Die ,Nutten‘ von Pattaya

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        #111  

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Member hat gesagt:
Im Netz gibt es scheinbar nicht mehr viel von Gad, kaufen kann man seine Bücher wohl teilweise noch.

Habe auch schon gesucht aber nicht wirklich was gefunden.
LEIDER.

Danke nochmals das du das hier veröffentlichst.
 
        #112  

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von Dr.G.M. Gad Labudda




Als Gast im Urlaubsparadies Thailand - 15 Seiten - ('Victor Schluff')

- - Thailand ist ein ideales Urlaubsland. Touristen brauchen sich normalerweise keine Sorgen zu machen und können ihre Zeit ohne Probleme und voller Freuden genießen. Aber es gibt auch Urlauber, die alles Unglück auf einmal befällt. Peinlich, wenn sie kamen, darüber zu berichten - -

Man fährt in Urlaub, um sich zu erholen, etwas zu erleben, sich zu vergnügen und etwas zu erleben, als Gast anerkannt und willkommen zu sein und sich bei einem gewissen Komfort wohlzufühlen, der nach Möglichkeit auch noch preiswert sein soll. Um den passenden Urlaubsort zu finden, verläßt man sich auf Mitteilungen Reisender, von Freunden und Bekannten, auf Zeitungsberichte, Schlagworte oder aus alten Zeiten überlieferte Mitteilungen. Deshalb fahren viele Menschen in das ‘Land des Lächelns’, weil sie gehört haben, die Menschen seien so freundlich und das Land sei so schön, so exotisch und so preiswert.

Jurij hat schon viel von Thailand gehört, von dem berühmten Lächeln und der berühmten thailändischen Gastfreundschaft. Nun fuhr er für drei Wochen nach Thailand. Er hat sich gründlich informiert, einen Sprachkursus an der Universität belegt und viele Bücher gelesen. Er war tief beeindruckt. Aber Russen haben ein tiefes Mißtrauen gegenüber Büchern, denn diese zeigen nur einen ausgewählten und begrenzten Teil oder eine Perspektive einer Wirklichkeit, sind also sehr einseitig, oder sie werden von einer Regierung herausgegeben und lügen. Um die Wirklichkeit zu kennen, muß man sie selbst sehen und erfahren.

Es gab mehrere Gründe für Jurijs Interesse an Thailand. Ein Grund war, daß Rußland und Thailand vor einhundert Jahren wirtschaftlich und bildungsmäßig etwa auf der gleichen Stufe standen, als der thailändische König Chulalongkorn, Rama V., nach einer Auslandsreise die Gelegenheit ergriff, Thailand zu modernisieren. Dies geschah lange bevor Rußland nach Beginn der Oktoberrevolution von 1917 eine zunächst irregeleitete Modernisierung in die Wege leiten konnte, die auch noch ideologisch eingeschränkt war, der nicht nur die Aristokratie, sondern auch die meisten studierten Leute und sogar die Führer der Revolution und der Modernisierung zum Opfer fielen, wie beispielsweise der überzeugte Kommunistenführer Trotzki, der in Mexiko ermordet wurde.

In Rußland, wie übrigens auch in China, hat seit jener Zeit ein gewaltiger Aufschwung stattgefunden, der hauptsächlich auf die Schulbildung der Jugend, Bildungsangebote und Jugendarbeit zurückzuführen ist, wenn auch der Versuch einer Ideologisierung beibehalten wurde, während man in Thailand nur versuchte, den Glauben an die Könige und die Aristokratie abzubauen, um einen neuen Machtblock der Regierung, der Militärs und der Polizei zu bilden. Es gelang während vieler Jahre, demokratische Bewegungen kleinzuhalten und zu unterdrücken, demokratische Gedanken und die erforderliche demokratische Schulbildung von der Bevölkerung fernzuhalten, was auch heute noch bemerkt werden kann. Jurij war sehr gespannt auf die wirtschaftliche Situation und das Leben in Thailand, als er zusammen mit einem Freund nach Bangkok flog, wo sie ihre Reise durch die Tourismuszentren begannen. Ihr größtes Interesse galt dem Tourismus, der die größte Einnahmequelle Thailands darstellt, wenn er auch in letzter Zeit etwas stagniert.

Schon auf dem Flugplatz fühlten sie sich ganz wie zuhause, als sie sich in einer langen Schlange langsam auf die Beamten der Paßkontrolle zubewegten, nach einer knappen Stunde zur Sperre am Ausgang gelangten und dort von vielen ‘alten Freunden’ und anderen Transportunternehmern freudig begrüßt wurden. Langsam quälten sie sich mit dem klimatisierten Wagen durch den schleichenden Mittagsverkehr. Jurij war beeindruckt. Starker Verkehr, viele Autos und viele Baustellen waren immer ein Zeichen hohen Wohlstandes, hatten seine Lehrbücher behauptet und hier war der Verkehr schlimmer als in Moskau. Es waren auch viel mehr Baustellen zu sehen und so nahm Jurij an, daß Thailand im Wohlstand lebt und sich in einer Phase des Aufschwungs befindet. Erst später erfuhr er, daß viele der Baustellen Bauruinen waren, die seit dem Beginn der Wirtschaftskrise 1997 still vor sich hinrotten und damit ganz und gar kein Beweis für Reichtum und Wohlstand waren, sondern nur für Korruption und ungedeckte Kreditgewährungen der Banken aufgrund hoher Positionen der Kreditnehmer oder ihrer guten Beziehungen zu Politikern und Militärs. Da die Kredite nur durch die Namen einflußreicher Leute und nicht durch Kapitalwerte gedeckt waren, wurden sie vorwiegend von Steuerzahlern, der Bevölkerung, bezahlt.

Der Abend führte Jurij und seinen Freund in ein gutes thailändisches Restaurant und der Rest wurde einem Besuch der Patpong gewidmet, dem berüchtigten Rotlichtviertel Bangkoks. Die in der ganzen Welt verrufene, berühmte als auch berüchtigte Bannmeile des Lasters war in Wirklichkeit harmlos. Perversionen waren selten und es wurde nichts geboten, was man nicht auch in Moskau leicht hätte finden können. Allerdings waren die Mädchen, die man sich hier von der Stange holen konnte, kleiner, schlanker und oftmals auch hübscher und weitaus freundlicher als die Auswahl in Moskau. Besonders in den Go Go-Bars waren sie noch knapper bekleidet, bemühten sich bewegt, viel von ihrem Körper sehen zu lassen und warben hautnah und aktiver um ihre Kunden. Und vor allen Dingen waren ihre Dienste weitaus preiswerter und ausgedehnter, als man sich das in Europa vorstellen konnte.

Am nächsten Morgen traten sie zur Pflichtübung aller Touristen an, einer Tour zum Königspalast und zu den bedeutendsten Tempeln der Stadt. Da ihr Hotel nicht weit entfernt war, hatten sie keine Probleme mit dem Verkehr, dafür aber bekam Jurij Probleme im Königspalast. Stolz auf sein mühsam an der Uni und aus Büchern erlerntes Thai sagte er zu dem Kartenabreißer am Eingang des Palastes: „Khopdjai“. Er dachte, er wäre besonders höflich, wenn er dieses „Danke“ anwendet, das er als ein höfliches Wort gegenüber Gleichgestellten und Untergebenen erlernt hatte. Aber Jurij konnte nicht wissen, daß das gesprochene Thai nicht jenem Thai entspricht, daß man in Büchern lernt oder in den Medien und bei Ansprachen hört. Vor allen Dingen wußte er nicht, daß die Höflichkeit von Beamten oder gegenüber Ausländern durchaus nicht dem thailändischen Standard entspricht. Kaum hatte er „Khopdjai“ gesagt, da riß der vielleicht achtzehnjährige Kartenabreißer entsetzt Mund und Augen auf und sofort schritt ein Offizier der Wache ein, um Jurij zu maßregeln.

Er erklärte, daß der Kartenabreißer ein thailändischer Mensch ist (khon thai), der für den Staat arbeitet, während Jurij kein richtiger Mensch, sondern nur ein Ausländer ist (farang), der sich gegenüber höherstehenden Personen als Gast zu benehmen und diese entsprechend zu respektieren und ihnen seine Ehre zu erweisen hat. Er forderte von Jurij, daß er sich bei dem Kartenabreißer entschuldigt, sich mit einem Wai tief vor ihm verbeugt, ‘koh toht’ (Entschuldigung) und ‘Khop khun kap’ (Ich danke Ihnen) sagt. Jurij hielt das gar nicht für eine lobenswerte Gastfreundschaft, sondern für eine glatte Unverschämtheit, drehte sich um und ging weiter. Sollte man ihn verhaften, weil er sich bedankt hat. Erst später lernte Jurij, daß man sich für Dienstleistungen in Thailand überhaupt nicht bedankt, weil Dienstpersonal nicht beachtet zu werden braucht, daß ‘Khop djai’ in der Umgangssprache nicht üblich ist und daß man sich fast durchwegs mit ‘Khop khun kap’ bedankt. Das war den Lehrbüchern leider nicht bekannt.

Im Königspalast kam er nicht sehr weit. Er hatte eine graue Hose und aus dem gleichen Stoff eine Art kurzärmliger Hemdjacke mit drei Taschen, eine Kleidung, die thailändischen Uniformen im Schnitt ähnlich war und ihm vom Hotel als eine Art zu allen Anlässen korrekter Alltagskleidung empfohlen worden war. Doch diese erregte den Widerwillen eines alten Mannes in Gummilatschen, der sich vermittels einer verschlissenen, zerknüllten dunkelblauen Uniform, eines Stockes und einer Medaille als Wächter auswies. Der hob drohend den Stock, als würde er Jurij bei Ungehorsam sofort schlagen, sagte ihm auf Thai, daß die dummen Ausländer kein Benehmen haben und bedeutete, daß er seine Hemdjacke in die Hose stecken soll. Jurij hatte keine Lust, diesem übergeordneten Beamten zu gehorchen und als Clown herumzulaufen. Er drehte sich um, ging zum Eingang zurück, schenkte dem Offizier seine Eintrittskarte und versprach, er komme vielleicht wieder, wenn die Viehhüter des Palastes durch Wachpersonal ersetzt und auch Ausländer als Menschen akzeptiert werden.

Dann machte er sich auf und bummelte durch den interessanten Markt vor dem Königspalast und durch die Geschäftsviertel der Stadt. Dort wurde er von zwei Polizisten festgehalten, die von ihm fünfhundert Baht forderten, weil er eine Zigarettenkippe auf die Straße geworfen hätte. Jurij ist Nichtraucher, aber der zweite Polizist zeigte ihm eine Kippe und bezeugte lächelnd, daß auch er gesehen hat, wie Jurij sie weggeworfen hat. Es ist in Thailand üblich und von der Regierung akzeptiert, daß Beamte durch Betrug von Personen aus den unteren Bevölkerungsschichten und vor allen Dingen von Ausländern ‘ihr armseliges Gehalt aufbessern’.

In den nächsten Tagen fanden Standardbesichtigungen statt, darunter aber auch eine eindrucksvolle Bootsfahrt durch die Klongs, wie die Kanäle Thailands genannt werden, und eine bemerkenswerte Fahrt nach Ayutthaya, der ehemaligen Hauptstadt Siams. Jurij ging über Bangkoks Promenaden, wo er öfter angerufen wurde: „Eh, Du, Zigaretten!“, oder „Eh, Ausländer, gib Geld!“, ein Verhalten, das nicht nur in Rußland als diskriminierend gilt, das er bisher auch noch in keinem anderen Land erlebt hat, in Thailand jedoch gegenüber Ausländern als höflich gilt, da Thailand die Menschenrechte für Minoritäten nicht anerkannt hat und Ausländer daher keinen Rechtsanspruch darauf haben, als Menschen behandelt zu werden. Interessant war auch, daß Polizisten sich wortlos umdrehten, wenn er sie in ihrer Muttersprache um eine Information bat. Hierfür hätte er besser die Begleitung eines thailändischen Anwalts gesucht, da Polizisten eher geneigt sind, einem thailändischen Menschen zu antworten, statt einem farang. Er bummelte durch Arbeiterviertel, wo er sich wesentlich wohler und akzeptiert fühlte, und schließlich fuhr er mit seinem Freund gespannt nach Pattaya.

Als das Taxi sie gegen Mittag vor dem Hotel absetzte, behielt der Fahrer zu dem ausgemachten Fahrpreis noch einhundert Baht Trinkgeld ein, weil die Ausländer so reich sind. Jurij und sein Freund nahmen ihre Koffer und gingen ins Hotel, wo sie an der Reception ihre Buchungsunterlagen vorzeigten. Man erklärte ihnen, daß die Buchungen zu spät eingetroffen wären und die gebuchten Zimmer schon belegt waren. Das Hotel sei ausgebucht, aber gegen einen Aufpreis könne man ihnen noch zwei Zimmer anbieten, die eigentlich einer weit höheren Preisklasse entsprechen. Sie willigten ein und zahlten, nur leicht verwundert über den Zufall, daß die Zimmernummern ihrer besseren Räume mit den Nummern ihrer Buchung übereinstimmten. Nach einer kalten Dusche suchten sie ein Restaurant und waren mit den Speisen und der freundlichen Bedienung sehr zufrieden. Sie fuhren mit einem Sammeltaxi einige hundert Meter ins Zentrum der Stadt.

Statt des Fahrpreises von je fünf Baht nahm der Fahrer ihnen zweihundert Baht ab, Preis für Ausländer, weil die so reich sind. Nach einem Bummel durch Kaufhäuser und Geschäftsviertel landeten sie vor einem Friseurladen und entschlossen sich wegen der Hitze zu einem kurzen Haarschnitt. Während sie warteten, sahen sie, daß die Kunden vierzig Baht bezahlten. Als sie bezahlen wollten, legte Jurij vierzig Baht hin und erfuhr von der Inhaberin, daß Ausländer einhundert Baht zu bezahlen haben, weil sie Ausländer sind, so wie sie es schon beim Taxi erlebt hatten. In Rußland ist das kriminell, aber manchmal machte man so etwas, wenn man glaubte, die Kunden seien zu dumm, zur Polizei zu gehen und wenn man sie als unangenehme Kunden loswerden wollte. Warum warb Thailand im Ausland mit hohen Kosten um Touristen, wenn man sie loswerden will, sobald sie da sind? Jurij bezahlte einhundert Baht und wurde von der Inhaberin ärgerlich gefragt, ob er etwa kein Trinkgeld geben will, wo die Thai doch so arm sind und er nur ein Ausländer ist, der dankbar sein soll, daß ihm überhaupt ein Thai die Haare schneidet.

Nach einem weiteren Bummel über die Second Road in Richtung Süd-Pattaya gelangten sie am späten Nachmittag an eine alleinstehende Eck-Bar. Sie meinten, das sei eine gute Gelegenheit, etwas zu verschnaufen, sich hinzusetzen und einen Kaffee zu trinken, aber Kaffee gab es gerade nicht. Doch Russen sind da nicht sehr wählerisch; im Notfall kann man sich auch bei einem Vodka ausruhen. Sie wissen nicht, daß die thailändische Regierung das als unanständig bezeichnet. Sie erhielten zwei kleine Gläser von zwei Kubikcentilitern Vodka Sierra, den sie schon kannten. Es war kein guter, dafür aber sehr preiswerter Vodka, der als Kaffee-Ersatz gerade noch akzeptabel ist. Jurij hatte in Bangkok schon eine Flasche gekauft, für die er 346 Baht bezahlt hatte. Er schaute auf die Preisliste der Bar. Der minderwertige Reisschnaps Mekong und der Brandy Saeng Thip kosteten 35 Baht pro Glas und die teueren Whiskys Chivas Regal und Johnny Walker, Black Label, kosteten 60 Baht. Es war offensichtlich eine preiswerte Bar.

So war es auch kein Problem, als ein russisches Paar in die Bar kam und auch keinen Kaffee erhalten konnte. Jurij lud sie zu einem Vodka ein, bestellte für sich und seinen Freund noch ein Glas und fragte die Beiden nach ihren Urlaubserfahrungen in Thailand. Als er genug gehört hatte und die Beiden weitergehen wollten, bat er um die Rechnung und war erstaunt, daß er für die sechs Gläser 720 Baht bezahlen sollte, mehr als zwei Flaschen des Getränkes kosten. Er zeigte auf die Preisliste, auf der der Vodka Sierra nicht aufgeführt war, und fragte, warum der so teuer sei, teuerer als alle anderen Getränke. Ungerührt sagte ihm die Kassiererin lächelnd, daß ist der Preis für Ausländer, weil die das bezahlen können.

Jurij war wütend. Auch hier machte man spezielle Preise für Ausländer, behandelte sie wie Aussätzige oder Geistesgestörte und forderte von ihnen ein Mehrfaches dessen, was Thailänder bezahlen. Das war nicht nur in Rußland kriminell, auch in Thailand. Jurij nahm die Quittungen und ging zur Polizei, um eine Anzeige zu erstatten. Er legte die Quittungen vor, sagte, daß nach dem thailändischen Gesetz alle zum Verkauf angebotenen Waren mit einem Preis ausgezeichnet werden müssen, daß Vodka Sierra nicht auf der Preisliste der Bar steht, der Preis speziell für Ausländer gilt, eine diskriminierende Beleidigung und glatter Wucher ist. Die Polizei interessierte sich nicht für die Quittungen und nahm auch die Anzeige nicht an. Man sagte Jurij, er soll zu der Bar zurückgehen, man würde einen Polizisten schicken, der den Sachverhalt klären und fragen soll, ob das auch wirklich stimmt, was Jurij behauptet, oder ob Jurij die Bar vielleicht nur verleumdet.

Jurij ging zurück, setzte sich vor die Bar und wartete auf den Polizi-sten. Nach einer dreiviertel Stunde ging er wieder zur Polizeistation. Dort sagte man ihm, die Polizisten seien gerade abgefahren. Er soll wieder zur Bar zurückgehen. Dort würden sie auf ihn warten. Jurij ging zurück, aber da waren keine Polizisten. Jurij wartete eine halbe Stunde, da kamen tatsächlich sechs Motorräder mit Polizisten, die an der gegenüberliegenden Straßenecke hielten und miteinander sprachen. Jurij ging hin und fragte, ob vielleicht einer der Polizisten wegen seiner Anzeige gekommen sei. Nach der Erklärung wollten sie die Quittung sehen und sagten Jurij, er sollte sie ihnen geben. Doch der hielt sie fest und sagte, er hätte Kopien gemacht, sie könnten die Kopien haben. Darauf starteten sie wortlos ihre Motorräder und fuhren weg.

Jurij wartete noch eine Weile, doch niemand kam. Er ging wieder zur Polizeistation. Dort wußte man von nichts und erklärte, daß gerade die Wachablösung stattgefunden hat. Jurij zeigte wieder die Quittungen und erklärte sein Problem. Doch der Wachhabende sagte: „Vielleicht etwas teuer, na und? Was willst Du denn von uns?“ Jurij erwähnte die gesetzliche Auszeichnungspflicht, daß nicht ausgezeichnete spezielle Warenpreise für Ausländer nach dem Gesetz kriminell sind und wollte die Anzeige erstatten. Der dienstführende Offizier war erbost und wies Jurij zurecht: „Du (müng) hast uns nicht das Gesetz beizubringen. In Thailand bestimmt die Polizei, was Gesetz ist. Wenn Du kein Geld hast, mußt Du nicht nach Thailand kommen. Dir hat keiner gesagt, daß Du kommen sollst. Dich hat keiner gerufen.“ Hier muß man entschuldigend erklären, daß thailändische Polizisten natürlich nicht wissen, daß die thailändische Tourismusbehörde im Ausland mit einem enormen Aufwand versucht, Ausländer nach Thailand zu schicken und sie sogar mit kostenspieliger Fernsehwerbung nach Thailand ruft.

Nach einer längeren Pause sagte er, er würde zwei Polizisten losschicken, Jurij sollte schon einmal zur Bar zurückgehen, dort würden die Polizisten ihn dann treffen. Als Jurij nach weiterem Warten wieder zur Polizeistation ging, wollte man den lästigen Ausländer nicht mehr sehen. Man fragte ihn, ob er in einer Bar gewesen war. Jurij sagte, daß er ja deswegen zur Polizei gekommen sei. „Müng Farang kimao“ informierte man ihn, „Du bist ein betrunkener Ausländer. Du bist heute schon viermal auf der Polizeistation gewesen und Du bist betrunken. Willst Du, daß wir dich wegen Trunkenheit einsperren?“ Jurij begriff. Der Offizier hatte Recht gehabt: In Thailand gilt kein Gesetz; hier bestimmt die Polizei, was Recht ist. Sie bestimmt offenbar auch, daß die Verordnung, daß Polizisten gegenüber der Bevölkerung höflich zu sein haben, nicht für Ausländer gilt. Gegenüber einem Thai wäre die Anrede ‘müng’ nicht nur äußerst unhöflich, sondern auch rechtswidrig.

Jurij war hungrig und durstig. Er ging ins Hotel, wo sein Freund schon auf ihn wartete. Er hatte viele Fotos geschossen und war sehr zufrieden, aber er war auch sehr hungrig. Zusammen suchten sie ein Restaurant. Die gemütliche Atmosphäre sprang langsam auf sie über und sie unterhielten sich noch längere Zeit mit dem Manager über den Tourismus in Thailand. Es war schon spät, als sie das Restaurant zufrieden verließen und eine Bar suchten. Sie hatten gelernt, daß Vorsicht geraten ist und gingen in eine Bar, in der die Musik nicht allzu laut war, nicht nur ganz junge Mädchen hinter der Theke standen und keine Schleppertruppe versuchte, sie abzufangen. Sie bestellten einen Vodka und sahen sich erst einmal die Rechnung an, bevor sie ein weiteres Glas bestellten und wie in Thailand üblich, betrogen wurden. Derselbe Vodka Sierra kostete hier aber nur fünfzig Baht pro Glas.

Eines der Mädchen brachte einen Holzkasten mit einem Würfelspiel und Dominosteine und fragte die Beiden, ob sie spielen wollten. Sie spielten Domino mit zwei Mädchen, unterhielten sich mit ihnen und tranken einige Gläser Vodka. Dabei verging die Zeit wie im Fluge, es war schon lange nach Mitternacht und auf einmal wurde die Musik abgestellt, die Beleuchtung bis auf zwei kleine Lampen gelöscht und die Kassiererin erklärte: „Zwei Uhr. Sperrstunde.“ Sie brachte ihnen aber noch die Gläser, die sie gerade bestellt hatten und erklärte dabei, daß sie ruhig sitzenbleiben und weitertrinken können, die Bars müssen nur die Musik und die Lichter abschalten, würden aber weiter bedienen.

Jurij wunderte sich: „Ich habe aber gelesen, daß die offenen Bars die ganze Nacht geöffnet haben und daß man sie überhaupt nicht schließen kann.“ Die Kassiererin meinte: „Das war einmal. Die Regierung unter Ministerpräsident Taksin und Innenminister Purachai hat mit den Gesetzen einer Militärdiktatur der Sechziger Jahre eine ,Neue soziale Ordnung‘ proklamiert. Damit müssen alle Bars um zwei Uhr nachts schließen. Angeblich, um die Jugend nicht zum Drogenkonsum zu verleiten, der Prostitution Einhalt zu gebieten und weil Alkoholkonsum nicht anständig ist.“ Die Kassiererin macht eine Pause, holt sich ihre Zigaretten, setzt sich auf die Theke vor ihre Gäste und fährt fort: „Aber das sind Ausreden: Jugendliche dürfen schon um 22 Uhr nicht mehr in der Öffentlichkeit erscheinen, wie können sie da um 2 Uhr nachts zum Drogenkonsum verleitet werden? Außerdem werden an den offenen Bars keine illegalen Drogen gehandelt; das wäre viel zu auffällig, denn das könnte jeder Polizist von der Straße aus beobachten.

Wieso die Prostitution begrenzt wird, wenn die Bars schließen müssen, ist auch nicht klar. Ein großer Teil der Prostitution entsteht nicht durch Bars, sondern durch die Rechtspraxis. Über ein Drittel der Frauen in Bars und im Sexgewerbe hat Kinder, die ernährt und versorgt werden müssen. Dazu kommt eine hohe, aber nicht berechnete Anzahl von Frauen, die ihre Eltern oder ihre Familie ernähren. Wenn eine Frau Kinder hat und der Mann verschwindet, braucht er praktisch nicht mehr für den Unterhalt der Kinder aufzukommen, das Geld muß dann die Frau nebenher verdienen, während sie sich um die Kinder kümmert. Wie soll sie das denn machen, wenn sie nicht in einer Bar arbeitet? Glaubt die Regierung etwa, daß diese Frauen kein Geld mehr verdienen müssen, wenn die Bars um zwei Uhr schließen? Und wieso ist es unanständig, Alkohol zu trinken? Ist es nur dann anständig, Alkohol zu trinken, wenn es sich um Wein handelt, der vom Ministerpräsidenten Thaksin den Senatsmitgliedern spendiert wird und mehrere tausend Dollar pro Flasche kostet, aber dann unanständig, wenn jemand Unterhaltung sucht und abends eine Flasche Bier an einer Bar trinkt? In Thailand werden von thailändischen Firmen über 37 Millionen Hektoliter Bier gebraut und im Lande verkauft und auch thailändischer Whisky findet reißenden Absatz. Müßte sich die Regierung bei einer derart unanständigen Bevölkerung nicht zurückziehen und eine andere, anständigere Bevölkerung zum Regieren suchen?“ Sie hielt etwas unvermittelt inne und sah sich nach allen Seiten um, ob sie vielleicht von jemand gehört worden war. Jurij kannte dieses Verhalten noch aus dem alten Rußland.

Jurij hatte noch andere Bedenken: „Die meisten Europäer sitzen das ganze Jahr über in geschlossenen Räumen und abends ist es zu kalt, im Freien zu sitzen. Sie träumen das ganze Jahr von den lauen Nächten des Südens. Sie sparen das ganze Jahr für den Urlaub und dann fahren sie in den Süden. Sie fahren nicht nach Thailand, weil es tagsüber so heiß ist, sondern weil man sich ab dem späten Nachmittag die ganze Nacht über mit leichter Kleidung an der freien Luft bewegen kann. Sie haben Urlaub und brauchen nicht früh aufzustehen, sie können drei oder vier Wochen lang lange schlafen, um dann die kühlen Nächte im Freien zu genießen. Und dann kommt die Regierung und sagt, das ist unanständig und folglich verboten. Die Touristen sollen Tempel, Museen und Nationalparks besuchen, wohl weil die Regierung von westlichen Ausländern extra hohe Preise verlangt, weil sie ja nur Ausländer sind und selbstverständlich mehr zahlen müssen, als Thailänder. Nur Ancient City in Bangkok, eine architektonisch hervorragend gelungene Ansammlung von Replikas historischer thailändischer Gebäude, verzichtet aus Prinzip auf diese Beleidigung der Gäste.

Hinzu kommt, daß die Kosten der Erhaltung und der Förderung einer Anlage für Thailänder genauso teuer ist, wie für Ausländer. Aber Ancient City gehört ja auch nicht der Regierung.“ Und er sinniert: „Wie würden sich die Thailänder fühlen, wenn man in Europa in Geschäften, Museen und Parks besonders hohe Preise für Asiaten oder speziell für Thailänder schaffen würde, da dies ja deren gesetzlich geförderten Geschäftsmethoden entspricht? Aber in Europa wäre das kriminell, da dort auch Thailänder als Menschen behandelt werden müssen, nur hier ist es anständig.“

Dann kommt Jurij ein Verdacht: „Die Einführung der Sperrstunde schadet dem Ruf Thailands mehr, als man zunächst glaubt. Denn es geht ja nicht nur um die Leute, die tatsächlich nach zwei Uhr noch an einer Bar sitzen wollen. Allein die Tatsache, daß es verboten ist und sie sich nicht an eine Bar setzen dürfen, gibt vielen ein ungutes Gefühl, moralisch verurteilt, bestraft und bevormundet zu werden. Aber viel-leicht will die Regierung mit der Sperrstunde nur die Einnahmen aus der Prostitution und im Hotelgewerbe fördern. Die Gäste, die sich nicht mehr bei einem Orangensaft oder einem Bier im Freien unterhalten dürfen, weil das jetzt unanständig geworden ist, können sich ja eine Frau ins Hotel mitnehmen und dort die Getränke aufs Zimmer bringen lassen, das bringt mehr Geld ein und ist dann wieder anständig.“ Er beschließt, der stummen Aufforderung der Regierung Folge zu leisten und eine Frau ins Hotel mitzunehmen, da er Informationen über den Tourismus in Thailand braucht, was die Frau, die sicher viele Erfahrungen im Tourismus und mit Touristen hat, kaum vermuten dürfte.

„Anstand ist eine Geldfrage“, lacht die Kassiererin. „Glücksspiele sind in Thailand verboten, sie sind unanständig. Die Regierung selbst betreibt eine Lotterie und jetzt will sie Spielcasinos für Ausländer bauen, weil sie dadurch hohe Einnahmen erwartet. Wenn die Regierung Geld verdient, dann sind die Glücksspiele wieder anständig. Die Regierung sucht ‘Qualitätstouristen’ und sagt, das sind Leute, die am Tag über 30.000 Baht ausgeben, möglichst so um die 60.000 Baht. Wo sollen sie das denn tun, wenn es zur Unterhaltung nur Restaurants und Bars gibt, die aber früh schließen müssen, damit die Gäste anständig sind?“

Lio hat mit ihm Domino gespielt, eine hübsche Frau um die dreißig Jahre, die etwas Englisch spricht. Sie geht gerne mit Jurij mit; sie freut sich auf ihre Entlohnung. Im Hotel unterhalten sie sich noch lange. Sie kommt aus Korat, wo sie zwei Kinder und ihre Eltern zu versorgen hat. Ihr Mann hatte seine Arbeit verloren und ist nach Bangkok gegangen. Von dort hat er geschrieben, daß er in ein Kloster geht, nun muß sie die Kinder und ihre Eltern ernähren. Arbeit gibt es nicht. Die Schulbildung ist viel zu gering, um irgendeine sinnvolle Tätigkeit ausüben oder eine einträgliche Arbeitsstelle finden zu können, so bleibt ihr nur die Tätigkeit in einer Bar, was die Regierung verurteilt. Aber sie findet das nicht schlimm, denn die Regierung hat sich noch nie um sie gekümmert und an der Bar kann sie den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind verdienen, außerdem ist sie dort mit anderen Frauen zusammen, denen es genauso geht, die sie verstehen und sich gegenseitig helfen.

Jurij erfährt, daß es in Pattaya zwar auch den schnellen Sex gibt, wie in Europa, daß aber die meisten Mädchen einen Ernährer suchen, einen Freund, einen Geliebten oder einen Mann, der sie heiratet. Das hat sicher nichts mit Liebe zu tun, es ist vielmehr Teil eines Überlebenskam-pfes, in dem man alles, was man hat, dafür einsetzen muß, um überleben zu können. Und Lio hat kaum etwas, ihre Schulbildung ist nicht erwähnenswert, sie kann Reis anbauen, wovon man nicht leben kann, ansonsten hat sie beschränkte Fähigkeiten als Hausfrau und einen hübschen Körper. Was soll sie sonst einsetzen, um zu überleben und ihre Familie zu ernähren? Ein Thai wird keine Frau heiraten, die nichts besitzt und Kinder hat, schon gar nicht, wenn sie in einer Bar gearbeitet hat, denn die thailändische Regierung sagt ihrer Bevölkerung ganz genau, was anständig ist. Aber vielleicht findet sie einen Ausländer, der sie ernährt. Ausländer sind ja so unanständig, daß sie Handlungen, die ein Mensch in einer Notsituation verübt, um seine Familie zu ernähren, ohne kriminell zu werden, nicht verurteilt. Dann muß sie mit dem irgendwie zurechtkommen und darf sich dabei freuen, daß die thailändische Regierung doch viel anständiger ist, als die Ausländer, und nicht etwa die Arbeit an einer Bar, sondern nur die kriminellen Handlungen ihrer Beamten akzeptiert, weil die der Bevölkerung und den Gästen nur das Geld abnehmen, um selbst besser leben zu können, weil sie als Beamte selbstverständlich bessere Menschen sind, als die Bevölkerung.

Am nächsten Morgen trifft Jurij sich mit seinem Freund. Sie wollen heute Pattayas Attraktionen besuchen, darunter Mini Siam und eine Go-Kart Bahn. Dort hat man unterschiedliche Preise für thailändische Menschen und für ausländische Trottel, die bereit sind, für die gleiche Leistung mehr zu bezahlen, weil sie nicht in Thailand geboren und folglich minderwertig sind. Sie verzichten auf die Ehre, fahren wieder zurück und gehen essen. Vom Restaurant aus gehen sie mit einigen Umwegen zum Hotel und trinken unterwegs an einer Bar eine Cola. Als sie bezahlen, nimmt das Mädchen zweihundert Baht vom Wechselgeld, steckt sie in die Tasche und sagt, Ausländer müssen jetzt für den Barbesuch einhundert Baht Steuern bezahlen. Sie sind in der Nähe der Soi 9, so geht Jurij wieder zur Polizei und erzählt von den angeblichen Steuern für Ausländer. Die Polizisten lachen laut sagen, er ist ein dummer Ausländer, er soll zur Bar gehen, sie kommen gleich. Nach einer halben Stunde geht Jurij wieder hin.

Die Polizisten sind gerade abgefahren, sagen sie ihm. Als er das dritte Mal zur Polizei geht, sagen sie ihm, daß er in einer Bar war und betrunken ist, er soll nachhause gehen. Sie sagen, daß er in einer Bar damit rechnen muß, daß man ihm Geld abnimmt und wenn ihm das nicht paßt, soll er eben nicht in eine Bar gehen. Jurij fragt freundlich, wo er denn abends in Pattaya sonst hingehen kann. Er bekommt den Rat, Tempel und Nationalparks zu besuchen oder einkaufen zu gehen. Interessiert fragt Jurij, wieviele Tempel denn nachts für Touristen geöffnet sind und wieviele Nationalparks es in Pattaya gibt. Darauf erhält er den Rat, einkaufen zu gehen oder im Hotel zu bleiben.

Jurij ist auf der internationalen Tourismusmesse in Berlin von der Thailändischen Tourismusbehörde aufgefordert worden, nach Thailand zu fahren. Weil es dort so viele Unterhaltungsmöglichkeiten gibt und man sich so gut amüsieren kann, was man allen Ausländern mitteilen sollte. Aber hier gibt es nichts als Bars zur Unterhaltung. Um andere Angebote zur Unterhaltung hat man sich noch nicht bemüht. Und dann sagt man ihm, er soll im Hotel bleiben. Er fühlt sich gar nicht amüsiert. Er geht ins Hotel, legt sich aber nicht hin, sonst kann er nachts nicht schlafen und er kann sich dann auch nicht an eine Bar setzen, weil die Regierung das für unanständig hält. Er setzt sich ans Schwimmbad, wo er seinen Freund trifft und fühlt sich wie ein Gefangener, dem vorgeschrieben wird, wann er ausgehen darf und wann er zu schlafen hat.

Am Abend zieht er mit seinem Freund los. Sie gehen in ein Restaurant und dann an eine Bar. Dort legt der Freund sein Dupont-Feuerzeug und ein Zigarettenpäckchen auf die Theke und steckt sich eine Zigarette an. Es dauert nicht lange, bis eines der Mädchen, die außen an der Theke sitzen, das Feuerzeug und die Zigaretten nimmt und wegläuft. Die Kassiererin krümmt sich vor Lachen. „Farang ngo!“, idiotische Ausländer. Wie kann man als Gast in einer thailändischen Bar seine Sachen auf den Tisch legen. Sie sagt, sie kennt das Mädchen nicht, es arbeitet nicht an ihrer Bar und lacht weiter. Jurij weiß, daß sie nicht zur Polizei gehen können, die sie nur zur Bar zurückschickt und Betrug und Diebstahl an den Bars unterstützt. Aber das Mädchen kommt zurück und bietet ihnen ihr Feuerzeug zum Kauf an. Es weiß nicht, was ein Dupong ist. Sie können es für zweihundert Baht zurückkaufen, plus einhundert Baht für die Kassiererin. Die Zigaretten behält das Mädchen, die Farang können sich ja neue kaufen, weil sie so reich und so dumm sind und weil sie nur Farang sind. Einen Thailänder würde sie nie bestehlen, da bekäme sie Probleme. Und die Kassiererin lacht sich schief, sie findet es äußerst lustig, zuzusehen, wie die Gäste an ihrer Bar bestohlen werden und findet es schön, daß sie davon profitiert.

Am nächsten Tag hat Jurij an einer Bar Probleme mit einem Skandinavier, der irgendwelche Pillen anbietet. Jurij vermutet, es handelt sich um Viagra und sagt ihm, daß er grundsätzlich keine Drogen an einer Bar kauft und empfiehlt ihm, die Dinger wegzustecken, weil es in Thailand sehr gefährlich sein soll, irgendwelche Sachen ohne Lizenz und Arbeitsgenehmigung zu verkaufen, ganz gleich, was es ist. Der Mann ist offensichtlich in einem leichten Rausch und boxt ihn gegen die Schulter, wird dann von anderen Leuten zurückgehalten. Er stürzt sich aber noch zweimal auf Jurij. Jurij hat gehört, daß es gefährlich sein kann, sich in Thailand in eine Schlägerei einzulassen. Beim dritten Mal läßt er die Polizei rufen. Die kommt schnell. Jurij wundert sich, daß die Polizei mit niemand spricht, keine Tatbestandsaufnahme macht und keine Zeugenaussagen hören will. Die Kassiererin zeigt stumm auf Jurij und den Skandinavier, beide werden wortlos festgenommen und zur Polizeistation gebracht. Dort wird der Skandinavier von einigen Polizisten als alter Bekannter begrüßt.

Bevor noch ein Wort gesprochen wird, legt man Jurij ein Blatt Papier mit zwei Zeilen in einer kritzeligen, sehr ungewöhnlichen Handschrift vor. In der oberen rechten Ecke steht die Notiz ‘800’. Jurij sagt, daß er diese Handschrift nicht lesen kann. Der Polizist erklärt, daß die Vernehmungsoffiziere bereits nachhause gegangen sind und daß auf dem Papier steht, er möchte am nächsten Morgen um 8 Uhr zur Vernehmung kommen, um seine Anzeige zu erstatten. Jurij hält das für glaubwürdig, weil ja noch niemand mit ihm gesprochen hat, weil der Termin 800 Uhr vermerkt ist, weil man in zwei Zeilen nicht viel außer einem Vorladungstermin schreiben kann und weil er ja bei der Polizei ist. Also unterschreibt er und will gehen, um am nächsten Morgen wiederzukommen. Aber das geht nicht. Er wird in eine Zelle geschoben. Dann wird ihm von einem lachenden Polizisten erklärt, daß er nicht eine Vorladung, sondern ein Geständnis unterschrieben hat, wegen Ruhestörung, Körperverletzung und Diebstahl. Als er fragt, was er denn getan haben soll, sagt man ihm, das müsse er ja selbst wissen, sonst hätte er ja nicht unterschrieben. Auf den Hinweis, daß in einem polizeilichen Protokoll die Taten beschrieben werden müssen, lacht der Polizist: „Hier ist Thailand, hier bestimmen wir, was Recht ist.“ Richtig, das hatte Jurij vergessen, in Thailand gibt es kein Gesetz, in Thailand bestimmt die Polizei, was Recht ist und so kann man als Ausländer in Thailand selbstverständlich nicht zur Polizei gehen, um eine Anzeige zu erstatten.

Nach einigen Stunden wurde Jurij dem dienstführenden Offizier zur Vernehmung vorgeführt. Er sagte dem Beamten, wie das Protokoll aufgrund des Betruges eines Beamten entstanden ist, doch der erklärte ihm, daß ihn überhaupt nicht interessiert, was geschehen ist. Ihm reichte es, daß Jurij unterschrieben hat, folglich schuldig ist und Strafe zahlen muß. Er bestätigte, daß das Protokoll gesetzwidrig durch Betrug von Polizeibeamten entstanden ist und daß dort kein Tatvorgang vermerkt ist, erklärt, daß Jurij sehr dumm ist, daß er Polizisten glaubt. Er fragt, ob Jurij bereit ist, eine Strafe zu bezahlen und wieviel er anbietet, man könne ja über das Strafmaß verhandeln. Der versteht immer besser, was das Recht in Thailand ist, weigerte sich und erklärt, daß er nicht bereit ist, dafür eine Strafe zu zahlen, daß er eine Anzeige erstatten wollte, die nicht angenommen wird. Auch als er hört, daß heute Freitag ist und er dann bis zu einem Gerichtstermin in der nächsten Woche inhaftiert bleibt, weil er ja seine Straftaten gestanden hat. Darauf belehrte der Offizier Jurij, daß die Ausländer alle dumm sind und noch viel lernen müssen.

Jurij sagt, er würde gleich mit dem Lernen anfangen und fragt den Offizier: „In Europa werden Polizisten dafür bezahlt, daß sie für Recht und Ordnung und die Einhaltung der Gesetze sorgen. Können Sie mir sagen, wofür die Polizisten Thailands bezahlt werden?“ Der Offizier antwortete nicht. Offensichtlich wußte er es auch nicht, was Jurij für verständlich hielt. Jurij wurde wieder in die Zelle abgeführt. Um drei Uhr morgens erschien ein Polizist ohne Uniformhemd und dem Namensschild, das er tragen muß und erklärte Jurij, daß man befunden hätte, daß man ihn bei einer Strafzahlung von nur dreißigtausend Baht für seine Verbrechen entlassen könnte. Jurij weigerte sich, worauf man ihm mitteilte, man würde später seine Kleidung durchsuchen und dabei würde man sicherlich Drogen finden, weshalb er dann als Drogenhändler hinter Gittern bleiben würde. Er wurde noch einmal aufgefordert, dreißigtausend Baht Strafe zu zahlen, um zu vermeiden, daß er sein Leben lang hinter Gittern bleibt, doch Jurij weigerte sich. Am frühen Morgen wurde er gegen eine Strafe von fünfhundert Baht entlassen. Was ist das für ein Land, in dem Ausländer, die bei der Polizei Hilfe suchen oder eine Anzeige erstatten wollen, einfach weggeschickt oder betrogen und eingesperrt werden, um ihnen Geld abzunehmen?

Jurij notierte sich: „Die thailändische Polizei fördert Diebstahl und Betrug, sie ist nicht an Gesetze gebunden, sondern de facto zu kriminellen Handlungen berechtigt, mit denen sie Geld durch Diebstahl, Betrug, Nötigung oder betrügerische Erpressung für die Polizeistation und für den Privatgebrauch eintreiben, um ‘ihr miserables Gehalt aufzubessern’ (Zitat Innenministerium). Ausländer müssen dringend vor jeder Berührung mit thailändischen Polizisten oder anderen Beamten gewarnt werden, da sie selbst bei der Anzeige einer Straftat bestenfalls wie Idioten behandelt und weggeschickt werden oder gar in Gefahr geraten, als Verbrecher oder Drogenhändler eingesperrt zu werden, weil Polizisten hierbei eine Möglichkeit sehen, ihr Gehalt aufzubessern.“

Jurij und sein Freund erlebten noch viel in ihrem Urlaub und sie notierten alles, was sie sahen und erlebten. Bis sie wieder nach Moskau flogen. Der Urlaub war vorbei. Sie müssen wieder arbeiten. Schon am nächsten Morgen gingen sie zur Prawda, der russischen Tageszeitung mit der größten Auflage. Dort setzte Jurij sich an seinen Schreibtisch und schrieb den Exclusivbericht über das Urlaubsparadies Thailand für die Sonntagsausgabe. Er ist Chefredakteur für Kultur und Reisen. Und eine Woche später wissen zweihundert Millionen Russen, was sie im Urlaubsparadies Thailand zu erwarten haben.

Zu der Zeit sitzen zwei Polizisten an einer Eckbar der Second Road und beklagen sich, daß die dummen Farang gar nicht mehr so kommen, wie früher. Wo sie doch Geld brauchen und die dummen Farang so viel Geld bringen und Thailand so gastfreundlich ist, so schöne Tempel hat und so viel Unterhaltung, eine neue soziale Ordnung und Polizisten bietet, die sich jederzeit gerne mit den Gästen des Landes befassen.

