne hätte.
Statt zu antworten, brach Emily in Tränen aus und lief weinend ins Schlafzimmer. Wow, das war jetzt heftig, aber ich war mir mittlerweile ziemlich sicher, dass ich richtig lag und Emily nur eine oscarreife Vorstellung bot.
Anton hatte das noch nicht umrissen. Er sah mich mit großen Augen an, da das normalerweise nicht meine Art war und es ihn offenbar überraschte, wie ich Emily behandelte.
Ich tat so, als wollte ich Emilys Antwort einfordern und folgte ihr.
Tatsächlich wollte ich nur hundertprozentig sicher gehen, dass ich auch wirklich richtig verstanden hatte, mir die letzte Bestätigung holen. Anderenfalls ware ich gerade vom Regen in die Traufe gekommen und hätte ein mehr als schwierifes Gespräch vor mir.
"See how you are? How you treat me poor little girl? Shame on you" empfing sie mich grinsend.
Ich hatte mich also nicht geirrt, sie hatte mir eine Vorlage gegeben.
"So ein Luder" dachte ich bei mir und musste schmunzeln.
Sie hatte erkannt, dass sich das Gespräch im Kreis drehte und wir uns davor scheuten Klartext zu reden.
"You're so good guys, but sometimes you're much to good. You obviously needed help" schmunzelte sie.
Toll, jetzt hielt sie uns für Luschen.
Naja, waren wir ja auch irgendwie, sie konnte ja nicht wissen, dass es auch nicht mehr lange gedauert hätte, bis wir von uns aus deutlicher geworden wären, aber davon hätten Anna und Mary sich stimmungsmäßig an dem Abend wohl nicht mehr erholt, daher war Emilys Vorlage schon perfekt.
Das musste ich natürlich noch klarstellen.
Daran hätte sie auch keinen Zweifel gehabt, ihr fiel es nur immer schwerer, dieses Trauerspiel durchzuhalten und sie wollte endlich feiern gehen, schließlich hatte sie ja allen Grund dazu. Außerdem würde jetzt garantiert niemand mehr auf die Idee kommen, wir könnten sie mit nach Thailand nehmen, sagte sie abschließend.
Während wir noch ein wenig knutschten, kam mir der Gedanke, dass Emily in Hollywood Karriere machen könnte. Sie könnte einem alles vorspielen wenn sie wollte und war zudem clever.
Gnade Gott dem Typen, bei dem sie es auf die True-Love-Nummer anlegte. Der hätte nicht den Hauch einer Chance.
Falls sie überhaupt so drauf war, war ich froh, dass sie mich nicht als Opfer auserwählt hatte.
Mir hatte sie einen Urlaub versprochen, den ich nie vergessen würde und das Versprechen hielt sie. In jeder Hinsicht.
Ob sie mich, bzw. uns wirklich mochte, ob sie wirklich Spaß beim feiern hatte, konnte ich nicht mehr sicher sagen, zu gut und überzeugend waren ihre Schauspielkünste.
Ich vermutete zwar, dass es so war, sie diesbezüglich nicht schauspielerte, aber darauf kam es letztlich auch gar nicht an. Merken würde ich es eh nicht.
Mit der würden wir Spaß haben in Pattaya, dessen war ich mir nun ganz sicher. Eine wie Emily fand man nicht oft, die war außergewöhnlich.
Emily machte sich hübsch und ich begab mich wieder ins Wohnzimmer. Nur Anton war noch da.
Anna und Mary machten sich ebenfalls bereits fertig.
Anton sah mich gespannt an. "Und? Was ist nun?" fragte er.
Ich klärte ihn kurz auf und er musste lachen.
"So ein Miststück, die wird in Patty richtig abgehen. Das wird sehr geil!" freute auch er sich.
Ich nutzte die Zeit um die drei Flüge einzubuchen.
Als die Mädels endlich fertig waren, war ihre Laune deutlich besser, fast normal. In wie weit das nun gespielt war, konnten wir immer noch nicht sicher deuten. Wollten da jetzt aber auch nicht drüber nachdenken.
Alle drei hatten sich besonders viel Mühe gegeben, sich richtig herausgeputzt, mehr als üblich.
Bei Anna und Mary war die Message offenbar angekommen, Emily hatte natürlich andere Gründe.
Während des Dinners verflogen bei Anna und Mary auch die letzten Anzeichen von gedrückter Stimmung.
Einem netten Abend im High Society stand nichts mehr im Wege.