Im Gefängnis
Susan war innerlich wie zerbrochen. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, stand sie vor den blitzenden und filmenden Medienvertretern. Ihr Verstand schien sie zu schützen und stand still. Nach der öffentlichen Vorführung wurde sie in ein vergittertes Fahrzeug gebracht, das sie direkt in das Huay Kwang Gefängnis im Zentrum der Stadt brachte. Dort liess man sie längere Zeit warten. Sie nutzte die Zeit und analysierte fieberhaft ihre neue Ausgangssituation. ,Die Lage ist beschissen!‘, war das einfache Ergebnis der ersten Grobanalyse. Dann grübelte sie ein wenig, ob eswohl noch einen treffenderen Ausdruck gab. ,Äusserst beschissen‘, kam ihr nur noch in den Sinn.
Langsam begannen sich die Gedanken wieder zu ordnen. Das Sehvermögen setzte gleichzeitig mit dem Verstand wieder ein und sie begann die Umgebung nicht mehr wie in Trance und im Zeitlupentempo wahrzunehmen. Sie hatte nicht sehr viel Gutes über die thailändischen Gefängnisse gehört. Frank hatte einmal erwähnt, dass man als Ausländer bei einer mehrjährigen Gefängnisstrafe kaum Chancen hat, zu überleben. Sie verscheuchte die drohende Panik, welche erneut drohte, in ihr aufzusteigen. Der Hals schloss sich und begann sie zu würgen.
Sie schluckte den Kloss hinunter, schüttelte sich energisch die Haarsträhne aus der Stirngegend und ihre Lippen pressten sich zusammen, bis der Mund nur noch aus einem kleinen Strich zu bestehen schien.
,Ich habe Freunde, die mir helfen!‘, schrie sie sich in Gedanken zu. ,Die Jungs werden mich hier herausholen!‘ Zwei weibliche Polizeibeamtinnen traten in den Raum und unterbrachen ihren Gedankengang. In einem kleinen Raum musste sie die Kleider ausziehen. Die anschliessende kalte Dusche erfrischte sie. Dann wurde sie von einer Ärztin untersucht.
Mit ruhigen, geübten Griffen wurde ihre Temperatur gemessen. Man zapfte ihr etwas Blut ab und die Ärztin leuchtete mit einer Lampe in ihre Augen und Susan konnte die konzentrierten Augen der Ärztin beobachten, welche von dem linken Auge zum rechten schweiften und dann wieder zurück. Riechen konnte sie sie nicht, da die Frau einen Mundschutz umgebunden hatte und die Finger rochen lediglich nach einem starken Desinfektionsmittel.
Ihre Befehle waren kurz, knapp und barsch. „Mund auf! Arme heben! Stellen Sie sich gerade hin, mit dem Rücken zur Wand!“
Zwischendurch runzelte die Ärztin die Stirne und schien zu überlegen. Sie legte den Kopf ein wenig zur Seite und schrieb dann etwas auf ein Blatt, auf dem oben rechts eine Fotografie von Susan klebte. Das Ende der Untersuchung empfand sie als äusserst erniedrigend. Daran konnte auch das gut gemeinte „Sorry“ der Ärztin nichts ändern. Anscheinend hatte sie die Order, bei den Häftlingen zu überprüfen, ob sich in ihren Körperöffnungen Drogen befanden.
Tief führte sie einen Finger, welchen sie in etwas Schmieriges eintauchte, in den Anus ein. Dann wechselte sie die Gummihandschuhe und Susan spürte anschliessend denselben Vorgang in ihrer Vagina. Sie presste die Augen zusammen, damit sie nicht weinen musste. Gleichzeitig biss sie mit aller Kraft die Zähne zusammen und die Backenmuskeln verkrampften sich. Nun durfte sie sich anziehen und streifte sie sich die rauhe Gefängniskleidung über, welche man ihr anstatt ihrer Kleider gegeben hatte.
Dann warf die Ärztin die Gummihandschuhe in einen Abfalleimer, zog sich den Mundschutz aus und drückte auf den Lichtschalter. „Sie können jetzt gehen“, sagte sie Susan und deutete mit der rechten Hand auf die Tür. Dort angekommen, nahm sie sofort die Aufseherin in Empfang, welche mit grimmiger Miene während der Untersuchung an der Tür Wache stand.