Ein paar Bars weiter sitzen Ausländer, die in Pattaya leben und sprechen darüber, daß Aufenthaltsbedingungen immer schlimmer werden und daß es so aussieht, als wollte die Regierung alle Ausländer loswerden. Einer erzählt: Es gibt auch keine Arbeitsgenehmigungen mehr. In den letzten drei Monaten wurden über vierzig Arbeitsgenehmigungen abgelehnt. Auch von Leuten, die schon lange in Thailand sind und immer gearbeitet haben. Der, der die deutschsprachige Zeitung gemacht hat, muß Thailand jetzt verlassen. Der hat die Wochenzeitung mit 72 Seiten zehn Jahre lang alleine gemacht. Das mußte er, weil eine Company pro zwei Millionen eingetragenen Kapitals nur einen Ausländer einstellen darf, aber mindestens sechs thailändische Mitarbeiter beschäftigen muß. Natürlich gibt es keinen Thai, der deutsche Zeitungsartikel schreiben kann. Die Mitarbeiter haben dort Englisch und den Umgang mit Computern gelernt und die Zeitung mußte er alleine machen. Bis zu achtzehn Stunden am Tag, bis er krank wurde, einen Nachfolger gesucht und seine Anteile verkauft hat. Als er sich erholt hat, wollte er eine neue thailändisch-deutsche Kulturzeitschrift auf den Mark bringen. Um eine Arbeitsgenehmigung beantragen zu können, mußte er natürlich erst neue Geschäftsräume einrichten, die entsprechenden Computer kaufen, die Arbeitsplätze einrichten und die Company eröffnen. Dann hat er zwei Jahre auf die Arbeitsgenehmigung gewartet. Schließlich hat er Bescheid bekommen, daß er keine Arbeitsgenehmigung mehr bekommt, weil er vermutlich nicht genug Geld in die thailändische Ökonomie einbringt. Mit seiner alten Zeitung hatte er im Monat nur fünfhunderttausend Baht pro Monat in die Ökonomie eingebracht, so viel, wie einhundert thailändische Arbeiter im Monat verdienen. Dazu wäre die Anzahl thailändischer Beschäftigter nur gering, so daß es sich nicht lohnen würde, einem Ausländer deshalb eine Arbeitsgenehmigung zu geben. Als er einen neuen Antrag gestellt hat, kam die gleiche Antwort wieder, diesmal mit einem weiteren triftigen Grund, die Genehmigung zu verweigern: Während der drei Jahre, die er auf die Arbeitsgenehmigung gewartet hat, weshalb keine Zeitung entstehen konnte, hat er kein Personal beschäftig, um diese Zeitung, die nicht hergestellt werden konnte, zu bearbeiten und zu vertreiben. Die thailändische Company, die mit zwei Millionen Baht eingetragen ist und die Herstellung einer thailändisch-deutschen Kulturzeitschrift zum Ziel hat, darf keinen Ausländer einstellen, die Artikel müssen von Thailändern geschrieben werden. Und da hat der Innenminister Purachai Piumsombun gefordert, daß die Thailänder im Ausland genauso behandelt werden sollen, wie die Ausländer in Thailand. Was glaubt ihr wohl, was mit den Hunderttausenden von thailändischen Arbeitern im Ausland passiert, die in Israel, Saudiarabien, Hongkong, Taiwan und ganz Europa arbeiten, wenn sie eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen, drei Jahre auf eine Arbeitsgeneh-migung warten müssen und diese nur dann bekommen, wenn sie eine Company gründen, noch vor Betriebsbeginn nachweisen müssen, daß sie mehr Geld in die Ökonomie einbringen als einhundert Arbeiter des Landes verdienen und mehr als sechs Personen beschäftigen?
Ein Dritter sagte: „Es sind in der letzten Zeit viele Ausländer aus Thailand abgereist. Für immer. Ich hab’ den Eindruck, den Thai wär’s am liebsten, wenn die Ausländer ihr Geld direkt vom Ausland an die Regierung schicken und gar nicht erst ins Land kommen.“ Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Aber man muß auch den Hintergrund sehen. Für die Thai ist alles Schicksal, vorbestimmt und unabänderlich. Man braucht keine Situationen vorzubereiten, nichts zu Planen, denn das Ergebnis einer Tätigkeit ist nicht von der eigenen Handlung, sondern nur vom Schicksal bestimmt, in das sie sich bereitwillig ergeben. Thailänder sind berühmt für ihre Toleranz, dabei sind sie überhaupt nicht tolerant, sie sind apathisch. Dazu kommt, daß den weitaus meisten von ihnen die Achtung vor einem Menschen fremd ist, sie kennen nur die Angst, den Respekt vor einer mächtigen, gefährlichen oder höherstehenden Person. Und grundsätzlich sind sie nicht in der Lage und auch gar nicht daran interessiert, sich in einen anderen Menschen einzufühlen, ihn zu verstehen oder eine Gemeinsamkeit mit ihm zu erleben. Es interessiert sie nur, was sie von ihm bekommen, welche Vorteile er ihnen bringt. Wie er sich fühlt, wie er lebt oder was man gemeinsam machen kann, wollen sie gar nicht wissen, es zählt nur, was sie bekommen, es zählt nur, was sie zählen können. Es spielt für sie auch keine Rolle, wie sie etwas bekommen. Was heißt hier Betrug; hier zählt nur der Erfolg. Haben sie etwas bekommen, dann waren sie geschickt, sie waren erfolgreich und haben gewonnen und der Betrogene ist eben nur dumm. Wenn er dann nicht wiederkommt, wie es bei vielen Touristen ist, dann kann man auch nichts daran ändern, das war dann eben Schicksal. Dann wartet man eben auf neue Touristen. Aber die Regierung fühlt sich dabei wohl, denn sie regiert und das Volk ist zum Gehorchen dressiert und daran will man gar nichts ändern, denn eine Änderung könnte auch eine Änderung der Machtstrukturen herbeiführen. Deshalb ist es nicht wichtig, wie die Menschen leben können, sondern nur, daß sich nichts ändert, damit die Regierung weiter regiert.“
Ein Weiterer fügte hinzu: „Nach dem Krieg fuhren die Touristen nach Italien, bis sie dort ausgenommen wurden. Dann blieb Italien lange Zeit leer und man fuhr nach Spanien, Frankreich oder Übersee. Die Italiener haben gelernt, es hat lange gedauert, aber jetzt fahren die Touristen wieder nach Italien.“ Darauf fragte ein Älterer: „Glaubst du, daß die Thailänder lernen?“ Doch dann lachte er genau so laut, wie zuvor die Polizisten und die Kassiererin.





von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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von Dr.G.M. Gad Labudda


Mali und das große Glück im Ausland

- Vier mal fünf Seiten - von 'Victor Schluff' in 'Kunterbuntes Pattaya' -

- Ein Barmädchen findet einen dicken Farang, der sie heiraten und ins Ausland mitnehmen will. Doch das Leben mit einem Reichen sieht ganz anders aus, als erwartet. Mali macht sich selbständig und verdient viel Geld. Doch sie hat kein Glück und muß zurück nach Thailand. Nun sucht sie wieder einen Mann, der sie heiratet und mitnimmt -

Viele Mädchen in den Bars träumen von einem Leben im Ausland, möglichst verheiratet mit einem reichen Mann in einem eigenen Haus. Auch Mali träumte lange davon. Bis sie Bernie näher kennenlernte.

Bernie hatte seine Reise nach Thailand sorgfältig geplant. Sein ganzes Leben hatte er immer wieder aufs Neue sorgfältig geplant. Daß dann alles anders kam, konnte nicht an ihm liegen, denn seine Pläne waren exakt erarbeitet und unabänderlich. Denen entsprechend suchte er nun in Thailand eine Frau. Das lag nur daran, daß es in Deutschland keine gab. Jedenfalls nicht solche, wie Bernie sie geplant hatte. Er war schon zweimal verheiratet gewesen, aber die Ansprüche und Erwartungen seiner beiden Frauen hatten nicht in seine Pläne gepaßt und außerdem waren sie nicht einmal bereit gewesen, seine Ansprüche und Erwartungen zu respektieren, wo er doch nachweislich ein Mann, der Ernährer und damit der Herr im Hause war. Noch vor sechzig Jahren, ja, sogar zu seiner Jugendzeit hätte es keine Frau gewagt, diese selbstverständliche Vormachtstellung in Zweifel zu ziehen, aber die Jugend von heute ist verdorben und taugt einfach nichts.

Statt froh zu sein, einen Ernährer zu haben und jemand, der ihnen sagt, was sie zu tun haben, verdienen sie ihren Lebensunterhalt selbst und glauben, das sie deshalb über sich selbst zu bestimmen haben, stellen die Autorität des Mannes in Zweifel, streiten gerne und haben auch noch erhebliche Ansprüche. Freilich gibt es auch noch Frauen aus der älteren Generation, die nicht so denken, aber die kamen nicht infrage, weil eine Frau selbstverständlich hübsch, jung und schlank zu sein hat, denn ihre Aufgabe besteht ja schließlich darin, ihrem Mann Vergnügen zu bereiten und ihm das Leben angenehm zu gestalten. Mit einer Frau in seinem Alter ins Bett zu gehen, bereitete ihm aber sicher kein Vergnügen.

Nun war er um die fünfzig Jahre alt und Beamter im gehobenen Dienst, was ihm eine stattliche Leibesfülle ermöglichte. Zudem war er Hausbesitzer in einer süddeutschen Kleinstadt, wo ihn jeder kannte. Aber seit seine zweite Frau ihn verlassen hatte, war das Leben doch etwas unbequem und einsam geworden. Nachdem er ausreichend Informationen über die sanften, gehorsamen und anspruchslosen Asiatinnen gesammelt hatte, kam er nun nach Thailand, um ein solch sanftmütiges Exemplar einzufangen, das er als Krönung seines Mobiliars zur erneuten Belebung seines Daseins zu etablieren gedachte. Es war selbstverständlich, daß er hier uneingeschränkte Autorität genoß, wenn er eine dieser Frauen aus ihrem entsetzlichen Schicksal erlöste, ihr Leben an einer Bar verdienen zu müssen und ihnen außerdem auch noch einen Teller Reis gab. Er rettete ihnen quasi das Leben und sie würden ihm dafür zeitlebens dankbar sein, war er überzeugt.

Nachdem Bernie in Pattaya angekommen war und ganze vier Wochen Urlaub vor ihm lagen, tobte er sich erst einmal aus, soweit das bei seiner Körperfülle möglich war. Er zog durch die verschiedensten Bars und probierte die verschiedensten Frauen auf ihre Ehetauglichkeit aus.

Schon in der zweiten Woche begegnete er dabei Mali und er war sicher, daß es Liebe auf den ersten Blick war, denn siehe, sie hatte das erwünschte Aussehen, lächelte ihn verheißungsvoll an und sagte: „Hello, darling, sit down, please.“ Mali war knapp zwanzig Jahre alt und man konnte sie getrost als Schönheit bezeichnen. Sie hatte eine grazile, schlanke Figur, die sie mit knapper Kleidung gekonnt zur Geltung brachte, ein völlig ebenmäßiges, gut geschminktes Gesicht mit hellbraunem Teint, großen schwarzen Augen und hüftlangen, tiefschwarz glänzenden Haaren. Man konnte sie sich mühelos auf der Titelseite einer Modezeitschrift vorstellen und Bernie gelang es, seine Vorstellungen auch auf sein umfangreiches Mobiliar und die Privatsphäre jenseits von Modezeitschriften auszudehnen.

Bernie war noch vor sieben Uhr abends in der Bar erschienen und sofort hatte sich Mali, die ihm nur knapp bis an die Schulter reichte, um seinen Hals gehängt und seinen Bauch gestreichelt, für ihn ein sicheres Zeichen großer Liebe. Bernie konnte nicht wissen, daß in Thailand grundsätzlich alle Ausländer als reich gelten, ganz besonders dann, wenn sie dick und fett sind, und ihm war auch nicht aufgefallen, daß Mali’s große Liebe just in jenem Moment einsetzte, als er ihre Frage, ob er verheiratet sei, verneint hatte. So ein schönes, unverheiratetes Exemplar eines fetten Ausländers hatte Mali schon lange gesucht und nun war ihre große Liebe zu einem reichen, glücklichen Leben in Europa sofort in Blüte geraten. Die Nacht im Hotelzimmer war ein Traum, zumindest für Bernie, denn schließlich tat Mali alles, was Bernie sich von einer Frau erträumt hatte und nun von Mali verlangte, und sie ignorierte sogar die schwitzenden Fettmassen, die sich zeitweilig zu beiden Seiten ihres grazilen Körpers in einen Salto Mortale ergossen und war es zufrieden, denn schließlich schien sie ihrem Traum eines glücklichen Lebens wie eine Made im Speck ein großes Stück nähergekommen, ein Bild, daß sich ihr in der ersten Nacht durch die reale Situation zwangsläufig aufdrängen mußte.

Am nächsten Morgen half Mali ihm noch bei der Befestigung der zwei Gürtel, mit deren Hilfe Bernie sein Lebendgewicht im Zaum zu halten trachtete, bevor sie gemeinsam zum Frühstück gingen. Hierbei erwies sich Mali als perfekte Dienerin. Bald danach zog es Bernie zu einem Restaurant, denn er mußte ja etwas für seine Leibesfülle tun und essen war nun einmal seine Lieblingsbeschäftigung. Wohlgefällig bemerkte Bernie, daß Mali sich nur einen kleinen Teller Reis mit Gemüse bestellte, also wohl als äußerst sparsame Anschaffung zu bezeichnen war.

Die nächsten zwei Wochen verbrachten sie fast durchgehend gemeinsam, so wie Bernie es geplant hatte. Da es ihn nicht so sehr nach Unternehmungen mit viel Bewegung zog, verbrachten sie die Zeit vornehmlich in Bars, Cafés und Restaurants, wenn sie nicht gerade im Zimmer oder am Schwimmbad des Hotels zu finden waren. Bernie las viel und hatte sich seine Lektüre mitgenommen, die ihn von Jeremias Baumwolle (Jerry Cotton) über Konsalik und einige Ausgaben des Playboy sogar bis hin zu Courts’s Malheur über die interessantesten Dinge des Lebens informierte. Die restliche Zeit verbrachte er mit der geistigen Anstrengung des Lösens von Rätseln und der Pflege seines umfangreichen Körpers. Mali nutzte diese Zeit auch mit der Pflege ihres Körpers, wobei der sogenannte Schönheitsschlaf den größten Teil einnahm, als auch mit ihrer Fortbildung, wozu sie jene kleinen Hefte benutzte, in denen eine Vielfalt von Zeichnungen die vielen eintönigen Buchstaben ersetzte, den Kampf mit der Erkennung vieler erleichterte, als auch das sonst so anstrengende Denken überflüssig machte, das immer so schnell Kopfschmerzen bereitete.

So erlebte Bernie die Zeit als eine glückbringende Gemeinsamkeit eines Paares mit gleichen Interessen und teilte Mali nach den sorgfältig geplanten Prüfungen ihres Charakters sowie als auch ihrer Brauchbarkeit mit, daß er sie ehelichen werde. Er würde sie nach Deutschland in sein Haus mitnehmen, worauf Mali vor Glück wie ein Känguru durchs Zimmer hüpfte und Schreie ausstieß, die sich wie eine Mischung aus orgastischer Ekstase und Kriegsgeheul anhörten. Bernie war ob seiner Wirkung tief beeindruckt und sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben..

Mali hatte ihr Ziel erreicht und stand nun vor einem mit Reichtum und Bequemlichkeit erfüllten Leben. Schließlich hatte Bernie sich in dieser Zeit als durchaus vermögend, großzügig und unproblematisch erwiesen, und die Kleinigkeiten, die sie noch an ihm störten, würde sie ihm schon nach der Hochzeit abgewöhnen. Also ging es nun darum, die Reise nach Deutschland und die Hochzeit vorzubereiten. Bernie hatte als Beamter im gehobenen Dienst keinerlei Schwierigkeiten und Mali vermochte eine Grundbesitzurkunde eines elterlichen Grundstückes als auch eine Arbeitsbescheinigung als Friseuse in Korat vorzuweisen, so daß der Name Pattaya gar nicht erst erschien und bei der Beschaffung des Visas auch keinerlei Probleme entstanden. Zwar sah das glückliche Paar etwas seltsam aus, aber die Leute der deutschen Botschaft haben sich schon lange an kuriosen Publikumsverkehr gewöhnt. Dennoch war die verbleibende Zeitspanne zu kurz für die Ausstellung des entsprechenden Visums zur Heirat, da noch fehlende Dokumente beschafft werden mußten und man auf der Botschaft auch nicht bereit war, statt des fehlenden Ehefähigkeitszeugnisses von Bernie dessen praktischen Beweis seiner Ehefähigkeit zu akzeptieren. So würde Bernie also in drei Monaten wiederkommen und seine Mali mitnehmen.

Als durch die Beendigung der Urlaubszeit die Trennung des inzwischen an der Bar bei einer feuchten Feier verlobten Paares kam, flossen Tränen als auch Finanzen ganz so, wie es sich die nunmehr frisch Verlobten vorgestellt hatten. Sie würden auf die Papiere und Bernies Rückkehr warten und schworen sich ewige Treue, soweit das bei den anstehenden Sprachschwierigkeiten möglich war. Die Formel lautete hierbei: „I give you money and you no butterfly“, mit der Zustimmung: „I no butterfly and you no butterfly.“ Ein Kuß und ein Griff an den Busen besiegelten den Schwur. Mali verbrachte die nächsten Monate in Erwartung des Kommenden, der da Bernie hieß und regelte ihre Angelegenheiten. Bernie leitete alle Erledigungen in die zuständigen Amtswege und konnte die Zeit der Wiedervereinigung gar nicht erwarten, während Mali es nicht ganz so eilig hatte und die verbleibende Zeit noch zur Aufbesserung der persönlichen Finanzen nutzte, was Bernie ja nicht unbedingt erfahren mußte.

Als die fehlenden Papiere eingereicht und das Visum mit Unterstützung eines Anwaltsbüros erteilt worden war, erschien Bernie noch einmal für eine Urlaubswoche, um seine Mali heimzuführen. Diese Woche verlief entsprechend des Planes, den Bernie bereits bei seinem ersten Urlaub durchgeführt hatte, sie brachte auch nichts Neues zutage, wenn man einmal davon absieht, daß Mali etwas Kleingeld zur Unterstützung ihrer armen Eltern benötigte, das sofort überwiesen werden mußte. Da dies auf keine großen Schwierigkeiten stieß, zumal die Summe Bernie für so ein schönes Stück Frau nicht zu hoch erschien, wenn er diesen Kosten die zu erwartenden Vorteile und Ersparnisse gegenüberstellte, ging die gemeinsame Abreise reibungslos vonstatten. Mali waren vom Anwaltsbüro noch einmal die erforderlichen Maßnahmen für Kleidung und Verhalten für die Abreise und die Ankunft in Deutschland eingetrichtert worden und so war die Reise inklusive Ankunft und Kontrollen in Frankfurt problemlos, zumal Bernie wirklich nicht den Eindruck eines Zuhälters machte und Mali in einem hochgeschlossenen Mantel mit hochgesteckten Haaren einen sehr seriösen Eindruck hinterließ. Die Ankunft in Deutschland war gelungen.

Die Ankunft in Bernies Haus war für Mali allerdings eine glatte Katastrophe. Es war in Deutschland wesentlich kälter, als sie es sich in Thailand vorgestellt hatte, obwohl es in ihrem Heimatdorf auch Kälteperioden gegeben hatte, die allerdings nur bis 16° Celsius gingen. Zudem kamen sie durch leblose Straßen, auf denen kaum ein Mensch zu sehen war, bevor sie vor einem kleinen Einfamilienhaus hielten, das ganz anders aussah, als die hochherrschaftlichen Gebäude, in denen die Reichen in Thailand zu residieren pflegten. Zu allem Unglück war auch die Dienerschaft nicht zur Begrüßung vor dem Haus angetreten, wie dies doch in Thailand üblich ist, wenn die Herrschaften eintreffen. Ein sehr schlechtes Omen zu Beginn des gemeinsamen Lebens mit einem reichen Farang.

Blankes Entsetzen packte Mali, als sie hörte, daß es keine Dienerschaft gab, sondern daß vielmehr sie selbst alleine für die Reinigung des Hauses als auch für die Verpflegung und das Wohlbefinden ihres umfangreichen Gemahles zuständig war. Wieso hatte Bernie keine Dienerschaft, wo doch eine Haushälterin in Thailand im Monat nur soviel kostet, wie Bernie im Urlaub an einem einzelnen Tag für sein Vergnügen ausgegeben hatte? Wollte er etwa an so einer Kleinigkeit sparen und sie, seine Gemahlin, dafür die ganze Arbeit tun lassen? Nun, das war natürlich undenkbar und sie würde das nach der Hochzeit selbstverständlich sofort ändern.

In den Tagen bis zur Hochzeit zeigte Bernie ihr bei Ausflügen in seinem Mercedes die Umgebung. Zuhause erklärte er ihr die vielen Geräte, die man zur Reinigung und zur Beheizung des Hauses, als auch in der Küche benutzt und er zeigte ihr auch, wie europäisches Essen zubereitet wird. Er fuhr mit ihr in die nächste größere Stadt, wo sie zunächst einmal gründlich einkauften, um genügend Vorräte zu haben. Damit war die verbleibende Zeit bis zur Hochzeit sinnvoll ausgefüllt und Bernie war sicher, daß sie aller verstanden hatte, alle Geräte bedienen konnte, die er ihr vorgeführt hatte und selbstverständlich auch deutsches Essen bereiten konnte.


Die erwartete riesige Hochzeitsfeier im Stile der reichen Farang fand nicht statt. Zusammen mit zwei Bekannten Bernie’s fuhren sie zu einem großen Haus mit vielen Zimmern. In einem dieser öden Zimmer war ein älterer, ebenso öder Mann, der viel redete, wobei er allerdings einen Tonfall annahm, der mit dem buddhistischen Singsang in den Tempeln eine starke Ähnlichkeit aufwies. Sie mußte zweimal auf einen leichten Rippenstoß hin ,ja‘ sagen, bekam einen Ring an den Finger, mußte Bernie einen Ring auf den Finger stecken, wozu sie alle Kraft brauchte, einen Kuß geben, wobei sie auf Zehenspitzen stand und Bernies Bauch diese zeremonielle Handlung ungemein behinderte, und das war’s.

Nun fuhren sie mit den Bekannten in ein Restaurant zum Festschmaus. Doch in dem Restaurant gab es nichts, was Mali essen mochte. Reis gab es nicht und sie durfte noch nicht einmal in die Küche, um selbst nachzusehen und sich etwas zu holen. Schließlich nahm sie auf Bernie’s Vorschlag eine Gemüsesuppe, die fürchterlich nach Nichts schmeckte und die sie schließlich stehen ließ, weil noch nicht einmal Fischsoße oder Chili zu finden waren, um dem durchsichtigen Schlabberwasser etwas Geschmack zu verleihen. Keine Geschenke hatte es zur Hochzeit gegeben, noch nicht einmal einen einzigen Umschlag mit Geld hatte sie erhalten. Nicht ein einziger Mönch war zur Hochzeit erschienen und nicht ein einziger Mensch hatte ihr gratuliert, ja, noch nicht einmal mit ihr gesprochen hatte man. Bernie hatte sich im Restaurant mit seinen Freunden unterhalten und sie hatte nur da gesessen, in die Luft geschaut und nichts verstanden. Sie hatte sich nur unwohl gefühlt, wenn die Drei sie angesehen und dann laut gelacht hatten.

Mali hatte sich das Leben mit einem reichen Farang ganz anders vorgestellt, schließlich hatte sie oft genug gehört, wie die reichen Thai leben und sie hatte gehört, daß die Farang viel mehr Geld haben, als die Thai. Wieso leben sie denn so ganz anders? Bernie kam spät abends nachhause und ging gleich schlafen, weil er am nächsten Tag früh aufstehen und gleich zur Arbeit fahren mußte. Er müßte jetzt wieder arbeiten gehen, hatte er dazu erklärt, und da müßte er jeden Tag weg. Er hatte irgendetwas mit Drähten zu tun. Er hatte versucht, ihr das zu erklären und auf das Telefon, den Fernsehapparat und die Lampe gezeigt, doch verstanden hatte sie nichts. Aber es hatte sie auch nicht interessiert. Sie hatte noch nicht einmal verstanden, warum er nun jeden Tag weg mußte. In Pattaya war er doch auch den ganzen Tag mit ihr zusammen gewesen und hatte nichts getan und trotzdem immer viel Geld gehabt. Außerdem wußte sie, daß es in Thailand viele Beamte im höheren Dienst gab, die gemütlich in ihrem Anwesen lebten und nur hin und wieder einmal ihr Haus verließen, um sich auf ihrem Amt feiern zu lassen. Warum war das hier auf einmal anders? Warum verhielt Bernie sich hier ganz anders als in Thailand?

Sie durfte am späten Abend noch ihren ehelichen Pflichten nachgehen und dann lag Bernie da, wie ein Klotz und schlief, während Mali nicht einschlafen konnte. An Bernies arbeitsfreien Tagen zuvor war es immer später geworden. Am liebsten wäre sie noch einmal aufgestanden, aber es gab nichts, was sie hätte tun können und so kroch sie unter die dicke Bettdecke und grübelte, um herauszufinden, warum sich Bernie hier ganz anders verhielt, als sie ihn kennengelernt hatte, bis sie endlich einschlief.

Um fünf Uhr morgens klingelte der Wecker. Bernie kroch aus dem Bett und schüttelte sie: „Breakfast!“ Schließlich quälte sie sich auch aus dem Bett, konnte aber überhaupt kein Frühstück finden und legte sich wieder ins Bett. Schließlich machte Bernie ihr klar, daß sie das Frühstück machen sollte. Mali stand wieder auf und schaute sich die Küche an, aber es gab ja noch nicht einmal Reis im Haus, wie sollte sie da Frühstück machen, wo das doch eigentlich die Aufgabe des Personals gewesen wäre. Bernie machte sich ein Rührei und brummte. Dann schnappte er sich so eine komische Ledertasche, bewaffnete sich mit Hut und Mantel und ging. Abends gegen neun Uhr würde er wiederkommen, sagte er.

Mali erlebte nun ihren ersten Tag als rechtmäßig verheiratete Gemahlin eines reichen Farang in Deutschland. Aber es war wirklich alles, alles ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Nachdem Bernie noch vor dem Morgengrauen zur Arbeit gegangen war, saß sie in der Wohnung und fühlte sich völlig verlassen. Es war ja auch der erste Tag, an dem keine gemeinsamen Unternehmungen stattfanden und sie den ganzen Tag ,für sich‘ hatte. Aber, was sollte sie ,für sich‘ tun? Zunächst versuchte sie, den Fernsehapparat einzuschalten, was ihr auch bald gelang, doch sie konnte keinen einzigen thailändischen Sender finden.

Immer wieder drückte sie nacheinander auf alle Knöpfe, bis sie schließlich wahllos auf verschiedene Knöpfe der Fernbedienung drückte, in der Hoffnung, daß doch wenigstens ein einziger thailändischer Sender zu finden sein mußte, wo es doch zuhause so viele gegeben hatte. Sie versuchte alles, immer und immer wieder, aber kein thailändischer Sender kam, obwohl sie auf die Fernbedienung und auch auf den Fernseher schlug, wie sie es einmal bei einem Mechaniker gesehen hatte, bis schließlich der Fernsehapparat mit einem kurzen Knacks ausging und auch nicht wieder anzuschalten war. Die Stille wurde bedrückend. Nichts, was sie kannte, nichts Gewohntes war zu finden. Sie schaute aus dem Fenster auf einen dunkelgrauen Himmel, von dem sie nun glaubte, daß er in Thailand immer blau gewesen war. Draußen war es zu kalt, um auf die Straße zu gehen und irgendetwas Lebendiges zu suchen. Sie schaute lange aus dem Fenster. Kein Mensch war zu sehen, nur eine lange Reihe dieser kleinen grauen leblosen Häuser und keine Bewegung. Nicht einmal ein Hund lief hier über die Straße.

Nach langer Zeit setzte sie sich an den Tisch. Das Haus war tot. Sie war auch nicht müde genug, um zu schlafen. Vielleicht hatte sie auch zu viel Angst. Sie fing an, ein Lied zu singen. Es klang sehr verloren und brachte keine Erleichterung. Sie erinnerte sich, daß sie saubermachen sollte. Erst einmal schaute sie nach, was denn schmutzig ist und fand nur das von Bernies Frühstück übriggebliebene Geschirr, doch das war schnell saubergemacht und weggestellt. Sie schaute sich noch einmal in der Wohnung um, aber sie hatte sich schon alles angesehen, den Inhalt der Schränke, als auch die Bilder in den wenigen Büchern, die zu finden waren. Nein hier war nichts, was sie nicht schon gesehen hätte, nichts, das interessant war, oder womit man sich beschäftigen konnte.

Schließlich bekam Mali Hunger. In der Küche waren zwar Essensvorräte, aber darunter fand sich nichts, was Mali brauchbar erschien, nichts, was sie hätte zubereiten können oder wollen. Viele Kartons gab es, mit ‘Instant-Food’, die Bernie von ihr gemacht haben wollte. Er hatte ihr erklärt, sie müsse diese Sachen nur in eine Schüssel schütten, Wasser dazutun und umrühren. Aber das war für sie kein Essen. Käse gab es und schwarzes Brot, das fürchterlich grob war und nicht schmeckte. Kartoffeln gab es und viele Dosen, für die sie aber keinen Öffner fand, nicht einmal ein geeignetes Messer, um die Dosen aufzumachen. Schließlich nahm sie ein Stück Fleisch aus dem Kühlschrank, schnitt es in kleine Stücke und briet es mit einer geschnittenen Zwiebel. Es war völlig geschmacklos, denn es gab keine Fischsoße, kein Chili, nichts, was sie als Gewürz kannte. Sie würgte das Fleisch hinunter, was ihre Stimmung nicht gerade verbesserte und nahm als Nachtisch ein Glas Marmelade, die sehr süß war und sie etwas tröstete. Sie wäre ja losgegangen und hätte etwas zu essen kaufen können, aber Bernie hatte vergessen, ihr Geld dazulassen.

Nachdem sie lange Zeit hin und hergelaufen war, versuchte sie, zu schlafen, aber sie war zu unruhig, also lief sie wieder hin und her, ging wieder zum Fenster, um wieder nichts zu sehen. Eine endlos lange Zeit schien vergangen zu sein, aber auf der Uhr war es noch nicht einmal 9 Uhr morgens. Noch zwölf Stunden, bis Bernie wiederkam. Und so sollte nun in Zukunft ihr Leben aussehen. Jeder Tag ihres Lebens. Ihr schauderte. Schließlich hatte sie einen Einfall, wie sie sich beschäftigen könnte. Sie hatte Papier gesehen und in der Küche gab es Messer. So schnitt sie das Papier in passende Stücke und machte Papierblumen daraus. Das hatte sie früher als Kind gerne getan, wenn ein Dorffest veranstaltet wurde. Sicher würde Bernie sich freuen, wenn er viele Papierblumen fand. Man könnte sie ja sicherlich für das nächste Fest aufheben, denn Feste würden ja bestimmt auch in Deutschland gefeiert.

Immer wenn sie mit einem Stapel Papier fertig war, ging sie ans Fenster, wo es nichts zu sehen gab, versuchte verzweifelt, den Fernsehapparat anzuschalten, der noch nicht einmal nach härterem Schlagen ein Bild zeigen wollte. Dann nahm sie wieder Papier aus dem Schrank, schnitt die Kante ab, wo das Papier zusammengebunden war und machte weiter Papierblumen. Dann saß sie da und heulte. Zwischendurch wusch sie seine Wäsche, nahm seine drei Paar Schuhe und packte sie in einen Eimer mit heißer Seifenlauge, wie man es im Dorf immer mit den Gummisandalen zum Saubermachen getan hatte und dann nahm sie wieder Papier und faltete kübelweise die verschiedensten Blumen für das nächste Dorffest.

Irgendwie verging die Zeit, wenn auch unendlich langsam, aber sie verging. Es wurde dunkel. Mali machte das Licht an und produzierte Papierblumen, bis das ganze Zimmer voll war. Schließlich war es kurz vor neun Uhr abends. Bernie hatte gesagt, daß er um neun Uhr da sein würde und Bernie war immer pünktlich gewesen. So konnte sie jetzt schon anfangen, ihm sein Essen zuzubereiten. Mali war froh, daß sie etwas tun konnte und sie war froh, daß Bernie kam, dann war wenigstens diese schreckliche Einsamkeit zu Ende. Mali nahm einen dieser Kartons aus dem Schrank, von denen Bernie gesagt hatte, sie brauche den Inhalt nur noch mit heißem Wasser zu verrühren. Also nahm sie eine Schüssel, schüttete den Inhalt des Kartons hinein und heißes Wasser dazu. So hatte Bernie es gesagt. Dann briet sie noch den Rest vom Fleisch, schnitt es in kleine Stücke und tat auch das Fleisch in die Schüssel. Nun konnte sie den Tisch decken. Sie machte alles so schön wie möglich, setzte für Bernie den Teller mit einem Löffel auf den Tisch und die Schüssel mit seinem Essen. Sie hatte einmal davon probiert; eine ungenießbare wässerige Suppe, die sicher nur Farang essen können. Sie leerte zum Abendessen ein Glas Marmelade und nahm sich vor, am nächsten Tag neue zu kaufen und vor allen Dingen Reis, Fisch und Fleisch, Chili, Fischsoße, Früchte und Gemüse. Dann saß sie am Tisch und wartete. Es war schon 20 Minuten über die Zeit und Mali wartete, sie saß da und heulte. Als Bernie endlich kam, fiel sie ihm erlöst um den Hals.

Bernie machte einen müden, abgespannten Eindruck. Er sah die leeren Fächer, wo einst seine Bücher gestanden hatten, und er sah, daß Mali ganz stolz auf ihre Papierblumen war. Nein, sie wollte bestimmt nichts Böses tun und er war zu müde, um jetzt wütend zu werden, zumal die Bücher ohnehin vernichtet waren. So entschied er, daß sie einfach zu dumm war, um zu wissen, was Bücher sind und setzte sich an den Tisch. Er starrte auf die Suppe. So etwas hatte er noch nie gegessen. Er nahm einen Löffel voll und legte ihn wieder weg. „No Thai soup!“ sagte er und zeigte auf den Schrank: „We have everything. Good German food.“ Als Mali ihm erklärte, daß die Suppe aus dem Schrank kam, wollte er die Packung sehen. Dann zeigte er auf die Suppe auf dem Tisch, rieb die Hände übereinander und sagte: „Knödel, you understand, Knödel, Knödel!“ Doch trotz der Wiederholung verstand Mali überhaupt nichts. Sie hatte doch genau getan, was er gesagt hatte, nämlich heißes Wasser über das Pulver geschüttet, aber Bernie meinte: „Too much water und Knödel!“


Mali verstand nichts und heulte. Dann war Bernie auch noch böse, daß sie den alten Papierkram im Schrank, das ganze Zeug, das er doch bestimmt schon gelesen hatte, zu schönen Blumen für das nächste Fest verarbeitet hatte und weil er nicht wollte, daß sie seine Schuhe einmal richtig saubermacht und fing an, heftig zu schluchzen, als Bernie sagte, sie soll die Papierblumen wegwerfen, wo sie doch den ganzen Tag dafür gebraucht hatte, um ihm eine Freude zu machen. Tja, und dann sagte Bernie, er sei müde, drehte sich um, ging ins Schlafzimmer und fiel ins Bett.

Mali setze sich vor die Suppe in ihre Papierblumen und schluchzte. Mali reichte es. Ein Tag ,glücklicher Ehe‘ war genug. Sie wollte nachhause. Jetzt. Sie weckte Bernie und sagte es ihm. Als sie fertig war, merkte sie, daß er schon wieder schlief. Auch der zweite Anlauf verlief nicht besser, aber irgendwann entrang Bernie sich ein: „We talk on Sunday, I am tired.“ Was sollte sie mit ihm reden, wenn er dabei dauernd einschlief. Also würde sie bis Sonntag warten. Am nächsten Morgen ließ Bernie ihr Geld zum Einkaufen da, bevor er wieder vor dem Morgengrauen das Haus verließ. Mali stand mit auf, wußte aber nicht, was sie ihm zu essen machen sollte, oder was sie selbst essen konnte, sie hatte hier noch nichts Eßbares entdeckt. Auf alle Bemerkungen, auch auf den Hinweis, daß der Fernseher nicht funktioniert, sagte Bernie immer wieder nur: „We talk on Sunday.“

Dieser Tag war noch schlimmer, als der vorhergehende. Mali dachte an ihr Dorf zuhause, wo sie zu dieser Zeit im Wald gewesen wäre, um Kräuter und Grünzeug für die Reissuppe zu suchen, die sie dann zusammen mit den fröhlich plaudernden Familienmitgliedern gegessen hätte. Nun war sie die Frau eines reichen Farang, aber sie hatte nichts zu essen und sie hatte niemand, mit dem sie reden konnte. Sie dachte an die Bar, wo es immer etwas zu essen gegeben hatte, wo man sich die letzten Reste teilte und immer zurecht kam, auch wenn niemand Geld hatte. Sie dachte daran, daß man dort immer ein paar Freunde hatte, mit denen man sich zusammensetzen und unterhalten konnte, man saß an der freien Luft, schaute auf die Straße, beobachtete die Passanten und wartete auf Kunden.

Später am Vormittag ging Mali los, um den Laden zu suchen, wo sie einkaufen konnte. Bernie hatte ihr die Richtung beschrieben und sie hatte den Laden auch bald gefunden. Aber auch hier war alles anders, als in Thailand. Direkt hinter der Eingangstür war ein großer Tisch, an dem sie nicht vorbei durfte. Eine ältliche Frau redete auf sie ein, aber sie verstand nichts. Sie wollte aussuchen, was sie essen wollte, aber das durfte sie nicht. Mali rannen die Tränen übers Gesicht. Schließlich bedeutete die ältliche Frau, sie solle ihr zeigen, was sie haben wollte, aber sie wußte doch nicht, was in den Verpackungen war. Außerdem gab es hier kein Fleisch, keinen Fisch und kein Gemüse. Schließlich sah Mali noch Gläser mit Marmelade und ein Paket mit Nudeln. Die kaufte sie und hoffte, die würden bis Sonntag reichen. Als sie bezahlt hatte, faßte sie ein Mann am Arm, sprach etwas von ,Thailand‘, faßte an ihre Brust, wollte ihr Geld geben und aus dem Laden ziehen. Sie hatte recht klar verstanden, daß sie mit ihm ins Bett sollte. Mali riß sich los und rannte nachhause. Ihr fiel ein, daß ihr an der Bar in Pattaya einmal jemand gesagt hatte, sie solle nie in eine Kleinstadt nach Europa gehen. Jetzt wußte sie warum, aber jetzt war es zu spät.

Sie aß ein Glas Marmelade und machte sich später die Nudeln mit etwas Fleisch und einer Zwiebel zurecht. Es schmeckte fürchterlich, aber sie hatte Hunger und mußte etwas essen. Dann saß sie nur noch da und heulte. Nach der Erfahrung mit den Papierblumen und den Schuhen wagte sie nicht mehr, etwas zu unternehmen. Sie wagte auch nicht mehr, das Haus zu verlassen, außerdem war es draußen kalt und es regnete in Strömen. Sie dachte an den kommenden Sonntag und überlegte sich mehrmals, was sie Bernie sagen wollte. Sie konnte hier nicht bleiben. Sie konnte nicht jeden Tag tatenlos dasitzen und nichts tun, als auf Bernie zu warten. Andererseits tat es ihr auch wieder leid, denn Bernie hatte bestimmt Geld und mit etwas Geduld könnte sich doch alles ändern. Bernie wollte später auch nach Thailand gehen. Vielleicht könnte er ja auch früher gehen, als er das geplant hatte, vielleicht nächsten Monat, das mußte sie ihm sagen.

Endlich war der Sonntag gekommen, an dem alles geklärt werden sollte und an dem sie Bernie klarmachen wollte, daß sie jetzt nachhause fährt. Aber erst einmal durfte sie zum Frühschoppen mitgehen. Sie war zwar gerade im Begriff, einen Wutanfall zu bekommen, konnte sich aber noch rechtzeitig zurückhalten, als Bernie sage: „Later we go see Thai.“ Sie konnte zwar absolut nicht verstehen, was er damit meinte und was er noch dazu sagte, aber die Mitteilung war so interessant, daß sie während des Frühschoppens bei einem Glas Orangensaft ungeduldig zappelnd wartete, bis Bernie das Aufbruchzeichen gab, sich mit ihr ins Auto setzte, eine längere Strecke aus dem Ort hinaus fuhr und wiederholte: „We go see Thai.“

Bernie hatte einen Arbeitskollegen ausfindig gemacht, der zwar etwas außerhalb wohnte, aber ebenfalls mit einer Thai zusammenlebte, und Bernie meinte, daß man da vielleicht einige Tips und gute Hinweise bekommen konnte. Ihm war inzwischen aufgefallen, daß das glückliche Zusammenleben doch nicht ganz so einfach war, wie er sich das vorgestellt hatte. Er war genauso unzufrieden wie Mali und meinte, daß sie eigentlich nichts Böses wollte, aber einfach zu dumm und fürchterlich hilflos war und in diesem Zustand für ihn auch keinerlei Hilfe, sondern nur eine Belastung darstellte. Deshalb hatte er seinen Kollegen gebeten, mit seiner thailändischen Frau vorbeikommen zu können. Dessen Partnerin war auf jeden Fall hell begeistert, als sie hörte, daß eine echte Thailänderin zu Besuch kommt und hatte alles für einen gemeinsamen Nachmittag hergerichtet.

Das Treffen verlief wie ein thailändisches Dorffest. Als Mali eine Thailänderin sah und Thai hörte, brach sie in Tränen aus. Ein Umarmung folgte, und als Mali Tom Yam Gung auf dem Tisch sah, eine thailändische Nationalspeise mit Garnelen, konnte sie sich gar nicht mehr fassen. Später wurden thailändische Gerichte mit Reis aufgetischt, Patkraprau und Gaipriauwaan mit Huhn und Ananas und Mali kam das Leben in Deutschland schon gar nicht mehr so schlimm vor. Vielleicht fehlten ihr nur die richtigen Informationen und die richtigen Bekannten. Immerhin hatte sie jetzt schon eine Bekannte, die ja auch in Deutschland lebte und dazu noch in ihrer Nähe. Viele Informationen wurden ausgetauscht. Zunächst einmal sollte Mali Deutsch lernen. Dann sollte sie kochen lernen und ihre neue Freundin gab ihr ein in Thai geschriebenes Kochbuch für Deutsche Küche und erklärte ihr einige Gerichte, die darin aufgeführt waren. Dann erhielt sie noch einige Vorräte an thailändischen Speisen und eine Adresse, wo sie die nötigen Lebensmittel und thailändischen Spezialitäten selbst kaufen konnte. Außerdem würde man sich jetzt öfter wiedersehen.

Nach den ersten katastrophalen Tagen ihrer Ehe mit Bernie in Deutschland war es dem Besuch bei dem mit Bernie befreundeten Paar zu verdanken, daß Mali neue Hoffnung schöpfte. Schließlich war ihre neue Freundin Ploi, die thailändische Gefährtin von Bernies Freund, ja auch in Deutschland und sie kam offensichtlich zurecht. Zudem hatte sie ihr viele Tips gegeben und die nötigsten Sachen, damit sie sich thailändisches Essen machen konnte. Außerdem würde man sich ja öfter sehen und da könnten sicher alle Probleme geklärt und behoben werden. Mali wartete jetzt schon auf das Wiedersehen mit Ploi am nächsten Sonntag. Es war schade, daß sie so weit weg wohnte, sonst könnte man sich ja öfter besuchen. Aber schließlich hatte sie ja ein Telefon und konnte wenigstens anrufen, um wichtige Informationen zu erhalten oder sich die Zeit zu vertreiben. So stand Mali am Montagmorgen nach dem Sonntagsbesuch voller Tatendrang auf und machte sich Reissuppe zum Frühstück. Man war übereingekommen, daß Bernie sich in der nächsten Zeit das Essen noch selber machte, bis Mali gelernt hatte, wie europäisches Essen zubereitet wird. Als Bernie noch vor dem Morgengrauen gegangen war, fing Mali gleich mit dem Saubermachen an. Bernie hatte seine Teller mit den Essensresten in die Spüle gestellt: Mali stellte ihre Sachen dazu und ließ erst einmal Wasser darauflaufen.

