Auf den Bildern, die Thomas Heidler aus Thailand mitgebracht hat, sind einige traumhafte Landschaften und Buchten zu sehen. Die meisten aber zeigen Menschen in blauen Overalls in einer Containeranlage im Norden der Ferieninsel Phuket: ein provisorisches Leichenschauhaus. Dort hat der 48-jährige Kriminaloberkommissar aus Peine in den vergangenen drei Wochen täglich 12 Stunden versucht, namenlosen Toten ihre Identität wiederzugeben.
"Rund zwei Stunden braucht es im Schnitt, bis alle relevanten Merkmale einer Leiche erfasst sind", berichtet Heidler, der am Wochenende zu seiner Familie nach Peine zurückgekehrt ist. In kleinen Teams arbeitete der Niedersachse jeweils ein 16-seitiges Protokoll ab, in dem nach internationalem Standard alles festgehalten wird, was die körperliche Individualität eines Menschen ausmacht: von der Augenfarbe bis zum Zustand der Innereien.
Wichtigstes Kriterium, anhand dessen 90 Prozent aller Vermissten identifiziert werden, sei das Gebiss, sagt Heidler: Details wie Zahnstand und Zahl und Art der Füllungen machen einen Menschen oft unverwechselbar. Aber auch die Entnahme von Knochenstücken für DNA-Proben gehörte zu seinen Aufgaben.
"Die Protokolle werden an das internationale Identification-Management-Center in Phuket gesandt, das sie mit Daten abgleicht, die das Bundeskriminalamt in Deutschland über die lokalen Polizeidienststellen von den Angehörigen Vermisster sammelt", berichtet Heidler. Auf diese Weise wurden seit Dezember 94 Deutsche identifiziert. Knapp 520, darunter etwa 25 Niedersachsen, gelten noch als vermisst. Die Identifizierung ihrer Ehepartner, Kinder und Verwandten ist für die Angehörigen nicht nur emotional wichtig, weiß Heidler. Sie ist auch unerlässlich, um etwa versicherungsrechtliche Fragen zu klären.
Wie viele Flutopfer aufgrund seiner Arbeit wieder einen Namen erhielten, ob es Deutsche oder andere Europäer waren – der Peiner weiß es nicht und will es nicht wissen. Er habe Nummern abgearbeitet. "Näher darf man das nicht an sich heranlassen." Die professionelle Distanz, sie wurde erschüttert, wenn die Plastiksäcke, in denen die Opfer in provisorischen Kühlräumen aufbewahrt werden, sehr leicht waren. "Dann galt es wieder, ein Kind zu identifizieren."
Heidler ist einer von fünf Polizisten aus Niedersachsen und der einzige der Polizeidirektion Braunschweig, die seit Anfang Januar die Identifizierungskommission (IDKO) des BKA unterstützen. Gemeinsam mit Experten aus zahlreichen europäischen Ländern, Australien und Neuseeland versuchen sie, die Identität der noch vielen hundert namenlosen Flutopfer zu ermitteln, die an zentralen Sammelstellen auf Sri Lanka und Thailand aufgebahrt wurden.
"Ich wollte nach der Flutkatastrophe dasselbe tun wie viele andere auch: helfen. Die meisten hatten nur eine Chance: zu spenden. Mein Beruf eröffnet mir andere Möglichkeiten", beschreibt Heidler seine Motivation. Unter 76 Freiwilligen aus Niedersachsen wurde er mit vier Kollegen ausgewählt. Die Ermittlung von Todesursachen, das Identifizieren Vermisster – dies gehört zu seinem Arbeitsalltag bei der Kripo Peine. Zudem hat Heidler Erfahrung mit Auslandseinsätzen: 2000 und 2002/03 arbeitete er insgesamt 19 Monate für die multinationale Polizei im Kosovo.
Kein Vergleich zu der Arbeit auf Phuket. Aber trotz der psychischen Belastung und der schwierigen Arbeitsbedingungen – Temperaturen von gut 30 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit, der schlechte Zustand vieler Leichen – Heidler half das Wissen, dass er eine sinnvolle Arbeit erledigt. "Und man gewöhnt sich an alles – selbst an den Geruch", sagt er. Kollegen mit einem Durchhänger seien abends bei einem Bier im Team wieder aufgerichtet worden.
Zudem hat der Peiner nützliche Erfahrungen gemacht. "Die Skandinavier etwa sind beim Identifizieren weiter als wir, weil Zahnärzte dort alle Daten über das Gebiss ihrer Patienten nach einem festgelegten System sammeln müssen – empfehlenswert", hat Heidler gestern Polizeipräsident Harry Döring berichtet.
Sein Interesse an Auslandsmissionen hat der Peiner jedenfalls nicht eingebüßt. Er tritt nun seinen lange geplanten, vierwöchigen Jahresurlaub an: in Indien.