Mit einen Schlagstock bewaffnet und jederzeit bereit, damit Susan zur Raison zu bringen, falls sie den Anweisungen der Ärztin nicht Folge leisten würde. Das und noch viel mehr konnte Susan mit einem Blick aus ihrem Gesicht lesen. ,Es scheint ihr Spass zu bereiten, hier zu arbeiten‘, dachte Susan. ,Sie wartet nur darauf, dass sie mir mit dem verdammten Stock eins überziehen kann.‘
Während sie abgeführt wurde, konnte sie am Handgelenk der Aufseherin die Zeit ablesen. Drei Uhr und zehn Minuten. Das wird eine kurze Nacht, dachte Susan und merkte nun deutlich die Erschöpfung, welche sich schwer wie Blei in ihr ausbreitete. Sie war froh, als man sie endlich in eine kleine Zelle einschloss. Sie legte sich auf das harte Bett und liess ihren müden Blick im Raum umherschweifen.
Am Boden stand eine Schüssel und daneben ein mit Wasser gefüllter Kessel. Auf dem Kessel schwamm eine kleine Schöpfkelle. Dann wanderte ihr Blick weiter an den kalkweissen Wänden entlang. Ein kleiner Schieber war auf Augenhöhe in die Türe eingebaut. Der Schieber stand offen. ,Ein Guckloch‘, stellte sie lakonisch fest. An der Decke war ein Ventilator, der mit einem monotonem Geräusch ein wenig kühlende Luft ins Zimmer fächerte.
Das Licht in ihrer Zelle wurde nicht gelöscht. Wenn sie die Augen schloss, sah sie kleine Sterne, weiss wie Schneeflocken. ,Schnee! Werde ich wohl je wieder einmal Schnee sehen?‘ Bei diesem Gedanken schlief sie ein. Um sechs Uhr wurde sie unsanft aus ihrem kurzen Schlaf geweckt. Eine Aufseherin öffnete die Türe. Sie schrie etwas in den kleinen Raum hinein und trommelte mit dem Schlagstock wie eine Irre gegen die Türe.
Als Susan sich nicht im dem von ihr gewünschten Tempo erhob, riss sie Susan an den Haaren vom Bett und zeigte ihr mit drohender Gestik den Schlagstock. Susan taumelte hoch und langsam dämmerte es ihr, wo sie sich befand. Obwohl es eine andere Aufseherin war, sah Susan das gleiche gefährliche Glitzern in ihren Augen.
,Hier hat das Land des Lächelns wohl Pause‘, stellte sie beunruhigt fest. Beide Aufseherinnen hatten nichts mit den weichen, anmutigen und sanftmütigen Wesen gemeinsam, welche sie die letzten Tage so bewundert hatte. Grimmige, sadistisch böse Quälmaschinen hatte man sich hier ausgesucht. Susan spürte die Entschlossenheit der Aufseherin. Die Angst schlich sich kalt wie Eis in ihr Herz und liess sie erschauern.
Die Aufseherin warf einen befriedigten Blick auf Susan. „Der fremden Frau zittern die Knie“, bemerkte sie mit einem sadistischen Lächeln auf den Lippen. „Schon bald wird sie mir die Schuhe lecken.“ Sie sprach etwas auf Thai zu der zweiten Aufseherin, welche am Eingang stand und beide lachten dann laut und unnatürlich auf. Die Wände der kleinen Zelle warfen das unnatürlich klingende Lachen tausendfach zurück und Susan meinte einen kurzen Augenblick, vor Angst verrückt zu werden.
Dann wurden ihr Handschellen angezogen. Unsanft packte sie die eine Aufseherin am Arm und zog Susan kompromisslos mit sich fort. Der Schlagstock bohrte sich schmerzhaft in ihren Rücken und wies ihr die Richtung. Nach einigen Minuten erreichten sie den Frauentrakt des Gefängnisses. Neugierige Blicke streiften Susan aus den vergitterten Zellen und vereinzelt wurde sie mit Pfiffen und Rufen begrüsst.