Dann nahm sie den Staubsauger und machte den Teppich sauber, der von der Herstellung ihrer Papierblumen noch voller Papierschnitzel war. Es war zwar eine mühsame Arbeit, aber so ein Staubsauger war schon ein wundersames Gerät. Wenn sie die Schnipsel mit der Hand hätte auflesen müssen, hätte sie viel länger dafür gebraucht. Zuhause hätte sie die Schnipsel einfach wegfegen können, so hatte sie hier nicht daran gedacht, daß das auf einem Teppich, wie Bernie ihn im Wohnzimmer hatte, nicht ging. Sie war aber ganz froh über den Teppich, denn hier war es sonst sicher viel zu kalt und so konnte sie sich, wenn sie irgend etwas zu tun hatte, immer bequem auf den Teppich setzen, was viel angenehmer war, als die ungewohnten Stühle. Es störte sie nur, daß der nicht richtig sauber sein konnte, weil Bernie auf dem Teppich mit Schuhen herumlief.

Nachdem das Wohnzimmer endlich sauber war, ging Mali in die Küche, um den Abwasch zu machen, aber das Wasser war in der Spüle noch nicht abgelaufen, es stand im Becken. Sicher waren zu viele Speisereste im Abfluß. Als Mali ihre Hand ins Wasser tauchte, um die Speisereste zu entfernen, zog sie die Hand ganz schnell wieder zurück. Das Wasser war eiskalt. Aber Mali hatte eine gute Idee; sicher konnte man das Wasser und die Speisereste auch mit diesem Wunderapparat aufsaugen, mit dem sie gerade die Papierschnipsel vom Teppich beseitigt hatte. Sie hielt das Staubsaugerrohr in die Spüle über den Abfluß und es ging anfangs auch ganz gut, aber dann gab es einen Funken und der Staubsauger funktionierte nicht mehr. Mali beschäftigte sich nun eine Weile mit dem Staubsauger und schaute nach, ob er vielleicht verstopft sei, konnte aber nichts finden. So ließ sie den Apparat, der noch tropfte, in der Küche stehen und spülte das Geschirr trotz des eiskalten Wassers mit der Hand.

Anschließend war es schon acht Uhr und an der Zeit, ihre neue Freundin Ploi anzurufen. Das machte richtig Spaß und die Unterhaltung war ganz lustig. Sie konnten viele Erfahrungen und Erinnerungen austauschen. So gegen elf Uhr bekam Mali Hunger und versprach, später noch einmal anzurufen, weil sie sich etwas zu essen machen wollte. Mit den Mitbringseln von Ploi machte sie sich Tom Yam Gung. Sie hatte zwar nicht den richtigen Topf dafür, aber sie stellte eine Porzellanschüssel auf den Herd und richtete die Garnelensuppe in der Schüssel an. Der Elektroherd sorgte genauso für bleibende Wärme, wie die Holzkohle oder das Gas in dem Topf für Tom Yam Gung. Sie nahm eine kleine Schüssel, schöpfte die voll, setzte sich bequem im Schneidersitz auf das Sofa im Wohnzimmer und aß voller Begeisterung ihre Tom Yam Gung.

Es war nur schade, daß der Fernseher nicht lief, aber Bernie hatte versprochen, er würde jemand vorbeischicken, der den Apparat reparieren soll. Der sollte heute kommen, dann könnte sie am Abend noch fernsehen. Vielleicht könnte der auch einen thailändischen Sender einstellen und nach dem Staubsauger schauen. Plötzlich gab es in der Küche einen Knall. Mali erschrak und schüttete sich die Schüssel Tom Yang Gung über die Beine, auf das Sofa und über den Teppich. In der Küche war die Schüssel über der glühend roten Herdplatte geplatzt und die Suppe war über den Herd gelaufen. Das war sehr schlimm, denn Mali hatte nicht mehr genug Zutaten, um sich eine neue Tom Yam Gung zu machen, dabei hatte sie erst ganz wenig davon gegessen und auch ihre Schüssel verschüttet.

Bei dieser Gelegenheit lernte Mali auch, daß viele Sachen der Farang unpraktisch sind. Beispielsweise das Sofa. Als sie versuchte, die verschüttete Suppe vom Sofa zu wischen, ging das nicht und es blieb ein riesiger Fleck. Da war es doch praktischer, wenn man das Essen auf dem Fußboden sitzend aß. Aber hier gab es auf dem Fußboden diesen komischen Teppich, der zwar bequem, aber jetzt auch voller Flecken war, die sie nicht wegwischen konnte. Sie mußte gleich Ploi anrufen, um ihr zu berichten.


Das Telefongespräch wurde nach längerer Zeit von der Klingel unterbrochen. Da war ein Mann, der ihr bedeutete, er wolle den Fernsehapparat reparieren. Eigentlich hatte sie ihn nur verstanden, weil sie auf den Monteur gewartet hatte. Sie brachte ihn zu dem Fernseher und sagte: „Thailand, Thailand“, weil sie einen thailändischen Sender haben wollte. Der Mann hatte den Apparat eingeschaltet, aber nichts rührte sich. Dafür rührte sich der Mann, der einigemale Thailand gehört hatte und offensichtlich falsche Schlüsse daraus zog. Er wollte Mali in den Arm nehmen und küssen. Das wollte sie schon gar nicht und schlug um sich. Dabei fiel der Fernseher auf den Fußboden und dazu noch eine Lampe, die daneben gestanden hatte. Der Mann sagte kein Wort, nahm ungerührt den Apparat, der nicht zerbrochen war, weil er erst auf einen Sessel und dann auf den Teppich gefallen war, und ging, ohne die Lampe und den Staubsauger mitzunehmen. Mali mußte Ploi anrufen und berichten. Das Gespräch dauerte länger und wurde von Ploi unterbrochen, weil sie anfangen mußte, das Essen zu bereiten, weil ihr Mann bald nach Hause kommen mußte.

Mali beseitigte nun die Scherben der Lampe und nahm sich das Buch vor, mit dem sie Deutsch lernen sollte. Da standen viele Worte auf Thai, die sie mit einiger Mühe lesen konnte. Aber die Worte daneben konnte sie nicht lesen. Die waren in einer ganz anderen Schrift. Die sahen aus, wie die englischen Wörter, die sie in Thailand gesehen hatte. Aber die hatte sie ja auch nie lesen können. Ploi hatte ihr gesagt, sie muß das deutsche Gor Gai, Gor Kai, das ABC lernen. Aber wie sollte sie das tun, wenn sie keinen Lehrer hatte? Mali saß noch über dem Buch und buchstabierte die thailändischen Wörter, als Bernie nachhause kam. Sie empfing ihn frohgelaunt an der Haustür. Es war schon zehn Uhr abends und Bernie hatte unterwegs gegessen. Er hatte Reis, Chilipuder, Fisch und andere Sachen für Mali mitgebracht und auch etwas für sein eigenes leibliches Wohl. Offensichtlich hatte er auch etwas getrunken und war froh gelaunt. Bis er in das Wohnzimmer kam, die Flecken auf dem Sofa und auf dem Teppich und die zerbrochene Stehlampe sah. Mali versuchte zu erklären: „TV-man…“, aber sie kam nicht weiter, denn nun merkte Bernie, daß auch der Fernseher fehlte und mit einer teureren Reparatur gerechnet werden mußte. Er war sehr verärgert, maulte aber nur noch etwas und ging schlafen.

Am nächsten Morgen stellte Bernie fest, daß er sich kein Frühstück machen konnte, weil der Herd durchgebrannt war, dabei entdeckte er auch den nassen Staubsauger, der sichtlich kaputt war und wurde wütend. Er sagte ihr: „You idiot, you go back to bamboo hut and sit on tree like monkey. You can only work bar“, was sie sogar verstand. Deswegen freute Mali sich jetzt auch nicht mehr, wenn Bernie nachhause kam, und er freute sich nicht mehr, wenn er Mali sah. Sie wollte mit ihm auch nichts mehr zu tun haben und setzte sich in die Küche, wenn er kam. Er kam immer später nachhause und ging dann gleich schlafen.

Malis ganze Freude waren die Telefongespräche mit Ploi und die Sonntage mit den Besuchen, bei denen sie aber immer zu Ploi und ihrem Freund fuhren, weil der meinte, der Weg, um Bernie und Mali zu besuchen, wäre ihm zu weit und sein Haus wäre viel geräumiger. Das ging so einige Wochen und Malis Beschluß, nachhause zu fahren, wurde immer sicherer. Sie schaute sich das Kochbuch nicht mehr an und öffnete auch das Buch nicht mehr, mit dem sie Deutsch lernen sollte. Ein neuer Fernsehapparat war gekommen, weil der alte nicht mehr repariert werden konnte, und so sah Mali sich die Bilder an, auch wenn sie nichts verstand. Bernie hielt das alles für eine vorübergehende Phase, weil Mali ja gar nichts anderes übrigblieb, als mit ihm zu leben, denn sonst hätte sie ja nichts zu essen. Sie hatte ja nicht einmal das Geld, um nach Thailand zurückzufahren und außerdem waren sie ja verheiratet. Deshalb war es ja vollkommen unmöglich, ihn zu verlassen, denn sie hatte ja gesagt, daß sie ihr ganzes Leben mit ihm verbringen will. Er war also sicher, daß Mali ihre Gesinnung wieder ändern würde und hoffte, daß die Sonntagsbesuche schon bald die nötigen Änderungen in ihrem Leben herbeiführen würden.

Doch dann kam alles ganz anders, ganz plötzlich und unerwartet. Bei einem der Telefongespräche mit Ploi erfuhr Mali, daß Ploi jetzt wieder nach Thailand zurückfliegen würde. Sie war nur für drei Monate gekommen und hatte dabei gut verdient. Aber nun hatte sie genug verdient und wollte nicht mehr länger bleiben. Sie konnte nichts tun, hatte keine Freunde, war den ganzen Tag alleine und langweilte sich. Sie konnte es einfach nicht länger aushalten, sagte sie. Mali war wie vor den Kopf geschlagen. Ihre einzige Freundin in diesem Land, der einzige Mensch mit dem sie sprechen konnte, verließ sie. Sie würde sie an den Sonntagen nicht mehr sehen und sie würde auch keine Telefongespräche mehr führen können.

Am Abend kam Bernie spät und fing bald an, zu toben. Sicher war er etwas angetrunken, aber das war nicht der Grund. Er fuchtelte mit der Telefonrechnung in der Hand. Knapp zweitausend Mark sollte er bezahlen, wo er nie telefoniert hatte. Er schrie Mali an und Mali schrie zurück, daß er sich ja nicht um sie kümmere und daß sie schließlich mit jemand reden muß und machte ihm klar, daß er ja genug Geld hat und das bezahlen kann. Der Streit eskalierte. Bernie gab ihr eine Ohrfeige und Mali schlug mit dem Stuhl zu. Bernie stolperte und Mali kippte ihm den Schrank aufs Kreuz. Der Kampf dehnte sich auf die Küche aus, wo Mali reichlich Gegenstände fand, die als Fluggeschosse als auch zur direkten Bearbeitung Bernies geeignet schienen. Eine Bratpfanne, deren Stil Mali mit zwei Händen fassen konnte, zeigte besonders gute Wirkung und verursachte Bernies Flucht ins Schlafzimmer, wo er sich zu seinem Schutz mit einem Daunenkissen versah, das aber der Bratpfanne nicht gewachsen war, aufriß und die Daunen durch den Raum verteilte.

Dank Malis Verblüffung gelang Bernie die Flucht, doch Mali nahm sofort wieder die Verfolgung auf und langsam ging die Wohnungseinrichtung in die Brüche und beide bekamen ihre blauen Flecken. Als Mali mit der Stehlampe zuschlug, erhielt Bernie eine lange Schnittwunde an der Hand, was den Kampfeshandlungen Einhalt gebot. Er fuhr sofort los, um sie in einem Krankenhaus nähen zu lassen und drohte, daß er Mali umbringen wird, wenn er zurückkommt. So hatte er sich seine kleine, sanfte Asiatin eigentlich nicht vorgestellt.

Mali aber hatte nicht nur genug von ihrer Ehe, sie hatte jetzt auch Angst. Sie rief sofort Ploi an und berichtete. Dann flehte sie Ploi an, sie abzuholen. So einfach ging das natürlich nicht, aber Ploi schmiedete einen Plan und versprach Hilfe. Sie bat ihren Partner, Mali ins Krankenhaus zu bringen, weil es dringend sei und Bernie nicht zur Verfügung stand. Sie berichtete auch von der Schlägerei und ihr Partner war jetzt natürlich neugierig und ließ sich überreden, Mali umgehend ins Krankenhaus zu bringen. Man konnte ja auch nicht wissen, ob ihr etwas Ernsthaftes passiert war und sie dringend Hilfe brauchte. Mali packte inzwischen ihre Tasche und vergaß nicht, die wichtigsten Kleinigkeiten mit einzupacken. Dazu gehörten nicht nur ihr Reisepaß und die Geldreserven, die im Haus waren, sondern auch Bernies Videokamera, ein Fotoapparat, seine Münzsammlung sowie seine ‘Sonntagsuhr’, eine garantiert echte Rolex.

Ploi kam mit ihrem Freund, bevor Bernie zurückkam. Der Freund sah sich die Wohnungstrümmer an, schaute auf die zierliche, unscheinbare Mali und schüttelte mit dem Kopf. Dann brachte er Mali, die besonders leidend tat, bei sich in der Nähe ins Krankenhaus. Ploi würde noch etwas bei ihr bleiben und dann nachkommen. Als er weg war, gab sie Mali eine Kontaktadresse im nahegelegenen Frankfurt. Dann rief sie bei einem Bekannten an, der sie dorthin bringen sollte. Malis Geld reichte zwar aus, aber Ploi lieh ihr trotzdem noch etwas für den Anfang.

In Frankfurt wurde sie von drei thailändischen Mädchen willkommen geheißen. Nach der ersten Aufregung konnte alles zu aller Zufriedenheit geregelt werden. Mali konnte für die nächste Zeit bei den Mädchen schlafen und sich zum Gelderwerb mit einem der Mädchen ein Zimmer teilen. Dies war ein Zimmer für eine einzelne Dame, was sich wohl schon in der Männerwelt herumgesprochen haben mußte, denn es hatte bereits guten Zulauf. Diese Zimmer sind bekanntlich sehr teuer und werden deshalb möglichst Tag und Nacht benutzt. Nachdem eine Arbeitskollegin ihre Tätigkeit vorübergehend niederlegte, war das Zimmer für die Nachmittagsschicht frei und man mußte ja schließlich die Freier versorgen.

Mali gab die aus ihrer Ehe mitgebrachten Sachen von Bernie zum Verkauf und gleichzeitig als Sicherheit für die Zahlung des teuren Zimmers. Gleich am nächsten Tag fing sie an und hatte mehrere Freier zu versorgen, obwohl die Nachmittagsschicht nicht so belebt war. Aber Mali merkte, daß dies ein durchaus lohnendes Geschäft war lohnte. Hier herrschte ein ganz anderes Klima, als in den Bars in Pattaya. Hier war es ein hartes Geschäft auf Zeit, aber man konnte hier auch wesentlich mehr verdienen.

Zuerst hatte Mali vorgehabt, nur so lange zu bleiben, bis sie das Geld für die Rückfahrt nach Thailand zusammen hatte. Nachdem aber der Verdienst doch so gut war, blieb sie länger. Die Kolleginnen sorgten dafür, daß sie einen guten Anwalt bekam, der versuchen sollte, die Scheidung einzureichen und aus Bernie noch einiges Kapital zu schlagen. Das Geschäft ging über mehrere Monat gut und das Ersparte mehrte sich ständig und konnte schon bald Kapital genannt werden. Bis Mali an einer Ampel bei Rot über die Straße ging und einen kleinen Unfall mit Blechschaden verursachte. Ein Polizist stand an der Kreuzung und hatte den Unfallhergang gesehen. Er ging auf Mali zu und wollte ihre Papiere sehen. Und dann sah er, daß ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen war.

Mali wurde zur Polizeiwache befördert. Da sie den Unfall verschuldet hatte, mußte sie auch für die Kosten aufkommen. Sie wies darauf hin, daß sie gar kein Geld hat, daß aber ihr deutscher Ehemann die Kosten mühelos bestreiten könnte. Also nahm die Polizei mit Bernie Kontakt auf, der sofort zur Polizeistation kam. Aber Mali wollte ihn gar nicht sehen. Bernie hatte sich inzwischen überzeugen lassen, daß das Eheglück mit seiner sanften, untertänigen Asiatin vielleicht doch nicht die ideale Lösung für seine Probleme war. Da er aber für Malis Aufenthalt in Deutschland gebürgt hatte, blieb ihm nichts weiter übrig, als den von ihr angestellten Schaden zu begleichen. Ein halbherziger Versuch, Mali aus der Polizeizelle zu befreien, scheiterte. Mali hätte zwar permanent in Deutschland leben können, aber dazu hätten sie mit den Heiratspapieren bei der Ausländerpolizei erscheinen müssen. Zu diesem Termin aber war Mali bereits verschwunden. Außerdem wollte sie nicht mit Bernie leben und hatte nun hinter Gittern überhaupt keine Lust mehr, lange in Deutschland zu bleiben.

Mali hatte viel Glück gehabt. Bei ihrer Verhaftung hatte sie nur etwas über dreihundert Euro bei sich gehabt, sie hatte eine saubere Anschrift angeben können und bei der Polizei erklärt, daß sie ihren Ehemann erst vor wenigen Tagen verlassen hat, um sich vor ihrem Abflug nach Thailand um eine kranke Freundin zu kümmern. Ein Verdacht auf Prostitution kam bei der Polizei nicht auf, weil sie auch noch nie registriert worden war. Zudem hatte Mali alle größeren Beträge, die sie erhalten oder zusammengespart hatte, sofort auf ihr Konto in Thailand überwiesen, so daß sie in Deutschland kein Geld verlieren konnte und nun genug Geld hatte, in Thailand lange Zeit problemlos zu leben und sich selbständig zu machen

Man verpflichtete Malis Ehemann für ihren Rückflug zu sorgen, was nicht schwer war, da sie ein Rückflugticket hatte und nur noch der Flugtermin bestätigt werden mußte. Nun dauerte es nur noch wenige Tage, bis Mali wieder in Thailand war. Aber es wird sicherlich länger dauern, bis sie wieder mit einem der reichen Farang ins Ausland fährt.


von Dr.G.M. Gad Labudda
 
        #114  

Member

Vielen Dank für das Teilen dieser sehr interessanten Geschichten, @kalli ...

Viele Parallelen sind hierbei erkennbar und manches wurde wieder "bestätigt"... Und manches macht betroffen... Manches verstört... Manches scheint einfach tragisch... Manches scheint zu unfassbar... Das Wenigste scheint aber komisch...

Es passierte, es geschieht jetzt und es wird auch weiterhin stattfinden...

Und doch haben es, wenn man anderen Berichten Glauben schenken darf, Viele genau so erlebt, erleben es oder werden es erleben und waren, sind oder werden über den Verlauf und das Resultat "verwundert" sein... Warum wohl?...

Der eigentliche "Konflikt", welcher meist eben nur sehr persönlich in der Eigenwahrnemung stattzufinden scheint, ist eben dem Unvermögen geschuldet, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können und/oder zu wollen... Den "Tellerrand" zu verlassen, die Perspektive respektive den Standpunkt zu verändern...
"Warum" oder "Wozu" will man sich oftmals wohl gar nicht mit dem anderen Menschen auseinandersetzen, sondern verbleibt lieber im eigenen Selbst?... Unvermögen?... Ignoranz?... Pures Desinteresse am Anderen?...

Wie oft wird "Anteilnahme" oder "Schadenfreude" dem Farang gezeugt? Doch es bleibt meist mehr als dieser auf der Strecke...

Traumbilder können zerstört werden. Weil sie eben nur Illusionen waren. Beidseitig...
Und es war eine Entscheidung bevor das Handeln einsetzte, sich "illusionieren" zu wollen...

Und ja, ich möchte mich auch weiterhin von einem Wort (oder dessen Ausprägungen) distanzieren, welches schnell gesprochen oder geschrieben wird. "Nutte"...
Die "Nutten" von Thailand...
Deshalb auch die Anführungszeichen hier und sicher auch bewusst gesetzt im erstellten Thread.
Sie sind es nicht. Nicht das. Nicht für mich...
Nicht in dem, was wir darin zu sehen scheinen. Das würde es nicht zutreffend zeichnen...
Aber das darf jeder sehen, wie es gelüstet... Würde aber sehr begrenzend wirken...

Für mich sind sie Menschen... Was sollten sie auch sonst sein, wenn man mal die Bezeichnungen außer acht lassen würde?...
Mit Schicksalen... Bewegenden Schicksalen, soweit man die noch emphatisch erfassen in der Lage zu sein scheint... Die manchmal gar nicht wahrgenommen oder reflektiert werden... Die aufgrund der Komplexität der Persönlichkeit meist nicht erfassbar sind... Die aber auch bewusstseinsverändernden Zugaben geschuldet sein können... One Singha more, please...
Menschen, wie Du und ich...

Mich haben nicht die Posts Einzelner aber der Thread mit seinen Geschichten sehr bewegt. Ein grosses Danke dafür nochmals @kalli .
Und posthum an den Verfasser. Der Dinge verstanden zu haben scheint, in gewisser Form analytisch betrachtet und dabei seinen psychologischen Background nutzt...
Ich werde mir nun mal seine Bücher näher betrachten...
Es scheint lohnenswert...

Es ist mühsam, auseinanderzudividiern, wer an bestimmten Geschehnissen "schuld" hat... Woraus resultiert eigentlich die "Schulddefinition"?...
Oft sind es doch eben einseitige Nichtbewusstwerdungen, Erwartungen, Bewertungen, Beurteilungen und Verurteilungen... Und weniger das sich mit einem Menschen tatsächlich auseinandersetzen, weil das in der egozentrierten Betrachtungen so unmöglich erscheint...

Die Dinge sind doch wohl oft anders als sie uns meist zu scheinen sind... Eigentlich sehr einfach, wenn man sich dabei nicht selbst im Weg stehen würde... Lösbar...

Nur will man es???
 
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von Dr.G.M. Gad Labudda


Eine hilfreiche Frau aus einer Bar

- Drei mal fünf Seiten - von ‘Victor Schluff’ -

- Auch an den Bars lassen sich Frauen finden, die die ehrliche Absicht haben, ihrem ‘Farang’ zu helfen. Doch spätestens dann, wenn sie überzeugt sind, dass sie als in Thailand geborene Menschen viel intelligenter sind und alles besser wissen, als die bekanntlich ‘dummen Farang’, führt das leicht zu einer Katastrophe. -

Als alleinstehender Ausländer hat man in Thailand ein äusserst angenehmes Leben, erhält jegliche Hilfe, hat eine Fülle von Bars zur Unterhaltung und kann unmöglich an Einsamkeit leiden. Man holt sich einfach aus der nächsten Bar eine Frau. Die kommt ja aus Thailand und kennt sich also mit allen thailändischen Angelegenheiten aus. Sie kann alles übersetzen und Einkäufe sowie alle andere Besorgungen erledigen. Sie ist im Alltagsleben fast unentbehrlich und äusserst hilfreich. Das ist zumindest die Meinung vieler Farang, der weisshäutigen Ausländer, die Thailand schon genau kennen, weil sie hier bereits zwei- oder dreimal in Pattaya oder Phuket auf Urlaub waren.

Es ist nicht wahr, dass alle Frauen in den Bars nur an Geld denken, lügen, stehlen und betrügen. Das ist nur eine Minderheit, deren Taten sich natürlich schnell herumsprechen, während niemand die Neuigkeit verbreitet, dass seine Frau ihn nicht bestohlen hat. Dadurch hört man normalerweise nur von denen, die stehlen. Natürlich stimmt es, dass alle Frauen an den Bars an Geld denken und etwas verdienen wollen. Aber viele Frauen sind zufrieden, wenn sie versorgt sind und vielleicht noch ihre Eltern oder Kinder auf dem Lande versorgen können. Dann sind sie auch bereit, etwas dafür zu tun und oftmals helfen sie ihrem Ernährer, wo es ihnen nur möglich und denkbar ist. Es ist nicht ihre Schuld, wenn der Farang seine Erwartungen wesentlich zu hoch ansetzt und glaubt, die von ihm ausgelöste Lady sei eine Mischung aus Anwaltskanzlei, Geschäftsführung, Alleinunterhalterin und Paradiesvogel.

Enno hatte solch eine hilfreiche Frau gefunden. Er hatte sich als junger Reiseschriftsteller in Pattaya angesiedelt und bereits eine Partnerschaft hinter sich. Als er nicht heiraten wollte, war die Frau mit einem Messer auf ihn losgegangen. Sie hat dann bald einen anderen Ausländer geheiratet, denn eine Freundin, die schon länger in Bars arbeitete, hatte ihr gesagt, dass sie einen Ausländer heiraten muss, wenn sie sicher sein will, dass er sie nicht eines Tages hinauswirft, sondern sie ihr Leben lang ernährt. Nun lebt sie sehr sicher mit einem Mann, mit dem sie sicher nicht leben kann. Aber sie hat etwas zu essen, ist stets gut beschäftigt, gehorcht ihm aufs Wort und ist sicher, dass sie nicht alleine ist, solange er sie nicht hinauswirft.

Enno hatte eine süsse, kleine Partnerin gesucht, die er fördern wollte und die selbständig leben sollte. Und nun hatte er wieder so eine süsse, kleine, niedliche Frau gesucht und gefunden. Er war richtig glücklich und begeistert zugleich, denn sie war viel besser, als die verflossene. Er brauchte noch nicht einmal sein Geld zu verstecken, denn sie stahl nicht und sie war ja so hilfreich. Schon nach dem ersten Tag, als sie morgens, während er noch schliess, ihre Sachen holte und bei ihm einzog, als er noch gar nichts davon wusste, räumte sie bereits sein Apartment auf und machte gründlich sauber. Er hat sich sehr darüber gefreut. Weil er noch nicht wusste, dass Hilfe, wenn sie zusammen mit Unwissenheit und Selbstherrlichkeit verabreicht wird, für den Leidtragenden sehr qualvoll und kostspielig werden kann.

So freute er sich sehr über ihre Hilfe. Bis er die Papierschere suchte. Die hatte Pau aufgeräumt, denn eine Schere gehört ja nicht auf einen Schreibtisch, sondern ins Nähkörbchen, und da Enno so etwas nicht hatte, ersatzweise in den Küchenschrank. Die Schreibstifte, die kleinen Metalllineale und die Nagelfeile gehörten ins Küchenbesteck, weil sie so ähnlich aussahen. Und die optische Maus, die so sinnlos neben dem Computer lag, wanderte in seine Fototasche, weil er da noch andere Geräte hatte, die so ähnlich aussahen und in einer Seitentasche auch noch ausreichend Platz war, um sie in guter Gesellschaft mit Lichtmessern und Entfernungsmessern aufzuheben, die sich alle ähnlich waren und selbstverständlich zusammengehörten.

Das wäre sicher nicht schlimm gewesen, wenn sie beide gewusst hätten, wie diese Geräte auf Thai oder auf Englisch heissen. Aber das Wort ‘Papierschere’ erzeugte bei Pau keine Assoziation, auf das Wort ‘Mouse’ schaute sie in alle Ecken und sagte sehr zutreffend: „Mouse no have!“ Auf das thailändische Wort für Maus, ‘Nu’, fragte sie: „Ja, was ist denn?“, weil man nämlich dieses Wort auch für Schüler und jüngere Leute bis über 20 Jahre verwendet. Und auf den Hinweis, dass sie die Sachen zurücklegen soll, wurde sie böse, weil sie gar nichts weggenommen hat; sie hat schliesslich nur aufgeräumt, wollte ihm nur helfen und war sicher, dass alle Gegenstände noch bei ihm im Haus waren und sich finden liessen, wenn er nur richtig suchte, denn sie hatte alles sehr ordentlich und sinnvoll an den richtigen Platz geräumt. Keine Worte halfen und kein Suchen. Enno konnte ihr wegen des guten Willens keine Vorwürfe machen, er konnte aber auch seine Sachen nicht finden und musste also zwangsläufig eine neue Maus kaufen, um seine Auftragsarbeiten termingerecht abliefern zu können..

Da er aber auch langsam Hunger bekam, nicht lange weg sein würde und Pau ja im Haus war, setzte er einen grossen Topf mit Erbsen aufs Feuer. Er kam nach zwanzig Minuten zurück und bereitete nun die Erbsen mit Speck, die eine Woche lang reichen würden, weil Pau grundsätzlich nichts Europäisches, sondern nur Spezialitäten des Isan ass, die er für ungeniessbar hielt. Sie warnte ihn zwar, dass sie ihm beim Kochen geholfen hatte, doch er dachte sich nichts dabei und meinte, sie hätte nur auf das Feuer aufgepasst, dass die Suppe nicht überkocht oder anbrennt. Als die Suppe fertig war und er essen wollte, musste er den ersten Löffel Suppe sofort wieder ausspucken.

Es ist für Europäer doch sehr ungewöhnlich, Chili mit Erbsen und einer doppelten Portion Salz zu essen. Pau hatte ihm geholfen. Also wollte er ein Butterbrot essen, setzte einen neuen Topf mit Erbsen auf und bat sie, ihm nicht zu helfen. Pau half ihm, indem sie das Butterbrot strich. Graubrot mit Marmelade und Zwiebeln, weil die so gesund sind. Enno setzte sich nun an seinen Computer, um zu arbeiten und sein hartes Schicksal zu vergessen, während Pau sich eine Zeitschrift anschaute. Als er schon zwei Seiten geschrieben hatte, fiel ihr ein, dass sie ihm helfen könnte und stellte einen Ventilator auf seinen Schreibtisch. Sie schloss ihn auch umgehend an, indem sie zuvor den Netzstecker des Computers aus der Dose zog, denn schliesslich war es ja wichtig, dass er sich wohlfühlte und sie ihm helfen konnte.

Nachmittags ging sie los, weil sie sich zu einem Englischkursus anmelden sollte. Bei ihrer Rückkehr hatte sie an Enno gedacht und ihm geholfen, indem sie ihm zwei handtellergrosse ‘süsse Pizzas’ mit Marmelade, Chili, Gurkenscheiben, Zwiebeln und Würstchen mitbrachte. Dazu kochte sie ihm drei grosse Tassen starken Kaffees. Als er Stunden später auf den Gedanken kam, die Erbsensuppe zu essen, merkte er, dass sie ihm geholfen hatte. Die Suppe war verschimmelt, sagte sie, deshalb hat sie sie weggeschüttet. Da er ein Stück Butter in die Suppe getan hatte, nahm er an, dass sie die erkaltete Butter auf der Oberfläche für Schimmel gehalten hatte. Er nahm sich vor, keine Butter mehr in die Suppe zu tun und bereitete einen neuen Topf mit Erbsen, weil er wirklich vorhatte, am nächsten Tag statt Pizza mit Marmelade und Zwiebeln seine Erbsensuppe mit Würstchen und Speck zu essen, die er nun schon mehrfach bereitet hatte.

Am nächsten Morgen half sie ihm beim Frühstück. Als er ins Wohnzimmer kam, hatte sie ihm schon drei Tassen Kaffee, sowie zwei Scheiben Brot mit Gemüse gekocht und versicherte ihm, dass Ausländer so etwas essen. Sie wollte ihm ja nur helfen. Dann ging er zu einigen Erledigungen weg, wobei er sich auch noch mit einem Mann traf, der ihm Informationen über Neuerrungenschaften auf Ko Chang geben wollte.

Nach seiner Rückkehr war er sehr überrascht. Der Raum hatte sich sehr verändert. Der Platz an der Wand, an dem sich Reprografien zweier Handzeichnungen von Marc Chagall befunden hatten, war nun mit Plakaten von zwei Mönchen und einem Wasserfall bedeckt. Ein kleiner, kostbarer Jade-Buddha, der über dem Computer gestanden hatte, war durch eine grosse, tönerne, buntbemalte Buddha-Figur aus Kambodscha ersetzt, statt der ledernen Schreibunterlage fand er auf dem Ecktisch eine Essensunterlage aus Plastik mit einem Abbild von Snoopy. Der handgeschnitzte Konfuzius aus Hartholz hatte einer Gummi-Ente Platz gemacht und ein brauner Frottee-Überzug, den er wegen des ständigen Schwitzens auf seinem Arbeitssessel hatte, war gegen ein grünes Handtuch mit kleinen Hunden in schwarz, weiss und gelb ausgetauscht worden.

Und während er noch staunend da stand und sich wunderte, wie wenig Aufwand nötig war, um sein Büro in ein Kinderzimmer zu verwandeln, sagte sie ihm, dass das Zimmer jetzt viel lustiger aussieht und zeigte stolz auf einen Plastik-Kugelschreiber mit Snoopy-Bildern, der vor dem Computer lag und ebenfalls viel lustiger war, weshalb er den alten Füllfederhalter mit der schwarzgrünen Kappe nicht mehr zu benutzen brauchte, der so langweilig aussah, wo doch heute alle modernen Menschen mit Kugelschreibern schreiben. Die alten Klamotten hätte sie weggeworfen und sie seien schon von der Müllabfuhr abgeholt worden, versicherte sie ihm, nur den hässlichen kleinen Buddha hatte sie den Männern von der Müllabfuhr geschenkt, weil man Buddhafiguren nicht wegwerfen darf. Aber sie wollte ihm ja nur helfen, erinnerte er sich.

Zur Mittagszeit wollte er endlich seine Erbsensuppe essen, ging in die Küche, nahm sich einen Teller und eine Schöpfkelle - und sah, dass Pau ihm geholfen hatte. Sie hatte den Deckel vom Topf genommen, damit die Suppe besser abkühlen kann. Nun war die Suppe schwarz voller Insekten und er konnte sie wieder wegschütten. Es beruhigte ihn, dass er keine Erbsen, keine Würstchen und keinen Speck mehr hatte. Nun konnte nichts mehr passieren. Doch als Pau sah, dass er nichts zu essen hatte, schritt sie sofort zur Hilfe. Sie wusste, der er Hunger hatte und dass er gerne Brot ass. Also nahm sie die letzten zwei Scheiben Graubrot und belegte sie mit dem Rest der Reissuppe, die sie morgens gegessen hatte, weil Reissuppe bekanntlich viel gesünder und schmackhafter ist, als der Käse oder die Wurst, die Enno sonst aufs Brot tat. Dass der sagte, er kann das Brot nicht essen, zeigte nur, dass er nicht wusste, was gut schmeckt. Wenn er doch so gerne Brot ass, dann konnte er es doch jetzt mit der sehr wohlschmeckenden Reissuppe mit dem Löffel essen. Er hatte nur Angst, dass der Reis nicht schmeckt und war noch nicht einmal bereit, das gute Essen zu probieren, entrüstete sie sich.

Dafür machte sie ihm am nächsten Tag eine Freude. Er hatte jetzt so oft seine Erbsensuppe verdorben, dass sie ihm helfen musste, eine vernünftige Suppe zu bekommen. Sie ging extra in einen Supermarkt, der ein Sortiment ausländischer Lebensmittel hatte. Dort kaufte sie eine Dose Erbsen, die aus dem Ausland kamen. Dann suchte sie nach der schönsten Wurst und wählte so eine kleine, dicke mit einer hübschen, goldenen Pelle aus. Zuhause öffnete sie die Dose und schüttete den Inhalt in einen Topf. Sie hatte schon gelernt, wie die Farang ihr Essen liebten. Es durfte keinen Geschmack haben, weshalb sie ja auch keinen Chili ins Essen tun durfte. Sie füllte die Erbsen im Topf mit Wasser auf, stellte sie aufs Feuer, tat die Wurst hinein und viel Salz, weil die Farang so gerne Salz essen, während Thailänder stattdessen meist Fischsosse nehmen, und nun musste die Suppe nur noch eine halbe Stunde kochen.

Als sie nachher abschmeckte, war sie sehr zufrieden. Die Suppe hatte wirklich absolut keinen Geschmack, wenn man von dem Salz absah, das die Farang so gerne essen; Enno würde sehr zufrieden sein. Als sie ihm freudestrahlend den Teller brachte, erfuhr sie jedoch, dass es sehr schwer ist, den Farang eine Freude zu bereiten. Enno schaute auf die sehr klare Suppe mit Erbsen, auf die Leberwurst, die darin schwamm, verzog noch nicht einmal das Gesicht und freute sich überhaupt nicht.

Es war nur wenige Tage später, als er sich nach ihren Fortschritten in Englisch erkundigte, weil er sich wunderte, dass sie niemals übte oder Hausaufgaben machte. Das war ihm wichtig, weil sie ja später zusammenarbeiten mussten. Sie konnte ihm dann die Berichte aus thailändischen Büchern und Zeitschriften übersetzen, die er als Informationen brauchte, um dann seine Reiseberichte in Deutsch zu schreiben. Er war doch etwas erstaunt, als er von ihr hörte, dass sie im Kursus keine Hausaufgaben aufhaben und nicht Englisch lernen.

Sie erklärte auf seine Fragen, dass sie einen Kursus belegt hat, in dem sie zur Friseuse ausgebildet wird, damit sie ihm immer die Haare schneiden kann und er dafür nicht mehr das Haus zu verlassen braucht. Englisch braucht sie ohnehin nicht zu lernen, weil jeder sie versteht und sie will gar kein Englisch schreiben, denn das macht viel zu viel Arbeit und man muss dafür viel zu viel lernen, was nicht nur ausserordentlich langweilig, sondern auch äusserst ungesund und sehr gefährlich ist, weil man von so vielem Lernen leicht Kopfschmerzen bekommt, was jeder Thai bestätigen kann.

Versuche, ihr etwas zu erklären, scheiterten, weil sie ja nie etwas verkehrt machte, weil Mönche an der Wand viel wichtiger sind und das Haus bessser beschützen, als Zeichnungen von einem Farang, weil ein Günther Wagner-Füllfederhalter viel langweiliger ist, als ein bunter Kugelschreiber, auch die vier Mal drei Tassen Kaffee, die er nicht mochte, waren gut für ihn und deshalb wichtig, weil sie die hübsche Kaffeedose als Spardose brauchte und er konnte doch wohl ihr zu liebe den Kaffee trinken, wo sie ihm so viel half.

Die nächste Gelegenheit hierzu nahm sie wahr, als Enno einen Auftrag erhielt, einen ausführlichen, etwa 120 Buchseiten umfassenden Bericht über Malaysia zu schreiben. Er hatte seine Notizen von seiner letzten Malaysia-Reise hervorgesucht und dann hatte er einen grossen Stapel Zeitungen aussortiert, die er seine Materialsammlung nannte, zusammen mit diversen Reiseführern durch Südostasien und Malaysia sowie mehrere Bücher mit alten Reisebeschreibungen, Bücher über Indonesien und Malaysia.

Er hatte noch einen zweiten Tisch neben den Computer gestellt und alle Tische waren nun mit einem grossen Stapel von Büchern und Zeitschriften bedeckt, als er nach Bangkok fuhr, um in der Botschaft und in Buchhandlungen noch weiteres Material zu beschaffen. Da er gesagt hatte, dass er den Bericht selbst schreibt, war selbstverständlich, dass er nur die Bilder brauchen konnte. Deshalb half Pau ihm, indem sie sich die Arbeit machte, aus allen Zeitschriften und Büchern mit einer Schere alle Bilder so sauber wie möglich am Bildrand entlang herauszuschneiden und dann der Grösse nach zu sortieren.



Zweiter Teil:

Enno war wegen den Öffnungszeiten der malaysischen Botschaft über Nacht in Bangkok geblieben, um dort nach einem vergeblichen Versuch am Nachmittag noch einmal am frühen Morgen zu erscheinen. Als er am nächsten Tag zurückkam, zeigte sie ihm stolz die sortierten Bilderstapel auf dem Tisch und sie hatte auch schon das übriggebliebene Papier in die Mülltonne geworfen, so dass Enno jetzt nur noch die Bilder auf dem Tisch hatte und die Bilder, die er brauchte, mühelos finden und ganz leicht arbeiten konnte. Sie war sehr beleidigt, dass Enno sagte, er braucht den Bericht nicht mehr zu schreiben, wo sie sich mit den Bildern schon so viel Arbeit gemacht hatte.

Ein Gespräch über den Umgang mit seinen Sachen war erfolglos. Der dezente Hinweis, dass sie seine Sachen nicht wegwerfen oder zerschneiden soll, hatte nur die Mitteilung zur Folge, dass er als ungebildeter Farang nicht wissen kann, was wirklich schön ist, was gebraucht wurde und welche Sachen hässlich oder vollkommen unnütz sind und nur unnötig Platz wegnehmen oder stören. Ein gutes Beispiel dafür wären die Bücher und Zeitschriften. Da er die Berichte selbst schreibt und selbst gesagt hat, dass er seine Berichte nie aus anderen Büchern abschreibt, war alles Geschriebene nur hinderlich und störend. Dass sie dabei die Bilder auf den Rückseiten der Blätter zerschnitten hat, ging nicht anders, weil das sich so ergibt, wenn man die Bilder auf den Vorderseiten ausschneidet.

Aber das macht nichts, weil er ja immer noch den ganzen Tisch voller Bilder hat und das viel mehr sind, als er für seinen Bericht brauchen kann, er versteht das nur noch nicht. Ausserdem leben sie schliesslich zusammen, was bedeutet, dass alle Sachen, die sie haben, ihnen gemeinsam gehören und sie damit machen kann, was ihr passt. Schliesslich kann er das mit ihren Sachen ja genauso machen. Dieses Argument liess sich nicht entkräften, denn er durfte wirklich alle ihre Sachen benutzen und damit so umgehen, wie er es für richtig hielt. Dass er daran kein Interesse hatte, weil sie ausser ihrer Wäsche und einer Kosmetiktasche, die er nicht brauchen konnte, nichts besass, änderte ja nichts am Prinzip.

Das Gespräch führte auch zum Problem der für ihn erforderlichen Ruhe bei der Arbeit. Er versuchte noch einmal zu erklären, dass er bei der Arbeit viel denken muss und sich dann nicht gleichzeitig mit ihr unterhalten kann. Flugs sagte sie ihm, dass er sofort aufhören muss, zu denken, weil das Denken überhaupt nicht lustig ist, nicht fröhlich stimmt, überhaupt keinen Spass macht und zu Kopfschmerzen führt. Er sollte sich viemehr freuen und bei ihr bedanken, wenn sie mit ihm spricht, weil er als ungebildeter Farang noch viel von ihr lernen muss, um in Thailand leben zu können. Dazu gehören ganz besonders die so wichtigen Mitteilungen über das Wesen der Geister und die durch sie drohenden Gefahren, sowie die Träume, die sie ihm erzählt, weil man aus den Träumen die Zukunft vorhersehen kann, und da sie ja zusammenleben, handelt es sich um eine gemeinsame Zukunft, die ihm wichtig sein muss.

Wenn sie von ihren früheren Schulfreunden, von berichteten Unfällen oder vom Wetter erzählt, so sei das sehr wichtig für seine Bildung. Nein, diese Informationen lassen sich nicht aufschieben, bis er eine Pause macht, denn sie sind viel wichtiger, als das, was er schreibt und es könnte ja passieren, dass sie vergisst, was sie ihm zu sagen hat und dann kann er von ihr nichts lernen, wo man gerade das Lernen niemals aufschieben darf, wie ihr ein guter Lehrer aus ihrer Schule immer gesagt hat.

Enno hatte die Hoffnung auf ihre Einsicht noch nicht aufgegeben, als er zwei Wochen später zusammen mit einigen Kollegen zu einem Treffen mit einer Vereinigung von Reiseagenturen gehen musste. Dabei bemerkte er, dass Pau seine Tweedjacke heiss gewaschen hatte und dass er jetzt minde-stens zwanzig Jahre zu alt war, um sie noch tragen zu können. Aber er hatte ja noch zwei elegante braune Sporthemden mit Streifen auf einer Seite, die konnte er ohne Jacke anziehen. Doch Pau hatte die entsorgt, weil sie so langweilig aussahen. Dafür hatte sie ihm zwei schicke T-Shirts gekauft, eines mit einem bunten Bild von Goofy und das andere mit Snoopy, passend zum Kugelschreiber.

Sie konnte gar nicht verstehen, dass er die nicht zu dem Treffen anzog, wo sie doch so hübsch bunt waren und stattdessen in einem einfarbig karierten Hemd ging. Dennoch gelang es ihm, einen Auftrag zu bekommen, wenn auch die Bezahlung nicht gerade gut war. Die nächsten Tage kniete er sich voll in diese Arbeit, die viele Stunden an Recherchen am Internet verschlang und sehr ermüdend war. Als Pau mit ihm Domino spielen wollte, sagte er ihr, dass er viellieber mit ihr spielen würde, statt am Computer zu sitzen, dass er aber zu viel Arbeit hat, die ausserdem auch noch stinklangweilig, aber dringend zu erledigen ist.

