Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder im Hotel ankamen, freute ich mich sogar auf mein nasses Bett. Ich wollte mich einfach nur hinlegen. Die erste Penicillin hatte ich noch im Krankenhaus eingeworfen, aber die wirkte natürlich noch nicht.
Anton und Joy warteten bereits und ich gab Anton erstmal eine Light-Version der Diagnose und der Therapie. Pim hatte ich noch auf der Rückfahrt gebrieft, dass sie Anton und auch Joy ja nichts davon erzählen sollte, dass die Ärzte eine andere Behandlung vorgezogen hätten.
Pim hatte sich, da sie dem in Englisch geführten Gespräch mit den Ärzten nur bedingt folgen konnte, das Ganze vom Arzt nochmal im Detail auf Thai erklären lassen. Obwohl ich kein Wort verstand, hatte ich den sicheren Eindruck, dass der Arzt es nicht wirklich für nötig hielt, Pim ausführlich zu informieren und sich zunächst sehr kurz angebunden gab. So nach dem Motto:"Wer bist du denn? Lass dir das doch von ihm nachher erzählen. Ich hab' Besseres zu tun."
Aber Pim ließ nicht nach, schien auf Details zu bestehen und ignorierte, dass die Schwester mit mir bereits abschieben wollte. Da musste ich doch etwas schmunzeln.
Man sah Pim deutlich an, dass sie dem Vorhaben, freundlich gesagt, eher skeptisch gegenüber stand, brachte aber letzlich keine Einwände vor. Das hätte mich dann auch gewundert, denn immerhin hatte der Arzt dem ja zugestimmt, wenn auch widerwillig. So weit, dass sie dem Arzt und mir widersprechen würde, ging sie natürlich nicht.
Aber sie ließ sich auch nicht einfach abspeisen, schien genau wissen zu wollen, was los war und vermutlich auch was sie tun konnte. Das war schon niedlich, sie schien sich wirklich Sorgen zu machen.
Aufgrund der Light-Version hielt sich Antons Skepsis in Grenzen. Er wunderte sich lediglich, dass ich keine Schmerzmittel bekommen hatte, denn ich konnte kaum verbergen, dass sich meine Ohren anfühlten, also würde jemand mit einer Nadel darin rumstochern. Er war vor allem etwas schockiert, da ich im Vergleich zum Vortag nach seiner Einschätzung eher tot als lebendig aussah. Gefühlt kam das sogar hin.
Pim nutzte währenddessen die Zeit, die ich nun in Antons und Joys Obhut war, um Besorgungen zu machen. Erst nach über zwei Stunden kam sie, mit diversen Plastiktüten bepackt, wieder.
Sie hatte offenbar einen Großeinkauf getätigt und alles Nötige besorgt, um das Hotelzimmer in eine Intensivstation mit Rund-Um-Die-Uhr-Betreuung zu verwandeln. Ich bat Anton ihr die Auslagen zu ersetzen, aber auf seine Frage nach den Kosten erhielt er nur ein knappes "Not up to you!"
Sie sah sich ganz offensichtlich in der Pflicht sich um mich zu kümmern und schien diese Aufgabe sehr ernst zu nehmen.
Nun übernahm sie gleich mal das Kommando und bat Anton und Joy sich einen schönen Tag zu machen, da ich fürs Erste genug Besuch gehabt hätte und mich nun ausruhen müsste. Anton und Joy verabschiedeten sich schmunzelnd. Sie wollten ohnehin los, frühstücken, etwas bummeln und schauen, ob sie etwas Lesestoff für mich finden würden.
Pim war wirklich süß und hatte definitiv ihren Beruf verfehlt. Sie wäre eine hervorragende Krankenschwester geworden.
Ich raffte mich auf um auf dem Balkon eine zu rauchen.
"What you do?" fragte Pim, kaum dass ich die Bettdecke zurückgeschlagen hatte.
"Smoking" antwortete ich beiläufig und wollte aufstehen.
"You crazy? ... you sick! ... no smoking!" entgegnete Pim rigoros. Damit hatte ich nicht mal gerechnet, geschweige denn, dass ich darauf vorbereitet gewesen wäre. Ich sah nur verdutzt zu, wie sie auf den Balkon ging, meine Zigaretten an sich nahm und sie in ihrer Handtasche verschwinden ließ. Diese wurde dann im Schrank verstaut.
Dann drückte sie mich zurück in die Kissen, zog mir die Bettdecke bis ans Kinn und gab mir wie einem kleinen Kind zu verstehen, dass ich nicht wagen sollte, das Bett zu verlassen. Wenn ich etwas brauchte, sollte ich es ihr sagen. Punkt.
Ich brauchte einige Minuten um zu begreifen, was da gerade passiert war. Pim schien ihre Aufgabe als Krankenschwester wirklich äußerst ernst zu nehmen. So energisch kannte ich sie gar nicht. Grundsätzlich hatte sie ja auch Recht, dass Rauchen nun nicht wirklich zur Genesung beitrug und ich ohnehin versuchen sollte, etwas zu schlafen. Ich war nur ziemlich verdutzt, aber auch viel zu erschöpft um mich auf Diskussionen einzulassen.
Während ich schmunzeld erkannte, dass ich wohl nicht mehr das Sagen hatte, hatte Pim bereits den Wasserkocher angeschmissen um mir einen Tee zu machen, beschloßen, dass ich etwas essen musste und gab eine Bestellung bei James Pub auf. Sie hatte mich nicht etwa gefragt, was ich wollte, sondern mir nur mitgeteilt, dass gleich eine Fischsuppe käme. Fischsuppen mochte ich nun nicht so gern und ich bat sie doch lieber eine Hühnersuppe zu bestellen.