Susan schaute nur verstohlen durch die Augenwinkel auf die Häftlinge und bemühte sich um einen aufrechten, selbstbewussten Gang. Dann schaute sie wieder stoisch starr nach vorne. Eine der Frauen versuchte, sich so weit wie möglich durch die Gitterstäbe zu drücken und streckte die Hand so weit wie nur möglich aus der Zelle. „Bringt die Farangfotze zu mir“, schrie sie auf Englisch. Susan zuckte kaum merklich zusammen.
Die Hände streiften sie kurz am Oberarm und die Frau schrie triumphierend auf. Nach zwei gezielten Stockhieben der Aufseherin, verschwand die Hand. Lautstark fluchend sprang die Frau zurück. Diese kurze Episode löste eine unmittelbare und grundlegende Veränderung in Susan aus. Trotzig warf sie den Kopf nach hinten. ,Ich darf keine Angst zeigen, wenn ich hier überleben will‘, wurde sie sich schlagartig bewusst. ,Verdammt noch ‘mal, ich bin unschuldig und lasse mich nicht von euch Arschlöchern brechen‘, bäumte sie sich in Gedanken auf.
Instinktiv spürte sie, dass hier nur das Recht des Stärkeren zählt. Sie atmete tief ein und die energischen Züge um ihren Mund zeichneten sich nun noch stärker auf ihrem Gesicht ab. Das Feuer in ihren Augen fing an zu lodern. Sie würde lernen, zu kämpfen und nahm sich vor: ,Ich werde diese Hölle überleben!‘
Eine Aura der Stärke umfasste sie. Die Aufseherinnen spürten die Veränderung sofort. Erstaunt musterten sie das verängstigte Entlein, welches sich soeben entschlossen hatte, eine kämpfende Wölfin zu werden. Die Entschlossenheit, zu überleben und nicht unterzugehen durchströmte ihr ganzes Wesen. Gleichzeitig bedeutete ihr der Stock, anzuhalten.
Kein schmerzhafter Stich mehr, eher eine höfliche Aufforderung, sie solle doch bitte stehen bleiben. Susan merkte den plötzlichen Wandel und ein grimmiges Lächeln trat in ihr Gesicht. Die Handschellen wurden entfernt. Dreimal drehte der schwere Schlüssel das Schloss an der Zellentüre. Susan straffte sich zur vollen Grösse und trat dann ein. Ohne jemanden direkt anzublicken, stellte sie fest, dass rund zwanzig Frauen in dieser Zelle hausten. ,Wie Batteriehühner werden sie gehalten‘, dachte sie, doch dann korrigierte sie sich schnell: ,...werden wir gehalten‘. Bewusst ignorierte sie die neugierigen Blicke, welche den Kontakt mit ihren Augen suchten.
Rechts von ihr war etwas Platz frei. Langsam schlenderte sie darauf zu und setzte sich, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Sie hob das Kinn etwas an und schaute ausdruckslos geradeaus und versuchte, die Stimmung zu spüren. Einige Frauen tuschelten aufgeregt. Andere sassen mit einer stoischen Ruhe da, den Blick in sich gekehrt. Ihnen war es einerlei, ob jemand kam oder ging. Rechts in der hinteren Ecke trennte ein kleiner Plastikvorhang die Zelle ein wenig ab. Später sah sie, dass es sich um eine primitive Toilette handelte, welche so etwas wie einen Hauch von Privatsphäre bieten sollte.
Sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt fähig war, hinter dem dünnen Plastikvorhang ihr Geschäft zu verrichten.
Eine junge Frau schritt langsam auf sie zu. Susans Muskeln waren zum Bersten gespannt und bereit, jederzeit aufzuspringen und sich zuwehren. Äusserlich gelassen musterte sie mit Argusaugen jede Bewegung der Frau. Ihr Verstand war hellwach. Sie versuchte, jede der Bewegungen der Frau sofort zu interpretieren. Die eine Hand hielt die Frau hinter dem Rücken verborgen. ,Was hat sie in der Hand?‘, fragte sich Susan beunruhigt.