Wenige Tage später sagte sie ihm, dass Herrmann angerufen hat. Das war derjenige Mann, der seine Berichte in Deutschland bei verschiedenen Zeitschriften unterbrachte. Der hatte gesagt, dass er wegen neuer Verbindungen in eine andere Stadt gezogen ist, weswegen er eine neue Anschrift, eine neue Telefonnummer und eine neue e-mail-Adresse hat. Ausserdem hätte er deswegen auch zwei neue Aufträge für Enno und der sollte sich umgehend bei ihm melden. Pau war sehr stolz, als sie berichtete, sie hat Herrmann gesagt, dass Enno nicht mehr schreibt, weil er zu viel Arbeit hat. Nun brauchte er nicht mehr so viel zu arbeiten, wo Ausländer das doch sowieso nicht nötig haben, weil sie ohnehin reich sind. Nein, er brauchte gar nicht zu widersprechen, ihre Freundinnen haben das auch gesagt, und ausserdem hat er selbst gesagt, dass er zu viel Arbeit hat, also soll er sich freuen, dass er jetzt weniger arbeiten muss, statt ihr noch Vorwürfe darüber zu machen, dass sie ihm geholfen hat, damit er sich ausruhen und mit ihr zusammen fernsehen und in die Diskothek gehen kann.

Aber Enno hatte Glück. Er hatte eine heisse Spur aufgenommen und konnte Kontakt zu einer Frau aufnehmen, die aus Nordthailand stammt, zwei Jahre lang von einen Menschenhändlerring gefangengehalten und in Malaysia zur Prostitution gezwungen worden war. Sie war erst seit einer Woche wieder in Thailand und wollte direkt nach Nordthailand fahren. Aber es war Enno gelungen, gegen gute Bezahlung einen ausführlichen handschriftlichen Lebensbericht von ihr zu erhalten. Es war eine Sensation, die ihn berühmt oder doch wenigstens bekannt machen konnte. Er freute sich über dieses Glück und schickte Pau los, um den Bericht in einem guten Übersetzungsbüro aus dem Thailändischen ins Englische übersetzen zu lassen.

In den nächsten Tagen fragte er immer wieder, ob die Übersetzung noch nicht fertig sei und es war schon eine Woche vergangen, als er sagte, sie würden jetzt zusammen in das Übersetzungsbüro gehen, weil die Geschichte dringend ist. Er wollte sehen, ob man mit der Übersetzung angefangen hat und sie sonst in ein anderes Büro bringen. Nun gestand Pau, dass sie den Bericht weggeworfen hat, weil er damit doch kein Geld verdient, sondern nur welches für die Übersetzung verschwendet. Sie hat in den Nachrichten nichts von dieser Frau gehört, deshalb kann der Bericht gar nicht stimmen, und sie will auch nicht, dass er mit dieser Frau Kontakt hat, weil sie doch eine Prostituierte ist und noch nicht einmal in einer Bar gearbeitet hat. Er soll lieber über den Ministerpräsidenten Taksin oder den Innenminister Purachai schreiben. Die Zeitungen sind voll von Thaksin und Purachai, damit kann er Geld verdienen, nicht mit einem Bericht über eine Prostituierte. Sie muss ihm da helfen, weil er sich als Ausländer ja nicht mit der Presse auskennt.

Nicht genug, dass er keine Aufträge mehr bekam und Pau den Bericht vernichtet hatte, jetzt kam auch nicht mehr ins Internet und konnte nicht telefonieren. Die Leitungen sind defekt, die Telefongesellschaft muss neue Leitungen legen, hatte Pau erklärt. Zehn Tage lang konnte er niemand erreichen und nicht arbeiten. Er ging zur Telefongesellschaft, um sich zu beschweren. Dort sagte man ihm, er brauchte sich nicht zu beschweren, er brauchte nur seine Rechnung zu bezahlen. Er hatte Pau mit dem Geld zur Telefongesellschaft geschickt und sie hatte ihm gesagt, dass sie bezahlt hätte. Nun erklärte sie ihm, dass sie nicht bezahlt hat, um ihm zu helfen, weil er viel zu viel arbeitet, wo er das doch gar nicht nötig hat, weil er ein reicher Farang ist. Und wenn er keinen Anruf erhält und nicht ins Internet kommt, dann hat er doch viel weniger Arbeit und hat endlich Zeit und Gelegenheit, sich mit ihr zusammenzusetzen und gründlich auszuruhen.

Enno hatte nun schon lange nichts mehr verdient und seine Reserven gingen zur Neige. Er musste dringend Aufträge bekommen oder Arbeit finden. So sprach er mit einigen Bekannten und fand schliesslich einen Mann, der gerade sein Restaurant renovierte. Er vermittelte ihm einen Auftrag für einen Thailandbericht für eine Zeitung aus seiner Heimat, in dem auch sein neues Leben mit einem Restaurant in Thailand beschrieben werden sollte. Die Bezahlung war nicht schlecht und Enno machte sich sofort Notizen. Er konnte den Bericht schon schreiben, sollte aber möglichst zwei oder drei Bilder von dem Restaurant bringen, die er nach der Renovierung schiessen sollte. Enno war für den Auftrag dankbar und wollte nun seinerseits dem Gastwirt helfen. Er schlug vor, dass er ihm für Tische und Wände kleine Lampen mit einem weissen Seidenschirm oder einem Plastikschirm fertigstellen kann, die ihn dann nur das Material kosten. Man einigte sich auf Tischlampen mit Seidenschirm und eine grössere Anzahl von Wandlampen mit weissem Plastikschirm, die Enno selbst bastelte.

Er ging los, das Material zu kaufen, darunter vier grosse weisse Plastikplatten, die zersägt werden mussten, um die Einzelteile für die Lampenschirme zu liefern. Es war viel Arbeit und es war ziemlich laut. Als jemand aus der Nachbarschaft kam und nach der Ursache des Krachs fragte, erklärte Pau, dass ihr Mann jetzt Tischlampen und Wandlampen herstellt. Es dauerte gar nicht lange, bis ein anderer Mann kam, der wissen wollte, ob hier Lampen hergestellt werden. Enno war gerade mit zwei Mustern unterwegs zum Restaurantinhaber. Pau war sehr stolz und witterte zusätzliche Einnahmen. Sie erzählte, dass ihr Mann nicht so faul ist, wie die anderen Farang und dass er jetzt Tischlampen und Wandlampen herstellt. Ferner fragte sie den Mann, was für Lampen er denn sucht, vielleicht könnte ihr Mann ihm die Lampen preiswert herstellen. Der Mann fragte, ob er die Lampen sehen kann, die hergestellt werden und Pau führte ihn ins Haus. Dort holte der Mann einen kleinen Fotoapparat aus der Tasche, schoss einige Bilder von zwei Lampen und dem restlichen Arbeitsmaterial und sagte, er kommt gleich wieder.

Als Enno zurückkam, sagte sie ihm, da wäre ein Thai gekommen, der von ihm Lampen kaufen wollte. Er hätte gesagt, er käme bald wieder, aber sie glaubt ihm nicht, sonst hätte er gesagt, was für eine Lampe er haben wollte. Enno erklärte, dass sie keine Lampen herstellen und keine verkaufen dürfen, dass er nur nebenher und kostenlos einem Freund hilft. Doch Pau war damit nicht einverstanden und meinte, das wäre ein gutes Geschäft und sie sollten mehr Lampen herstellen und verkaufen. Sie waren noch mitten in der Diskussion, als der Thai erschien, der nach den Lampen gefragt hatte. Er holte wieder seinen Fotoapparat aus der Tasche, knipste eine Aufnahme von Enno mit einer Lampe in der Hand, fragte ihn nach seiner Geschäftslizenz und nach seiner Arbeitsgenehmigung. Als Enno sagte, dass er keine Lizenz hat und die Herstellung der Lampen erklären wollte, winkte der Mann zwei Polizisten herein, die auf der Strasse gewartet hatten.

Enno wurde verhaftet, weil er einen Geschäftsbetrieb ohne Lizenz und ohne Arbeitsgenehmigung betreibt, wie seine Frau bereits ausgesagt hatte. Es wurde eine Haussuchung durchgeführt, sämtliche Geräte, Werkzeuge und Materialien einschliesslich des Computers und aller Papiere wurden beschlagnahmt und Enno wurde abgeführt. Man erzählte ihm, dass man Gnade vor Recht ergehen lasse, weil man ihm nicht nachweisen kann, dass er Lampen verkauft hat, obwohl die Aussage seiner Frau, dass er Lampen produziert und verkauft, eigentlich ausreicht. Zudem hat man zum Beweis das beschlagnahmte Material. Da er aber scheinbar noch nichts verkauft hat, würde man sich diesmal mit einer Strafe von 20.000 Baht und der Einbehaltung aller beschlagnahmten Sachen zufrieden geben, statt ihn auszuweisen. Enno blieb nichts weiter übrig, als auf seine Sachen zu verzichten und zu zahlen, weil ‘seine Frau’ ja bereits ausgesagt hat, dass er ohne Genehmigung einen Gewerbebetrieb führt und ohne Arbeitsgenehmigung Lampen herstellt.

Als er am Abend von der Polizeistation entlassen worden war, ging er nachhause, wollte sich duschen und ging ins Badezimmer. Zu spät sah er, dass Pau Spülmittel auf dem Boden verteilt hatte. Er hatte ihr schon einmal gesagt, das sei nicht der richtige Weg zum Putzen. Sie sollte nur einige Tropfen Spülmittel in einen Eimer Wasser tun und damit putzen. Aber Pau wusste ganz genau, dass er nur zu dumm war, zu verstehen, dass das Spülmittel die Fliesen viel sauberer machte, wenn sie es konzentriert auf den Fliesen verteilte und lange darauf einwirken liess. Später brauchte sie nur mit einem Schlauch die Fliesen abzuspritzen und überhaupt nicht zu wischen, was immer so anstrengend ist. Aber sie hatte die Fliesen noch nicht abgespritzt, Enno rutschte auf dem Spülmittel aus, schlug mit dem Auge aufs Waschbecken und brach sich die linke Hand, als er sich am Wasserkran festhalten wollte. „Bist Du gefallen? Soll ich Dir helfen?“, hörte er Pau. Entsetzt gellte sein Schrei durchs Haus: „Neeeiiin! Nicht helfen, bitte, bitte, nicht helfen!“

Doch sein Flehen vermochte Pau nicht zu erweichen. Sie hatte schon lange das Gefühl, dass dieser tollpatschige, dumme Farang ohne ihre Hilfe gar nicht leben konnte, und nun hatte er laut geschrien. Da war es doch selbstverständlich, dass sie diesem unbeholfenen Menschen helfen musste, zumal sie noch gar nicht wusste, was er nun schon wieder angestellt hatte. Unglücklicherweise war sie gerade dabei, ihm Reis mit Huhn zu braten, was sie so gerne tat, und hatte die Pfanne mit Öl und Reis auf dem Herd. Dort konnte sie die Pfanne natürlich nicht lassen, denn sie wusste ja nicht, wie lange sie Enno helfen musste.

Also nahm sie die Pfanne vom Herd und lief ins Badezimmer, wo sie ihn blutend auf dem Boden liegen sah. Sofort stürzte sie sich auf ihn, um ihn zu umarmen, was in solchen Fällen immer ausserordentlich hilfreich ist. Diese Hilfe wurde ihm schneller zuteil, als Pau es eigentlich vorgehabt hatte, denn als sie sich gerade noch auf ihn stürzen wollte, rutschte sie auf dem Spülmittel aus und stürzte nun völlig ungewollt auf den wehrlosen Enno zu, doch Öl und Reis waren schneller und erreichten Bennos Gesicht noch vor ihr.




Dritter Teil:

Es half Pau auch nicht viel, dass sie während des freien Falls versuchte, sich an der heissen Bratpfanne festzuhalten, doch hatte sie sie fest im Griff, als sie ihren Fall mit dem Ellbogen in Ennos Magen abmildern konnte und die Pfanne vor einer möglichen Beule bewahrt wurde, indem sie auf Bennos Nase krachte. Bennos Schrei erinnerte sie daran, dass sie ihm ja helfen wollte. Nun endlich konnte sie ihn ohne weitere Umstände in den Arm nehmen und trösten, da sie gerade so bequem auf ihm lag. Als sie ihn etwas länger getröstete hatte, weil sie gerade so bequem lag und er immer noch schrie, nahm sie die Pfanne weg und wischte ihm Öl und Reis vom Gesicht. Das tat sie so geschickt, dass sie nur ein einziges Mal auf dem Spülmittel ausrutschte und mit dem Knie auf seinen Fuss fiel.
Dass er dabei laut schrie, zeigt nur, wie empfindlich die Farang sind. Er schrie auch wieder, als er aufgestanden war und sie ihm half, indem sie ihn aus dem Badezimmer zog. Bis zur Badezimmertür schlug er noch dreimal auf den Boden. Er sagte ihr zwar, sie soll ihn nicht anfassen und auf keinen Fall ziehen, aber sie musste ihm doch helfen, wo er immer so tollpatschig war, was man ja daran sah, dass er selbst jetzt noch andauernd hinfiel, wo sie ihm schon half und aus dem Zimmer zog.

Es ist schon wahr, dass man mit den Farang nichts als Probleme hat, weil sie aber auch gar nichts richtig machen können. Enno wollte nur duschen gehen. Sie ging jeden Tag duschen, ohne dass sie sich dabei auch nur einmal verletzt hatte. Aber dieser Farang ging duschen, verstauchte sich auf dem geraden Boden den Fuss, holte sich am Waschbecken eine dicke Beule und ein blaues Auge, brach sich am Wasserhahn die Hand, an der Bratpfanne das Nasenbein, verbrannte sich das Gesicht mit gebratenem Reis, hatte starke Magenschmerzen, obwohl er überhaupt nichts von dem Reis gegessen hatte und weitere Beulen am Kopf, an den Knien und Ellbogen, weil er immer wieder hinfiel, obwohl sie ihm ja schon half. Es reichte, wenn so ein Farang duschen gehen wollte, und schon musste man ihn ins Krankenhaus bringen. Sie war dagegen viel geschickter, sie war zwar auch hingefallen, weil sie ihm helfen wollte, aber ihr war überhaupt nichts passiert, sie hatte nicht noch nicht einmal eine einzige Beule oder einen blauen Fleck abbekommen.

Im Krankenhaus stellte man fest, dass der rechte Fussknochen angebrochen war und das Bein in Gips musste, ebenso der linke Arm, während der rechte Arm nur eine lange Schürfwunde erlitten hatte und eine grosse Bandage ausreichend war. Die Platzwunde am Auge musste mit sechs Stichen genäht werden. Sein Gesicht hatte allerdings schwere Verbrennungen und musste mit Brandsalbe behandelt und komplett bandagiert werden. Es war noch nicht sicher, ob nicht einige Narben im Gesicht bleiben würden und ob über der Stirn noch einmal Haare wüchsen. Er erhielt Antibiotika und Medizin für den Magen wegen innerer Verletzungen. Er durfte sieben Tage lang nichts Festes essen und nichts Fettiges. Dann musste er wegen der Erneuerung der Binden und zur Nachuntersuchung in den nächstenTagen noch häufiger ins Krankenhaus gehen.

Pau half Enno ins Taxi, wobei der undankbare Farang schon wieder schrie, wo sie doch nur aus Versehen auf seinem Fuss gestanden hatte. Er bewegte sich so ungeschickt, dass er beim Aussteigen lang auf die Strasse fiel und schon wieder schrie, als sie ihn von der Sitzbank zog. Bis er in der Wohnung war, fiel er noch zweimal hin, obwohl sie ihm schon half und ihn kräftig zog, damit er sich beim Gehen nicht so anstrengen musste. Er setzte sich auf einen Stuhl, legte das Gipsbein auf einen anderen Stuhl und schloss erschöpft die Augen. Pau sah sofort, dass er so überhaupt nicht bequem sass und zog den Stuhl unter dem Bein weg, damit er es schön ausstrecken konnte. Schon wieder schrie er und sagte, dass sie ihn nicht berühren soll. Dabei hatte sie ihn doch überhaupt nicht berührt, sondern nur den Stuhl.

Damit er bald wieder gesund wird, ging sie los und holte etwas Kräftiges zu essen, an der Luft getrocknetes und gebratenes Schweinefleisch. Aber das wollte er nicht essen. Er war so dumm, dass er glaubte, was man ihm im Krankenhaus gesagt hatte und merkte nicht, dass er nur deshalb nichts Kräftiges essen soll, damit er lange krank ist und das Krankenhaus an ihm mehr verdient. Jedes kleine Kind weiss, dass man etwas Kräftiges essen muss, um schnell gesund zu werden, und sie hat genau gesehen, dass er überhaupt keine Beulen auf dem Bauch hat, die heilen müssen. Aber Enno war so dumm, dass er den Ärzten glaubte und deshalb die nächsten Tage nichts essen wollte, um keine Schmerzen zu haben und gesund zu werden. Er wollte eine dünne Suppe haben, aber die machte sie ihm nicht, damit er bald etwas Kräftiges ass.

Pau war ganz froh, dass Enno sich nicht bewegen konnte. Das gab ihr viele Möglichkeiten, ihm zu helfen. Er hatte schon lange gesagt, dass er zuviel arbeitet und Ruhe haben will und nun endlich konnte er seine Ruhe haben. Aber er war nicht einsichtig, er stellte seine Stereoanlage an und hörte Musik, statt Ruhe zu haben. Sie nahm ihm die Fernbedienung ab, schaltete das Gerät aus und verhalf ihm zur nötigen Ruhe. Dasselbe geschah mit der Fernbedienung für den Fernseher. Er wollte doch Ruhe haben. Dann war da noch seine böse Gewohnheit, Zigaretten zu rauchen, worüber er selbst auch schon geschimpft hatte.

Nun hatte sie endlich Gelegenheit, ihm auch bezüglich des Rauchens zu helfen. Sie nahm ihm die Zigaretten ab, machte sie nass und warf sie in den Abfalleimer. Er war ja nicht in der Lage, sich Zigaretten zu holen, so konnte sie ihm helfen, sich das Rauchen abzugewöhnen. Wenn er wieder gesund war, würde er ihr dafür dankbar sein. Nur dass er Griesbrei oder Gemüsesuppe essen wollte, fand sie nicht gut, wo er doch etwas Kräftiges brauchte. Aber auch hier half sie ihm, indem sie ihm keine Suppe machte, sondern das kräftige Schweinefleisch bereit stellte, das er bei richtigem Hunger bald essen würde.

Das hatte Enno auch versucht, weil er wirklich Hunger hatte, aber er bekam sofort starke Magenschmerzen und hörte auf, zu essen. Dennoch hatte er noch mehrere Stunden Schmerzen. Pau meinte, er müsste das fette Schweinefleisch trotzdem essen, weil er sonst nicht gesund würde. Da er nicht schreiben und damit kein Geld verdienen konnte, aber viel ausgeben musste und die finanzielle Situation brenzlig wurde, schrieb er einen Brief an seine Eltern, um sich etwas bei ihnen zu leihen. Er gab Pau den Brief und erklärte, dass er sehr wichtig ist und sofort abgeschickt werden muss, damit er von seinen Eltern Geld bekommt, das sie zum Leben brauchen.

Enno hatte zwar immer noch das komplette Gesicht bandagiert, aber Pau sah ganz deutlich, wie er aufblühte. Jetzt hatte er endlich seine Ruhe. Keine Musik, kein Fernsehen, keine Zigaretten und keinen Alkohol. So konnte er sich nun endlich pausenlos mit ihr beschäftigen und würde bei ihrer Pflege sicherlich bald gesund sein. Und sie half ihm auch bei seinen Medikamenten. Er hatte Antibiotika und verschiedene Sachen für den Magen bekommen, die er alle bis zu Ende aufbrauchen musste. Sie half ihm, indem sie die Medikamente mit ihm zusammen einnahm. Tatsächlich ass sie mehr davon, als er, weil sie wusste, dass er keine Medikamente mochte. Erstens waren Medikamente ja auch für ihre Gesundheit gut, weil alle Medikamente nur gegeben werden, damit die Leute gesünder werden. Und dann musste er nicht so lange warten, bis sie aufgebraucht waren, was schon nach drei Tagen geschah, so dass er die Binden viel schneller abnehmen konnte.

Sie half ihm auch, ein anständiger Mensch zu bleiben. Den Brief an seine Eltern hatte sie nämlich weggeworfen, weil es sehr unanständig war, die Eltern um Geld anzubetteln. Besonders für einen reichen Farang war es sehr unanständig, die Eltern um Geld zu bitten, wo doch jeder wusste, dass es die Aufgabe der Kinder war, den Eltern Geld zu schicken und sie zu versorgen, wenn sie alt wurden. Wenn er dennoch seine Eltern um Geld bat, obwohl er ja ein reicher Farang war und schon Unmengen von Geld haben musste, so war das ein sehr schlechter Charakterzug von ihm und sie hatte ihn durch die Vernichtung des Briefes davor bewahrt, seinen Eltern gegenüber sein Gesicht zu verlieren und sich selbst sein Leben lang wegen dieser ungehörigen Handlung Vorwürfe machen zu müssen.

Bald musste er wieder zum Krankenhaus, diesmal nicht nur zum Verbandswechsel, sondern auch zur Nachuntersuchung. Aber er wollte ganz alleine gehen und sie sollte ihm nicht helfen. Es war schier unmöglich, die Farang zu verstehen, insbesondere, wenn sie sich trotz fortwährender Hilfe so undankbar, ja geradezu ablehnend verhielten, als wenn ihnen eine Gefahr drohte.

Enno war es langweilig geworden, deshalb quälte er sich an den Tisch und fertigte einige Zeichnungen mit Motiven aus Thailand an, die der Restaurantbesitzer vielleicht zur Dekoration verwenden konnte. Es war eine Serie von Federzeichnungen landschaftlicher und dörflicher Motive als auch historischer Gebäude nach verschiedenen Fotovorlagen, die sich in seinen Reiseführern über Thailand fanden, die der Zerstörung entgangen waren.

Bei der nächsten Krankenhausuntersuchung machte sich der Arzt Sorgen um Ennos Magen und befürchtete aufgrund seines Zustandes innere Verletzungen, die vielleicht nicht bemerkt worden waren. Er bat Enno, zwei Tage zur Beobachtung im Krankenhaus zu bleiben und der war einverstanden, weil er dann zumindest etwas zu essen bekam. Der Versuch, an Zigaretten zu kommen, schlug fehl, denn der Arzt sagte ihm, wie schädlich das ist und dass er im Krankenhaus auf keinen Fall rauchen darf. Doch nach zwei Tagen fühlte Enno sich besser und ging wieder nachhause. Dort konnte er wenigstens an seinen Zeichnungen arbeiten, während er im Krankenhaus gar nichts machen konnte, als sich auf seine Schmerzen zu konzentrieren und zu überlegen, wie er in Zukunft Paus Hilfe entgehen konnte.

Die hatte inzwischen Besuch gehabt. Ein Thai kam in die Wohnung und erkundigte sich, ob Enno noch Lampen herstellt. Pau zeigte ihm stolz die Zeichnungen, die Enno angefertigt hatte und erklärte, dass Enno keine Lampen mehr macht, sondern Federzeichnungen. Sie war auch sehr stolz, als der Mann eine Zeichnung kaufen wollte und ihr dafür fünfhundert Baht bot. Ihr war zwar etwas unwohl, als sie eine Quittung ausschreiben musste, aber sie tröstete sich damit, dass sie Enno dann eben das Geld geben musste, statt zu sagen, sie hat die Zeichnung nicht gesehen. Aber fünfhundert Baht waren für eine Zeichnung doch gutes Geld, Enno würde sich darüber sicherlich freuen und er könnte ja eine neue machen. Auf die Frage, wo Enno sich befindet, sagte sie wahrheitsgemäss, dass er sich im Badezimmer den Knöchel verstaucht hat und ins Krankenhaus gegangen ist. Aber die Ärzte hätten gesagt, dass er am Abend wieder zurückkommt.

Der Thai kam bereits wieder, noch bevor Enno vom Krankenhaus zurückkam und er war in Begleitung. Er hatte im Krankenhaus angerufen und gefragt, wann Enno dort entlassen würde. Als Enno einschliesslich Gips und Bandagen vom Taxi steigen wollte, konnte er sich diese Arbeit sparen. Der Thai kam vom Labour Department und wollte nur wissen, ob Enno seinen Pass bei sich hat. Enno zeigte ihn vor und wurde von den Polizisten, die den Thai begleiteten, wegen illegaler Arbeit verhaftet. Als Enno widersprach, zeigte man ihm seine Zeichnung und die Quittung für fünfhundert Baht. Er konnte im Taxi sitzen bleiben und das brachte ihn in Begleitung eines der Polizisten sofort zur Polizeistation. Es war ganz klar bewiesen, dass er nun bereits wiederholt illegale Geschäfte führt und illegal arbeitet.

Die Zeichnung stammte von ihm und wurde in seinem Haus verkauft. Dass er sie nicht selbst verkauft hat, spielte keine Rolle, denn sie wurde in seiner Wohnung gekauft und er ist für die Vorgänge in seiner Wohnung verantwortlich. Ausserdem würde seine Frau ja niemals seine Sachen verkaufen, wenn sie nicht seine Genehmigung hatte. Zudem hatte man eine Vielzahl neuer Zeichnungen gefunden, die nur für einen gewerblichen Zweck angefertigt worden sein konnten. Er sollte deportiert werden, musste ein Flugticket vorlegen und zehntausend Baht für seinen Transport zum Flughafen zahlen. Das ist die Summe, die für eine Polizeieskorte verlangt wird, und die Eskorte ist erforderlich, um sicher zu sein, dass der Delinquent auch wirklich ins Flugzeug kommt und deportiert wird, statt illegal in Thailand zu bleiben.

Denn es ist ja wohl selbstverständlich, dass man einen Menschen, dessen Freundin eine Zeichnung von ihm verkauft, oder gar Ausländer, die arbeiten, um Geld zu verdienen, in Thailand nicht dulden kann. Auf seinen Gesundheitszustand brauchte man hierbei keine Rücksicht zu nehmen, denn man wüsste genau, dass er sich nur einen Fussknöchel verstaucht hat, weshalb man ja nie Arme und Beine bandagieren würde, was also nur auf seinen besonderen Wunsch geschehen sein kann, um krank auszusehen und den Eindruck zu erwecken, dass er nicht arbeiten würde, während er ganz offensichtlich trotz seiner Bandagen gezeichnet und gearbeitet hat.

Enno landete in einer Zelle der Polizeistation. Er bat einen Polizisten, mit einem Zettel zu seiner Wohnung zu fahren, damit Pau ihm seine Geldreserve, einige Dokumente und Wäsche zum Wechseln brachte. Doch statt dessen kam der Mann mit einem Zettel von Pau zurück, in dem sie schrieb, dass sie von ihm sehr enttäuscht ist. Sie hätte nicht geglaubt, dass er ein Krimineller ist, der von der Polizei gesucht wird, aber sonst hätte man ihn ja nie eingesperrt. Sie will nichts mit Kriminellen zu tun haben und wird deshalb zu ihren Eltern fahren. Sie ist sehr enttäuscht, dass er so ein schlechter Mensch ist, wo sie zu ihm immer so gut war und alles getan hat, um ihm zu helfen, und nun stellt sich heraus, dass er ein Verbrecher ist. Sie wird die Wohnung verlassen und nichts von seinen Sachen mitnehmen. Sie will mit ihm nichts mehr zu tun haben und will ihn nicht mehr sehen.

Enno blieb im Polizeigefängnis, wo man ihm versicherte, dass man ihm nur helfen wollte. Er war nun auf die deutsche Botschaft angewiesen, die ihm versicherte, dass sie ihm helfen würde. Tatsächlich gab man sich alle Mühe, dass er schon nach einer Woche, die er mit Gips und Bandagen im Polizeigewahrsam verbrachte, nach Deutschland deportiert werden konnte. Die Sachen und die Geldreserve in seiner Wohnung konnte er vergessen, weil er ja ‘illegal gearbeitet’ und Bilder verkauft hatte. Als man ihn endlich unter Polizeibewachung zum Flughafen brachte, wussten die Polizisten sofort, dass dieser Farang total verrückt war. Beim Einsteigen in den Polizeiwagen hatten sie nur seinen Arm gefasst und gefragt, ob sie ihm helfen sollten, und schon schlug er um sich und schrie: „Nein, nicht helfen, nicht helfen! Hilfe! Man will mir helfen! Nicht helfen!“ Es war sehr schwer, ihn zu beruhigen.



von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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von Dr.G.M. Gad Labudda




Auf nach Thailand, zur wartenden Clarissa

- Vier mal fünf Seiten - von ,Victor Schluff‘ in ,Begegnungen in Thailand‘ -

- Die Tendenz, eine Ehefrau aufgrund einer Annonce aus dem Ausland zu holen, ist zunehmend. Es mutet kurios an und die Vorstellungen und Erwartungen der Männer sind ausserordentlich unterschiedlich. Das Lebensglück ist auf diese Art nicht gerade garantiert, doch eine Überraschung scheint sicher, ganz gleich, wie sie ausfällt. -

Martin und Knut hatten ihren vierzigsten Geburtstag schon seit mehreren Jahren hinter sich und sie kannten sich bereits seit längerer Zeit vom ,Stammtisch‘ in ,Pit’s Pinte‘, den sie als Alleinstehende öfter bevölkerten. Knut war schon öfter Junggeselle gewesen und er hasste diesen Zustand genauso, wie die kurzen Zwischenzeiten, in denen er verheiratet war. Er hatte süsse Mädchen gehabt, die sich aber bald nach der Hochzeit und dem Beziehen der gemeinschaftlichen Wohnung als äusserst ,emanzipiert‘ erwiesen. Er sah nicht ein, dass er zur Zeit der Fussballspiele Liebesfilme sehen sollte, weil der Fernseher sich nicht auf ,Emanzipation‘ einstellen liess und keine zwei Programme zeigte. Andererseits war er überzeugt, dass alle Hausarbeit Frauensache sei, auch wenn die Frau arbeiten geht, und er suchte eigentlich nur eine Person, die selbständig war, ihm diente und sein Leben angenehm und bequem gestaltete, was die Ehezeiten enorm verkürzte und sehr turbulent enden liess.

Martin hatte zwar einige Frauen kennengelernt, aber das hatte seinen Familiensinn gar nicht sehr gefördert und er erklärte, er ziehe es vor, sich alleine zu langweilen, statt sich gemeinsam zu streiten. Er war ein friedlicher Mensch, der keine grossen Erwartungen hatte, keine Befehle erteilte und keine Machtansprüche stellte. Das verleitete aber seine Frauen, denen er nicht sagte, was sie zu tun haben, dazu, ihm nun zu sagen, was er zu tun oder zu lassen hat, was ihm dann jeweils die Unmöglichkeit einer Partnerschaft signalisierte, worauf er den Kontakt abbrach.

Martin hatte schon viel von den asiatischen Frauen und von Thailand gehört, in der Presse als auch am Stammtisch, aber die Berichte waren sehr widersprüchlich. Sensationsberichte waren frei erfunden. So hatte sich die ,böse Prostituierte in Pattaya‘, die in mehreren Zeitschriften abgebildet wurde, als ein geistesbehindertes Mädchen herausgestellt, dem zwei Männer auf einer Fussgängerstrasse das T-Shirt von den Brüsten zogen, damit der dritte eine ,böse Prostituierte‘ fotografieren und die Bilder sogar an den Spiegel und den Stern verkaufen konnte, und der ,homophile Sextourist‘, der von Fernsehleuten mit seinem kindlichen Opfer am Strand aufgenommen worden war, hatte Strafanzeige erstellt. Der in Pattaya ansässige Familienvater war mit seiner neunjährigen Tochter an den Strand gefahren und mochte es nicht, dass man ihn in aller Welt als Sexmonster und seine Tochter als kindliche Prostituierte zeigt, nur, weil man wieder eine Sensation bringen wollte, die es nicht gab.

So hatte man am Stammtisch zwar hin und wieder über Thailand, die Philippinen und die Asiatinnen gesprochen, da aber alle Informationen fragwürdig erschienen, Asien weit weg war, das Thema Martin nicht übermässig quälte und eher seinen Argwohn als seine Gelüste anregte, hatte er sich nicht sonderlich interessiert gezeigt. Als dann eines Tages Knut mit ihm über dieses Thema sprach und erzählte, dass er im Internet eine Annonce gesehen hat, in der heiratswillige Frauen in Thailand angeboten werden, die man völlig kostenlos und unverbindlich im Rahmen eines 14- tägigen Reiseprogramms vor Ort treffen und näher kennenlernen kann, erschien ihm dieses Angebot suspekt, doch Knut meinte, da es kostenlos und unverbindlich ist und zudem auch noch komplett organisiert, ist es doch sehr verlockend.

Da er auch nicht verpflichtet ist, eine Frau zu heiraten, wollte er sich diese angeblich sanftmütigen Frauen unbedingt einmal näher ansehen. Er war sich sicher, dass dies auf keinen Fall schaden kann. Er wollte sich auf diese Annonce melden und Martin dann bei Gelegenheit weiter informieren, der grundsätzlich nicht abgeneigt war, seinen Urlaub auch einmal in Pattaya zu verbringen, nachdem er schon so viel Widersprüchliches über dieses Urlaubsresort und die vielen Frauen dort gehört hatte, die er dann doch bereit war, erst einmal näher kennenzulernen, bevor er sie ablehnen würde.

Schon bald meldete sich Knut und legte mehrere Bilder einer exotischen Schönheit vor, die er von der Agentur erhalten hatte. Er hatte einen Fragebogen ausgefüllt und neben den Angaben über seine Person und seine Einkünfte auch geschrieben, welche Vorstellungen er von seiner künftigen Frau hat. Dann kamen drei Bilder von einem exotischen Mädchen namens Clarissa, einer 20-jährigen Jungfrau aus Korat, die als Krankenschwester in einem Krankenhaus arbeitet und Deutsch und Englisch spricht. Ein Bild zeigte sie in Schwesternkleidung, ein weiteres Bild in seidenem Festgewand und das dritte Bild zeigte sie ohne dieses Festgewand.

Man teilte ihm mit, Clarissa hätte sich für seine Zuschrift interessiert und wollte ihn im nächsten Monat in einem Guesthouse von Pattaya kennenlernen, wo sie ein Zimmer buchen wollte. Knut sollte das Geld schicken, das für ein Zimmer für eine Woche für Clarissa und für zwei Wochen für Knut erforderlich war. Vollpension pro Tag nur 50 Euro, also spottbillig. Es waren keine Vermittlungsgebühren erforderlich, sondern nur eine Erfolgsprämie bei ,Vollzug einer Partnerschaft‘.

Knut und Martin waren freiberuflich tätig und konnten sich ihren Urlaub so einrichten, wie es ihnen passte. Die Zeit schien ihnen günstig und sie nahmen sich vor, gemeinsam nach Pattaya zu fahren, allerdings wollte Knut erst einmal Pattaya etwas kennenlernen, bevor er seine zwei Wochen Vollpension zum Kennenlernen Clarissa’s oder anderer Heiratskandidatinnen antrat. Es wäre zu dumm, in völliger Unkenntnis der Menschen und der Sitten des Landes eine Katze im Sack zu kaufen. Sie wollten sich in Pattaya erst einmal etwas umsehen, bevor Knut sich kurz vor Ende nächsten Monats im ,Lover’s Hope Hotel‘ einquartieren sollte, um die sehnsüchtig auf ihn wartende Clarissa kennenzulernen.

Die Reiselektüre über Thailand sagte etwas über die Grösse des Landes, die Jahreszeiten und die Temperaturen aus. Über 80 Prozent der Bevölkerung von rund 67 Millionen leben auf dem Lande, wo grosse Armut herrscht. Über 80 Prozent der Bevölkerung nennen sich Buddhisten, im Süden lebt eine islamische Minderheit, bei vielen Bergvölkern im Norden sind animistische Religionen zu finden. Eine Minderheit von fünf Prozent nennt sich Christen. Ausserdem hiess es, dass in Thailand erstaunlich wenige Ausländer leben. Pattaya sei ein beliebter Urlaubsort.

Der Flug verlief alkoholfrei und problemlos. Die erste Störung ergab sich in Form der Einwanderungsbehörden, vor deren Schaltern sich lange Schlangen bildeten. Die nächste Störung stellte sich in Form eines Taxifahrers dar, der erkannte, dass sie nach Pattaya wollten, weshalb er sie einfing, sein Taximeter ab- und sein Mundwerk einschaltete und ununterbrochen laufen liess, bis er ihnen schliesslich nach gut zwei Stunden vor ihrem Hotel in Südpattaya den doppelten Fahrpreis einschliesslich eines saftigen Trinkgeldes abnahm und ihrem Schicksal übergab.

Das Hotel, das ihnen in Deutschland empfohlen worden war, erwies sich als komfortabel und preiswert. Doppelbett, Klimaanlage, Kühlschrank und Fernseher auf dem Zimmer, mit Schwimmbad und Frühstück für 500 Baht pro Tag. Es war auch verkehrsgünstig gelegen; günstig für jeglichen Verkehr zu Lande, auf dem Wasser und im Bett. Nach einer mittäglichen Ruhe und einer Dusche trafen sie sich zu einem Spaziergang zwecks Inspektion der günstigen Verkehrsknotenpunkte, der Bars.

Etwas enttäuscht, aber nicht uninteressiert gingen sie bei einbrechender Dämmerung an einigen Bars vorbei, an denen zwei oder drei Mädchen gelangweilt herumlungerten und sich hin und wieder dazu aufrafften, ein halblautes „Hello, sit down, please“ zu rufen. An einer Bar, die lauwarme Musik und vier leicht unterkühlte Mädchen anbot, erhielten sie ein Bier, das in Ermangelung erforderlicher Konsumenten oder durch die Nähe zu den Damen schon zu Eis gefroren war. Der Betrieb war wohl nicht so rege, wie man es sich im Ausland erzählte und schon gar nicht die Bedienung.

Das Bier hätten sie genausogut aus einem Automaten holen können, denn nachdem es ihnen vor die Nase gesetzt worden war, setzten die Mädchen sich zu einem Plausch genau vor sie auf die Theke, wandten ihnen die kühle Schulter zu und würdigten sie keines Blickes mehr. Nachdem das Eis in den Bierflaschen schneller geschmolzen war, als das Verhalten der Mädchen, gelang es ihnen schon nach mehrmaligem Rufen, bei einem der Mädchen die Rechnung zu bezahlen. Tief enttäuscht von dem, was ihnen in der Auslandspresse als ,der grösste Puff der Welt‘ beschrieben worden war, beschlossen sie, ein Restaurant zu suchen, das sie schon nach wenigen Minuten fanden.

Beunruhigt durch die Mitteilungen, dass thailändisches Essen mit so viel Chili zubereitet wird, dass es für Europäer ungeniessbar ist, waren sie verblüfft, als ihnen eine Speisekarte in Deutsch und Englisch vorgelegt wurde, in der sie viele bekannte europäische Gerichte, aber nichts Thailändisches fanden. Doch das Essen war gut und reichlich, die Bedienung war korrekt, wenn auch eher hübsch als freundlich. Der Preis von 260 Baht einschliesslich einer grossen Flasche Bier erschien ihnen als günstig.

Als sie wieder auf die Strasse traten, hatte sich das Bild völlig gewandelt. Die Bars waren hell erleuchtet, sie warben mit flickernden Lichtern, lauter Musik und vielen Mädchen um Kunden. Nun waren an jeder Bar zwischen zwölf und zwanzig Mädchen, die sich lauthals um Kunden bemühten, von denen nur wenige an den einzelnen Bars zu sehen waren.

„Hello, mister, please, sit down“, „Hello, mister, where you come from“, „Hello, darling, have a seat“ waren die Lockrufe, die die Mädchen ihnen gleich von mehreren Bars entgegenriefen, die mit lautstarker Popmusik miteinander wetteiferten, um Kunden anzulocken. Plötzlich hatte sich spontan ein Fanclub gegründet, von dem sie umzingelt und an eine Bar gedrängt wurden. Allerdings legten die Fans nicht so viel Wert auf Autogramme, sondern umringten ihre neuen Stars hüpfend und schrien hysterisch durcheinander: „Where you come from?“, „Where your Hotel?“, „Where your wife?“, „I want Ladydrink, you give ladydrink!“

Doch die Begeisterung hielt sich nur, bis sie sich auf zwei Barhocker gesetzt hatten. Dann löste sich der Fanclub auf und stürzte sich auf die nächsten ahnungslosen Stars. An der Theke erschien ein schlankes Mädchen, dem noch nicht bekannt war, dass es im Land des Lächelns lebte. Es schaute auf die Strasse, während es die Gäste mit ausdruckslosem Gesicht anherrschte: „What you drink?“. Als sie „Beer“ bestellten, war dem Mädchen klar, dass es sich um Neue handeln musste, die die verschiedenen Biermarken noch nicht kannten. Es zeigte auf einzelne Flaschen, die auf einer Kühltruhe standen und erhielt Zustimmung, als der Zeigefinger bei Kloster angekommen war. Die anderen Marken kannten sie nicht und wollten sie später einmal probieren.

Als sie den ersten Schluck getrunken hatten, kam von links ein Mädchen, das sich durch ein sehr breites Lächeln und eine wenn auch nicht sehr grosse, so doch weitestgehend sichtbare Oberweite auszeichnete, die es an Martin drückte, während es ihm mitteilte: „I go with you!“ Der sagte verblüfft: „I don’t go, I sit“, worauf das Mädchen schlagfertig antwortete: „Okay, I sit with you“, sich auf seinen Schoss setzte und ihn informierte: „You buy me ladydrink!“ Gehorsam bestellte Martin das Glas mit einem gefärbten Irgendetwas, für das er später 90 Baht zu bezahlen hatte, wovon das Mädchen 20 Baht Kommission erhielt. Die Mischung der Ladydrinks als auch die Höhe der Preise und der Kommissionen sind an allen Bars leicht unterschiedlich, da aber alle Ladydrinks immer nach Kommission schmecken, sind sie bei den ,Ladies‘ äusserst beliebt.



Zweiter Teil:

Als die Mädchen sahen, dass Martin bereits in Besitz genommen wurde und einen Ladydrink bestellt hatte, stürzten sie sich jetzt auf Knut. Nachdem die üblichen Fragen nach Herkunft, Ehestand, Kindern, Hotel und Aufenthaltsdauer beantwortet waren, hatten die Mädchen die Ladydrinks auch schon ausgetrunken und wollten neue haben. Einfach-heitshalber forderten sie, dass die Männer die Glocke läuten sollten, um dann gleich eine ganze Barrunde für die neunzehn Ladies ausgeben zu dürfen.

Martin und Knut hatten schnell begriffen, dass es hier nur darum ging, ihnen möglichst schnell möglichst viel Geld abzunehmen. Sie waren inzwischen informiert worden, dass sie ein Mädchen für 200 Baht ,auslösen‘ und ins Hotel mitnehmen konnten. Was sie dann mit den Mädchen machten, hing von deren Einverständnis ab. Normalerweise erhielten die Mädchen dann 500 Baht, gleichgültig, ob sie nur den Abend, die Nacht oder bis zum nächsten Nachmittag blieben. Diese Information reichte ihnen, um sich nach einer anderen Bar umzusehen, in der es etwas ruhiger und gemütlicher zuging.

Die Bar, an die sie sich nun setzten, hatte keine Schlepperschar von Mädchen und sie wurden freundlich empfangen. Mit dem Bier wurden ihnen Erdnüsse gebracht und einige Mädchen setzten sich ihnen gegenüber an die Theke, um zu erfahren, wo sie herkommen, ob sie verheiratet sind, wie lange sie bleiben, in welchem Hotel sie wohnen, etc. Schliesslich wollten sie ja wissen, ob diese beiden Gäste potentielle Kunden sind. Aber sie wurden nicht aufgefordert, Ladydrinks zu spendieren, ja noch nicht einmal gefragt, ob sie ein Mädchen mitnehmen wollten.

Während einer etwas holperigen Unterhaltung auf Englisch wurden einige Spiele unter der Theke hervorgeholt und damit verlief die Unterhaltung dann etwas einfacher. Sie blieben fast zwei Stunden, bis Knut ein Mädchen namens Wira auslöste, mit dem sie sich später an eine andere Bar setzten, denn Martin meinte, wenn er schon einmal in Pattaya ist, dann müsste er ja nicht unbedingt alleine schlafen gehen und er hatte noch kein Mädchen gefunden, für das er sich interessieren konnte.