Sie quittierte das mit einem Blick, der in etwa ausdrückte "Gut, dass ich da bin um mich um dich zu kümmern, sonst würdest du dich noch selbst umbringen, ohne es zu merken."
Auf meine Frage, warum mir eine Hühnersuppe verweigert wurde, bekam ich einen Schnellkurs in Thai-Hausmedizin und lernte, was Kranke alles nicht essen durften. Huhn gehörte natürlich dazu.
Mein Einwand, dass man Kranken in Deutschland zur Stärkung immer Hühnersuppe gibt, verwarf Pim mit der nüchternen Feststellung, dass Huhn in Thailand jedenfalls nicht helfen, sondern schaden würde. Das wüsste doch nun jeder. "No chicken ... you eat fish."
Mir wurde langsam bewusst, dass ich harte Zeiten vor mir hatte.
Nachdem ich die Fischsuppe ausgelöffelt hatte, döste ich immer wieder kurz ein. Wirklich schlafen konnte ich wegen der heftigen Ohrenschmerzen nicht. So verbrachte ich den Tag halb dösend, halb wach, fiebernd und schwitzend im Bett. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich nur wegen des Fiebers schwitzte, denn Pim hatte die AirCon abgestellt. Kalte Luft ging gar nicht, meinte sie.
Viel hätte ich davon wohl eh nicht gehabt, denn aufstehen durfte ich schon mal gar nicht. Darüber wachte Pim wie ein Pitbull. Nur aufs Klo durfte ich dann doch allein gehen. Allein Duschen war schon nicht mehr drin.
Sie kümmerte sich wirklich rührend um mich und ließ mich keinen Moment aus den Augen. Um mir die Langeweile zu vertreiben übersetzte sie eifrig die Thai-Soaps im Fernsehen. Deren Handlung war jedoch so schlicht, dass es eigentlich keiner Übersetzung bedurfte. Zwischendurch wurde mir ständig die Stirn mit kalten Tüchern abgetupft, bekam ich kalte Umschläge angelegt, Tee gekocht, Obst geschnitten und das Bettzeug gewechselt. Pim hatte extra diverse Handtücher und Bettlaken beim Housekeeping angefordert, damit ihr die auch bloß nicht ausgingen. Jede Handgriff, jeder Versuch ihr bei irgendwas etwas zur Hand zu gehen, wurde strikt abgelehnt.
Auch Anton war von Pims "Take-Care" beeindruckt und lobte sie entsprechend. Besonders, dass sie mir meine Zigaretten weggenommen hatte, gefiel dem elenden Nichtraucher sehr und er bestärkte sie auch noch darin, sich auch ja immer durchzusetzen und nicht darauf zu hören, falls ich rumnöhlen sollte.
Pim war sichtbar stolz auf sich und freute sich sehr ob des Lobes. Spätestens als abends die Krankenschwester vom Hospital ihr ebenfalls anerkennend bestätigte, dass ihr "Take-Care" genau richtig war, schwand für mich jegliche Hoffnung mit ihr wenigstens über ein oder zwei Zigaretten pro Tag reden zu können.
Ich wollte mich ja auch gar nicht beschweren. Pims "Take-Care" war tatsächlich weltklasse. Streng, aber herzlich und wirklich rührend und ich war ihr sehr dankbar dafür, dass sie sich so um mich kümmerte. Ich wurde nahezu verhätschelt. Sollte ich jemals wieder krank werden, ist es jedenfalls eine Überlegung wert, in den Flieger zu steigen und mich von Pim pflegen zu lassen. Eine bessere Krankenschwester ist kaum vorstellbar.
Anton und Joy schauten zwischendurch mehrfach rein um zu sehen, wie es mir ging. Ansonsten wussten sie mich in Pims Händen gut aufgehoben und verbummelten den Tag am Pool und mit Shopping. Abends musste ich praktisch darauf bestehen, dass sie auf die Piste gingen, statt mich mit Kartenspielen zu bespaßen, was sie schließlich auch taten. An Spielen oder überhaupt Gesellschaft hatte ich auch keinen Bedarf, denn es ging mir abends eher schlechter als besser und ich begann daran zu zweifeln, dass es wirklich eine gute Idee war auf die Schmerzmittel und die Fiebersenker zu verzichten. Das Fieber war zwar nur leicht gestiegen, was am Abend angeblich normal sei, aber die Ohren schmerzten nun durchgehend und zwar höllisch. Wie der HNO-Arzt bereits vermutet hatte, taugten die Tropfen, zumindest zur Schmerzlinderung, nichts.
Pim war natürlich nicht dazu zu bewegen Anton und Joy zu begleiten.
Auf meinen diesbezüglichen Vorschlag hin reagierte sie so entrüstet, als hätte ich Gruppensex oder Ähnliches vorgeschlagen.
Dabei war das meinerseits vollkommen ernst gemeint. Was sollte in den paar Stunden schon groß passieren? Ich bot ihr sogar an, dass sie meine Zigaretten mitnehmen könnte um zu verhindern, dass ich eine rauchte, wusste aber, dass das nicht der Grund war. Für Pim war es einfach selbstverständlich bei mir zu bleiben und sich um mich zu kümmern.
"no way ... me take care you ... me stay with you." antwortete sie nur kurz und bündig. Den Tonfall hatte ich an dem Tag schon mehrfach gehört und wusste, dass das Thema damit durch war.
Mein Gott, war die süß.