Sie stand ruhig auf, als es ihr klar war, dass sie das Ziel der Frau war und schaute sie nun direkt und gefasst an. Die Haare der Frau waren hinten zu einem Zopf gebunden. Sie war hübsch und ihre Augen waren erfüllt von Trauer und Melancholie. Als sie kurz vor Susan stand, lächelte die Frau Susan an. Das Lächeln in ihrem Gesicht stand völlig im Kontrast zu den traurigen, melancholischen Augen. Sie erinnerte Susan an einen Clown im Zirkus, welcher sie mit riesigen lachenden, rotgeschminkten Lippen ansah und dabei weinte. Als sie vor Susan stand, mischte sich ein wenig Unsicherheit in die traurigen Augen.
Susan fühlte sich instinktiv dazu hingerissen, sie in die Arme zu schliessen und zu trösten. Da war aber noch immer der rechte Arm hinter dem Rücken der Frau und Susan wich stattdessen etwas zurück. Mit den Fersen spürte sie, dass sie bereits so nahe an der Wand stand, dass ein weiteres Zurückweichen nun nicht mehr möglich war und sie sich stellen musste. Langsam zog die Frau den Arm hinter dem Rücken hervor. Die Hand öffnete sich und darin lag eine Mandarine. „Willkommen im Affenhaus“, sagte die Frau und lachte lautstark auf. Einige der anderen Frauen lachten schallend mit, als sie Susans verblüfftes Gesicht sahen. Sie versuchte, ein Lächeln aus sich herauszuquetschen und bedankte sich für die Frucht.
Dann setzte sie sich wieder hin und schloss die Augen, damit man ihr die Erleichterung nicht ansah. Langsam öffnete sie die Augen wieder und ihr Blick suchte die Frau. Dankbar nickte sie ihr zu. „Hallo, ich heisse Susan“, rief sie ihr zu. Ein zufriedenes Lächeln huschte über das Gesicht der jungen Frau. Kurze Zeit später war das Interesse an der neuen Schicksalsgenossin wieder erloschen und die Frauen nahmen die unterbrochenen Tätigkeiten wieder auf.
Einige spielten ein Spiel und Susan versuchte, die Regeln zu verstehen. Auf dem Boden hatten sie behelfsmässige Linien gezogen, auf die sie Deckel von Colaflaschen gelegt hatten. Zuerst wurde gewürfelt und dann hüpften sie mit einem der Deckel auf den Linien herum. ,Sieht ein wenig wie Mühlespiel aus‘, dachte Susan, welche einige Zeit zuschaute, aber die Regeln nicht verstand. Dann legte sie sich hin und versuchte zu schlafen.
Wie lange sie geschlafen hatte, wusste sie nicht. Ein rauhes Schütteln weckte sie. Verschlafen öffnete sie die Augen und blickte irritiert in die gemein funkelnden Augen einer Aufseherin. „Mitkommen!“
Die Hüftknochen schmerzten Susan beim Aufstehen. ,Wie lange dauert es wohl, bis ich mich an den harten Boden gewöhnt habe?‘, dachte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht. Mit einem Stöhnen stand sie schwerfällig auf und streckte die verkrampften Glieder. Im Büro, in welches sie geführt wurde, war es angenehm kühl und nach wenigen Augenblicken löste sich das festgeschwitzte Gefängniskleid von ihrem Körper.
Gespannt schaute sie um sich. Tausend Möglichkeiten schossen ihr durch den Kopf. Plötzlich durchfuhr sie ein Glücksgefühl, welches sie bisher noch nie derart intensiv erlebte. Sie versuchte aufzuspringen und ein Schrei der Erleichterung bahnte sich einen Weg tief aus ihrem Innern. Der Schrei erstickte jedoch und ein heiseres Krächzen war stattdessen zu hören. Die Aufseherin drückten sie auf halben Weg wieder gewaltsam auf den Stuhl zurück. Die Erleichterung wandelte sich schlagartig in Aggression um.
Sie schüttelte mit wilden Bewegungen die Aufseherin ab und aus ihren Augen schossen Blitze der Wut. Der Stock war bereits hoch in der Luft und bereit auf Susan niederzuprasseln, als die Aufseherin in den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm.
Der Direktor der Anstalt bog um die Ecke. Im Schlepptau folgten ein Fremder und ein Beamter in Uniform. Sie zischte auf Thai etwas in die Richtung von Susan, was sie nicht verstand. ,Mit der Interpretation von aufgeschoben ist nicht aufgehoben, liege ich wohl nicht ganz falsch‘, dachte Susan und musste trotz ihrer derzeitigen Lage schmunzeln. Als der Direktor eintrat, veränderte sich das Gesicht der Aufseherin schlagartig.