Nur etwa fünfzig Meter weiter setzten sie sich an eine Bar, die einen vernünftigen Eindruck machte. Knut’s Wira empfahl ihnen, einmal ein Singha-Bier zu probieren, das hier am meisten getrunken wird und bestellte sich selbst einen Orangensaft. Auch hier wurden ihnen wieder Spiele vorgelegt, mit denen sie sich einige Zeit vergnügten, bis Martin es vorzog, sich mit einem Mädchen zu unterhalten, das ihn interessierte. Nach einiger Zeit war er verwundert, dass das niedliche Mädchen aus der Provinz Chaiyaphum ,Muu‘ hiess, ,Schwein‘. Man hatte hier wohl etwas andere Vorstellungen von wohlklingenden Namen, aber er meinte, Ignaz, Kunigunde oder Klothilde wären wohl auch nicht viel schöner.

Es war etwa zwischen 22 Uhr und Mitternacht, als die Bars die meisten Kunden hatten und die Musik am lautesten dröhnte. Kurz nach Mitternacht verliessen Martin und Knut die Bar, um mit ihren Ladies ins Hotel zu gehen. Sie vereinbarten, dass sie sich gegen neun Uhr wieder zum Frühstück treffen wollten.

Am Morgen tauschten sie dann ihre Erfahrungen aus. Während Martin strahlend mit seinem ,Schweinchen‘ im Arm erschien, war Knut äusserst unzufrieden. Das mochte teilweise daran liegen, dass er noch das Bild seiner Superfrau Clarissa vor Augen hatte, andererseits beklagte er sich aber auch darüber, dass Wira ihm am Abend in der Bar zwar viele geschäftliche Ratschläge gab, sich aber auch im Bett rein geschäftsmässig verhalten hatte. Während er erwartete und auch fest überzeugt war, dass sie in heisser Liebe zu ihm entbrannt sei, glaubte er an eine heisse Liebesnacht, doch sie hatte ihm nur ihren stocksteifen Körper zur Verfügung gestellt und das mochte er nicht. Martin hatte nichts erwartet; er erzählte begeistert, dass Muu zwar etwas hilflos und unerfahren gewirkt hatte, aber schliesslich sogar zärtlich geworden war. Er war voll zufrieden und wollte sie als seine Begleiterin behalten, während Knut seiner Wira nach dem Frühstück fünfhundert Baht gab und ihr vage erklärte, dass man sich am Abend vielleicht wiedersehen würde.

Strand, Restaurant, das Schwimmbad im Hotel und ein Restaurant zum Abendessen waren die Höhepunkte des Tages, bis es wieder Zeit wurde, in eine Bar zu gehen. Etwas enttäuscht hatten sie in Erfahrung gebracht, dass es ausser einigen Ausflügen und verschiedenen Einkaufszentren keine nennenswerten Möglichkeiten für unterhaltsame Unternehmungen gab. Einige Ausflüge wollten sie unternehmen, wenn Knut wieder eine passende Begleitung gefunden hatte, was sich aber wohl wegen seiner hohen Ansprüche etwas schwierig gestaltete. Da ihn ja eine bildhübsche, zwanzigjährige Krankenschwester kennenlernen wollte, die Deutsch und Englisch sprach, suchte er jetzt in verschiedenen Bars nach einem vergleichbaren Mädchen.

Als er nach mehreren Stunden keinerlei Erfolgsaussichten sah, nahm er eine bildhübsche Neunzehnjährige mit, die zwar keine Fremdsprache beherrschte, dafür aber bewies, dass sie ihr Aussehen sehr geschickt zu vermarkten verstand. Ladydrinks, Toilettengeld und fünfzig Baht für einen Teller Reis waren die Einleitung. Martin meinte boshaft: „Die ist wie ein Automat, in den Du Geld ‘reinsteckst, ohne dass etwas herauskommt. Bei der musst Du wohl erst einmal oben richtig klopfen oder unten gegentreten, damit etwas geschieht.“ Knut war völlig verständnislos, wo sie doch so schön aussah.

Es dauerte nicht mehr lange, bis sie gemeinsam mit Knut’s Errungenschaft ins Hotel gingen. Hatte er sich noch auf die gemeinsame Nacht im Hotel gefreut, so änderte sich das, als sie sein Hotelzimmer betraten. Statt sich auszuziehen, erzählte das hübsche Kind ihm mit einigen Brocken Englisch eine herzzerreissende Leidensgeschichte: Die Grossmutter lag sterbenskrank im Krankenhaus und musste operiert werden; der Vater war vor Gram gestorben und musste dringend beerdigt werden; die Mutter war nun arbeitslos, hatte die Felder an eine Bank verpfändet und konnte den Kredit nicht zurückzahlen; der Bruder hatte einen Motorradunfall gehabt und brauchte jetzt dringend Geld für ein neues Motorrad, um weiter zur Schule gehen zu können.

Gewürzt wurde die Leidensgeschichte mit den dezenten Hinweisen, dass er doch ein westlicher Ausländer, ein ,Farang‘, ist und folglich unendlich reich, weshalb er ihr doch mühelos durch die Bezahlung dieser Kleinigkeiten helfen kann und ihre einzige Rettung ist. Sicher wäre die tragische Geschichte auch noch lange fortgesetzt worden, hätte Knut das lange Leiden nicht abgebrochen, indem er erklärte, dass er nicht arbeiten geht, um ihre Familie zu retten. Enttäuscht wandte sich das Mädchen von Knut ab, bezeichnete ihn als herzlos und geizig, erklärte ihm, dass sie mit solch einem schlechten Menschen nicht ins Bett gehen kann und dass er ihr jetzt ihre fünfhundert Baht geben soll, damit sie wieder in die Bar gehen kann, um das Geld für ihre Familie zu verdienen. Knut’s Hinweis, dass er nicht von der Caritas nach Pattaya geschickt worden sei, um Geld zu verteilen, sondern vielmehr gekommen ist, um sich zu ver-gnügen und dass er nur für das Vergnügen bezahlt, führte zu einem lauten Geschrei der Lady. Da auch dies keine Einkünfte erbrachte und Knut zum Telefon griff und mit dem Hauspersonal drohte, verliess sie schliesslich das Zimmer und donnerte die Tür hinter sich zu.

Gut ausgeschlafen, aber mit mürrischem Gesicht traf er Martin am nächsten Morgen beim Frühstück. Der hielt sein ,Schweinchen‘ im Arm, erzählte ihm amüsiert, wie das Mädchen in der Badewanne gestanden hat, um mit einer Schüssel das Wasser von der Dusche aufzufangen, um es sich anschliessend über den Kopf zu schütten. Noch mehr aber amüsierte er sich über Knut’s Erlebnisbericht und meinte: „Wenn sie genug dumme Ausländer findet, die ihr aus Mitleid ihre Geschichten abkaufen, verdient sie damit besser, als wenn sie mit ihnen ins Bett geht.“

Knut wollte sich mit Martin am Abend zum Essen treffen und ging an diesem Tag alleine aus. Am frühen Nachmittag hielt ein Mädchen sein Motorrad neben ihm auf der Strasse und beteuerte, dass es so einsam sei, aber ein schönes Apartment bewohnt, in dem man viele glückliche Stunden gemeinsam verbringen kann. Schon im Vorbeifahren hatte das Mädchen gesehen, dass er ein guter Mensch ist und eine stattliche Figur hat, deshalb hat es angehalten und bittet ihn, mit ihm mitzukommen, völlig kostenlos natürlich, denn es ist ja schliesslich kein Barmädchen, sagte es.

Knut musste lachen. Man musste die Ausländer schon für sehr dumm halten, denn es war klar, dass das Mädchen nicht auf die Bremse trat, weil es schon an seiner Rückseite im Vorbeifahren gesehen hat, dass er so ein guter Mensch ist, dass es mit ihm unbedingt ins Bett gehen musste. Es war klar, dass das Mädchen irgendetwas von ihm wollte, unklar war aber, ob es nur einen Kunden suchte, der ihm dann fünfhundert Baht gab, ob er in einen Raum geführt wurde, wo vielleicht ein halbes Dutzend Männer mit einnehmendem Wesen auf ihn wartete oder ob er sich vielleicht nach einem anregenden Getränk irgendwo bewusstlos ohne Brieftasche, Uhr und Frau wiederfinden würde.

Da das Mädchen ihm völlig fremd war und er weder seinen Namen kannte, noch sagen konnte, wo es arbeitete oder wohnte, war ihm die Sache zu unsicher, ganz abgesehen davon, dass es ihm nicht reichte, ein hübsches Gesicht zu sehen, um sofort an ein Rendezvous im Doppelbett zu denken. Er wusste ja noch nicht einmal, ob es überhaupt eine Frau war oder vielleicht ein ,Kathoey‘, ein Transvestit, was bei den sehr grossen Händen und der relativ tiefen Stimme, die ihn angesprochen hatte, nicht auszuschliessen war. Von den Transvestiten gab es mehrere in Pattaya, die hier auf verschiedenste Weise ihren Lebensunterhalt bestritten.

Am Strand wurde er zwei weitere Male angesprochen, weil man auch dort im Vorbeigehen erkannt hatte, was für ein guter Mensch er ist. So war er froh, als er an einer kleinen Bar vorbeikam, in der einige Mädchen eine private Party feierten und zu thailändischer Musik tanzten. Als er vorbeiging, riefen sie ihn und jubelten, als er sich an die Bar setzte. Als er ein Bier bestellt hatte, kam schon ein Mädchen und brachte ihm ein Begrüssungsgetränk von der tanzenden Geburtstagsgruppe.

Während er das Glas trank, jubelten ihm alle Mädchen zu. Es war Lao Kao, ein sehr billiger, penetrant schmeckender einheimischer Reisschnaps, der aber seine Wirkung nicht verfehlt, was man leider oft erst am nächsten Morgen merkt. Um nicht noch ein weiteres Glas Lao Kao trinken zu müssen, spendierte er eine Flasche Mekong, der aus Reis gebrannt wird, und war fortan im Kreise der leicht beschwipsten Mädchen mit aufgenommen, von denen drei genug Englisch sprachen, dass er sich mit ihnen unterhalten konnte. Dazu gehörte auch das Geburtstagskind, das einen Kranz mit bunten Blumen und Geldscheinen trug, die von den Gratulanten spendiert wurden, um dann mit einem kleinen Klammerapparat am Kranz befestigt zu werden. Dies soll zeigen, wieviel das Geburtstagkind seinen Gratulanten wert ist und weitere Gäste dazu anregen, Ihre Wertschätzung zählbar zum Ausdruck zu bringen. Knut spendierte einhundert Baht, die auch sofort angeklammert wurden.




Dritter Teil:

Die tanzenden Mädchen und die gute Stimmung hatten es Knut angetan. Während er seinen ,Johnny Walker‘ trank, wurde ihm zwischendurch immer wieder ein Glas Mekong auf Einladung der Geburtstagsparty hingeschoben, worauf er dann unter allgemeinem Jubel bald eine zweite Flasche spendierte. Er empfand es als sehr angenehm, dass mit dem Beginn der Abendschicht immer mehr Mädchen kamen. Das Treiben wurde immer lustiger und ihm fiel noch nicht einmal auf, dass auch die Musik immer lauter wurde und ihm die verschiedensten Getränke zugeschoben wurden. Die Stimmung wuchs proportional zu seinem Alkoholpegel, der dafür Sorge trug, dass er sich an den wohl lustigsten Teil des Abends gar nicht mehr recht erinnern konnte.

Das war am nächsten Vormittag, als er sich wiederholt bemühte, seine schweren Augenlider zu heben. Selbst der Anblick eines hübschen Mädchens, das ausgestreckt neben ihm lag, vermochte seine Anstrengungen nicht zu unterstützen und es dauerte noch zwei Stunden, bis er genug Kraft gesammelt hatte, um seinen Kopf zu heben und die Fremde zu begrüssen. Er war sich sicher, diese Frau noch nie gesehen zu haben, weshalb er sie zum Frühstück mitnahm, um sie näher kennenzulernen.

Martin wollte den Frühstücksraum schon verlassen, als Knut sich mit seiner Begleiterin in den Raum tastete und zu ihm an den Tisch setzte. Zum Frühstück bestellte er sich eine Tasse Kaffee und zwei Aspirin, was ihn aber nicht daran hinderte, sich nach der Lagebesprechung mit Martin auf den Abend zu verabreden und sich in seine Gemächer zurückzuziehen. Seine Begleiterin war zwar ganz nett, sprach aber weder Deutsch noch Englisch und so verabschiedete er sie mit einem 500 Baht-Schein.

Am Abend trafen sich Knut und Martin, der seine ,Muu‘ mitgenommen hatte, in einem deutschen Restaurant und gingen anschliessend in die Bar, in der Martin am vergangenen Tag gewesen war, was ihn mehrere dunkelrote Scheine als auch eine grössere Anzahl grauer Hirnzellen gekostet hatte. Seine Annahme, nun aufgrund der gemeinsam erlebten Party als alter Freund begrüsst zu werden, stellte sich als Irrtum heraus; er wurde mit einem vornehmen Desinteresse zur Kenntnis genommen, als hätte man ihn noch nie gesehen.

Sie kamen mit einem Schweizer ins Gespräch, der schon seit längerer Zeit in Thailand lebte und aus seinem Erfahrungsschatz plauderte. Als Knut von seiner Clarissa erzählte, die er kennenlernen sollte, meinte der nur, es sei gut, dass Knut sich vorher in Pattaya umsehen wollte. Im übrigen habe er noch keine zwanzigjährige Krankenschwester getroffen, die Deutsch und Englisch spricht und einen Ausländer heiraten will. Die Mädchen, die in Pattaya eine Fremdsprache sprechen, haben sie im Bett gelernt und grundsätzlich wollen alle Frauen, die einen Mann heiraten, den sie gar nicht kennen, nicht diesen Mann, sondern Geld, viel Geld. Was würdest Du denn suchen, wenn Du einen Menschen heiratest, den Du nicht kennst?“

„Ich hab’ ja ein Bild von ihr und ich wollte sie mir ja auch erst angucken“, meinte Knut, der glaubte, sich verteidigen zu müssen und gleichzeitig zeigte, dass er nicht sonderlich daran interessiert ist, sich in eine Frau hineinzuversetzen. Der Schweizer meinte darauf nur, dass Clarissa kein thailändischer Name sei, dass er sie sehr gründlich anschauen sollte und dann wechselte er das Thema.

Der Abend war sehr informativ gewesen und er nahm sich vor, die Worte des Schweizers und auch seine Clarissa zu überprüfen. Am Abend nahm er ein hübsches Mädchen aus der Bar mit, das er im Hotel gleich fragte, ob es ihn liebt. Das Mädchen drückte sich an ihn und sagte: „You velly good man, I love you too much!“ Na, also, was wollte der Schweizer denn überhaupt? Die letzten zwei Frauen hatte ihn auch geliebt und wenn ihn hier jede Frau gleich beim ersten Kennenlernen liebt, dann hätte er ja wohl die Möglichkeit, die passende Frau auszusuchen, und warum nicht eine Schönheit, die Deutsch und Englisch spricht?“

Die nächsten Tage zogen in einem gemütlichen Urlaubstempo dahin und man bewegte sich zwischen Hotel, Strand, Restaurant und Bars. Nach einer Woche sagte Muu, ihre Tochter sei krank und sie müsste sofort nach Chaiyaphum fahren. Martin erschütterte das nicht sehr; er blieb eine Nacht alleine und fand am nächsten Tag ein anderes Mädchen, Naa, das er ins Hotel mitnahm. Naa war schon über dreissig, sie war schlank und ruhig und kam, wie die meisten Mädchen, aus einer Provinz im Isan, dem armen Nordosten Thailands. Sie tat, was Martin wollte und das reichte ihm. Er hatte eine nette Begleiterin und stellte sonst auch keine weiteren Ansprüche.

Am nächsten Tag kamen sie in einem Restaurant mit einer Gruppe von Deutschen ins Gespräch, die schon öfter in Pattaya gewesen waren und sich auskannten. Sie hörten verschiedene Meinungen und erhielten unterschiedliche Informationen. Die Frauen kommen nach Pattaya, weil sie zu faul zum Arbeiten sind und hier das schnelle Geld suchen, meinte der Eine. Der Zweite meinte, dass sie nur geil auf die stattlichen grossen Ausländer sind, weshalb sie grundsätzlich mit jedem Ausländer mitgehen und dass die thailändischen Männer nichts taugen, während ein Dritter sagte, dass sie so erzogen werden, dass sie ihre Eltern und Grosseltern ernähren müssen, wenn sie gross werden. Darüber stritten sie sich dann eine Weile, bis sie sich darauf einigten, dass die Frauen, die nach Pattaya kommen, nur vier Jahre oder oft auch gar nicht in die Schule gegangen sind, keine Berufsausbildung haben und zuhause uneheliche Kinder zu ernähren haben.

Das haben sie alles in Pattaya erfahren. In der Provinz waren sie nicht, weil da nichts los ist, aber zwei von ihnen waren schon einmal in Phuket gewesen und einer sogar in Chieng Mai. Die Informationen hatten sie von Ausländern, die schon öfter hier gewesen waren und dann hatten sie das ja auch bei den Frauen erlebt, die sie selbst kennengelernt hatten. Die waren alle dumm und konnten noch nicht einmal richtig Englisch sprechen, so dass sie nicht einmal richtig mit den Frauen sprechen konnten. Die machten alles falsch und wollten nur Geld haben. Auf den Gedanken, dass die Frauen alle eine andere Vergangenheit und eine andere Geschichte haben und dass sie alle anders sind, waren sie dabei nicht gekommen.

Selbst Martin und Knut meinten, dass diese Ansicht etwas zu einfach ist und während Knut sich zwar nicht sehr für die Frauen interessiert hatte, die er mit ins Bett nahm, meinte er doch, dass sie in ihrem Verhalten als auch von der Bildung und der Auffassungsgabe her sehr unterschiedlich gewesen waren.

Martin erfuhr daraufhin von seiner Naa, dass sie drei Kinder hat und mit ihrem Mann in einer Kleinstadt gelebt hat. Als der eines Tages mit einer anderen Frau verschwand, war ihr gar nichts anderes übrig geblieben, als die Kinder zur Schwester nach Bangkok zu bringen und das nötige Geld zum Leben und für den Unterhalt ihrer Kinder an einer Bar zu verdienen. Sie meinte, sie hätte die Kinder auch zu ihren Eltern aufs Dorf bringen können. Das wäre sicher billiger gewesen, aber dort hätten ihre Kinder keine Chancen, Freunde zu finden und eine vernünftige Ausbildung zu erhalten. Sie hätten dann sicherlich auch das Dorf verlassen, wenn sie grösser wurden und dann sei es besser, wenn sie gleich in die Stadt kämen, eine bessere Schule besuchten und lernten, sich dort zurechtzufinden, um sich ein eigenes Leben aufzubauen, was in einem kleinen Dorf kaum noch möglich sei.

Nein, reich werden kann man in Pattaya nicht, meinte sie und erklärte, dass das nur hin und wieder einmal bei einer sehr schönen jungen Frau vorkommt, die sehr gerissen ist und einen reichen Farang findet, der ihr die Möglichkeit gibt, ihn auszunehmen. Ein durchschnittliches Einkommen kann sie nicht angeben, weil das sehr unterschiedlich ist. Sie ist schon nicht mehr die Jüngste und wird deshalb nicht so oft mitgenommen. Im vergangenen Monat hat sie zusammen mit ihrem Monatslohn nur etwas über fünftausend Baht eingenommen. Das reicht gerade für ihren eigenen Lebensunterhalt und für den der Kinder. Aber bei jeder anderen Arbeit würde sie vielleicht noch nicht einmal die Hälfte bekommen, was einfach nicht reicht.

Knut hatte sich mit seinen Damen nicht so intensiv beschäftigt. Er meinte, sie kämen für ihn als Ehefrauen doch nicht inbetracht, und dann brauchte er sich auch nicht für ihr Leben zu interessieren. Es reichte ihm, wenn sie hübsch sind und das tun, was er von ihnen verlangt. Auf Martins Frage, wie er sich eigentlich eine Ehefrau vorstellt, machte er erst grosse Augen, aber dann antwortete er nach einer Weile: „Eigentlich reicht mir eine Frau, die immer in meiner Nähe ist, wenn ich sie brauche, die sexy ist, vernünftig kochen kann, mich verwöhnt und mich nicht stört oder mit irgendwelchen Problemen oder Ansprüchen ankommt. Mehr brauch’ ich gar nicht“.

„Na, da müssten die Frauen bei Dir ja eigentlich Schlange stehen“, meinte Martin, was Knut bestätigte, weil er den Spott nicht bemerkt hatte und dann erklärte: „Das Schlimme ist, dass sie sich alle so schnell verändern, wenn man erst einmal mit ihnen zusammen wohnt. Das liegt nur daran, dass die Frauen in Europa alle überkandidelt sind und nichts als ihre Emanzipation im Kopf haben. Hier sind die Frauen noch völlig problemlos.“ Martins Einwand, dass sich das ausserhalb der Urlaubszeit schnell ändern kann, liess Knut nicht gelten: „Du musst Dir nur eine Schönheit aussuchen, die Köpfchen hat und gelehrig ist, dann wird sie Dir auch nicht langweilig“, belehrte er Martin.

Martin wollte erst fragen, wie lange es denn dauert, bis er seiner Schönheit mit Köpfchen langweilig wird, aber stattdessen schlug er vor, dass sie dann besser in eine Bar gehen, damit Knut sich mit der Suche nach seiner Schönheit beschäftigen kann, was der auch sofort tat, indem er die Aufreizendste der versammelten Damen neben sich beorderte. Doch als sie ihm zur Begrüssung zwischen die Beide griff und laut lachend sagte, da wär‘ ja gar nichts, zog er es bald vor, seine Schönheit für die heutige Nacht an einer anderen Bar zu suchen. Hier wurden sie Zeuge eines Streitgespräches zwischen einem Deutschen, der mit einer Thailänderin verheiratet war und zwei weiteren, die sich über die Dummheit und die Schlechtigkeit der thailändischen Barmädchen ausliessen.

„Die ha’m alle nur Stroh im Kopp und suchen Ausländer, die sie ausnehmen oder beklauen können. Für Geld tun die doch alles“, meinte einer der Beiden, worauf der Erste sagte: „Sicher haben die meisten nichts gelernt, aber deswegen sind sie nicht dumm; sie haben nur nie eine Chance gehabt, etwas zu lernen. Und dann verdienen sie auf dem Land vielleicht 50 Baht am Tag, wenn sie Glück haben und Arbeit finden. Viele haben Eltern oder Kinder, die sie versorgen müssen und dann reicht das Geld selbst dann nicht, wenn sie Arbeit finden. Natürlich kommen sie nach Pattaya, um Geld zu verdienen oder um versorgt zu werden. Aber abgesehen von einer Anzahl von Frauen, die wirklich nur Geld machen wollen, sind sie auch bereit, etwas dafür zu geben.

Wenn sie mit einem Ausländer leben, dann muss der auch in der Lage sein, sie zu versorgen, sonst können sie nicht mit ihm leben. Aber dann versuchen sie, das Beste aus ihrer Situation zu machen, und versuchen wirklich, für ihn da zu sein. Dann kommt es darauf an, wie der Mann sich verhält und ob man mit ihm leben kann. Wenn das nicht geht, dann versuchen sie, aus ihm so viel Geld herauszuholen, dass sie ihn möglichst bald nicht mehr brauchen und suchen das Weite. Das Problem liegt da, dass man sich eine Frau suchen muss, mit der man zurechtkommen kann. Ihr geht doch auch zuhause nicht los und holt Euch die erstbeste Frau ins Haus, nur, weil sie etwas hübsch aussieht. Man muss doch auch zusammenpassen.“



Vierter Teil:

Aber die Beiden sahen das gar nicht so: „In Deutschland ist das was Anderes, aber hier müssen die Frauen ihren Mann lieben, weil sie sonst nichts zu fressen haben“, meinte einer von ihnen und wird wohl nie verstehen, dass eine Frau einen Mann nicht liebt, nur weil sie muss. Ganz abgesehen davon ist es nur selten einmal die grosse Liebe, die Partnerschaften formt, sondern wenn schon nicht erwartete Vorteile, dann sind es doch eher Sympathie, Gemeinsamkeit oder später auch einfach Gewohnheit, was die Partnerschaften ausmacht. Dagegen sind es Erwartungen, die die Partnerschaften zerstören. Aber damit muss jeder selbst fertig werden.

Knut tat dies, indem er ein blutjunges Mädchen aussuchte, das besonders schlank war und einen extrem kurzen Minirock trug. Er wollte diese Frau im Hotel wieder mit der erwarteten Clarissa vergleichen, obwohl ihm jetzt schon klar war, dass sie kein Englisch und kein Deutsch sprach und dass er sie folglich als minderwertig bezeichnen musste. Es wäre sehr umständlich, mit einer Frau in Deutschland zu leben, die kein Deutsch sprach. Aber er würde zumindest die Körperfunktionen, die Liebe, vergleichen können, was für ihn das Wichtigste an einer Frau war.

Endlich waren die zwei Wochen vergangen, die Knut sich in Pattaya umgesehen hatte, bevor er seine Clarissa treffen wollte. Nach einem netten Abend, den er noch zusammen mit Martin verbrachte, ging er in froher Erwartung alleine ins Hotel, das er am nächsten Tag mit seinen Koffern verliess. Die Frauen, die er kennengelernt hatte, waren zwar alle sehr hübsch und gehorsam gewesen, aber der Bildungsmangel und vor allen Dingen die Sprachbarriere hatten ihn doch sehr gestört, so dass er seine Clarissa immer noch als seine Favoritin bezeichnen musste. Er gab einem Taxifahrer die Adresse des ,Lover’s Hope Hotel‘, das ausserhalb Pattayas gelegen war. Nach einer Fahrt von etwa vierzig Minuten entpuppte sich das Hotel als ein kleineres, im Grünen gelegenes Guesthouse, das vielleicht sechs Zimmer hatte und trotz frischer Farbe etwas heruntergekommen aussah.

Als er sich meldete und seine Papiere vorlegte, zeigte man ihm sein Zimmer und meinte, er sei etwas früh dran, Clarissa sei noch nicht gekommen. Knut sah sich im Zimmer um. Es hatte einen schönen Ausblick, ein Doppelbett, einen Schrank, einen Nachttisch, sah schmuddelig aus und war sehr eng. Nachdem Knut sich eine Weile aufs Bett gelegt hatte, ging er zum Essen in den Gastraum, denn er hatte ja Vollpension bezahlt. Es gab gedämpften Reis mit etwas Huhn und Gurke. Knut war der einzige Gast und ging nach dem Essen und einer Flasche Chang-Bier für achtzig Baht wieder auf sein Zimmer, um auf Clarissa zu warten, die ja bald kommen musste. Es hielt ihn aber nicht lange auf dem Zimmer und so unternahm er einen Spaziergang durch die Einöde, ohne einem Menschen zu begegnen. Dann ging er wieder auf sein Zimmer und wartete.

Abends ging Knut wieder in die Gaststube und bestellte sich seinen ,Johnny Walker‘, der hier aber nach sehr viel Cola und etwas billigem Fusel schmeckte. Clarissa war noch nicht gekommen. Zum Essen gab es gebratenen Reis mit etwas Huhn und Tomate. Er wusste, dass dasselbe Essen an den Strassenständen zwanzig bis dreissig Baht kostete und in kleineren Restaurants mit mehr Huhn und Beilagen etwa sechzig Baht. Bei den fünfzig Euro, rund 2.500 Baht, die er hier für einen Tag Vollpension und das schmuddelige Zimmer mit Ventilator bezahlte, eine glatte Unverschämtheit. Aber er wartete ja auf seine Clarissa, die es in seinem Luxushotel nicht gegeben hatte.

Nach und nach erschienen einige Mädchen, die sich in einer Ecke zusammensetzten. Als der Wirt hinter der Theke stand, bestellte er noch ein Glas ,Johnny Walker‘. Der Wirt schüttete ein Glas voll und stellte es an den vorderen Rand der Theke. Dann nahm er eine andere Flasche ,Johnny Walker‘ unter der Theke hervor, schüttete es voll und stellte es auf seine Seite. Dann machte er sich unter der Theke zu schaffen, was Knut für eine gute Gelegenheit hielt, sein Glas abzuholen. Dabei tauschte er die beiden Gläser schnell um.

Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, erschienen zwei Deutsche, die ihn begrüssten und sich an seinen Tisch setzten. Der Wirt nahm sein Glas und setzte sich dazu. Als er einen Schluck aus seinem Glas nahm, stutzte er und sah auf Knut’s Glas. Dann stand er auf und sagte, er hätte heute einen schlechten Tag gehabt und brauchte etwas Stärkeres. Das goss er sich aus der Flasche ein, die unter der Theke stand.

Die beiden Fremden wunderten sich indessen laut, dass heute so wenig Betrieb sei, wo der Laden abends doch sonst immer brechend voll sei. Der Wirt beruhigte sie und meinte, es sei noch früh am Abend und die anderen Gäste würden bestimmt noch kommen. Er rief die Mädchen und sagte, sie sollten sich zu ihnen an den Tisch setzen. Dabei sagte er zu Knut, dass Clarissa wahrscheinlich nicht am späten Abend, sondern erst am nächsten Tag kommt und dass er sich ja inzwischen mit einem dieser Mädchen vergnügen kann. Aber Knut war vorsichtig, er wollte vermeiden, dass ihn seine Clarissa gleich beim ersten Treffen mit einer anderen Frau im Arm vorfand. Die Entscheidung fiel ihm nicht sehr schwer, denn obwohl die Mädchen ganz niedlich aussahen, konnte es doch keine an Schönheit mit seiner Clarissa aufnehmen und ausserdem war keine darunter, die Deutsch oder Englisch gelernt hatte.

Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass Knut wirklich direkt vom Flughafen gekommen ist, erklärten Sie ihm Pattaya, wie gut man dort leben kann und wie leicht man als Ausländer in Pattaya Geld verdienen kann. Man brauchte nur als Partner in eine Bar einzusteigen und hatte den Himmel auf Erden. Die Bars seien alle brechend voll und könnten der Nachfrage der Gäste gar nicht nachkommen. Selbstverständlich brauchte er als Ausländer nicht zu arbeiten; das würden alles die Mädchen machen, von denen er ständig eine Auswahl um sich herum haben würde, denen er alles befehlen kann, was er will, ja, auch mit ihm ins Bett zu gehen. Mit so einer Bar hat er immer ein sprudelndes Leben um sich und kann sozusagen inmitten seines Haarems eine Unmenge Geld verdienen und auf grossem Fusse leben.

Auf die Frage, warum sie denn nicht Teilhaber einer solchen Bar werden, meinte einer, dass er dafür nicht genug Geld hat, der andere war schlagfertiger und sagte, dass er eine Bar hat und heute nur mit seinem Freund durch die Gegend zieht, um etwas Ruhe zu finden, während seine Bar auch ohne ihn läuft, was seine beiden Kumpels begeistert bestätigten. Der Inhaber des Hotels bestätigte noch einmal, dass bei ihm auch immer ,die Bude voll‘ sei und er heute froh sei, ausnahmsweise einmal seine Ruhe zu haben.

Das Gespräch hatte den Vorteil, dass seine Gläser einen grösseren Alkoholgehalt bekamen und es dauerte auch nicht mehr lange, bis seine neuen Freunde sich sogar bereit erklärten, ihm Bars zu zeigen, an denen er sich noch beteiligen könnte. Als Knut erklärte, er hätte eigentlich nicht vorgehabt, nach Thailand auszuwandern, meinten sie, dass das auch gar nicht nötig ist, er braucht sich nur zu beteiligen, dann würde man ihm die Gewinne nach Deutschland überweisen und er hätte hier immer seinen idealen Urlaubsort.

Später kamen noch zwei Ausländer, die sich dazusetzten und ihm später ebenfalls Beteiligungen, aber auch Häuser zum Kauf anboten, spottbillig, schon ab zwei Millionen aufwärts. Und auch sie lobten Pattaya, das schöne Leben und insbesondere die guten Verdienstmöglichkeiten von Ausländern in den grellsten Farben.

Der Abend wurde lang und teuer. Clarissa war nicht mehr erschienen und so war es schon einige Zeit nach Mitternacht, als Knut sich entschloss, schlafen zu gehen. Damit das nicht so langweilig wurde, nahm er doch noch eines der Mädchen mit, denn Clarissa würde sicher nicht nach Mitternacht kommen, um ihn dann noch in seinem Zimmer zu begrüssen. Es dauerte nicht sehr lange, bis er einschlief, aber dann wurde er noch einige Male durch das Telefon geweckt, das unten laut in der leeren Halle schrillte. Knut überlegte, dass es sicherlich Anrufe aus Europa waren, von Leuten, die nicht daran gedacht hatten, dass die Zeit in Thailand der europäischen Zeit um sechs Stunden voraus war.

Am nächsten Vormittag fühlte Knut sich gar nicht mehr wohl. Das Frühstück bestand aus zwei Scheiben Toastbrot mit Marmelade und einem Spiegelei. Das Mädchen verlangte von ihm eintausend Baht für die Nacht und man versicherte ihm, in Pattaya sei das noch viel teurer. Der Teller Reissuppe, die es gegessen hatte, wurde mit 180 Baht berechnet und das Glas Wasser mit weiteren 30 Baht. Dann kamen seine Bekannten vom vergangenen Abend und meinten, der Abend sei so schön gewesen, dass sie einen ganzen Tag mit ihm verbringen wollten. Bei dieser Gelegenheit wollten sie ihm auch gleich die Investitionsobjekte zeigen, vor allen Dingen die Bars, an denen er eine Teilhaberschaft kaufen konnte.

Während des Gespräches kam der Inhaber des Hotels und sagte, Clarissa habe gerade angerufen. Ihre Mutter sei schwer erkrankt und sie könne erst in fünf Tagen kommen. Ein Telefon hatte Knut allerdings nicht gehört. Bald darauf hielt ein Taxi vor dem Haus, dem ein älterer Mann mit einem Koffer und einem Blumenstrauss entstieg. Er hatte sein Flugzeug verpasst, kam einen Tag zu spät und fragte deshalb sofort nach seiner Amanda, die aber noch nicht angekommen war, weil ihre Mutter erkrankt sei; sie würde später kommen.

Kurz entschlossen rief er den Taxifahrer, der gerade abfahren wollte, erklärte seinen Bekannten, dass er dringend zu einer Bank muss und fuhr ab. Ihm war klar geworden, dass das ganze Unternehmen darauf abgestimmt war, Leute auszunehmen und dass es seine Clarissa gar nicht gab. Als ihm dies klar wurde, war ihm auch sehr mulmig geworden, denn bei seinem Spaziergang am vergangenen Tag hatte er keinen Menschen, kein Gebäude und keinen Taxistand gesehen. Er hatte Angst bekommen, hier festzuhängen und dem Unternehmen hilflos ausgeliefert zu sein. So war ihm das Taxi als ein günstiger Schicksalswink erschienen. Er würde sich mit Martin besprechen und später seine Sachen abholen.

Martin sass mit seiner Freundin am Schwimmbad des Hotels. Er war erstaunt, Knut so schnell und alleine wiederzusehen. Dann hörte er sich dessen Bericht an und meinte, damit habe er nicht gerechnet. Aber er habe es wohl für eine Schnapsidee gehalten, ein junges Mädchen zu heiraten, nur weil es besonders hübsch aussieht. „Die haben doch noch ganz andere Ansprüche ans Leben, als wir, und sie haben ganz andere Interessen“, meinte er. „Die wollen quirlendes Leben um sich herum haben, sie wollen etwas erleben, verliebt sein, bewundert werden. Ausserdem musst Du einen Menschen erst einmal kennenlernen, um zu sehen, ob Du mit ihm leben kannst.“

Später holten sie Knut’s Sachen ab und er nahm sich wieder ein Zimmer in dem Hotel, in dem Martin wohnte. Das ,Lover’s Hope Hotel‘ hatte er im Voraus bezahlt, das Geld war also verloren. Einen Betrug würde er nicht beweisen können und ansonsten war es eben nur ,etwas sehr teuer‘, aber damit war er ja einverstanden gewesen, weil er die Preise in Pattaya nicht kannte.

Sie verbrachten ihren restlichen Urlaub wie zuvor; Martin mit seiner Urlaubsfreundin Naa und Knut mit täglich wechselnden Damen. Bei der Abfahrt waren sie sich einig, dass sie bald wiederkommen. Martin wegen des schönen Urlaubs mit einer netten Begleitung, und Knut, um die Frau seines Lebens zu suchen. Martin meinte, die Mädchen in Pattaya seien sehr nett, wenn man sich die richtigen aussucht, und sie sind in Pattaya sehr hilfreich und nette Begleiterinnen für die Urlaubszeit. Aber sie würden genauso wenig in die deutsche Arbeitswelt passen, wie der Strand, die Palmen und die Essensstände.

Knut hingegen bleibt bei seiner Überzeugung, man muss nur eine notleidende Frau aus armen Verhältnissen finden, die selbständig ist und Köpfchen hat, damit sie ihn versorgen und seine Befehle entgegennehmen kann. Er kommt bald wieder, um eine bildschöne zwanzigjährige Krankenschwester zu suchen, die Deutsch und Englisch spricht. Vielleicht kann ihm jemand eine Adresse schicken, wo er diese Frau findet, vielleicht etwas ausserhalb von Pattaya...




von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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von Dr.G.M. Gad Labudda


Der Freund der ,Ladies‘ und der ,Farang‘ - 6 Seiten - ('Victor Schluff' in 'Treffpunkt Pattaya)

- - Die tragische Geschichte eines thailändischen Barinhabers, die man nicht ohne Grinsen genießen kann - -

Jo stammt aus einer erfolgreichen thailändischen Familie, die sich mit dem Aufschwung Pattayas nach oben schwingen ließ, denn sie hatte früh entdeckt, was zu jener Zeit noch eine Marktlücke war, nämlich Wein, Weib und Gesang. Dies anzubieten fiel der Familie nicht schwer und die Nachfrage war groß. So verbrachte Jo schon seine Jugend in dieser Atmosphäre, die ihm sehr zusagte. Es ging ihm gut, was man seiner rundlichen Figur und seinem immer strahlenden Lächeln ansah und er nahm sich vor, die Familientradition zu wahren, ein Gewerbe, in dem er sich auskannte und das ihm sicherlich viele Freuden bescheren sollte. Als er die Schule und eine lockere Jugend hinter sich hatte, heiratete er, denn dann sollte er eine eigene Bar übernehmen und es ist in einer Bar unbedingt erforderlich, jemand als gute Aufsicht für die Bedienung und vor allen Dingen für das Rechnungswesen zu haben, während er sich dank seiner Englischkenntnisse, die er frühzeitig bei vielen Gesprächen an der Bar erworben hatte, mit den Farang unterhalten konnte, die ausnahmslos seine Freunde waren und später noch lukrativ gebraucht werden sollten.

Zur Hochzeit richtete die Familie ihm eine Bar ein, so daß es ihm eigentlich an nichts fehlte. Die anderen Bars der Familie schickten ihm einige der hübscheren Mädchen, die sich im Gewerbe schon etwas auskannten und machten für ihn auch Reklame, so daß die Bar, die sich ohnehin in einer guten Geschäftslage befand, bald florierte. Mit hübschen Mädchen für jede Form der Bedienung und seiner Frau an der Kasse, für das Abrechnungswesen, den Einkauf, das Personalwesen und die Bedienung bei schwierigeren Aufträgen, wie etwa Cocktails, konnte er sich voll seinen Freunden, den Farang widmen, was er auch voller Begeisterung bis in den frühen Morgen hinein tat, auch wenn ihm die letzten Stunden nicht immer klar bewußt waren und der Erinnerung entschwanden.

Es war zweifellos auf sein eigenes Verschulden zurückzuführen, daß seine Frau schon sehr frühzeitig ausfiel; sie war mit der Geburt eines Kindes beschäftigt. Doch Jo ließ sich’s nicht verdrießen, er feierte das freudige Ereignis ausgiebig mit seinen ausländischen Gästen, die alle seine Freunde waren, was er auch jedem einzelnen Gast gern und immer wieder versicherte. Schließlich ist es eine einfache Rechnung; man brauchte jedem Freund nur hin und wieder ein Glas Mekong oder Saengthip zu spendieren, was Materialkosten von etwa sechs bis acht Baht pro Glas verursacht, um von dem guten Freund auch wieder eingeladen zu werden, was 80 Baht einbringt, abzüglich der Materialkosten für vier Gläser. Wenn man sich dann noch bevorzugt um jene Gäste kümmert, die für ein Glas, das sie erhalten, gleich zwei oder drei Gläser spendieren, so steigert sich der Gewinn beträchtlich. Dazu kamen ja auch noch die Gäste, die ein Glas ausgaben, wenn man sich mit ihnen nur unterhielt und noch nicht einmal ein Glas spendieren mußte. Hinzu kommt, daß es ungemein wichtig ist, möglichst zwei oder drei Gäste an der Bar zu haben, denn dann kommen auch andere Leute; Menschen gehen gerne dorthin, wo Menschen sind. Wenn man einen Mekong oder eine Flasche Bier alleine trinken will, so kann man das auch weit billiger zuhause tun, man geht wegen der Gesellschaft oder einer nicht definierbaren Hoffnung in eine Bar.

Die Abwesenheit seiner Frau traf Jo nicht sehr hart, denn er war ja von weiblichen Wesen umgeben, die für den persönlichen Gebrauch zu nächtlicher Zeit erwiesenermaßen geeignet waren. Doch fand Jo bald heraus, daß weit nach Mitternacht nicht nur die Anzahl der geliebten Farang abnahm, sondern auch die Anzahl der zur Verfügung liegenden Ladies, weshalb er es bald vorzog, mit den letzten Farang zum Geschäftsabschluß eines so schönen Tages noch in eine Go Go-Bar zu gehen.

Zunächst fiel es Jo unangenehm auf, daß seine Freunde ihm zwar hin und wieder ein Getränk spendierten, nicht aber hin und wieder eine Lady. Doch Jo erwies sich bald als Mann von Welt, indem er nicht nur seine Lady selbst bezahlte, sondern auch von dem System der wechselseitigen Einladungen nicht abwich. Allerdings waren hier die Ladies als auch die Getränke wesentlich teurer und der Gewinn floß nicht in seine Taschen. Zudem lernte Jo auch als Mann von Welt, daß ein solcher in einer Go Go-Bar ein weitaus höheres Ansehen hatte, wenn er sich seiner Umwelt gegenüber als spendabel zeigte. So dauerte es nicht lange, bis Jo in vielen Go Go-Bars ein gerne gesehener Gast mit denkbar hohem Ansehen wurde.

Doch man kann nicht alles haben und so mußte Jo in Kauf nehmen, daß sein Ansehen in der Familie arg darunter litt, daß seine gut laufende Bar nur Verluste einbrachte. Die Familie wunderte sich zwar, kam jedoch zur Überzeugung, daß sich dieses Problem wohl löst, wenn Jo’s Frau zur Bar zurückkehrt und das Rechnungswesen als auch den lieben Jo wieder in ihre festen Hände nimmt. Ein Umstand, den man Jo deutlich erläuterte und sehr intensiv als positiv und unverzichtbar schilderte.

Nun kann man wohl Kosten, Konsum und Preise kalkulieren, doch man kann keinen Menschen einkalkulieren. Zwar gelang es der Familie, Jo’s Frau zum Zwecke ihrer Überlebensmöglichkeit davon zu überzeugen, daß es unumgänglich sei, daß sie nebst Säugling in der Bar tätig wird, doch schuf dies keine Abhilfe, da Frau und Säugling etwa gegen zwei Uhr morgens ihre aufreibende Tätigkeit fast ununterbrochenen gemeinsamen Schreiens erschöpft aufgeben mußten und nachhause fuhren, eine Zeit, zu der Jo’s alltägliches Leben mit seinen Farang und Ladies sich zu intensivieren begann, um gemächlich den individuellen Höhepunkten entgegenzustreben. Als trotz Einsatzes von Jo’s Gemahlin und des Säuglinges die Verluste weiterhin anhielten, befand der Familienrat, daß die Bar vielleicht zu groß und zu unübersichtlich sei und deshalb möglicherweise zu hohe Kosten verursachte. Ferner befand sie, daß es an der Zeit sei, eine ernsthafte Verwarnung auszusprechen und für den Fall weiteren Einkommensschwundes auf mögliche Konsequenzen hinzuweisen. Nach ausführlicher Information und Beratung verkaufte die Familie die große Bar und richtete eine weitaus kleinere ein, die aber auch in einer guten Gegend lag.

Doch auch eine kleinere Bar konnte keinen mildernden Einfluß auf Jo’s diverse nächtliche Höhepunkte haben und so war die Familie baß erstaunt, daß die kleinere Bar trotz weitaus niedriger Kosten weitaus größere Verluste machte. Eine weitere Verwarnung des Familienrates hatte zur Folge, daß Jo zeitweise unter dem scharfen Blick seiner Frau auf alles Scharfe verzichtete, sowohl Getränke, als auch Ladies. Nachdem dieser Versuch des Öfteren erfolglos verlief und dann wiederholt worden war, hat Jo jedoch die Anwesenheit seiner Frau ,als störend oft empfunden, dieweilen mit Geräusch verbunden‘. Freilich akzeptierte er auch weiterhin ihre Gegenwart, verlangte jedoch dafür, daß sie zu akzeptieren habe, daß er sich eben bis früh in den Morgen mit seinen Freunden, den Farang beschäftige, was ohne Alkohol schlichtweg nicht möglich sei, weshalb sie dies mit Ruhe und ohne Geschrei zur Kenntnis zu nehmen habe. Bald verlangte er, daß sie wegen ihrer zunehmenden, ihn erschreckenden Lautstärke auch zu akzeptieren habe, daß er nach schwerer, hingebungsvoller Arbeit seinen Ausgleich bei ebenso hingebungsvollen Ladies brauche.

Seine Frau erklärte ihm daraufhin, daß sie ihn nicht brauche, um Probleme zu haben, die könnte sie woanders billiger finden, was ihr offensichtlich gelang, denn sie ward nicht mehr gesehen. Allerdings hatte es in diesem Zusammenhang noch eine Sitzung des Familienrates gegeben, der den Beschluß faßte, Jo darauf hinzuweisen, daß er nun alt genug ist, um für sich selbst zu sorgen, was er prompt tat. Allerdings nicht, ohne dafür zu sorgen, daß auch weiterhin seine Freunde, die Farang und die Ladies ihm dabei behilflich waren, sich um sich selbst kümmerten.

Es war ein glücklicher Zufall, daß in der Nähe seiner Bar zwei oder drei andere Unterhaltungsbetriebe schlossen, weil die Mieten erhöht wurden und zudem ein Bauvorhaben geplant war. Mit diesem Hinweis gelang es Jo, seine Bar zu einem guten Preis zu verkaufen und mit einem Farang und dessen nicht unbeträchtlicher Investition eine neue Bar in einer besseren Gegend einzurichten und zu eröffnen, die er mit seinem unbestreitbaren Fachwissen, seiner Erfahrung und vor allen Dingen seiner thailändischer Staatsbürgerschaft problemlos leiten könnte.

Der Farang erlebte viermal einen herrlichen Urlaub in seiner Bar, meinte dann jedoch schon nach zwei Jahren, daß er den Urlaub billiger haben könnte, wenn er seine Bar verkauft und zum Trinken in eine andere Bar geht. Die monatlichen Rechnungen für die regelmäßigen Verluste der Bar wären ihm einfach zu hoch, zumal er angenommen hatte, daß man mit einer Bar Geld verdient und nicht damit gerechnet hatte, daß man eine Bar nur gegen Langeweile zu seinem eigenen Vergnügen betreibt

Dieses Spiel wiederholte sich mit drei weiteren Farang, denen er als gute Freunde die einmalige Chance bot, mit ihm zusammen eine Bar zu eröffnen. Dank schwindenden Eigenkapitals wurden die Bars dabei etwas kleiner. Das hätte Jo nicht weiter gestört, wenn nicht gerade diese Farang auch weniger Geld für Investitionen hatten und sich seine Abrechnungen näher betrachteten, worauf die Partnerschaft wieder endete.

Aber Jo hatte ja mehrere Freunde und so eröffnete er bald mit einem anderen Farang und dessen Investment eine neue Bar. Und es ist nicht so, als ob er gar nichts aus seinen Pleiten gelernt hätte. Fortan ging er schon kurz nach Mitternacht mit ein oder zwei Farang in eine Go Go-Bar. Und zwar bat er die Farang, mit ihm mitzukommen, weil er ihnen diese Go Go-Bar zeigen wollte, die ganz in der Nähe war, und weil er dort dringend einen Bekannten treffen müßte. Bei Betreten der Go Go-Bar fiel ihm dann regelmäßig ein, daß er zufälligerweise sein Portemonnaie in seiner Bar liegenlassen hatte und fragte seinen jeweiligen Freund, ob er auch genügend Geld bei sich habe. Aber der Erfolg ließ zu wünschen übrig; keiner bezahlte ihm eine Lady und manche rieten ihm sogar, daß er am Besten sein Geld aus seiner nahegelegenen Bar holen sollte, man würde auch ganz bestimmt solange auf ihn warten, bis er zurückkam.

Die Geldersparnisse bei dieser Methode waren so gering, daß auch hier der Partner nach einem Jahr in einen Generalstreik ging. Die Bar wurde verkauft und Jo eröffnete mit einem weiteren Freund eine neue Bar, wo er trotz verminderten Eigenkapitals wieder als Geschäftsführer fungierte. Nachdem er dringend seine Finanzpolitik ändern mußte, sah er es als ein wahres Glück an, daß eine der Ladies, die lange Jahre mit ihm verbracht hatte, ihm einen Geheimtip gab, wie man zu Geld käme. ,Lotterie‘ hieß das Geheimwort. Das war auch insofern verständlich, weil nur die hierbei zu gewinnenden Summen jenen Umfang erreichten, den er zur Sanierung seiner Finanzen benötigte.

So spielte er die ,schwarze Lotterie‘, deren Gewinnzahlen mit der staatlichen Lotterie identisch waren, die jedoch wesentlich leichtere Gewinne versprach, wenn auch ein gewisses Risiko nicht von der Hand zu weisen war. Doch es passierte ihm nichts, wirklich nichts. Weder die Polizei noch die Lotteriegewinne erwischten ihn. Da er in nicht unbeträchtlichen Summen gespielt hatte, blieb ihm nur noch das Glück, daß sein Partner nach einem Jahr zähneknirschend die Bar schloß und Jo keinerlei Auszahlung erhielt, da er bereits weit mehr, als ihm eigentlich zustand in der Hoffnung auf hohe Gewinne entnommen hatte.

Aber auch dies war nicht so tragisch, denn Jo hatte nun zwar kein Geld mehr, doch er hatte ja viele Freunde. Eine seiner Ladies schaffte es, mit einem Farang eine Bar zu eröffnen und Jo wurde nun Manager. Die Lady war zufrieden, daß hier eine Bar auf ihren Namen lief, die ja sicherlich Gewinne einbringen würde und ging frohen Mutes mit ihrem Farang ins Ausland. Nun ist sicherlich bekannt, daß die Kommunikation mit dem Ausland nicht problemlos ist und dieses Problem dauerte ein Jahr. Als die Lady allerdings mit ihrem Farang nach einem Jahr wieder nach Thailand kam, war dies der Tag, an dem Jo seinen Posten verlor und dringend für zwei Wochen in Erholung mußte, denn so lange würde die Lady mit ihrem Farang in Thailand bleiben und Jo hatte das ungute Gefühl, daß es nicht ratsam sein, dem Farang oder der Lady in dieser Zeit zu begegnen.

Bei dieser Gelegenheit kam er ganz zufällig in die Nähe des Wohnsitzes seiner Frau. Das Wiedersehen verlief jedoch nicht ganz so, wie er es sich vorgestellt hatte. Zwar empfing sie ihn mit offenen Armen, dabei war jedoch nicht zu übersehen, daß sie in jeder Hand eine Bratpfanne hielt. Als Jo seine Erwartungen zurückschraubte und das Kind sehen wollte, erklärte sie, daß dies gerade seinen Mittagsschlaf hielte und überdies eine Allergie gegen Alkoholdunst hätte. Jo hätte sich bisher noch nie für sein Kind interessiert, und wenn er das ernsthaft vorhabe, dann sollte er gefälligst vorher mit ihr darüber sprechen und sagen, weshalb er das Kind sehen will und was er für das Kind will oder was er mit ihm beabsichtigt, und dazu soll er wiederkommen, wenn er einmal nicht besoffen ist.

So suchte Jo nach seiner Rückkehr in Pattaya wieder einen Farang, der ihn von früher kannte, doch da spielten sich keine Geschäftsmöglichkeiten ab, weil der Farang ihn schon von früher kannte. Aber Jo besann sich darauf, daß es ja auch noch Farang gab, die Bars hatten und ihn nicht kannten. So kämmte er alle Bars ab und fand tatsächlich einen Farang, der ihn wegen seiner Englischkenntnisse und seiner offensichtlichen Fachkenntnisse einstellte. Es war aber ein miserables Leben, denn die Frau des Farang war immer in der Bar und saß an der Kasse und der Farang saß abends an der Bar und mochte es nicht, wenn Jo sich zu ihm setzte und soff. Er betonte, Jo sollte sich zu den Farang setzen und sich mit denen unterhalten. Jo hatte nun Getränke, doch das Geld reichte kaum zum Essen und schon gar nicht für seine Ladies. Als Jo in der Bar versuchte, zu morgendlicher Stunde mit geschickten Fingern das nötige Geld für seine geliebten Ladies zu verdienen, wurde er auf frischer Tat erwischt und damit war sein Job nach nicht einmal drei Monaten beendet. Noch schneller endete ein Versuch, in einem Betrieb der Familie tätig zu werden.

So übernahm er die Korrespondenz einer Exportfirma, weil er ja Englisch sprach. Bis ein auf Thai geschriebener Brief die Firma erreichte, die sich auf einen von ihm geschriebenen Brief bezog. Darin wurde gebeten, daß man doch bitte mitteilen möge, worum es in dem von Jo auf Englisch geschriebenen Brief geht und warum die bestellte Ware nicht kommt. Jo verzichtete nun auf ,berufsfremde Arbeit‘ und wurde wieder Bar-Manager. Zwei Monate. Dann suchte er wieder eine neue Arbeitsstelle in einer Bar, doch ohne Erfolg. Danach wurde er schlank, lächelte weniger, suchte Bekannte an Bars, bat sie um ein Glas Saengthip und fragte dabei, ob sie nicht mit ihm eine Bar eröffnen möchten oder ob sie vielleicht zufälligerweise einen erfahrenen Manager für eine Bar suchen.

Über zwei Jahre lang hielt Jo sich mit dieser Tätigkeit und kleinen Spenden am Leben, bis er einen neuen Farang fand, der eine Hilfe in einem Reisebüro suchte und Jo fing als Fremdenführer an, bis er sich eingearbeitet hatte und im Büro übersetzte und Buchungen durchführte. Hatte er anfangs regelmäßig von früh morgens bis spät in die Nacht gearbeitet, so ließ diese Regelmäßigkeit nun nach und er war öfter abwesend. Dann bemerkte jemand, daß die Zeit seiner Abwesenheit in etwa der Abnahme des Kasseninhaltes entsprach, worauf es nicht mehr lange dauerte, bis er seine Tätigkeit auch dort beendete.

Jo kam aufgrund seiner umfangreichen Erfahrung zu dem Schluß, daß das Barleben das einzig richtige für ihn ist. Und nun sucht er wieder einen Farang, der unbedingt in Pattaya eine Bar eröffnen will und dazu einen erfahrenen Partner braucht, der bereit ist, sein Wissen und sein sehr spezielles Können in diese Partnerschaft einzubringen.


von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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von Dr.G.M. Gad Labudda

Der ruhige Jens lebt in Thailand

Bei seiner Geburt in den Sechziger Jahren waren seine Eltern sehr froh gewesen. Nicht etwa, weil er ein erwünschtes ,Kind der Liebe‘ gewesen wäre. Sie warfen ihm sogar vor, er hätte sich trotz aller Vorsichtsmass-nahmen eingeschlichen. Doch schliesslich war der Vater stolz darauf, einen richtigen Sohn zu haben, dem er schon am ersten Tag ansah, dass er ihm sehr ähnlich sei, und die Mutter hielt sein Erscheinen wenn auch nicht gerade voller Mutterliebe, so doch dankbar für sehr zweckmässig.

Die freundliche und zurückhaltende Art als auch insbesondere das gute Gehalt ihres damaligen Freundes hatten sie überzeugt, dass er der ideale Mann für eine gute Versorgung und folglich für ein glückliches Familienleben war, ein Mensch, den man unter besonderer Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte als auch eines ersehnten Entgegenkommens einfach lieben musste. Sein einziger Fehler bestand darin, dass er sich einfach nicht zu dem ihm bedrohlich erscheinenden Eheglück überreden lassen wollte und noch nicht einmal über Heirat sprach. Vielmehr scheute er sich noch nicht einmal, in ihrer Gegenwart andere Frauen anzuschauen und war trotz aller Vorhaltungen nicht bereit, auf Begegnungen und Unterhaltungen mit ihnen zu verzichten.

Dies führte zur Vernichtung einiger völlig unschuldiger Anti-Baby-Pillen sowie einer hervorragenden schauspielerischen Leistung, als die werdende Mutter ihrem Freund mit äusserster Besorgnis mitteilte, dass ihr völlig unverständlich sei, dass bereits zum zweiten Male ihre Periode ausgeblieben sei. Prompt folgte sie seinem besorgten Rat, bei einem Arzt einen Schwangerschaftstest durchführen zu lassen und meldete ihm sein bevorstehendes Vaterglück, vorsorglich hinzufügend, dass es zu einer Schwangerschaftsunterbrechung bereits zu spät sei.

Der zu Anstand und Rücksichtnahme erzogene Freund entsann sich elterlicher Belehrungen über eine anständige Lebensführung und gewisse Verpflichtungen eines Vaters und adoptierte diese, womit er seinem vielversprechenden Leben eine völlig neue, aber unabänderliche Richtung gab. Er hielt es für erforderlich, als auch aus wirtschaftlichen Gründen für zweckmässig, in den Stand der Ehe zu treten und statt seines Lebens sein neues Ansehen als Familienvater zu geniessen.

So wurde Jens als Sohn anständig verheirateter Eheleute geboren und bewies bereits zu jener Zeit ein enormes Einfühlungsvermögen in seine Umwelt, indem er mit einem Charakterzug zur Welt kam, der ihm die Sympathie seiner Umwelt garantierte: Jens war ruhig. Er schrie nicht er lachte nicht, er war einfach nur ruhig und fiel überhaupt nicht auf. Seine Eltern gaben sich alle Mühe, an diesem angenehmen Wesen nichts zu ändern, indem sie ihn sorgsam ernährten und ansonsten so wenig störten, wie möglich. Und siehe, Jens verzichtete weitgehend auf die Bemühungen seiner Eltern und beschäftigte sich mit sich selbst.

Erst viel später, als er in die Schule ging, bemerkte er, dass es auch Eltern gab, die sich mit ihren Kindern beschäftigten. Doch erblieb ruhig, was dazu führte, dass die meisten Mitschüler ihn ignorierten und der Lehrer ihn sympathisch fand, auch wenn er ihn kaum kannte. Als Schlüsselkind wurde Jens auch kaum an seinem Aufwachsen gehindert und erduldete ruhig die entstehenden Störungen seines Lebens, wenn die Eltern spät abends nachhause kamen, sagten, sie müssten so viele Überstunden leisten, um den Lebensunterhalt zu verdienen, kurz von ihrer schweren Arbeit berichteten und flugs das Familienleben wieder ausschalteten, indem sie den Fernsehapparat einschalteten.

Sein Vater hatte zugesehen, wie sein Sohn heranwuchs und erfreut zur Kenntnis genommen, dass er nicht gezwungen war, sich mit seinem Sohn zu befassen oder sich gar mit ihm zu unterhalten. Aus diesem Grunde war er sicher, dass dieser nichts sehnlicher wünschte, als Elektriker zu werden, weil der Vater gerade in der richtigen Position war, dem Sohn in diesem Beruf eine Lehrstelle zu besorgen. Aufgrund einer Reorganisation der Firma, in der er wegen seiner Ruhe sehr beliebt war, erhielt er die Möglichkeit, in das Gebiet der Elektronik umzusatteln und seine Gesellenprüfung als Elektroniker abzulegen. In der Firma erkannte man seinen Wert als Mitarbeiter, der nur wenig sprach, nie widersprach und schon gar nicht protestierte oder etwa an Demonstrationen teilnahm. Schon vor der Gesellenprüfung erhielt Jens ein lukratives Angebot, weiterhin dort zu arbeiten und man stellte ihm auch eine kostenlose Zusatzausbildung und eine Gehaltserhöhung in Aussicht, um diesen bequemen, ruhigen und leistungswilligen Mitarbeiter nicht zu verlieren.

Es entsprach seinem Verständnis von Eigenaktivität, aber auch seiner Unsicherheit, dass er seiner Firma noch viele Jahre treu blieb. Tatsächlich wurde es sein liebster Aufenthaltsort und er verdiente viel Geld mit vielen Überstunden. Er war sogar froh, dass er dann untätig zuhause herumsitzen musste, wo seine einzige Tätigkeit darin bestand, Englisch zu lernen, weil diese Sprache für Elektronik und den Umgang mit Computern erforderlich war. Ansonsten blieb ihm nur der Fernsehapparat oder sein Stereogerät, die aber seltsamerweise nicht die Programme brachten, die er suchte und in keiner Weise für gute Unterhaltung sorgten.

Jens hatte schon immer an Unterhaltungsmangel gelitten. Es machte ihm weder Spass, Fussball zu spielen, noch konnte er sich dafür begeistern, sich am Wochenende die Spiele der örtlichen Vereine anzuschauen und drei oder vier Mal laut ,Tor!‘ zu schreien, damit die andere Besucher das auch nicht übersahen. Die Discothek war ihm zu laut und diente sicher nicht der Unterhaltung. Den Arbeitskollegen erschien er zu ruhig und nicht zu geselligen Abenden oder ausserordentlichen Unternehmungen geeignet. Am Stammtisch fühlte er sich ebenso deplaziert, wie in der Kirche und so beschränkte er seine Such nach Geselligkeit auf zwei Kurse, die wöchentlich einmal an der Volkshochschule stattfanden sowie auf ausgedehnte Spaziergänge, die aber auch nie gesellig waren. Es gelang ihm einfach nicht, Anschluss an irgendwelche Gruppen zu finden, die gesellige Abende oder Wochenenden veranstalteten.

Nachdem seine Eltern sich getrennt hatten, da sein Vater eine neue Frau gefunden hatte, die etwas jünger und etwas schlanker war, als seine Ehefrau und diese das herausgefunden hatte, war Jens in ein eigenes Apartment umgezogen, denn er empfand seine neue Stiefmutter als ganz und gar nicht gesellig. Zwar hatte er erklärt, dass er sich ein eigenes Apartment gemietet hatte, weil er seine Ruhe suchte, doch hatte er davon bald zuviel. Er besuchte Etablissements für Singles, wo er erfuhr, dass ihm das Draufgängerische fehle, was ihm aber nicht viel nützte. Dann kam er auf den Gedanken, seine Geselligkeit in einem religiösen Kreis zu suchen, bis nicht nur er, sondern auch die Leute bemerkten, dass ihm der rechte Glaube fehlte. Doch er hatte eine neue Idee, als man dort über gemeinsame Wallfahrten und Urlaubsreisen gesprochen hatte.

Einen Urlaub im Schwarzwald brach er frühzeitig ab, weil er sich dort noch einsamer fühlte, als in seinem Apartment. Dann buchte er einen Abenteuerurlaub, an dem er als Aussenseiter teilnahm und sich zum Abschluss schwor, nie wieder einen Abenteuerurlaub zu buchen. Auch das bei Deutschen so beliebte Mallorca vermittelte ihm weder das gesuchte Wohlgefühl noch eine Geselligkeit, die ihm behagte, und ob er auf einer überfüllten Insel oder an einem Baggersee in der Nähe seiner Wohnortes alleine ins Wasser ging, bedeutete ihm keinen grossen Unterschied. Doch er gab nicht auf und so erregte schliesslich eine Werbung für Junggesellenreisen seine Aufmerksamkeit und er meldete sich in einem Reisebüro.

Drei Wochen Thailand, dem Land des Lächelns, speziell für Junggesellen zusammengestellt, suggerierten ihm, dass er hier zusammen mit anderen Geselligkeit und Unterhaltung suchenden Menschen seinen Urlaub verbringen würde. Tatsächlich war es auch eine Gruppe von Männern, die sich auf dem Flughafen trafen und in Bangkok abgeholt werden sollten. Noch vor dem Einchecken wurden sie über die nächsten Schritte der Reise informiert, weshalb sie sich während der Wartezeit auf den Abflug zusammensetzten und miteinander unterhielten. Dabei erfuhr Jens, dass nur die wenigsten Reiseteilnehmer Junggesellen waren, vielmehr unternahmen sie einen Ausflug in die Junggesellenzeit. Und die Unterhaltung hörte sich gar nicht so an, als wenn hier Menschen auf der Suche nach Geselligkeit zusammengekommen waren, sondern eher, als wenn man einige Zuchtbullen zu den Kühen auf die Weide liess.

Die Männer unterhielten sich während der Wartezeit auf den Abflug und während des Fluges darüber, was sie unternehmen wollten, wieviele Frauen sie sich suchen wollten, was sie mit denen vorhatten und was sie von anderen über Thailand und die Frauen gehört hatten. Ein Fahrer, der mit einem Minibus erschienen war, holte sie vom Flughafen ab, wo einige Unentwegte bereits einige Flaschen ,Mekong‘, den thailändischen Reisschnaps, und ausreichend Bier eingekauft hatten, um Pattaya mit lustiger Unterhaltung und fröhlichen Gesängen, wie etwa ,Olé, we are the champs’, ,Chalalalala, chalala in the morning’ und anderen sinnvollen Liedern entgegenzuziehen. Das gab Jens rechtzeitig Gelegenheit, seine gewohnte Aussenseiterrolle einzunehmen und auf die versprochene Geselligkeit mit den Junggesellen zu verzichten.

Nachdem der Minibus das Hotel im Zentrum Pattayas erreicht hatte, wurden die Zimmer verteilt und man vereinbarte, sich nach einer Zeit des Einrichtens und Ausruhens bei Beginn der Abenddämmerung gegen 18 Uhr in der Empfangshalle des Hotels zu treffen. Es war kein Zufall, dass Jens nicht zu diesem Treffen erschien und nirgends aufzufinden war. Er hatte entschieden, dass er nicht wegen einiger heisser Nächte und einem möglichst häufigen Wechsel schöner Bettgefährtinnen nach Thailand geflogen war. So war er bereits eine Stunde vor dem Treffen beim Empfangschef erschienen und hatte ihn um einige Auskünfte darüber gebeten, was er in Pattaya unternehmen kann.

Der Empfangschef war ein netter Mann. Er hatte gerade Zeit, und da Jens ihn höflich angesprochen hatte, wollte er ihn auch gut beraten, zumal Jens nicht nach den billigsten und schönsten Frauen fragte, sondern erklärte, dass er am liebsten in netter Gesellschaft etwas von Thailand kennenlernen möchte. Der Mann meinte, das sei überhaupt kein Problem und entschloss sich, Jens nach einigen kurzen Fragen das zu erklären, was er für die Faustregeln für jeden Thailand-Besucher hielt.

Männer, die nichts weiter, als ein sexuelles Vergnügen suchen, haben die wenigsten Probleme. Sie finden Hunderte von Bars, an denen sie vielerlei Frauen finden, die sich ihnen anbieten. Bei einem Standardpreis von 500 Baht bis 800 Baht, je nach Alter, Schönheit und erwarteter Leistung ist die Auswahl der passenden Frau eine Sache des persönlichen Geschmacks und der tatsächliche Preis eine Verhandlungssache. Eine Frau, die einem Kunden als besonders schön oder wünschenswert erscheint, wird normalerweise mit etwa 200 Baht von der Bar ausgelöst. Dieses Geld wird dem Inhaber der Bar gezahlt und gilt lediglich als Entschädigung für die entfallende Arbeitszeit der Frau an der Bar. Was sie dann in der erkauften Freizeit tut oder nicht tut, ist eine reine Privatan-gelegenheit der Frau und sollte vor der Auslösung mit ihr besprochen werden. Die Zahlung der Auslösesumme berechtigt den Kunden zu nichts, doch herrscht ein stillschweigendes Einverständnis darüber, dass die Frau dann mit dem Kunden mitgeht.

Auch die Art und die Dauer des Vergnügens oder der Gesellschaft sollte von vornherein geklärt werden. Während es normal war, dass die Frau mit ihrem Kunden mitgeht und so lange bleibt, bis sie ihr Geld erhält und weggeschickt wird, kommt es immer häufiger vor, dass Frauen nach Ableisten ihrer sexuellen Verpflichtung ihren Lohn verlangen und ihren Kunden verlassen, wenn keine klaren Vereinbarungen getroffen wurden. Sie geht dann davon aus, dass der Kunde nur ein kurzes Vergnügen suchte und sie die von ihr erwartete Leistung bereits erbracht hat.


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Die Frauen an den Bars sind sehr verschieden. Während die einen auf das schnelle Geld aus sind, durch kurze Liebesdienste ihren Unterhalt und ein bequemes Leben oder eine erforderliche Unterstützung ihrer Eltern oder ihrer Kinder zu bestreiten versuchen, sind andere Frauen mehr daran interessiert, einen langzeitigen Versorger oder auch einen Lebenspartner zu finden. Das hat zur Zeit des Kennenlernens sicher nichts mit Liebe zu tun, auch nicht mit der gerühmten Liebe auf den ersten Blick, und es ist auch zutreffend, dass manche Frauen jede gemeinsame Zeit mit einem Kunden dazu nutzen, aus ihm so viel Geld wie möglich herauszuholen. Doch bemüht sich die Mehrzahl der Frauen um eine ehrliche Partnerschaft in dem sie versuchen, auf die Wünsche ihres Kunden eingehen und dabei versuchen, eine Gemeinsamkeit aufzubauen und manchmal auch, eine verliebte Geliebte zu spielen.

Normalerweise kann man davon ausgehen, dass jene Frauen, die sich in den Vordergrund drängen und dank kurzer Kleidung möglichst viel von ihrem Körper zeigen, vorwiegend durch einen schnellen sexuellen Kontakt schnelles Geld suchen und an einer längeren Partnerschaft nur dann interessiert sind, wenn sie dabei finanziell besser gestellt sind. Viele dieser Frauen sind allerdings für eine bleibende Partnerschaft nicht geeignet, da sie etwas gefühlsarm sind und sich ausschliesslich für Geld und für ihre Bequemlichkeit interessieren.

Grundsätzlich muss man bei den Mädchen und Frauen, die an Bars arbeiten, davon ausgehen, dass sie weder einen Beruf gelernt oder eine gute Schulbildung haben und sie sind auch nur selten als intelligent zu bezeichnen, denn sonst könnten sie ihren Lebensunterhalt besser in einer anderen Tätigkeit verdienen. Zudem fehlt ihnen oft auch jede Selbstän-digkeit, weshalb viele von ihnen einen Partner suchen, mit dem sie leben können und an dem sie einen Halt finden, indem er ihnen sagt, was sie tun sollen, wobei sie hoffen, zufrieden leben zu können. Ohnehin sind sie in den meisten Fällen dazu erzogen worden, dem Mann zu gehorchen und im häuslichen Bereich dafür zu sorgen, dass er sich wohl fühlt. Dabei kann sich eine Gemeinsamkeit entwickeln und man kann bei vielen gemisch-ten Paaren nach längerem Zusammenleben von einer Lebensgemeinschaft oder auch von Liebe sprechen.

Nach diesen Erklärungen meinte der Empfangschef, Jens sollte auf keinen Fall eine der aufdringlichen Superfrauen auslösen, sondern nach einer Frau suchen, die vielleicht etwas zurückhaltend ist, aber einen sympathischen Eindruck macht. Und dann wäre es gut, wenn er nicht allzuviel von ihr erwartet, weil sie sicher nicht viel Wissen hat, etwas unselbständig ist und erst erfahren muss, was sie tun soll und was er von ihr will, damit sie sich um ihn kümmern kann. Doch wenn er zu ihr etwas nett ist, sie als eine Freundin behandelt, statt mit ihr nur im Befehlston zu sprechen, wie viele Ausländer das tun, ist es nicht schwer, eine Frau zu finden, mit der er seinen Urlaub verbringen kann. Das wäre ja nur eine kurze Zeit, in der die Frau sich an ihn anpassen wird. Je länger er mit einer Frau leben will, desto schwieriger wäre es, eine passende zu finden, versuchte er, Jens Mut zuzusprechen.

Als Jens sich bedankte und gehen wollte, riet er ihm noch, auf der Suche nach seiner Urlaubsbegleiterin jene Bars zu meiden, die tosende Musik laufen lassen, vor denen er mit ,Eh, farang!‘, gerufen oder von einer Schar junger Mädchen an die Bar geschleppt werden soll. Dort würde er die von ihm gesuchte Frau vermutlich nicht finden. Mit diesen Informationen zog Jens erst einmal los, um sich in Pattaya umzusehen. Er hatte gehört, dass die Bars erst gegen 18 Uhr öffnen und der richtige Betrieb dann meist gegen 21 Uhr nach dem Abendessen beginnt. Deshalb wollte er den Ort etwas kennenlernen, bevor er am Abend seine Urlaubsbe-gleiterin suchen wollte. Er ging eine Weile am Strand entlang und schlen-derte durch die Einkaufszentren, bis es dunkel wurde, die Bars öffneten und die Frauen langsam eintrudelten, um sich für die Arbeit zurechtzu-machen. Hier trank er ein Bier, um sich etwas zu informieren, bevor er mit ernsthafteren Gedanken eine geeignete Bar suchte.

Abgesehen davon, dass er kräftig, sexy und reich sein sollte, bestätigten die jungen Mädchen, die hier arbeiteten, im Grund die Informationen, die er schon vom Empfangschef seines Hotels gehört hatte. Es war für Jens auch eine wichtige Erfahrung, dass die Mädchen zwar etwas frech, aber ansonsten nett zu ihm waren und mit ihm mitgehen wollten. Unter-wegs hatte er ein deutsches Restaurant gesehen, so dass er jetzt erst einmal essen ging und sich noch einmal über seine Möglichkeiten, in Pattaya eine Urlaubsfreundin zu finden, vergewissern wollte.

Der Inhaber des Restaurants sah überhaupt keine Probleme. Er meinte, Jens brauchte nur bestimmt aufzutreten, dann tun die Frauen auch was er will und wollte ihm gleich eine mitgeben, doch der hatte seine eigenen Vorstellungen. Darauf hörte er vom Inhaber noch einige Geschichten, was einem alles passieren kann, wenn man eine Frau mitnimmt, die man nicht kennt, sowie den dringenden Rat, die Frau mitzunehmen, die er ihm empfohlen hatte, doch stattdessen nahm er eine kleine Flasche Bier und machte sich anschliessend auf die Suche nach einer Bar, wo er eine geeignete Frau für seinen Urlaub finden konnte.

Bald bemerkte er, dass die Bars sehr unterschiedlich waren. Bars mit lauter Musik und jungen, an einer Stange hopsenden Mädchen, die ihm um den Hals fielen, einen Ladydrink verlangten und mit ihm mitgehen wollten, wechselten sich mit ruhigeren Bars ab, an denen ihn Frauen im Alter von dreissig bis vierzig Jahren bedienten. Überall wollte man wissen, woher er kommt, ob er verheiratet ist, in welchem Hotel er wohnt und wie lange er bleibt, um zu erfahren, ob er ein guter Kunde wäre. Überall wurden Spiele zur Unterhaltung unter der Theke hervorgezogen. Doch nicht überall waren Frauen zu finden, auf deren längere Bekanntschaft Jens grösseren Wert gelegt hätte.

So hatte er schon vier Bars und diverse Gläser Whisky hinter sich, als er endlich eine Bar fand, in der er zwei Frauen fand, die ihm sympathisch und als Begleiterinnen geeignet erschienen, obwohl er nicht sicher war, ob dies vielleicht auf den Alkohol zurückzuführen war, den er inzwischen getrunken hatte. Es war die schlanke Oy, die ihm eine kleine Schale Ernüsse brachte und ihn dabei anlächelte. Sie kam aus einem kleinen Dorf im Isan, dem Armenhaus Thailands und sprach etwas Englisch. Das bedeutete zwar, das sie schon länger in Pattaya sein musste, denn in der Grundschule eines Dorfes wird kein Englisch unterrichtet. Aber es bedeutete auch, dass Jens mit ihr sprechen und etwas unterhalten konnte. Sie war einver-standen, als er sie fragte, ob sie mit ihm mitkommen wollte und so kamen sie nach einem kleinen Umweg über ein Strassenrestaurant, an dem Oy eine Nudelsuppe ass, noch vor Mitternacht im Hotel an.

Jens war nervös und aufgeregt, er wusste nicht recht, wie er sich jetzt verhalten sollte, doch es zeigte sich, dass die vielleicht zwanzig Jahre alte Oy erfahren war und schon recht klare Vorstellungen von dem hatte, was Jens von ihr erwartete. Nach einem Orangensaft, den er ihr aus dem Kühlschrank holte, stand sie auf, ging ins Badezimmer und kam nach der Dusche in ein Badetuch des Hotels gewickelt wieder zurück. Erfreut, seinem Ziel ohne grosse Mühe näher gekommen zu sein, aber nicht weniger nervös ging Jens nun duschen und zeigte sich später sehr erleichtert darüber, dass Oy sich gar nicht so ekstatisch verhielt, wie er es befürchtet und früher einmal erlebt hatte.

Oy war viel mehr Begleitperson, als er es sich für weinen Urlaub gewünscht hatte. Sie war wirklich nett, doch damit waren ihre Persönlich-keit, ihr Charakter, ihr Wissen und ihre Aktivität ausführlich beschrieben. Sie sass einfach da, war nett und wartete darauf, was Jens sagte, von ihr erwartete oder befahl. Als er sie fragte, ob sie Lust hat mit ihm frühstücken zu gehen, wusste sie es nicht und fragte ihn, ob er denn mit ihr frühstücken wollte. Sie wusste auch nicht, was sie frühstücken wollte und fragte ihn, was ihm denn recht wäre. Sie wusste auch nicht was sie trinken wollte, und als er sie schliesslich fragte: „Also, willst Du Kaffee, Tee oder Orangensaft?“, sagte sie ergreifend: „Ja.“

Sie versuchte, eine angenehme Begleiterin zu sein und nicht zu stören. Wenn sie alles tat, was Jens ihr sagte, müsste er doch zufrieden sein, glaubte sie, sprach vorsichtshalber kein Wort und beschränkte sich auf kurze antworten. Doch der ungeahnte Grad ihrer devoten Unsicherheit trieb Jens zur Verzweiflung. Er musste alles selbst herausfinden, unternehmen und entscheiden. Oy machte stumm mit, beschwerte sich nicht, fand auch nichts gut, sondern war nett und lächelte. Er musste ein Reisebüro suchen, sich nach möglichen Ausflügen erkundigen und konnte nie herausfinden, was sie mochte. Er musste entscheiden, wo sie hin wollte, was sie sehen mochte, welche Speisen und Getränke ihr schmeckten und nach drei Tagen entschied er, dass er ihre Ergebenheit nicht mehr aushalten konnte.

Er brauchte einen Partner, einen Menschen, mit dem er etwas gemeinsam erleben konnte, nicht einen stummen Schatten, mit dem er wie mit einem kleinen Kind umgehen musste. Er verstand, dass Oy sich alle Mühe gegeben hatte, sich an ihn anzupassen und ihm das Leben angenehm zu gestalten, deshalb fiel es ihm auch schwer, sie wegzuschicken, wofür er schliesslich eine Ausrede benutzte und drei Tage nach Bangkok fuhr, um glaubhaft nicht anwesend zu sein und nicht gesehen zu werden. Oy war traurig, freute sich aber, dass Jens ihr nicht böse war oder sie ablehnte und tröstete sich mit einer kleinen Entschädigung, die er ihr gab.

In Bangkok suchte Jens eine neue Partnerin, die diesmal etwas lebendiger sein und eigene Vorstellungen haben sollte. Er hielt es für einen Glücksfall, dass er gleich am ersten Tag solch eine Frau fand, die zudem auch noch recht hübsch aussah. Din war aktiv und wusste, was sie wollte. Zwar wusste sie nicht, was Jens wollte, aber das interessierte sie auch nicht sonderlich. Für sie war wichtig, dass sie nun einen ,Farang‘, einen dieser westlichen, weisshäutigen Ausländer hatte, von dem jeder ihrer Bekannten wusste, dass sie unendlich reich und dumm sind.

Diese ,Farang‘ waren so dumm, dass sie noch nicht einmal mit ihren Händen essen konnten, was doch auf dem Lande jedes kleine Kind schon kann, sie waren so dumm, dass sie noch nicht einmal die Preise der Taxis und vieler Sachen kannten, die sie brauchten, so dass man ihnen Fantasiepreise abnehmen und die Differenz in die Tasche stecken kann. Manche Ausländer sind sogar so dumm, dass sie ein Haus kaufen und auf den Namen ihrer Freundin eintragen lassen, weil Ausländer keinen Grund-besitz haben dürfen. So dumm sind sie, dass sie dann noch nicht einmal verstehen, dass sie keinen Grundbesitz haben und ihrer Freundin ein schönes Haus geschenkt haben. Und so einen dummen Farang hatte sie jetzt.

Es war selbstverständlich, dass sie ihn sofort zu einem Einkaufsbummel brachte, damit er ihr ein paar neue Kleider und ein Goldkettchen kaufen konnte, wo er doch so reich war. Ausserdem konnte er sie mit dem Taxi in ein sehr teures Restaurant bringen, wo sie immer schon einmal essen wollte, anschliessend zu einer Diskothek fahren, wo sie ein paar Freunde besuchen wollte und er konnte ihr auch etwas Geld ,leihen‘, dass sie dringen zurückzahlen musste. Und nachdem dieser Farang so dumm war, dass er auf alle ihre Wünsche einging, kaufte sie am dritten Tag ein schönes neues Motorrad, das er am nächsten Tag nur noch zu bezahlen brauchte, damit sie es dann sofort zu ihrem Bruder nach Ubon bringen konnten.



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Als sie spät nachts aus der Diskothek kam, konnte sie den dummen Farang nicht finden, obwohl sie ihm doch gesagt hatte, dass er vor dem Eingang auf sie warten sollte. Im Hotel sagte man ihr, dass er bereits abgefahren sei, und er hatte ihr noch nicht einmal eine Nachricht oder seine Anschrift hinterlassen. Er war so dumm, dass er nicht einmal daran gedacht hatte, dass sie sein Geld braucht und er das Motorrad noch bezahlen musste. Es war sehr enttäuschend, weil sie schon ein Haus gesucht hatte, das er auf ihren Namen kaufen sollte, damit er im Urlaub nicht immer in so einem teuren Hotel wohnen muss.

Es war schon nach Mitternacht, als Jens mit dem Taxi vor seinem Hotel in Pattaya ankam. Nach einer kurzen Dusche machte er sich auf den Weg, um sich in einer Bar von seiner aktiven Freundin zu erholen und nahm sich, vor, doch etwas weniger aktive Frauen zu suchen. Doch letztlich entschied er, dass er an diesem Tag noch zu erholungsbedürftig sei, um gleich wieder eine Frau mitzunehmen. Statt dessen erweiterte er seine Erfahrungen an den nächsten Tagen mit verschiedenen Frauen, von denen eine zu anständig war, um mit einem Mann ins Bett zu gehen, weshalb sie meinte, sie sei schon zufrieden, wenn er ihr nur das Geld gibt. Eine andere bewies, dass sie ausser den üblichen Standardfragen an Bargäste wirklich nicht in der Lage war, ein einziges Wort zu verstehen, sich aber besonders schnell aus- als auch wieder anziehen konnte. Eine weitere zeigte sich in der Bar sehr anhänglich und im Hotel zeigte sie, dass sie ihr Liebesleben offensichtlich einer Beate Uhse - Gummipuppe abgeschaut hatte und bereitwillig alles mit sich machen liess, was Jens wollte, doch es dauerte nicht lange, bis der gar nicht wollte.

Es dauerte einige Tage, bis Jens auf Ngiap stiess, ein sehr hübsches, etwas ruhiges Mädchen, das schon fünfundzwanzig Jahre alt war, obwohl es eher nach sechzehn oder siebzehn Jahren aussah. Sie gab sich alle Mühe, nicht nur für Jens dazusein und sich an ihn anzupassen, sondern auch sein Leben angenehm zu gestalten. Sie unterbreitete ihm verschiedene Vorschläge für Ausflüge und Unternehmungen, besorgte ihm auf ihre Kosten kleine kulinarische Delikatessen und Früchte, die er kennenlernen sollte, um zu wissen was er gerne mag und was ihm besonders gut schmeckt. Sie erzählte im von ihrem Dorf und von den Besonderheiten des thailändischen Lebensstils. Jens erlebte mit Ngiap eine sehr angenehme Zeit, in der sie sich wie eine gute Freundin verhielt, eine Zeit, in der es ihm nie langweilig wurde, und von der er wusste, dass sie ihm in Deutschland fehlen würde, was ihm immer stärker bewusst wurde, je näher das Urlaubsende sich näherte.

Es war ein himmlische Zeit, die Jens mit Ngiap erlebt hatte, so ganz anders, als die Zeit, die er in Deutschland verbrachte. Doch je länger er nachdachte, desto klarer war ihm, dass sich dieses Leben für ihn nicht kombinieren liess. Er war in Deutschland nicht auf Urlaub, sondern musste arbeiten gehen. Ngiap hatte hier ein ganz anderes Leben und würde ohne deutsche Sprachkenntnisse in dieser ganz anderen europäischen Welt kaum leben können. Ausserdem blieben ihnen für ein gemeinsames Leben höchstens zwei oder drei Stunden am Tag und das Wochenende. Er musste sich damit abfinden, dass dieses Leben, das er hier führte, sich auf den Urlaub beschränkte und dass er ohne seine Freundin wieder nach Deutschland fahren und arbeiten musste.

Der Abschied war beiderseits traurig, aber nicht tränenreich, also echt empfunden. Und auch die Ankunft war traurig und echt empfunden. Zu gross war der Unterschied zwischen einem Vergnügungsurlaub in Thailand und dem Arbeitsleben in Deutschland. Erst jetzt bemerkte er, dass sein ganzes Leben eigentlich nur aus Arbeit bestand und immer öfter fiel ihm der alte Spruch ein, dass der Deutsche nur lebt, um zu arbeiten. Vorläufig würde sich daran nicht viel ändern lassen, fand Jens bald heraus, aber er sah nicht ein, dass sein ganzes Leben so weitergehen sollte, dass er nur angestrengt und unter Zeitdruck arbeitete, um sich anschliessen noch zwei Stunden zu langweilen, bis er schlafen gehen musste, um am nächsten Tag wieder bis spät abends zu arbeiten.

Doch es war nicht nur die Einstellung gegenüber seiner Arbeit und seinem Leben in Deutschland, die sich geändert hatte, er nahm an diesem Leben auch aktive Änderungen vor. Die bestanden darin, dass er nun noch mehr Überstunden annahm, als bisher. Die waren zwar illegal, liessen sich aber über den Namen eines Bekannten als Heimarbeit abbuchen. Dadurch verdiente er nicht nur besser, er hatte auch keine Probleme mehr mit den langweiligen Abenden und Wochenenden. Ausserdem verdiente er wesentlich mehr und konnte zweimal im Jahr in Urlaub fahren. Nun bemühte er sich darum, sein Englisch zu verbessern und Thai zu lernen und konzentrierte sein Leben auf den Urlaub in Thailand.

Die nächsten zwei Male, die er zum Urlaub nach Thailand fuhr, fand er seine Freundin Ngiap, doch bei dritten Mal war sie nicht mehr auffindbar und er musste sich eine neue Freundin suchen, was ihm erst nach vier Tagen gelang, dafür aber neue Erfahrungen bescherte. Er kam mit seiner neuen Freundin gut zurecht und erlebte auch ohne Ngiap einen schönen und erinnerungswürdigen Urlaub. Insgesamt waren es sechs Jahre, wäh-rend der er regelmäßig zweimal nach Thailand in Urlaub fuhr und er informierte sich regelmässig über Möglichkeiten, in Thailand leben zu können. Demzufolge erweiterte er seine Computerkenntnisse, was Hardware und Reparaturen, aber auch was die Software und den Umgang mit den verschiedenen Programmen und das Internet betraf.