Demütig hielt sie den Kopf gesenkt. Sie war nun nicht mehr selbstbewusste Herrin über eine wehrlose Gefangene, die ihr auf Gedeih und Verderben ausgeliefert war. Ihre Gesichtszüge waren nun weich und mit viel Fantasie könnte man sie sogar fast freundlich nennen. Das Gemeine war verschwunden und war Diensteifer und Ergebenheit gewichen. Susan schaute sie mit zusammengekniffenen Augen verächtlich an.
,Typisch‘, dachte sie. ,Nach oben schlecken und nach unten treten‘. Ihr Herz pochte wie wild, als sie Frank und Gong begrüsste. Sie kam sich wie ein Wanderer in der Wüste vor, welcher kurz vor dem Verdursten eine Flasche Wasser findet. Ein Ertrinkender, dem ein Rettungsseil zugeworfen wird. Weihnachten, Geburtstag und Lottogewinn zugleich. Während die Aufseherin ihr die Handschellen entfernte, setzten sich Frank und Gong auf zwei freie Stühle.
Der Direktor und die Aufseherin verliessen das Büro, während Frank Susan musterte. Er spürte sofort die mentale Kraft, welche von ihr ausging und warf ihr einen bewundernden Blick zu. ,Das Gefängnis bringt sie nicht um; es macht sie stärker‘, dachte er. Gong unterbreitete ihr nach der intensiven Begrüssung die Fakten.
„Susan, es tut mir leid. Wir brauchen noch einige Tage, bevor wir Dich hier heraus kriegen. Ihr Lächeln fiel in sich zusammen, der Boden schwand vor ihren Augen und ein schwarzer tiefer Abgrund öffnete sich vor ihr. Sie glaubte zu ersticken und rang nach Luft. Dann hatte sie sich wieder im Griff und schaute Gong in die Augen, wie wenn sie abschätzen wollte, ob er wirklich von Tagen sprach und dabei Monate meinte.
Seine Augen blickten sie besorgt an, aber er hielt ihrem Blick stand. Sie war wieder etwas beruhigt, als auch Frank ihrem Blick nicht auswich. „Wir sind zurzeit dabei, verschiedene Personen im Gefängnis zu bezahlen, damit sie Dich schützen, fuhr Gong fort. „Du wirst sauberes Wasser und Essen von ausserhalb erhalten. Dein Vater hat eine grössere Summe Geld per Express überwiesen, damit wir Dich hier rausholen. Wir werden alle möglichen und unmöglich erscheinenden Mittel ausschöpfen. Aber es braucht ein wenig Zeit“, versuchte Gong sie zu beruhigen und ihr Mut zuzusprechen.
„Mit dem Essen wirst Du laufend Nachrichten von uns erhalten“, fuhr er fort. Dann öffnete sich die Türe und die Aufseherin trat ein. „Die Zeit ist abgelaufen“, sprach sie mit der gleichen Demut wie beim Direktor zu Gong. Dieser schob ihr von Susan unbemerkt einige Noten zu. Mit einem listigen Lächeln steckte die Aufseherin die Noten ungeniert ein und strahlte dann Susan an, welche von diesem Sinneswandel peinlich berührt wurde. „Du bist nun nicht mehr meine Gefangene, sondern meine Kundin“, meinte sie mit einem seligen Lächeln auf den Lippen, während sie Susan wieder in die Zelle zurückführte.
„Sag’ mir, wenn Du etwas brauchst“, flüsterte sie ihr zum Abschied zu. „Ich hätte gerne eine Matte und ein Kissen“, sprudelte es sofort aus Susan heraus. Die Aufseherin grinste verschwörerisch. „Morgen hast du Beides“, flüsterte sie und blinzelte ihr dabei zu. Als sie in der Zelle wieder auf ihrem alten Platz sass, setzte sich die junge Frau mit den traurigen Augen zu ihr.