Als Jens im siebenten Jahr nach Thailand flog, hatte er eigentlich noch nicht vor, nach Thailand auszuwandern. Er war zuvor sogar noch auf den Gedanken gekommen, eine eigene Firma in Deutschland zu gründen, in der Meinung, dass er mit einer gut laufenden Firma und den richtigen Angestellten genug einnehmen könnte, um vielleicht öfter nach Thailand zu fliegen und etwas länger dort zu bleiben. Doch die gesetzlichen Bestim-mungen und die erforderlichen Voraussetzungen, um eine Firma eröffnen zu können, waren derart verwickelt und haarsträubend, dass er diesen Gedanken bald wieder weit von sich schob.

Diesmal dauerte es fünf Tage, bis er eine Frau fand, mit der er seinen Urlaub verbringen konnte. Wän war vierundzwanzig Jahre alt, sehr anpassungsfähig, hübsch und sprach etwas Englisch. Ausserdem hatte sie einen fünfjährigen Sohn bei ihren Eltern in der Provinz Korat, wo sie am Rande einer Kleinstadt lebten. Es lag sicherlich zum grossen Teil an seinen Bekanntschaften mit den verschiedensten Thailänderinnen, dass er sich fühlte, als würde er sie schon ewig kennen. Er dachte lange darüber nach und fand schliesslich heraus, dass dieses Gefühl nichts mit Liebe zu tun hatte, denn schliesslich kannte er sie gar nicht, wusste nicht einmal was sie fühlte, oder was sie wollte.

Es war ein Gefühl, dass sich aus Sympathie, sexueller Anziehung und Vertrautheit zusammensetzte, ein Gefühl, dass sich deshalb so schnell ausbreitete, weil es keinen Streit gab, keine Diskussionen und keinen Machtkampf. Wän war für ihn da, sie bemühte sich, ihm seine Wünsche von den Augen abzulesen, versuchte hier und da, ihm eine Freude zu bereiten und war ansonsten ruhig und zurückhaltend. Genau so, wie eine liebevolle und uneigennützige Freundin, wenn man einmal davon absah, dass sie dafür bezahlt wurde, woran Jens nicht viele Gedanken verschwendete, weil es ja nicht viel Geld war, das sie dafür bekam.

Nun wollte er dieses Leben nicht mehr aufgeben, diese friedfertige und bequeme Gemeinsamkeit, in der er sich wohl fühlte und gut versorgt war, und es war ihm vollkommen gleichgültig, ob man dies nun Liebe nannte oder nicht. Aber er wusste, dass diese Gemeinsamkeit und dieses Leben aufhörten, sobald sein Urlaub beendet war, wen er jetzt nicht etwas unternahm. Und er wusste auch, dass es völlig sinnlos war, Wän zu sagen, er würde ihr jeden Monat etwas Geld schicken und sie soll ein paar Jahre auf ihn warten, bis sie zusammenleben können. Nicht nur, weil sie sich beide in diesen Jahren verändern und gar nicht sicher war, ob sie danach auch noch zusammen leben konnten. Auch deshalb, weil es einfach eine Zumutung war, einem Menschen zu sagen, man schickt ihm jeden Monat das Geld für seine Schale Reis und er soll dafür solange auf sein Leben verzichten und möglichst alleine in einem Zimmer sitzen. Er wusste zwar, dass es Ausländer gab, die das taten und dass es Frauen gab, die sich auf die Geldsendungen freuten, er hatte aber noch nicht gehört, dass eine Frau dann tatsächlich jahrelang auf ihren Versorger warteten.

Jens sprach mit Wän und fragte sie, ob sie bereit wäre, mit ihm zusammen zu leben. Er wollte nach Thailand kommen und hier mit ihr leben, aber es würde einige Monate dauern, bis er seinen Arbeitsvertrag lösen und nach Thailand kommen kann. Wän sagte ihm klar, dass sie während seiner Urlaubszeit ein schönes und problemloses Leben gehabt haben und dass sie gerne länger mit ihm zusammen leben würde. Aber sie müsste ihre Eltern und ihren Sohn versorgen und ausserdem wäre sie sicher nicht in der Lage, monatelang alleine in einem Zimmer zu sitzen und darauf zu warten, ob er kommt oder bis er kommt, um mit ihr zu leben.

Jens verstand, dass es also eine Angelegenheit der Beschäftigung, der Versorgung und damit der Verhandlungen und Kompromisse war. Er war in Deutschland selbst lange genug alleine gewesen, um nicht verstehen zu können, dass sie nicht monatelang alleine sein und auf ihn warten wollte. Sie einigten sich darauf, dass Wän einen Kursus zur Frisöse und einen weiteren Kursus zur Kosmetikerin belegte und dass sie diese Kurse auch beenden kann, wenn Jens vielleicht vor einem halben Jahr wieder zurückkommt. Ferner erklärte er sich damit einverstanden, dass sie sich abends an der Bar aufhalten konnte, wenn sie sich zu einsam fühlte, während sie ihm versprach, keine Männerbekanntschaften zu haben.

Weil Wän aber auch irgendeine Sicherheit brauchte, das Gefühl, dass er wiederkommt und es sich nicht anders überlegt, wenn er wieder in Deutschland ist, mieteten sie zusammen ein Apartment, in das sie noch einzogen, bevor Jens sich in den Jet nach Germanien setzte. Es lag jetzt an ihm, möglichst schnell zurückzukommen, bevor sich das Verhältnis abkühlte. Er konnte mit seinem verwunderten Arbeitgeber aufgrund seiner vielen Überstunden und dem Versprechen weiterer vieler Überstunden bis zu seinem Ausscheiden aus der Firma eine Zeit von knapp drei Monaten ausmachen, bis er die Firma ordnungsgemäss verlassen konnte. Ausserdem sollte er ein gutes Zeugnis erhalten und offiziell wegen Arbeitsmangel entlassen werden.

Tatsächlich leistete Jens noch viel mehr Überstunden als vereinbart gewesen waren, denn er wusste, er würde das Geld in Thailand gut brauchen können und dort wahrscheinlich lange Zeit nicht so viel verdienen, wie in Deutschland. Zum Abschluss beschaffte er sich noch alle Sachen, die wichtig waren und die er vielleicht in Thailand nicht erhalten konnte und flog mit vollen Koffern ab. Dabei hatte er das Gefühl, dieses regnerische, wolkenverhangene Land mit seinem kalten Klima und seinen vielen kalten Regeln, Verordnungen und Bestimmungen, mit den vielen wie Automaten funktionierenden Menschen, die von einem reglementierenden Staatswesen überwacht wurden und sich in einer ständigen sinnlosen, aber betriebsamen Hektik befanden, für immer zu verlassen.



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Nach einem ruhigen Flug mit unruhigem Schlaf kam er auf dem Flughafen von Bankok an, wo Wän ihn abholte, obwohl er sie nicht darum gebeten hatte. Sie freute sich wirklich, ihn wiederzusehen. Sie sagte, dass sie oft an ihn gedacht hat und fühlt, dass sie gut miteinander leben können. Dabei verhielt sie sich nicht, wie eine Geliebte, die ihn sehnsüchtig erwartet hat und auch nicht wie eine Frau, die sich auf sichere Einnahmen freut, sondern vielmehr wie eine Freundin, die sich einfach freut, ihn zu sehen. In ihrem Apartment in Pattaya hatte sie für ihn eine kleine Überraschung bereitet, die aus verschiedenen Leckereien und thailändischen Spezialitäten bestand, die er früher einmal probiert und gemocht hatte. Dazu kamen eine Schale Obst, frische Blumen in einer Vase und eine Flasche Wein, den er eigentlich lieber trank, als Bier oder Whisky.

Doch es dauerte nicht lange, bis das normale Leben sie eingeholt hatte. Wän ging weiterhin als Friseuse arbeiten und wollte auch ihren Kosmetikkursus beenden. Doch sie sorgte für Frühstück und Mittagessen und die Abende verbrachten sie gemeinsam, wobei Jens mit voller Absicht zu der Bar ging, an der Wän vorher gearbeitet hatte, damit sie sich mit ihren Freundinnen unterhalten konnte. An den Wochenenden kamen hin und wieder neue Freundinnen von Wän, Mädchen, die Friseusinnen oder Kosmetikerinnen werden wollten. Manchmal unternahmen sie auch gemeinsam Ausflüge in die nähere Umgebung und hielten ihre gesellschaftlichen Kontakte für ausreichend.

Jens hatte für sich Reklame gemacht, dass er Computer reparieren kann und er hatte auch Arbeit in einer Computerschule angenommen, wo er Unterricht zur Beherrschung verschiedener Programme und auch des Internets gab. Ausserdem bot er über das Internet verschiedene Produkte aus Thailand in Europa zum Kauf an, womit er nach einem halben Jahr mehr verdiente, als er tatsächlich zum Leben brauchte. Sie waren beide mit ihrer Arbeit beschäftigt und kamen zur Überzeugung, dass es besser ist, dass Wän auch nach Ablegung ihrer Prüfungen weiterhin arbeiten geht. Sie hatte keine Lust vormittags alleine zuhause herumzusitzen, während Jens seinen Computerunterricht gab, und ausserdem war sie froh, dass sie dabei noch Geld verdiente, das sie zur Bank bringen konnte, weil alle Ausgaben zum Lebensunterhalt von Jens bezahlt wurden.

Als ein hübsches Townhouse am Stadtrand zur Miete angeboten wurde, griff Jens zu, weil er für seine Computerreparaturen mehr Platz brauchte und weil er auf den Gedanken gekommen war, privaten Computerunterricht zu geben, was weitaus lukrativer war. Er war mit seiner Arbeit gut beschäftigt, verdiente nicht schlecht und konnte nicht über Langeweile klagen. Das Leben verlief in eingefahrenen Bahnen und hatte seine Höhepunkte in geselligen Abenden oder Wochenenden mit Wäns Freundinnen und einigen gemischten Paaren, die hin und wieder zu Besuch kamen. Es geschah kaum etwas Besonderes oder gar Aufregendes, doch es gab auch kaum einen Grund zu Klagen.

Jens hatte Wän einmal gefragt, ob sie nicht ihren Sohn nach Pattaya holen und hier zur Schule schicken wollte. Sie hatte merklich reserviert geantwortet, dass sie das nicht so gut findet, dass es ihrem Sohn bei ihren Eltern gut geht und dass er nicht zu oft seine Umgebung und seine Freunde wechseln sollte. Sie würde ihn ja öfter besuchen und das müsste im Moment reichen, erklärte sie, was Jens verwunderte und zu einigen Gedanken veranlasste, denn es war doch sehr fremd, wenn eine Mutter ihr Kind nicht bei sich haben wollte. So wunderte es ihn denn nicht allzusehr, als sie nach knapp drei Jahren erklärte, dass sie nun nach Korat zurückgehen will, um dort mit ihren Eltern und ihrem Sohn zu leben.

Ihre Erklärung, dass sie sich um die alten Elter kümmern muss, brauchte er nicht allzu ernst zu nehmen und so ergab sich denn auch nach einer längeren Unterhaltung, dass Wän nun selbständig leben wollte. Sie konnte ein günstig gelegenes Haus mieten, wollte einen Frisiersalon mit Kosmetik eröffnen und mit ihrem Sohn zusammenleben. Sie erklärte Jens, dass er zu ihrimmer gut gewesen ist und ein guter Freund ist, dass sie sich aber immer fremd fühlt. Sie hat alles immer nur für ihn getan, aber sie würden sich eigentlich gar nicht richtig kennen. Es wäre ihr Fehler, dass sie nie getan hat, was ihr Spass gemacht hätte, weil sie glaubte, es hätte ihn stören können, oder er wäre damit vielleicht nicht einverstanden, obwohl er ihr immer alle Freiheiten gelassen hat. Sie hat immer, wenn sie mit einem Mann zusammengelebt hat, immer nur getan, was der Mann wollte, deshalb wollte sie nun alleine mit ihrem Sohn leben.

Tatsächlich hatte Jens öfter versucht, etwas in sie einzudringen, war aber nie weit gekommen und hatte eher das Gefühl, sie zu bedrängen. Sie hatte auch nie auf seine Fragen geantwortet, was ihr Spass machen würde oder worüber sie sich freuen würde. Die Anworten waren immer abgewogen auf das, was er wollte und was ihm angenehm war. Sie hatte auch bis zuletzt vor ihm Angst gehabt, wenn sie etwas falsch gemacht hatte, wenn sie einen Teller fallen liess, oder wenn sie ihn bat, zu einer Party von Freundinnen gehen zu dürfen, obwohl er ihr bei einem versehentlichen Fehler nie böse gewesen war und ihr auch nie gesagt hatte, dass sie ihre Freundinnen nicht besuchen darf. Er war wohl ständig eine Vaterfigur für sie gewesen, obwohl er nicht viel älter war, als sie. Nachdem sie nun einen brauchbaren Beruf und das nötige Geld zusammen hatte, wollte sie wieder in ihrer alten Heimat, wohl in der Nähe ihrer Eltern aber alleine mit ihrem Sohn leben und sie war sich sicher, dass sie keinen Mann suchen wird, weil sie mit Männern nicht selbständig leben kann.

Jens hatte nun Probleme, alleine zu leben, und er hatte Probleme eine Frau zu suchen, mit der er leben konnte. Hatte er noch relativ mühelos Frauen gefunden, mit denen er seinen Urlaub verbringen konnte, so war es ungleich schwerer, nun eine Frau zu finden, die mit ihm leben konnte. Während des Urlaubs waren es gemeinsame Unternehmungen und Vergnügungen gewesen, mit denen sie beschäftigt waren. Nun aber sassen mussten die Frauen einen grossen Teil des Tages mit sich selbst fertig werden, weil Jens Computerunterricht gab oder Computer reparierte. Sie wussten nichts mit sich anzufangen und es wurde ihnen bald langweilig.

Mehrere Frauen versuchten ernsthaft, mit ihm zu leben, doch abgesehen von zwei Frauen, die ihn als einen dummen Farang zu Ausnehmen hielten und nach kurzer Zeit gegangen wurden, waren sie gehemmt, fühlten sich einsam und warteten darauf, dass Jens ihnen sagte, was sie tun sollten. Die Abende, die mit Wän noch unterhaltsam gewesen waren, wurden nun, da Wäns Freundinnen auch nicht mehr kamen, zu einer peinlich beklemmenden Zeit, die bestenfalls vor einem langweiligen Fernsehprogramm gefeiert wurde, weshalb er bald wieder die Bars bevölkerte. Doch auch dort sassen sie schweigsam herum. Dabei fiel ihm auf, dass fast alle Frauen bereit waren, alles ihnen mögliche zu tun, sobald er es von ihnen forderte, aber sie waren nicht fähig, sich mit sich selbst zu beschäftigen, hatten keine eigenen Interessen und wussten ausser fernsehen und essen gehen nicht, was sie gerne taten oder was ihnen Freude machen könnte. So kam es denn, dass sie ihn nach einiger Zeit aus Hilflosigkeit und Langeweile wieder verliessen.

Wän hatte alle paar Wochen einmal angerufen und ihm dabei gesagt, dass sie oft an ihn denkt, aber dennoch froh ist, jetzt alleine zu leben und dass ihr Laden schon die ersten Stammkunden hat, die hauptsächlich zur Unterhaltung in ihren Laden kommen, wodurch sie viel Unterhaltung und gute Einnahmen hat. Hin und wieder hatten sie auch darüber gesprochen, dass Wän sich keinen Mann suchen wollte, wie auch darüber, dass Jens keine geeignete Frau finden konnte. Es waren vielleicht vier Monate vergangen, als Wän einmal anrief und erzählte, dass eine Freundin für einige Tage nach Pattaya fahren wollte, um Arbeit zu suchen. Sie fragte Jens, ob die Freundin einige Tage bei ihm übernachten kann, weil sie kein Geld für teure Hotelübernachtungen hat und sonst niemand kennt.

Es dauerte nur zwei Tage, bis eine junge Frau erschien, sich als Phrapa vorstellte und sagte, dass sie von Wän aus Korat kommt. Bei der abendlichen Unterhaltung erzählte sie, dass sie in Korat auf die ,Secondary School‘ gegangen ist und anschliessend bei einer Bank gearbeitet hat, bis sie geheiratet hat und ein Kind bekam. Eine Tochter. Das ist jetzt drei Jahre her. Und ein halbes Jahr ist es her, dass ihr Mann nach Bangkok fuhr und nicht wiederkam. Ihr Erspartes ist verbraucht. Deshalb hat sie ihre Tochter vorübergehend bei einer Freundin untergebracht und ist nach Pattaya gekommen, um Arbeit zu suchen.

Jens war in solchen Sachen etwas unbeholfen, doch weil er ahnungslos, hilfsbereit und ehrlich war, konnte ihm geholfen werden. Auf seine Frage, was für eine Arbeit sie denn sucht, antwortete sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag, dass Wän gemeint hätte, er hätte vielleicht Arbeit für sie oder könnte ihr einen guten Rat geben. Und als Jens immer noch nicht zu verstehen schien und meinte, dass er nur wenige Leute kennt, fügte sie unschuldig lächelnd hinzu, dass sie auch gerne einen Kursus als Friseuse belegen und seinen Haushalt versorgen würde. Das empfand Jens als sehr entwaffnend und er fühlte sich sehr hilflos.

Nun waren da einerseits die Gedanken, dass die Zeit mit Wän ja äusserst angenehm gewesen war und die anderen Frauen zumeist gegangen waren, weil sie nichts zu tun hatten und es ihnen zu langweilig war. Dazu kam aber auch die Tatsache, dass er nun alleine lebte, Phrapa ausgesprochen verführerisch wirkte und offensichtlich keine Einwendungen gegen eine gemeinsame Nacht hatte. Vielmehr hatte sie ihre Chance erkannt, bedankte sich bei ihm sehr liebevoll für seine Unterstützung und nach einer Weile sagte sie ihm, dass er ein guter Mann ist und versprach, dass sie besonders gut für ihn sorgen würde, was er nicht nur in dieser Nacht, sondern auch während der folgenden Zeit erlebte.

Am nächsten Tag erfuhr er, dass Phrapa bei den Grosseltern aufgewachsen ist, die schon vor einiger Zeit verstorben sind. Weitere Verwandte sind nicht vorhanden oder nicht bekannt. Das garantierte Jens, dass er nicht von einer dienstbeflissenen Tochter als Melkobjekt für die Familie angesehen wurde. Aber es sagte noch nciht viel darüber aus, was sie von ihm erwartete. Ihre Äusserung, dass sie auch gerne Frisöse werden wollte, wies eher darauf hin, dass sie Wäns Lebensweg nachahmen wollte, indem sie bei Jens ihren Dienst versieht und Friseuse wird, um dann, wenn sie genug verdient hat einen eigenen Frisiersalon zu eröffnen.

Jens sah das nicht als problematisch an, denn dieser Ablauf musste mehrere Jahre dauern. Viel wichtiger war ihm, wie sich ihre Beziehung in dieser Zeit entwickelte. Er ging davon aus, dass er zumindest gut versorgt wird, wie er es bei Wän erfahren hatte. Und wenn sich aus dieser Beziehung nicht mehr ergeben sollte, dann wäre es sicherlich gut, wenn Phrapa dann irgendwann ging. Aber es konnte ja auch sein, dass sie sich zusammenlebten, insbesondere schon deshalb, weil Phrapa keine Verwandten hatte und davon ausgehen musste, dass kaum ein Thai sie als Mutter eines Kindes und verheiratete Frau eines verschwundenen Mannes heiraten würde. Das bedeutete für sie, dass sie mit einem Kleinkind gar keine anderen Chancen hatte, als mit ihm zusammenzuleben. Und wenn sie dies als erträglich erweisen sollte, würde sie sich sicherlich bemühen, ihn als einen Lebenspartner und nicht nur als Versorger zu akzeptieren.



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Er wunderte sich nicht, dass sie sich in den nächsten Tagen sehr viel Mühe gab, sich einzuleben und das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Allerdings wunderte er sich, dass Phrapa sich gar keine Mühe gab, sich nach Friseurkursen umzusehen, sondern sich viel mehr darum bemühte, von Jens etwas über den Umgang mit Computern zu erfahren. Nachdem sie ihn um Erlaubnis gefragt hatte, setzte sie sich an einen freien Computer, während er Unterricht gab oder Computer reparierte. Sie war auch losgezogen und hatte sich Bücher über Computerprogramme gekauft und schon nach zwei Monaten hatte sie eine Gruppe von Schülern aufgetrieben, denen sie den Umgang mit einem Computer und das Programm ,Word‘ beibrachte. Etwas später folgte dann auch das Programm ,Excel‘, womit sie Jens unterstützen konnte.

Dann fragte sie ihn eines Tages, ob es ihn sehr stören würde, wenn sie ihre dreijährige Tochter nach Pattaya holt und versprach, dass sie sich darum bemühen würde, dass die Kleine ihn nicht stört. Jens war darüber verwundert, denn das bedeutete, dass Phrapa nicht vorhatte, Friseuse zu werden und irgendwo einen Friseurladen zu eröffnen. Wollte sie vielleicht irgendwo ohne die nötigen Grundlagenkenntnisse eine Computerschule eröffnen? Oder wollte sie tatsächlich mit ihm leben? Sie kümmerte sich nun zwar um ihre kleine Tochter, an der auch Jens bald seine Freude hatte, aber ihre Bemühungen um seine Versorgung und um die Erweiterung ihrer Computerkenntnisse liessen nicht nach. Sie übernahm zunehmend Schülerkurse, mit denen sie Jens entlastete, der sich mehr um kleine Gruppen von Erwachsenen oder um einzelne Leute kümmerte, die es mit dem Lernen besonders eilig hatten. Um Phrapa zu entlasten, nahmen sie ein junges Mädchen auf, dass sich etwas um den Haushalt und wenn Phrapa ihre Kurse abhielt, um die kleine Tochter kümmerte. Das ging solange gut, bis Phrapa ein Kind bekam. Der Vater war sehr stolz.

Phrapa und der Vater erholten sich schnell und Phrapa übernahm bald wieder ihre Schülerkurse, während das Mädchen auf die Kinder aufpasste. Nun war es nicht so, als wenn der ganze Tag voller Computerkurse gewesen wäre. Die kleine Computerschule lief auf Phrapas Namen und brachte mit einigen wenigen Kursen gerade den Lebensunterhalt ein. Es waren selten mehr als zweimal zwei Unterrichtsstunden die sie am Tag gaben, abgesehen von einzelnen Erwachsenen, die bei Jens ihren Einzelunterricht hatten, und von seinen Computerreparaturen. So blieb noch genug Zeit für ein gemütliches Familienleben.

Sie hatten schon überlegt, ob sie durch Verträge mit Computerläden den Betrieb forcieren, womit sie sicherlich wesentlich mehr verdienen könnten, doch dann hätten sie den ganzen Tag zu arbeiten und es bliebe keine Zeit mehr zum Leben. Jens hätte dann fast genau dasselbe Leben, das er in Deutschland gehabt hatte, weshalb er nach Thailand gegangen war. Deshalb beliessen sie es bei den wenigen Kursen, denn zusammen mit den Einnahmen durch die Reparaturen und den Verkäufen thailändischer Artikel über’s Internet kam genug Geld für ein angenehmes und bequemes Leben zusammen. Schliesslich ging es ja nicht darum, reich zu werden, sondern vielmehr darum, sich mit einem angenehmen Leben miteinander wohlzufühlen und dafür sorgte Phrapa.

Sie war damit zufrieden, dass sie mit Jens gut zusammenarbeiten konnte und dass sie die Hälfte der Einnahmen durch ihre Kurse behalten konnte. Sie hatte nun schon seit einigen Jahren ein angenehmes und weitgehend selbständiges Leben an der Seite von Jens, sie hatte ihre Goldkettchen, ihren Schmuck und ihre Kleider, Unterhaltung mit ihren Freundinnen und schliesslich hatte sie ja auch noch die Kinder, die aber gleichzeitig eine Verpflichtung bedeuteten, wie Jens ihr hin und wieder in Erinnerung rief. Doch für Phrapa war es selbstverständlich, das die Kinder am Familienleben teilhatten. Freilich meinte sie, es wäre etwas übertrieben, wenn Jens darauf bestand, dass sie sich jeden Tag wenigstens eine Stunde mit den Kindern zusammensetzten und etwas gemeinsam unternahmen. Dabei sollten die Kinder auch gleich die Sprachen ihrer Eltern lernen. Jens konnte inzwischen schon ganz gut Thai sprechen und so kam es, dass Phrapa mit den Kindern grundsätzlich Thai sprach, während Jens mit ihnen in Deutschsprach, wenn es nicht gerade um irgendwelche eiligen Angelegenheiten ging, bei denen er dann auch Thai sprach.

Die Kinder sprachen zwar zumeist in Thai, obwohl sie den Vater gut verstanden, wenn er mit ihnen Deutsch sprach, denn er hatte sich viel mit ihnen beschäftigt und auch vieles was sie auf Thai hörten, auf Deutsch übersetzt und ihnen viele Geschichten vorgelesen. Sie gewöhnten sich daran, dass der Vater mit ihnen Deutsch sprach, sich aber nicht daran störte, wenn sie Thai sprachen. Erst ganz langsam, so nach und nach sprachen sie dann auch hin und wieder Deutsch zu ihm, bis sich irgendwann einbürgerte, dass sie zum Vater Deutsch sprachen und zur Mutter in Thai. Es sei denn es ging um irgendwelche eiligen Entscheidungen oder einen kurzen Hinweis, der dann auf Thai gesprochen wurde.

Es war gut, dass die Mutter etwas Deutsch verstehen konnte. Dies war der Erfolg einiger begrenzter Bemühungen mit Lehrbüchern gewesen, aber sie hatte sich trotz aller Aufforderungen von Jens nie richtig getraut, mit ihm Deutsch zu sprechen, so dass ihre Unterhaltungssprache Englisch geblieben war, eine Sprache, die sie beide gut genug beherrschten. Und auch das war gut, denn bei dieser Gelegenheit lernten die Kinder auch gleich Englisch. Sicher gab es eine Zeit, in der sie die Wörter, die ihnen in einer Sprache fehlten, durch die ihnen bekannten Wörter einer anderen Sprache ersetzten. Doch nachdem die Eltern sie dabei regelmässig korrigierten und ihnen die richtigen Wörter sagten, ohne dabei jemals böse zu werden, funktionierte die Familienunterhaltung problemlos.

Freilich gab es da noch das Problem der Schule, die in Thailand nicht nur einen schlechten Ruf hat, sondern ausserdem auch wirklich eher hemmend als fördernd ist. Aber es schien sinnlos, wegen der Schule nach Deutschland zu gehen, wo sie wohl alle nicht richtig leben konnten. Deshalb beschloss Jens, dass die Kinder ruhig in Thailand zur Schule gehen sollten, dass Phrapa und er sich aber jeden Tag mindestens eine Stunde zusammensetzen mussten, um ihnen die Lehrinhalte zu erklären, damit sie sie nicht nur auswendig lernen, sondern auch verstehen, die Schularbeiten zu überprüfen und nicht zuletzt, ihnen dabei zu helfen, den Lehrer und die anderen Schüler zu verstehen, was oft sehr schwierig wurde.

Als die Kinder eines Tages mit der Mutter auf einem Schulfest waren, dachte Jens über sein Leben in Thailand nach. Er war zufrieden und konnte hier gut leben. Sicher gab es hin und wieder etwas, was ihm hier fehlte, insbesondere an Waren und Kundendienst, an kulturellen Angeboten und manchmal waren es sogar Fernsehsendungen, die ihm fehlten, wenn sich über das Kabelfernsehen wieder einmal gar nicht finden liess, was er sich gerne angesehen hätte. Aber dafür hatte er hier die Freiheit, tun und lassen zu können, was ihm passte, wie es ihm passte und wann es ihm gefiel. Er war kein Befehlsempfänger, hatte niemand zu gehorchen und hatte keine Probleme mit Behörden, wenn man einmal von den ständigen Visareisen absah. Er lebte hier ein zufriedenes Leben in einem angenehmen Klima, mit dem Höchstmass an persönlicher Freiheit und einer Familie.

Er war nicht sicher, ob seine Frau ihn nun liebte, er war auch nicht sicher, ob er sie liebte, er war überhaupt nicht sicher, was Liebe sein sollte. Es war aber auch völlig sinnlos, hier Definitionen finden zu wollen, als ginge es um eine Grundsatzdefinition zur Bedeutung verschiedener Wörter. Es war doch wohl ausreichend, zu wissen, dass seine Frau für ihn da war, sich emsig darum bemühte, ihm das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie lebte mit ihm zusammen und tat alles ihr Mögliche, für das Wohlbefinden und das Zusammenleben der Familie.

Sicher mochte das zum Teil an ihrer Unsicherheit liegen, daran, dass sie nicht gelernt hatte, selbständig zu sein und sich ständig bemühte, zu tun, was man ihr sagte oder was man von ihr verlangte. Aber war es denn nicht genug, dass sie tat, was sie konnte? Und wenn sie halt nicht viel mit sich anfangen konnte und nichts fand, was sie selbst wollte oder was sie glücklich machte, dann hatte es doch keinen Sinn, sich darüber zu beschweren. Dann musste er sich eben bemühen, ihr für das, was sie tat, die Anerkennung und die Zuneigung zu geben, die sie verdiente. Wenn sie es nicht konnte, dann musste er eben dazu beitragen, ihr Leben angenehm zu gestalten, sie akzeptieren, ihr kleine Freuden bereiten und zu ihr stehen. Und das war es, worum er sich bemühte.

Ob man das jetzt Liebe nannte oder Freundschaft, Kameradschaft oder Zweckgemeinschaft, war doch völlig gleichgültig. Wichtig war, das sie etwas hatten, was er zuvor nie erlebt und in Deutschland auch nur selten gesehen hatte. Er nannte das ,ein zufriedenes gemeinsames Leben‘ mit zwei Menschen die füreinander da waren.




von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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von Dr.G.M. Gad Labudda

Sonnyboy Chris genießt Pattaya’s Leben

- Zwei mal fünf Seiten - von 'Victor Schluff' in 'Begegnungen in Thailand' -



- Man kann in Pattaya problemlos und zufrieden leben, wenn man nur nicht allzuviel Gefühl in die ersehnten Bekanntschaften investiert. Viele Urlauber übersehen, daß eine Urlaubsbekanntschaft eine nette Unterhaltung sein kann, wenn man die entsprechende Frau weder als die ,Angebetete’, noch als ,Hure’, sondern einfach als einen Menschen ansieht und behandelt und nicht glaubt, besser zu sein, sie erziehen, ihr eine andere Kultur beibringen oder helfen zu müssen. -

Zunächst muß wohl erklärt werden, was hier unter einem Sonnyboy verstanden wird: Ein Mensch mit einem sonnigen Gemüt, im Gegensatz zu einem sogenannten Gefühlsknubbel, auch Seelenmensch genannt. Ein Sonnyboy hat keine sehr tiefgehenden Gefühle, weder im Positiven, noch im Negativen, was allerdings nicht heißt, daß er keine oder zu wenige hat und es gibt hier auch kein verbindliches Maß über die Menge an Gefühlen, die ein Mensch zu haben hat. Auf jeden Fall nehmen die Gefühle in seinem Leben nicht überhand und deshalb begreift er sein Leben und seine Umwelt weitgehend logisch. So meistert er auch sein Leben und nimmt dabei wenig Rücksicht auf Konventionen, Traditionen, den gesunden Menschenverstand, den erwarteten Anstand und das, ‘was man tut’ weil man das tut, sofern dies nicht logisch verständlich ist, was nur gar selten zutrifft. So sind auch seine Bindungen vorwiegend logisch, was bedeutet, daß sie kaum jemals sehr tief, dafür aber auch nicht illusorisch sind. Ein solches Gemüt hat sicher Vorteile, als auch Nachteile, doch der Sonnyboy hat es nun einmal und kommt damit in den meisten Fällen besser zurecht, als die gefühlsbetonten Leute, ganz besonders in Pattaya.

Chris ist jung und hat viel Energie. Er hat viel gearbeitet und viel verdient. Nun ist er mit viel Geld nach Pattaya gekommen, um sein Leben zu genießen und sich zu vergnügen. Er sucht besonders hübsche, junge Mädchen zu seinem oder einem gemeinsamen Vergnügen, so ab achtzehn, neunzehn Jahren. Das tut man nicht, ich weiß, aber Chris tut das und er fühlt sich dabei erstaunlich wohl.

„Suchst Du eine Frau?“, wird er an der ersten Bar gefragt, an der er landet. Leicht verwundert sieht er auf und sagt: „Nein, ich suche Sex.“ Mißmutig sagt eine Frau hinter der Theke, die wohl die Kassierin ist und genau weiß, woran die Mädchen als auch sie selbst am besten verdienen: „Solche Männer mögen die Mädchen nicht. Sie suchen einen Mann, der sie umwirbt, der ihnen den Hof macht, der sie versteht und ihnen hilft, der sie liebt und ernährt.“ Chris zeigt sich verständnisvoll: „Schön, das versteh’ ich, die brauchen dann nicht mit mir mitzugehen. Ich will nur Sex und dafür bezahle ich. Ich bin gekommen, um mich zu vergnügen und nicht, weil ich Frauen verstehen, lieben und ernähren will. Eine Frau, die mit mir mitgeht, weil sie Spaß am Sex hat, ist mir viel lieber, als eine Frau, die versorgt und geheiratet werden will.“ Die Mama Sang findet das gar nicht gut, denn einen Gast, der besonders hübsche Mädchen sucht, sieht sie vielleicht zwei- oder dreimal. Einen Gast, der sich in eines der Mädchen verliebt und vielleicht ins Ausland mitnehmen will, sieht sie dagegen oft wochenlang und manchmal auch mehrmals im Jahr. Er ist zudem ein häufiger Gast und bring viel Geld.

Ein deutschsprachiger Gast, der in seiner Nähe sitzt und das Gespräch mitgehört hat, belehrt ihn: „Das ist doch brutal. Hast Du denn überhaupt kein Gefühl? So kannst Du das doch nicht machen. Du mußt doch etwas Verständnis zeigen. Frauen wollen hören, daß sie schön sind, daß Du sie liebst und Dich um sie kümmern willst. Dann gehen sie auch gerne mit. Du mußt doch verstehen, daß die Mädchen ja nur an der Bar arbeiten, weil sie Geld verdienen müssen und diese Arbeit eigentlich gar nicht mögen, daß sie jemand suchen, der ihnen hilft, damit sie nicht an der Bar zu arbeiten brauchen.“

Doch Chris meint gar nicht, daß er das verstehen muß: „Wenn eine Frau nicht schön ist, dann such’ ich sie auch nicht aus und nehm’ sie nicht mit. Und wenn ich ihr sage, daß ich sie liebe, dann ist das glatt gelogen. Worin soll denn diese Liebe bestehen? Wie soll ich eine Frau lieben, nur weil sie eine gute Figur hat und hübsch aussieht? Dann will ich mit ihr ins Bett, sonst nichts. Ich will mich auch nicht um sie kümmern. Wenn ich ihr das sage, werde ich sie nie los, weil ich ihr versprochen habe, mich um sie zu kümmern. Außerdem gehe ich auch nur arbeiten, um Geld zu verdienen, ohne daß mir das viel Spaß macht. Ich wär’ viel lieber als Playboy beim Playboy, aber die Stelle war gerade nicht frei. Willst Du mir nicht helfen und mir etwas Geld geben, damit ich nicht zu arbeiten brauche?“, spottet er und wendet sich, ohne eine Antwort abzuwarten, an ein hübsches, schlankes Mädchen mit einem großen, stark gewölbten Ausschnitt: „Pai duai mai?“, was soviel heißt wie „gehen wir zusammen?“ und „kommst Du mit?“ bedeutet.

Das Mädchen ist einverstanden, Chris schiebt zweihundert Baht über die Theke und es setzt sich neben ihn. Das geht ganz ohne Probleme. Er fragt, ob es etwas trinken will, es bestellt Orangensaft und fragt: „Wie lange bleibst Du in Pattaya? Schickst Du mich morgen wieder weg?“, worauf er sagt: „Wenn Du gut bist und wir uns verstehen, kannst Du auch länger bleiben, aber ich hab’ nicht vor, zu heiraten.“

Dann wendet er sich an seinen Nachbarn: „Warum bist Du denn nach Pattaya gekommen?“ Der zeigt sich bei der Beantwortung eifrig: „Ich bin gekommen, um eine Frau zu suchen, die ich liebe und die hab’ ich auch gefunden. Wir sind sehr glücklich miteinander und wollen uns im nächsten Jahr wiedersehen. Dann wollen wir heiraten.“ Chris versteht nicht gut und will wissen: „Woran sieht man denn, daß Du sie liebst und daß ihr so glücklich seid? Wie empfindest Du das?“ Doch auch darauf konnte der Mann sofort antworten: „Ich denke viel an sie und sie macht sich Sorgen um mich und kümmert sich den ganzen Tag um mich, sie beschafft Essen, das gesund ist, macht die Wäsche und sagt mir, was ich am besten anziehen soll, sie sorgt dafür, daß ich nicht so viel rauche, weniger trinke und nicht soviel Geld ausgebe und sie ist immer für mich da. Das ist einfach ein großartiges Gefühl, das man gar nicht beschreiben kann.“

„Und daran soll man erkennen, daß Du sie liebst und daß sie glücklich ist?“, staunt Chris, der überhaupt nicht versteht, was das mit Liebe oder mit Glück zu tun hat. Er glaubt vielmehr, der Mann sucht einen Mutterersatz oder vielleicht eine vollbusige Kinderpflegerin. Aber Leute, die von Liebe redeten, waren ihm schon immer suspekt gewesen. Meist machten sie einen so abgehobenen, schwärmerischen Eindruck, nur hatte ihm noch keiner sagen können, was Liebe tatsächlich ist, abgesehen von jenen, die von Liebe sprachen, wenn sie mit einer Frau ins Bett wollten, aber das nannte man Sex und nicht Liebe.

Nun wandte sich Chris’ Leihfrau an ihn, sie wollte kurz eine Freundin besuchen. Er fragte, wie lange, nickte und erklärte: „Wenn Du mich nicht hier findest, bin ich in der Soi 7“, und nannte ihr den Namen der Bar. „Und wenn Du um Mitternacht nicht da bist, nehm’ ich eine andere Frau mit nachhause.“ Das war vollkommen problemlos, aber es war ja auch keine Liebe; es sollte ja schließlich Spaß machen.
Dann stellte sich sein Nachbar vor, Berni nannte er sich, was Chris sich gut merken konnte, weil er ihn stark an eine gleichnamige Figur aus der Muppet-Show erinnerte. Genauso wie diese plapperte er nun vor sich hin und erzählte Chris von dem himmelhochjauchzenden Glück und der großen Liebe zu der einzigen anständigen, sauberen, hingebungsvollen, intelligenten... An diesem Punkt merkte Chris, daß er nicht mehr zuhören mußte und tatsächlich schaffte es Bernie, alleine weiterzureden. Zumindest solange, wie man seine große Liebe nicht gehört hatte, die sich nun wie ein Waldhorn allesdurchdringend hörbar näherte. Sie war sehr ungehalten, daß sie Bernie nicht im Hotel angetroffen hatte und daß er in eine Bar gegangen war. Dann war sie ungehalten, daß er schon wieder Alkohol trank und schließlich störte es sie, daß er zuviel rauchte. Bernie hingegen warf ihr vor, daß sie zu lange weggewesen war und sich noch nicht einmal bei ihm gemeldet hatte, daß er die ganze Zeit allein im Hotel sitzen mußte und daß sie ihm noch nicht einmal einen Kuß zur Begrüßung gegeben hat.

Als der Streit an Bewegung zunahm und die Tonhöhen sich steigerten, forderte er von Chris eine Bestätigung dafür, daß er doch zumindest einen Kuß von ihr verlangen konnte, doch der murmelte nur: „Mein Gott, muß Liebe schön sein“, und dann fragte er Bernie: „Warum küßt Du sie dann nicht, wenn Dir das so wichtig ist? Oder soll sie Dir damit beweisen, daß sie Dich liebt?“

In die entstehende Stille sagte die Einzige, daß sie zu der Geburtstagsparty einer Freundin gehen will. Bernie war empört, weil er dann ganz alleine an der Bar sitzen und warten mußte, bis sie von der Party kam, weil er nicht alleine im Hotel sein wollte. Er verbat ihr, zu der Party zu gehen. Dann wollte er wissen, wie lange die Party dauern sollte und geriet geradezu außer sich, als sie sagte, die würde länger dauern, weil sie erst gegen Mitternacht beginnt und viele Freundinnen die Bar, an der sie arbeiteten, nicht vor zwei Uhr verlassen dürfen. Er versuchte, ihr verständlich zu machen, wie verwerflich und unmoralisch es ist, wenn eine junge Frau nach Mitternacht alleine ausgeht und Chris mußte lachen. Darauf fragte er Chris, was er denn an seiner Stelle machen würde und der meinte, sich umsehend: „Warte mal... Ich würde die Kleine im roten Pullover mitnehmen; die hat eine gute Figur und ein hübsches Gesicht.“ Doch Bernie schlug den guten Rat in den Wind und sperrte statt dessen den Mund auf.

Nachdem der Streit über den Partybesuch eine Weile gedauert hatte, sagte die Einzige zu Bernie, daß er ihr Geld geben soll, sie wollte eine Nudelsuppe essen und zeigte auf einen Stand in der Nähe. Bernie gab ihr sein Portemonnaie und wandte sich wieder Chris zu, um ihn über seine große Liebe und das Glück der Gemeinsamkeit zu informieren. Das dauerte länger, obwohl Chris nur halb zuhörte und nicht darauf einging. Erst als Bernie sagte, daß seine Frau alles für ihn tut, meinte er besorgt: „Hoffentlich benutzt sie dafür nicht Dein Portemonnaie.“ Erst jetzt bemerkte Bernie, daß seine Einzige schon länger weg war und auch nicht am Nudelstand saß. Und dann bemerkte er, daß er hier an der Bar auf sie warten mußte, weil er kein Geld hatte, seine Zeche zu bezahlen. Chris nutzte die günstige Gelegenheit, sich ganz alleine an eine andere Bar zu setzen und hoffte, daß er niemand traf, der ihn über das einmalige Glück der großen Liebe informieren wollte.

Chris hatte eine vergnügte Nacht, einen tiefen Schlaf und eine ausgiebige Massage genossen, als er mit seiner Mietfrau essen ging. Sie bekam ihr Geld und sie wollten sich abends wieder in der Bar treffen, weil die Frau tagsüber einige private Angelegenheiten erledigen wollte, wonach sie weitere Einkünfte erhoffte. Sie hatte Chris angeboten, daß sie ihn auch schon am Nachmittag treffen könnte, aber der wurde ganz gut mit sich selbst fertig und meinte, es reicht, wenn sie abends so gegen acht, neun Uhr zur Bar kommt, weil er noch nicht weiß, wohin er dann zum Abendessen geht.


Am Abend ging Chris in die Bar, wo er Bernie traf. Der hatte zwar nicht seine Einzige, statt dessen jedoch ein blaues Auge und ein zerkratztes Gesicht mitgebracht. Seine Freundin war nach vier Uhr morgens gekommen und sehr böse, daß er nicht im Hotel war. Als er erklärte, daß er nicht gehen konnte, weil sie sein Portemonnaie hatte und er nicht bezahlen konnte, sagte sie, daß sie ihm das Portemonnaie zurückgegeben hat und daß er das nur vergessen hat, weil er wieder betrunken gewesen war. Im Hotel ist der Streit dann eskaliert, worunter Bernies Gesicht und die Zimmereinrichtung zu leiden hatten. Aber dann haben sie sich wieder versöhnt. Im Bett. Und es gibt tatsächlich Leute, die behaupten, daß man daran die wahre Liebe erkennt.