„Schade! Ich habe für Dich gehofft, dass Du frei wirst“, und der Gesichtsausdruck, auf welchem das Bedauern deutlich sichtbar war, schien nicht zu lügen. „Es dauert noch ein paar Tage“, antwortete ihr Susan mit einem gequälten Lächeln. „Wie heisst Du eigentlich?“, fragte sie die junge Frau interessiert. Als die sich als ,Timmy‘ vorstellte, bat sie: „Erzähl’ mir etwas über das Gefängnis hier. Die Regeln und Gesetze und auf was man aufpassen muss.“ Timmy antwortete mit wichtiger Miene: „Die Regeln hier drinnen sind genau die gleichen, wie draussen.
Wenn Du Geld hast, kannst Du Dir alles kaufen. Aufseher, Beschützer, Mörder, Essen, Trinken und sogar Drogen.“ Dabei zeigte sie auf eine Frau, welche mit glasigen Augen regungslos auf den Boden starrte. Susan staunte Bauklötze. „Die Aufseherinnen auch?“, fragte Susan nach, welcher es anfing zu dämmern, warum die Aufseherin sie nun als Kundin bezeichnete.
„Die sind am leichtesten zu bestechen. Wenn Du nichts hast, prügeln sie Dich und wenn du ihnen etwas Geld gibst, küssen sie Dir die Füsse“, antwortete Timmy mit einem bitteren Klang in der Stimme. „Manche verdienen sich eine goldene Nase mit den Gefangenen“, fügte sie hinzu. „Gibt es hier so etwas wie eine Hierarchie?“, wollte Susan nun wissen. „Eine Chefin, meinst Du?“, Susan nickte. „Ach so, natürlich gibt es das. In unserer Zelle ist es die Grosse da hinten.
Sie heisst Pom“, dabei schielte schielte in die Richtung. Da stand wirklich eine grosse Frau mit kurzen Haaren. Sie schien kräftig zu sein und ihr Gesicht war hart.
„Pass’ auf, sie hat ein Messer“, zischte Timmy ihr zu, als die Frau Susan und Timmy neugierig anschaute. Betont lässig näherte sich die Frau und blickte die Beiden dann herausfordernd an. Sie war sich ihrer Stärke bewusst. Breitbeinig stand sie vor Susan und Timmy und schien sie eine halbe Ewigkeit lang zu mustern. „Wenn Du schon am Plappern bist, vergiss’ nicht, ihr meine Preise durchzugeben“, sprach sie zu Timmy und ihre Stimme war eisig kalt. Dann schaute sie Susan mit ihrem stahlharten Blick in die Augen. „Für fünftausend Baht sticht Dich hier jede ab. Die ersten Wetten laufen schon, wer sich die Prämie verdient. Sie Dich vor, blonde Frau. Du hast mächtige Feinde.“
Der von Susan erwartete Angstschub blieb aus. ,Du bist gerade ‘mal einhundert Euro wert‘, sprach eine gleichgültige Stimme in ihr. ,Für einhundert Euro sticht dich hier jede ab.‘
Furchtlos schaute sie der Frau in die Augen. „5.000 Baht? Ihr lasst euch aber mächtig bescheissen“, konterte sie mit betont gleichgültiger Stimme. Ein Lächeln huschte auf das Gesicht von Pom, welches ihre harten Gesichtszüge ein wenig aufweichte. „Du gefällst, mir blonde Frau. Bis Du tot bist, werden wir sicher noch viel Spass miteinander haben.“ Dann lachte sie schallend und erschreckend unnatürlich auf und ging weg.
Susan spürte, wie ihr der Schweiss in Strömen den Rücken hinunterfloss. Verstohlen musterte sie die Frauen und fragte sich, welche von ihnen wohl ihre Mörderin sein könnte. Timmy erklärte ihr, dass man am Morgen das Recht hat, Geld in der Administration zu holen. „Falls man welches hat“, fügte sie nachdenklich an. „Gib der Aufseherin jedes Mal etwas ab. Dann wird die alles für Dich organisieren, was Du benötigst.“
„Morgen!“ dachte Susan. „Zwischen jetzt und morgen liegt eine ganze Nacht und eine Prämie von 5.000 Baht.“ Sie beschloss, ein wenig zu schlafen, damit sie in der Nacht wach bleiben konnte. Den nun aufsteigenden Anflug von Angst in ihrer Bauchhöhle wies sie energisch zurück. „Ich will nicht erstarren, wie die Maus vor der Schlange.
Ich will leben!“