Chris hatte auf die Ausführungen nicht reagiert. Auf die Versöhnung im Bett sagte er nur: „Ich kann Eure Liebe nicht verstehen.“ Nun versuchte Bernie, ihn zu überzeugen: „Das kannst Du nicht verstehen, weil Du keine Gemeinsamkeit kennst. Du wechselst die Frauen, wie es Dir gerade paßt. Du denkst gar nicht ans Heiraten, an eine Verbindung auf Lebenszeit. Du benutzt die Frauen nur zum Sex, Du benutzt sie wie ein Möbelstück, aber Du kennst keine wahre Liebe. Du kennst nicht die Gemeinsamkeit, die man mit einer Frau hat, das Gefühl, das über alle kleinen Auseinandersetzungen und Probleme hinweg miteinander fürs ganze Leben verbindet und uns unzertrennlich macht.“

„Schön,“ meinte Chris, der normalerweise nicht viel spricht, aber eine Aversion wegen Vorwürfe und inhaltsloses Geschwafel hat, „dann klär’ mich auf. Welche Gemeinsamkeiten habt ihr denn? Ein gehobenes Kunstgefühl, vielleicht beim Hören derselben Musik, bei Filmen oder Fernsehsendungen, die ihr gemeinsam seht und über die ihr diskutiert? Dieselbe Anschauung bei Literatur, Gesellschaftsproblemen oder Eurem Lebensziel? Denselben Geschmack bei der Hausdekoration oder beim Essen?“ Als Bernie nicht antwortete, fuhr er fort: „Du belügst Dich doch selbst. Ihr könnt mit Euch nichts anfangen und ihr könnt nicht alleine sein, deshalb nennst Du es Gemeinsamkeit, wenn Ihr Euch streitet und die Schädel einschlagt. Du liebst sie nicht, Du liebst nur, daß sie Dich liebt. Deshalb willst Du sie zwingen, in Deiner Nähe zu sein, sich um Dich zu kümmern, weil Du mit Dir nicht alleine fertig wirst. Wie ein Kleinkind, dem man den Fernsehapparat ausschaltet. Du willst sie nicht heiraten, weil Du sie liebst, sondern weil Du sie besitzen willst, weil Du Angst hast, daß sie Dir wegläuft und Dich alleine läßt. Ihr redet von Liebe, aber in Wirklichkeit kämpft Ihr gegen-einander, weil ihr jemand braucht, der sich mit Euch beschäftigt, um vor Eurer Einsamkeit und Euren Problemen zu fliehen. Ihr streitet Euch, um Euch zu beweisen, daß sich jemand für Euch interessiert. Ihr habt Krach miteinander, so wie andere Leute laute Musik aufdrehen, um an nichts denken zu müssen. Die einzige Gemeinsamkeit habt Ihr vielleicht im Bett. Und die hab’ ich auch, aber ohne Streit und ohne Zwang. Ich zwinge meine Freundinnen zu nichts. Ich akzeptiere sie so, wie sie sind. Sie können anziehen, essen und machen, was sie wollen, sie können weggehen, Freundinnen oder Parties besuchen. Und ich kann auch machen, was ich will. Und wenn Du meinst, daß ich sie wie Möbel behandele, dann muß ich Dir sagen, daß ich meine Möbel aber auch pflege und nicht zusammenschlage.

Ich geh’ gerne mit Frauen ins Bett, weil mir das Spaß macht. Aber ich dreh’ nicht durch, wenn keine Frau da ist oder wenn eine bestimmte Frau nicht kommt. Ich tu dann irgend etwas anderes, aber ich fange nicht an, zu schreien, wie ein Kleinkind, dem die Mutter weggelaufen ist. Ich schluchze auch nicht: „Oh, Laila, verlaß’ mich nicht!“ Wenn eine Frau nicht bei mir sein will, weil sie sich nicht wohlfühlt, dann soll sie halt gehen. Ich kann doch nicht eine Frau zu irgendetwas zwingen und dann auch noch frech behaupten, das tu ich, weil ich sie liebe.“ Nachdem Bernie weiterhin still blieb, meine Chris: „Mir ist aufgefallen, daß die Leute, die hier in Pattaya von Liebe reden, nur schwafeln, sich selbst leidtun, mit sich nicht fertig werden und Hilfe suchen. Es ist nicht so, daß sie einen Menschen lieben, vielmehr wollen sie von einem Menschen geliebt werden.“

Chris war das Thema leid, so war es gut, daß seine Freundin kam. Sie wechselten ein paar Worte, sie erzählte, was sie am Tag gemacht hatte und bald danach wechselte er mit ihr die Bar, um sich zu vergnügen. Sie hatten beide noch keinen Hunger und vereinbarten, vielleicht nach der nächsten Bar gemeinsam essen zu gehen.

Wenige Tage später traf Chris erneut unerwartet Bernie, der völlig aufgelöst an der Bar saß: „Sie ist weg. Mit meiner Brieftasche und meiner Uhr. Was soll ich nur machen?“ Chris wollte wissen, ob seine Papiere oder viel Geld in der Brieftasche gewesen waren, doch Bernie meinte: „Nein, die sind im Safe. In der Brieftasche hatte ich so um die viertausend Baht und zwei Kreditkarten.“ Darauf zeigte Chris auf die Mädchen: „Such’ Dir eine hübschere, die nicht klaut.“ Doch Bernie schluchzte: „Aber ich liebe sie doch!“ Und Chris meinte recht gleichmütig: „Na gut, dann tu das, wenn’s Dir hilft.“

Aber Bernie war es wichtig, daß sich jemand mit ihm beschäftigte. Deshalb klagte er jetzt: „Aber ich muß doch etwas tun, daß mir das nicht wieder passiert.“ Doch Chris blieb hart: „Ja, such’ Dir eine andere Frau. Wenn Du diese Frau lieben würdest, dann würdest Du Dir mehr Sorgen machen, wie es der Frau geht und nicht, wie es Deiner Brieftasche und Deiner Uhr geht. Wenn Du willst, daß Dir das nicht wieder passiert, dann gibt’s nur zwei Möglichkeiten: Entweder Du hörst auf, Dir vorzumachen, daß Du die nächste Frau auch wieder liebst, oder Du läßt Dich für den Fall versichern, daß die Frau, die Dich liebt, mit Deiner Brieftasche verschwindet. Und zwar darauf, daß die Brieftasche zurückkommt und die Frau wegbleibt. Übrigens, was hältst Du davon, wenn Du Dich einmal mit Dir selbst beschäftigst und Dich fragst, was Du überhaupt willst und warum Du unbedingt eine ganz bestimmte Frau haben willst?“

„Du verstehst mich nicht. Ich will doch nur, daß meine Frau zurückkommt, weil ich sie doch so liebe.“ Chris verlor die Geduld und meinte: „Du verstehst mich ja auch nicht. Ich hab’ nicht gesagt, Du sollst Dich mit mir beschäftigen. Ich hab’ gesagt, Du sollst Dich mit Dir beschäftigen. Außerdem ist Wollen eine Aktivität. Du willst nicht, daß Deine Frau wiederkommt, sonst würdest Du etwas daran tun. Du sitzt nur da und wartest, daß sie wiederkommt, weil Du willst, daß sie Dir damit beweist, daß Dich liebt und Dir deswegen hinterherläuft. Wenn keine Wolke am Himmel ist, dann kannst Du hoffen oder warten, daß es regnet. Wenn Du willst, daß es regnet, mußt Du etwas unternehmen. Du kannst dann einen Regentanz aufführen oder Dir überlegen, wozu Du das Regenwasser brauchst und etwas tun, um Dir das Wasser zu beschaffen. Wenn Du nur an der Bar sitzt und sagst, Du willst, daß Deine Frau zurückkommt, ähnelst Du einem trotzigen Kleinkind, das mit dem Fuß auf den Boden stampft und schreit: „Ich will aber, daß meine Mutti mich liebt!“ Du solltest wissen, daß das nicht hilft.

Da Chris nicht länger vorhatte, sich Bernies Herz zu zerbrechen, nahm er einen Ortswechsel vor und vernügte sich mit einem hübschen Barmädchen, das ihm viel vernünftiger schien, als Bernie. Sie vergnügten sich miteinander und genossen die Zeit, statt sich darüber zu streiten, daß sie doch wollten, daß der Andere sie liebt.

Doch die Gemeinsamkeit von Bernie und seiner Partnerin besteht nicht nur darin, daß er mit ihr ins Bett will und sie sein Geld haben will. Außerdem können sie nicht allein sein und kämpfen darum, daß der Andere sie will. Selbstverständlich kam Bernies Frau zurück, denn sie hatte die Brieftasche und die Uhr nur mitgenommen, weil sie wollte, daß Bernie sie sucht und ihr hinterherläuft. Da Bernie aber vorzog, sie an seinem Stammplatz zu suchen, kam sie schließlich zu ihm, machte ihm bittere Vorwürfe über sein Verhalten und daß er sie nicht gesucht hatte. Er machte ihr bittere Vorwürfe, weil sie die Sachen gestohlen hatte. Sie sagte, die hatte sie nur mitgenommen, weil sie das Gefühl hat, daß er sie nicht mehr will, vergaß zwar zu sagen, daß sie den größten Teil des Geldes inzwischen für dringende Ausgaben, wie beispiels-weise den Kauf von Armreifen und einem Goldkettchen gebraucht hat, weil die Gelegenheit gerade so günstig war und sie sich für den Liebesverlust entschädigen mußte, gab ihm aber seine Sachen zurück, bestätigte, wie sehr sie ihn liebt, worauf er ihr verzieh. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie aufstanden und in sein Hotel gingen, weil sie sich dringend versöhnen mußten, was ihnen an der Bar nicht möglich war.

Es war nur wenige Tage später, als Chris mit einem hübschen Mädchen in einem kleinen Restaurant saß. Sie hatten schon gegessen, weil sie sich aber bedingt durch Sprachprobleme nicht so gut miteinander unterhalten konnten, war Chris auf den Gedanken gekommen, aus den bereitgestellten Zahnstochern ein dem Mikado ähnliches Spiel zu konstruieren, das ihnen viel Spaß bereitete. Mitten in dieses Vergnügen platzte streitend und keifend ein Paar, das sich in die Nähe setzte. Nach längerem Streit entdeckte Bernie, daß Chris im Raum war, begrüßte ihn gehetzt, sagte, er würde gerade seine Abreise vorbereiten, aber er hätte unbedingt noch einige Probleme mit seiner Frau zu klären und bat ihn dringend, ihm zu sagen, ob er wirklich gesehen hat, daß seine Frau ihm sein Portemonnaie zurückgegeben hat.

Doch Chris war das Spiel leid und erklärte: „Ich freue mich, daß Ihr glücklich seid und so gut miteinander auskommt. Es ist Eure schönste Beschäftigung, miteinander zu streiten, weil ihr dann beide erlebt, daß jemand an Euch Interesse hat. Aber nachdem ihr jetzt schon glücklich seid, ist es nicht erforderlich, uns in Euer Spiel mit einzubeziehen und auch noch glücklich zu machen. Ich sitze hier mit meinem Mädchen. Wir unterhalten uns prächtig, uns geht es gut, wir haben eine schöne Stimmung. Wir lieben uns nicht, wir kommen hervorragend miteinander aus und wir sind lustig. Wenn Du mir jetzt nicht sagst, was Euer Verhältnis mit Liebe zu tun haben soll, dann steige ich aus dem Spiel aus und sage Dir nicht, ob ich das Portemonnaie gesehen habe.“

„Was willst Du wissen, warum wir uns lieben?“, fragte Bernie erstaunt und Chris bestätigte: „Ja, oder das.“ Bernie schnappte nach Luft, dann stieß er aus: „Ja, aber wir lieben uns wirklich!“ Chris verzog keinen Muskel, als er fragte: „Also, Ihr liebt Euch, weil Ihr Euch liebt, richtig?“ Bernie nickte verständnislos, als er noch einmal beteuerte: „Ja, wir lieben uns!“ Darauf meinte Chris: „Schön, und das Portemonnaie ist ein Portemonnaie, weil’s ein Portemonnaie ist.“ Und dann fügte er hinzu: „Ihr liebt Euch und seid miteinander beschäftigt. Das ist schön. Wir lieben uns nicht und sind auch miteinander beschäftigt. Und wir haben gar keine Lust, uns jetzt mit Euch zu beschäftigen, weil ihr Euch liebt. Könnt Ihr Euch jetzt bitte weiterstreiten, dann können wir unseren gemütlichen Abend weiter genießen.“ Damit wandte er sich wieder seinem Mädchen und dem Zahnstocher-Mikado zu und hörte einfach nicht, was Bernie noch sagte.

Es dauerte nicht lange, bis ein Liebespärchen das Restaurant verließ und laut schimpfend und schreiend und sich boxend und schlagend über die Straße ging. Nicht lange danach verließ ein anderes Pärchen das Restaurant und schlenderte gemütlich Arm in Arm nach Hause. Aber das war ja auch kein Liebespärchen.


von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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von Dr.G.M. Gad Labudda


Die hilflosen Kinder hilfloser Eltern - 2 mal 11 Seiten - ('Victor Schluff')

Wenn von einer Familie in einer Kleinstadt gesprochen wird, denken viele Leute an ein kleines Häuschen mit einem Vorgarten, in dem zwei junge Leute sitzen, während zwei oder drei Kinder auf einem Rasen herumlaufen und vielleicht mit einem Ball oder mit einem Hund spielen. Eine Idylle, die wohl aus einem Bilderbuch stammt, denn die Wirklichkeit sieht anders aus. Oft ist sie so schlimm, daß sie in kein Bilderbuch paßt. Pok, Thong und Suwa hatten nie eine Chance für ein eigenes Leben. Ihre Lebensgeschichte war nicht idyllisch, sie wird nie in einem Bilderbuch stehen. Sie zeigt einen Aspekt des gesellschaftlichen Lebens, die abgestorbenen Gefühle in der fortgeschrittenen Gesellschaft, die Entfremdung des Menschen, den Wert, den man einem Menschen zuschreibt, die Anschauung, daß Kinder nicht zur Gesellschaft gehören, weil sie nicht nützlich sind, solange sie keinen Gewinn einbringen, und niemand wird darüber voller Stolz berichten. Man kennt diese Schicksale. Man hat kein Interesse, sich um fremde Kinder zu kümmern. Es ist viel bequemer, wenn man darüber schweigt.

Ihre Eltern kamen aus normalen Familien und wurden normal erzogen. Sie stammten aus Familien von Reisbauern, die nach und nach ihre wenigen Felder verkauften, um nicht zu verhungern. Bis sie nichts mehr hatten, kein Geld und keine Felder. Nur Hunger hatten sie, und Kinder, aber die bedeuteten ihnen nicht viel, denn sie hatten kein Gefühl für andere Menschen, hatten sie doch selbst nie Zuneigung erhalten und wußten nicht, was Wärme oder Liebe ist. Zudem hatten sie andere Sorgen. Kinder brauchte man im Alter, um versorgt zu werden. Aber bis dahin waren sie unerwünschte Esser, die Kosten verursachten und störten, den ganzen Tag lang störten, denn sie hatten kein Geld, ihre Kinder in eine Schule zu schicken, um ihre Ruhe zu haben. So geht es vielen Leuten im Isan, dem armen Nordosten Thailands, deshalb ist solch ein Leben dort normal. Deshalb spricht man auch nicht darüber, denn die Probleme anderer Menschen gehen einen ja nichts an. Wenn man sich zu sehr um arme Nachbarn und ihre Kinder kümmert, läuft man Gefahr, ihnen vielleicht auch noch helfen zu müssen.

Als die Eltern noch heranwuchsen und sich begegneten, sahen sie das erste Mal einen Menschen, der sie mochte, einen Menschen, der attraktiv war, sexuell anregend, und von dem sie glaubten, daß er ihnen helfen kann. Diesen Menschen wollten sie haben, denn sie hielten ihn für nützlich und brauchbar. Deshalb waren sie etwas nett zu ihm, damit er sie wollte und auch nett war. Da dieser Irrtum auf Gegenseitigkeit beruhte, sprachen sie von Liebe und heirateten einige Monate später. Sie zogen in ein barackenähnliches Holzhaus, das in einzelne Zimmer mit Kochecke und Toilette aufgeteilt war. Er war auf dem Bau beschäftigt und sie war nun Hausfrau. Nach der Hochzeit verbrachten sie die Abende zuhause und hatten viel Sex. Sie nannten das Liebe. Doch schon bevor Pok, der erste Sohn, geboren wurde, wußten sie, daß es keine Liebe war, weil ihr Ehepartner ihnen weder Zuneigung geben, noch helfen konnte. Es war für beide eine herbe Enttäuschung, als sie bemerkten, daß der Ehepartner sie nicht liebt, sondern nur erwartete, geliebt zu werden. Als Gemeinsamkeit hatten sie nur den Sex,, das einzige Gefühl, das sie geben konnten, und so kamen nacheinander Pok, Tong und Suwa, zwei Söhne und eine Tochter auf die Welt, die in ihren ersten Lebensjahren das Lieblingsspielzeug ihrer Mutter waren.

Säuglinge werden bei vielen thailändischen Familien emsig umsorgt. Doch wenn sie zu stören beginnen, so gegen Ende des dritten Lebensjahres, hört das auf, denn die Eltern haben über Erziehung keine weiteren Informationen als jene, die sie in ihrer eigenen Erziehung genossen haben. Das hat zur Folge, daß sie hilflos sind, ihre Kinder nicht verstehen können und nun beginnen, sich vor ihnen zu schützen, sich gegen sie zu wehren und oftmals auch, sie entsprechend ihren Wünschen zu nützlichen und profitablen Familienmitgliedern zu formen. Wohl die meisten Kinder erhalten nun ihre erste Rekrutenausbildung. Die Eltern sprechen mit ihnen nur noch im Kasernenhofton und die Kinder erleben zumeist Befehle, Verbote und Strafen, womit sie sich frühzeitig an die Funktion und die Herrschaft späterer demokratischer Regierungen gewöhnen können.

So wuchsen die Kinder während ihrer ersten Lebensjahre in dem auf, was man so schön ‘trautes Heim’ nennt, was aber nichts mit Geborgenheit zu tun hat und nur beweist, daß die Floskel ‘Zuhause’ nicht nur mit einem Gefühl der Zusammengehörigkeit oder des Behütetseins, sondern auch mit dem Gefühl der Angst oder der Furch vor diesem ‘Behütetwerden’ besetzt werden kann. Der Vater war selten zuhause. Er sagte, er muß viel arbeiten, um die Familie zu ernähren, deshalb mußte er Überstunden machen. Bald kam der Vater immer später von der Arbeit. Er setzte sich mit Kollegen und Freunden zusammen, die dann ‘Lao Kao’ tranken, den billigen Reisschnaps. Die Mutter setzte sich mit Freundinnen zusammen, deren Männer auch auf dem Bau arbeiten. Sie tranken eine ‘Sam Niu’ genannte ‘Medizin’, einen billigen Kräuterlikör, der nach einem süßlichen Magenbitter schmeckt. Die Kinder der Frauen waren dann meist in der Nähe, solange sie noch klein waren, achteten aber darauf, ihren Müttern nicht ungerufen zu nahe zu kommen, weil sie zu leicht geschlagen wurden, sei’s wegen irgend einer Handlung oder einfach nur weil sie störten, denn nun waren sie nicht mehr niedlich. So war die Mutter froh, daß sie in der Nähe einer Schule wohnten, wo sie die Kinder mit Beginn des vierten Lebensjahres in einer Vorschulklasse untergebracht hatte. Dort wurden sie gut aufgehoben.

Dann verlor der Vater die Arbeitsstelle. Er war betrunken und wollte die ‘Mia Noi’, die hübsche Nebenfrau des Vorarbeiters zum Sex zwingen. Er hatte in seinem Suff geglaubt, daß ihr das Spaß machen muß und gar nicht daran gedacht, daß sie schreien könnte. Der Vorarbeiter kam, sah seine Freundin mit einer zerrissene Bluse im festen Griff eines betrunkenen Arbeiters, und siegte. Er schlug einmal kräftig zu und brachte den betrunkenen Mann, der jetzt auch noch torkelte, vor den Chef, der ihn entließ. Zuhause zeigte der Vter sein Auge und erzählte, daß er wegen eines Unfalls entlassen worden war. Aufgebracht ging die Mutter, um den Chef zur Rede zu stellen. Aber der war nicht da, nur der Vorarbeiter. Der holte seine Freundin, die erzählte, warum der Vater entlassen wurde. Aufgebracht kam die Mutter nachhause. Dann hatte der Vater ein zweites blaues Auge und eine Platzwunde am Kopf. Die Mutter hatte eine gebrochene Nase, Schnittwunden und aufgeplatzte Lippen. Der Streit dauerte länger und die Kinder erlebten die Schlägereien ihrer Eltern jetzt öfter. Tatsächlich war die ohnehin schwache Bindung der Eltern endgültig zerstört, wenn sie sich auch nicht trennten. Doch die Spannungen waren unübersehbar und in Wirklichkeit kämpften sie jetzt gegeneinander. Das schien ihnen angenehmer, als alleine zu sein und gar nicht beachtet zu werden, zumindest solange sich nicht die Möglichkeit eines Lebens mit einem neuen Partner abzeichnete. Der Vater fand keine neue Arbeit und war jetzt viel zuhause. Er übernahm verschiedene Aushilfsarbeiten, um sich mit Lao Kao betrinken zu können. Er hatte Verständnis dafür, daß seine Frau mittrank. Die Kinder störten und wollten etwas zu essen haben. Dafür hatten die Eltern kein Verständnis.

Das Einkommen reichte gerade eben für den Lao Kao, aber nicht für die Miete, obwohl der Vater nun versuchte, sich mit Kartenspielen ein Einkommen zu verschaffen. Aber er verlor mehr Geld, als er gewann. Er fand nicht weit entfernt eine kleine Bretterhütte ohne Strom und Wasser, so konnten die Kinder weiter zur Schule gehen. Sie waren sehr froh darüber, denn seit der Vater fast immer betrunken zuhause war und die Mutter wegging, um Geld zu verdienen, bekamen sie zuhause oft Schläge.

Nach einem besonders heftigen Streit der Eltern schien sich alles zu wenden. Sie hörten auf, zu trinken. Der Vater rasierte sich und suchte Arbeit. Nach zwei Wochen konnte er bei einer großen Baufirma anfangen. Das Leben wurde erträglich, bis der Vater abends wieder wegblieb, mit Freunden Lao Kao trank und Karten spielte. Die Mutter ging wieder oft weg, sie blieb lange und kam meist erst lange nach Mitternacht betrunken nachhause. Die Eltern stritten viel miteinander, wenn sie sich sahen und die Kinder hatten oft nichts zu essen und bekamen Schläge.

Dann überschlugen sich die Geschehnisse. Der Vater kam einige Tage mit Freunden nachhause. Sie betranken sich jetzt mit amerikanischem Whisky und der Vater sagte, sie würden bald wieder eine gute Wohnung und genug zu essen haben. Doch die Mutter kam tagelang nicht nachhause und die Kinder hatten nichts zu essen. Eines Tages kamen weder Vater noch Mutter nachhause. Am nächsten Tag kamen zwei Polizisten und fragten nach der Mutter, sie sollte wegen einer Angelegenheit des Vaters zur Polizei kommen. Die Mutter kam erst zwei Tage später und ging am nächsten Tag zur Polizei. Danach sagte sie den Kindern, der Vater hat mit zwei Freunden in der Firma Geräte gestohlen und verkauft. Schweißgeräte, Bohrmaschinen, Motorsägen und Anderes. Sie hatten im Büro der Firma eingebrochen und den Wachmann sie gehört hatte und sie beim Aufbrechen einer Tür erwischte, haben sie ihn niedergeschlagen. Der war aber schnell wieder zu sich gekommen und hat die Polizei gerufen. „Jetzt sitzt der Vater im Gefängnis und da soll er viele Jahre bleiben“, schimpfte die Mutter, als sie wegging.

Am Nachmittag des nächsten Tages hielt ein Auto vor der Hütte. Die Mutter stieg aus, holte einige Papiere und Sachen aus der Küche und erklärte den Kindern, sie sollen dem Vater sagen, daß sie nicht länger mit ihm leben kann. Die Kinder wollten wissen, wo sie hingeht, doch sie sagte nur, daß sie weggeht, und daß sie die Kinder nicht mitnehmen kann, weil niemand sie haben will. Sie schimpfte, daß der Vater die Schuld hat. Als die Kinder sagten, sie haben Hunger, ging sie zum Wagen und kam mit einhundert Baht wieder. Dann fuhr die Mutter weg, verließ ihre Kinder.

Die Kinder waren ratlos, sie gingen zum Vater. Der sagte ihnen zur Begrüßung, daß er jetzt keine Kinder brauchen kann, dann meinte er, die Mutter soll ihm Zigaretten, Geld und Essen bringen. Als er hörte, daß die Mutter nicht mehr mit ihm leben will, ihn verlassen hat und weggegangen ist, war er lange Zeit still. Dann sagte er seinen Kindern sehr leise, sie dürften nicht in der Hütte bleiben, sonst kämen sie in ein Heim, das noch schlimmer ist, als das Gefängnis. Sie sollten weglaufen und sehen, daß sie nach Bangkok kommen. Er kann ihnen nicht mehr helfen, sie müßten versuchen, sich selbst durchzuschlagen und am Leben zu erhalten. Sie sollten nie vergessen, daß er nur im Gefängnis sitzt, weil er versucht hat, ein guter Familienvater zu sein, seine Familie zu ernähren und ihr ein gutes Leben in Wohlstand und den Kindern ein besseres Leben und eine gute Schulbildung zu bieten, und wenn sie in Bangkok etwas verdienen, sollten sie ihm Geld und Zigaretten schicken. Dann mußten die Kinder gehen. Es war ein seltsames Gefühl gewesen, den Vater hinter Gittern zu sehen. Es war nicht viel Mitleid dabei, auch nicht das Gefühl, den Vater verloren zu haben, sondern eher das angenehme Gefühl der Sicherheit, daß er sie jetzt nicht schlagen konnte

Pok, Tong und Suwa waren jetzt zwölf, zehn und neun Jahre alt. Sie durften nicht in der Hütte bleiben und nicht zur Schule gehen. Wenn man sie findet, kommen sie in ein Heim, hatte der Vater gesagt. Weil sie keine Eltern mehr haben. Sie sollten weglaufen, am besten nach Bangkok. Sie hatten Angst. Sie waren nicht gewollt, sie waren verlassen worden, ausgesetzt. Sie hatten keine Eltern und keine Wohnung mehr, sollten sich selbst durchschlagen. Sie wollten mit den Nachbarn sprechen. Vielleicht fanden sie jemand, für den sie arbeiten konnten, um etwas zu essen zu bekommen. Aber die Nachbarn wollten noch nicht einmal mit ihnen sprechen und schickten sie sofort weg, warfen sie hinaus, noch bevor sie etwas gesagt hatten. Da war nur eine Familie, deren Eltern ihnen sagten, sie hätten genug Ärger mit ihren eigenen Kindern. Sie fanden keine Leute, für die sie genug tun konnten, als daß es sich lohnen würde, drei Kinder durchzufüttern. Das Geld hatte nur der Staat, der ihnen etwas zu essen geben würde und so gut unterbrachte, daß mehrere Personen dafür bezahlt wurden, auf sie aufzupassen, damit sie nicht weglaufen. Sie waren nun auf der Flucht vor dem Staat und der Polizei, um nicht eingesperrt zu werden. Weil sie keine Eltern haben.

Es waren bange und schlimme Stunden, die sie nun zum letzten Mal in der Hütte zusammensaßen, Stunden, die sie nie in ihrem Leben vergessen würden. Pok kochte noch einmal Reis in einem Topf. Den Reiskocher hatte die Mutter mitgenommen. Sie mußten den Reis mit Fischsoße essen, denn es gab nichts anderes und sie durften die hundert Baht der Mutter jetzt nicht für besseres Essen ausgeben, solange sie noch irgendetwas zu essen hatten. Sie würden das Geld brauchen, wenn es gar nichts mehr zu essen gab. Pok sagte, sie müßten so viel essen, wie möglich, denn es war nicht sicher, ob sie morgen etwas zu essen finden. Währenddessen besprachen sie ihre Zukunft. Es fielen keine Tränen. Zu schrecklich, zu unfaßbar war die Situation, zu entsetzlich die Leere, in die sie gefallen waren. Pok erklärte, warum sie fliehen mußten, sagte, daß es ihnen ähnlich geht, wie den Menschen, die aus den Dörfern kamen, weil sie nichts mehr zu essen hatten, weshalb sie nach Bangkok fuhren, um dort nach Arbeit und Essen zu suchen. Manche von ihnen waren auf die Dächer der Züge geklettert, weil sie kein Geld hatten. Das müßten sie auch tun. Deshalb müßten sie nachts aufbrechen, um nicht gesehen zu werden.

Suwa wollte wissen, was sie denn in Bangkok machen sollen, doch Pok zuckte mit den Schultern und meinte, sie müßten alles tun, was möglich ist und verkündete, daß Buddha gelehrt hatte, daß nichts im Leben sicher sei, das müßten sie akzeptieren und das wäre jetzt ihr Leben, bis sie volljährig werden. Sie sprachen noch darüber, daß es nur der Hunger war, den sie mit den Leuten gemein hatten, die ihre Dörfer verließen. Diese Leute mußten sich nicht verstecken, sie durften arbeiten, wenn sie eine Arbeit fanden. Und sie waren nicht von ihren Eltern verlassen oder ausgesetzt worden, man hatte sie nicht weggeschickt, weil man sie nicht mochte und keiner sie haben wollte. Die Leute aus den Dörfern suchten Arbeit, aber sie waren nicht auf der Flucht vor jedem Polizisten.

Es gab nicht viel, was sie mitnehmen konnten, jeder hatte nur ein kleines Bündel mit Kleidungsstücken. Nur Suwa hatte noch eine Stoffpuppe, die ihr früher einmal eine Nachbarin geschenkt hatte. Schluchzend entschuldigte sie sich bei der Puppe, daß sie so eine schlechte Mutter ist, daß sie für die Puppe nicht einmal einen Platz hat, an dem sie bleiben kann, an dem sie sicher ist. Dann drückte sie die Puppe fest an sich, streichelte sie und versprach ihr unter Tränen, daß sie sie nie alleine lassen wird, auch wenn es ihnen nicht gut gehen mag, aber sie wird sie immer mitnehmen, bei sich behalten und nie vergessen. Sie bettete die Puppe in ihren Beutel und lief den Brüdern hinterher, die schon losgegangen waren und nun auf sie warteten. Sie schlichen geduckt um den Bahnhof herum, um nicht gesehen zu werden. Pok kundschaftete aus, wann der Zug nach Bangkok losfuhr und wo er stand. Die Bahnhofsuhr zeigte, daß sie noch viel Zeit hatten. Sie versteckten sich in einem Gebüsch und schliefen. Eine halbe Stunde vor Abfahrt weckte Pok die Geschwister. Sie schlichen über das Bahngelände und fanden am Ende des Zuges einige halbhohe Waggons mit großen Kisten. Hier waren sie vor dem Wind geschützt und konnten sich verstecken.

Bisher hatten sie Abenteuer immer geliebt, sie brachten Abwechslung und waren aufregend. Aber was sie jetzt erlebten, war eine ganz andere Art von Abenteuer, denn sie konnten nicht mehr zurückkommen. Sie mußten ihre Heimat und ihre Vergangenheit vergessen. Lange dachten die Kinder an ihre Eltern, die Schule, die gemeinsam verbrachte Zeit und das Nichts, das vor ihnen lag, bis das Stampfen der Räder sie einschläferte. Bei jeder Station wurden sie wach. Sie hatten Angst, gesehen zu werden, sie froren und hatten Hunger. Pok packte eine Plastiktüte mit dem Reis aus, der übriggeblieben war. Sie aßen ihn wieder mit Fischsoße. Die Fahrt war endlos, aber sie wußten, daß der Zug am späten Abend des nächsten Tages in Bangkok ankommen mußte. Sie hatten Durst, aber sie konnten den Waggon nicht verlassen, bis er in Bangkok war. Es war zu gefährlich auf einem Bahnhof auszusteigen und nach Wasser zu suchen, denn es war nicht sicher, wann der Zug abfuhr. Als die Nacht vorüber war und die Sonne die Luft erwärmte, schauten sie lange Zeit über die Wände des Waggons auf die vorbeiziehende Landschaft, auf arbeitende Menschen und Siedlungen, in denen Menschen lebten, mit Häusern, in denen sie zuhause waren. Da sie nachts wegen der Kälte und dem Fahrtwind nur wenig geschlafen hatten, schliefen sie auch einige Stunden während des Tages. Nun bekamen sie Hunger und Durst, aber sie durften den Waggon nicht verlasen, sie mußten ausharren, bis sie nach Bangkok kamen. Hunger und Durst, das Rattern der Räder und die nagende Ungewißheit über ihre weitere Zukunft ließen den Tag wie im Zeitlupentempo vergehen. Alle möglichen Gedanken und Ängste gingen den Kindern durch den Kopf und wuchsen bedrohlich, bis Pok die Geschwister mit einem Gespräch über die Schule ablenken konnte.

Mit dem kühlen Fahrtwind der beginnenden Dämmerung verging der Durst und Angst kam wieder in ihnen auf. Der Waggon war für sie schnell zu einer Heimat geworden, er hatte ihnen Sicherheit und Schutz geboten. Bald mußten sie ihn verlassen und sie durften nicht gesehen werden. Wachsam schaute Pok auf die Schilder der Stationen, als die Umgebung belebter wurde, immer mehr Häuser, immer mehr Lichter zu sehen waren und weitverzweigte Schienenstränge sich bemerkbar machten. Ein gewaltiges, unüberschaubares Meer von Häusern, Straßen und Fahrzeugen ließ sie sich völlig verloren vorkommen Endlich kamen die ersten Schilder von Bangkok, der Zug verlangsamte seine Fahrt und schob sich quietschend über viele Weichen hinweg auf eine riesige Halle zu. Das mußte der Bahnhof sein; nun mußten sie schnell abspringen.

Als der Zug langsam an einigen abgestellten Waggons vorbeifuhr, kletterten sie mit steifen Gliedern aus dem Waggon und ließen sich auf den Schotter fallen. Schnell liefen sie hinter die stehenden Waggons, um sich hinter einem großen Kasten zu verstecken, der am Rande des Geländes vor einem großen Zaun stand. Nun waren sie in Bangkok. Aber sie wußten nicht weiter. Sie mußten irgendeine Arbeit, Unterkunft und Nahrung suchen und wußten nicht, wo. Aber erst einmal mußten sie weg vom Bahnhof, wo man sie nicht sehen durfte. Der große Zaun hörte nach einigen hundert Metern an einer breiten Straße auf. Als Pok noch einmal erklärte, wie sie schnell am Zaun entlang laufen und sich am Ende des Zaunes treffen sollten, erschien ein größerer Junge und sagte: „Die vordersten Waggons gehören mir!“ Als sie überhaupt nicht wußten, wovon er sprach, welche Waggons er meinte und wieso sie ihm gehörten, fragte er; „Seid ihr neu hier?“ Pok zeigte auf den Zug, der jetzt quietschend am Bahnsteig hielt und der Junge lachte.

„Dann kommt ihr gerade aus Nong Khai“, fragte der Junge, was die Geschwister bestätigten. Dann fragte er: „Und Eure Eltern?“ Stockend sagte Pok: „Der Vater sitzt im Gefängnis und die Mutter ist abgehauen.“ Der Junge nickte: „Ich bin Suk. Ich bin auch aus Nong Khai. Ich bin meinen Eltern weggelaufen, aber ich bin jetzt schon fünf Jahre hier. Ich werde Euch heute helfen, weil ihr neu seid, aber nur heute. Ich kann Euch später alles erklären, aber jetzt müssen wir erst einmal arbeiten. Der Zug, mit dem ihr gekommen seid, wird gerade auf ein Abstellgleis geschoben. Wenn die Lokomotive wieder wegfährt, müssen wir ganz schnell rein und alle Flaschen rausholen, die wir finden. Die sind unter den Sitzen, zwischen den Polstern und in den Ecken. Ich fange vorne an und ihr fangt hinten an, wir treffen uns irgendwo in der Mitte. Wir müssen uns beeilen, bevor andere Straßenkinder kommen oder die Putzkolonne von der Bahn. Wenn Männer kommen, müßt ihr weglaufen. Wir treffen uns dann wieder hier zwischen dem Gerätekasten und dem Zaun. Damit lief er los und die Geschwister folgten ihm. Sie sammelten die Flaschen vom Boden auf, aber sie hatten die Mitte des Zuges noch nicht erreicht, als Männer und Frauen mit roten Westen in die Waggons einstiegen und die Geschwister mit ihrer Beute hinter den Kasten liefen. Ihnen folgte Suk, dem noch ein Mann einige Meter hinterherlief und laut hinterherschimpfte. Schnaufend lachte er: „Sie haben immer Angst, daß wir etwas Kostbares finden, was ihnen dann entgeht.“

Es war ein erfolgreicher Tag gewesen. Die Geschwister hatten zusammen vierzehn Flaschen gefunden, von denen man aber zwei nicht brauchen konnte, und Tong hatte eine Plastiktüte mit zwei großen Portionen ‘Kao muu deng’ gefunden, Reis mit Schweinefleisch. Auch Suk war zufrieden. Er hatte zwölf Flaschen, einen fünfzig Baht-Schein und ein Taschenmesser gefunden. Er zog zwei Plastiktüten aus der Tasche, sagte den Geschwistern, sie sollten ihre Flaschen dort hineintun und dann gingen sie los, um die Flaschen zu verkaufen. Suk sagte ihnen, daß sie für Bierflaschen einen Baht bekommen, daß die großen Cola- oder Pepsiflaschen mehr bringen, aber selten sind, und daß sie auch die großen Flaschen von Mekong, Saeng Thip und Saeng Som verkaufen können. Andere Flaschen werden aber nicht angenommen. Sie könnten auch Getränkedosen verkaufen oder Altpapier, aber davon müßten sie mehrere Kilo zusammenhaben, sonst lohnte es sich nicht. Er brachte sie zu einem Altwarenlager, wo sie das Geld für die Flaschen bekamen und sich umsahen, um zu wissen, was sie alles verkaufen konnten. Dann setzten sie sich zusammen an den Rand das Schuppens, der Büro, Wohnung und Lagerraum des Verwalters war, unterhielten sich und verspeisten gemeinsam die von Tong gefundenen Reisgerichte.

Suk weihte sie dabei in die Überlebensgeheimnisse der Straßenkinder ein. Er sagte ihnen, wo sie schlafen konnten und wo sie auf keinen Fall schlafen durften, wie etwa in Bahnhöfen und Busstationen und an Plätzen mit Publikumsverkehr. Er nannte die Tempel und Plätze, die sie meiden mußten, weil dort die Wohlfahrt oder die Polizei auf sie lauerte, nannte Plätze, wo sie Nahrung finden konnten, Großmärkte und kleinere Märkte beim Abbau, wo sie übriggebliebene, leicht beschädigte Früchte bekommen konnten, Tempel, zu denen sie nach der Mittagszeit gehen konnten. Er nannte ihnen die Plätze, an denen sie am frühen Morgen Flaschen finden konnten. Wichtiger war noch, daß er ihnen sagte, wo sie sich und ihre Kleider waschen konnten und daß sie sich sehr sauber halten sollten, weil sie sofort auffielen und überall verjagt wurden, wenn sie schmutzig waren. Sie sollten nicht betteln gehen, weil sie dabei schnell geschnappt werden und sie sollten vor allen Dingen nichts mit Drogen machen, weil das zu gefährlich ist. Wenn sie aber einmal nicht anders könnten, als Kurierdienste mit Drogen zu leisten, wofür die Händler gerne Kinder einsetzen, dann sollten sie auf gar keinen Fall selbst von den Drogen nehmen. Denn von denen würden sie abhängig und dann würden sie nur noch arbeiten, um die Drogen zu bekommen. Aber wenn sie richtige Drogen nehmen, können sie nicht mehr richtig arbeiten. Die meisten Leute fangen dann an, zu stehlen oder werden kriminell, um die Drogen zu erhalten und landen hinter Gittern. Selbst wenn es nur Zigaretten sind, dann kostet ein Päckchen fünfunddreißig Baht, davon hätten sie alle zusammen einen Tag zu essen und die anderen Drogen seien noch viel teuerer und sie helfen nicht, sie machen den Körper kaputt.

Die Geschwister erzählten von ihren Eltern, die immer betrunken gewesen waren und sie dann geschlagen hatten. Sie waren sicher, daß sie keine Drogen nehmen wollten. Dann sprach Suk noch kurz mit dem Chef des Altwarenlagers und erklärte den Geschwistern anschließend, sie könnten für zehn Baht am Tag einen der alten Karren mieten, um Flaschen, Papier und Blechdosen zu sammeln. Das wäre eine sichere Einnahmequelle, damit sie nicht in Mülltonnen nach Essen suchen müßten. Wenn sie zusammen mit dem Wagen gehen, würde man glauben, die Eltern seien in der Nähe. Aber sie müßten sauber aussehen und dürften nie zur Schulzeit mit dem Wagen unterwegs sein. Vor allen Dingen aber müßten sie zusammenbleiben. Jeder kann einem einzelnen Kind etwas wegnehmen, wenn er größer oder stärker ist, aber vor drei Kindern hätte man mehr Respekt. Und außerdem gehen einzelne Straßenkinder in Bangkok schnell unter, wenn sie sich nicht einer Gruppe anschließen. Dort müssten sie sich aber in eine Rangordnung einfügen und viel vom ihrem Verdienst an die größeren Jungen abgeben, oder an die Erwachsenen, die solche Gruppen wie Bandenchefs leiten. Sie brauchten sich aber keiner Gruppe anzuschließen, wenn sie zusammenbleiben.

Die Geschwister berieten sich. Sie schämten sich fürchterlich, Abfälle aufsammeln zu müssen, aber sie wußten, daß sie nirgends eine Arbeit oder eine Unterkunft finden würden. Schließlich faßte Pok sich ein Herz und sagte: „Ich meine, es ist besser, Abfälle zu sammeln, als Abfälle essen zu müssen. Zumindest, solange wir keine besseren Möglichkeiten finden.“ Tong und Suwa senkten ihre Köpfe. Sie waren nicht froh darüber, aber sie hatten auch keinen besseren Vorschlag. Suk bot ihnen an, er könnte ihnen die zehn Baht für den ersten Tag leihen, doch Pok sagte, soviel hätten sie noch. Als Suk sich verabschiedete, weil er noch Geld verdienen mußte, bezahlte Pok die Miete für den Wagen und sie durften unter dem verlängerten Dach eines Schuppens schlafen. Suk rief ihnen noch zu: „Wir sehen uns morgen wieder am Zug.“

Die Geschwister kuschelten sich an der schützenden Schuppenwand zusammen und sprachen noch eine Weile miteinander. Sie waren sehr niedergeschlagen, aber sie wußten, daß es ein großes Glück war, daß sie Suk getroffen hatten und daß er ihnen schon viel geholfen hatte. Ohne ihn hätten sie nicht gewußt, was sie uönternhömen und an wen sie sich wenden konnten. Sie hätten sicher keine Möglichkeit gefunden, sich selbst zu ernähren. Dann wollten sie schlafen, weil sie mit dem Morgengrauen aufstehen mußten, um die Ersten auf der Straße zu sein. Nur Suwa holte noch ihre Puppe aus dem Beutel, drückte sie an sich, sprach leise mit ihr und versprach ihr noch einmal, daß sie sie immer bei sich behalten und nie allein lassen wird. Dabei schlief sie mit der Puppe im Arm ein.

Noch vor dem Morgengrauen wurden sie wach und machten sich auf den Weg. Pok schob den Wagen und sammelte Sachen an der Hauptsraße auf, während Tong und Suwa zu beiden Seiten der Straße und in den Nebenstraßen nach Abfällen suchten. Es kostete sie Überwindung, auch in die Abfalleimer und Mülltonnen zu schauen, aber es würde sie auch Überwindung kosten, nichts zu essen zu haben. Als sie die ersten Schulkinder auf der Straße sahen, brachen sie die Suche ab und schoben den Karren zum Händler. Der nickte zufrieden, zählte die Flaschen, packte Getränkedosen und Plastikflaschen zusammen, stapelte das Papier ordentlich und wog es. Dabei erklärte er den Kindern, wie sie diese Arbeiten am besten machen und daß sie es beim nächsten Mal selbst tun sollten. Dann gab er ihnen zweiundsiebzig Baht und sagte: „Nicht schlecht für den ersten Tag, Ihr habt das Geld für den Wagen und Euer Essen schon verdient und der Tag ist noch nicht zu Ende. Wenn Ihr nicht anfangt, Drogen zu nehmen und weiter früh aufsteht, könnt Ihr noch viel mehr verdienen.“

Dann zeigte er auf einen Gaskocher und Geschirr und sagte: „Das könnt ihr benutzen, bis Ihr Euch eigene Sachen kaufen könnt, wenn ich es nicht gerade brauche und Ihr es immer saubermacht und zurückbringt.“ Sie durften sich jetzt bis zum Nachmittag nicht auf der Straße sehen lassen. Sie konnten sich waschen, Tong machte Reissuppe zum Frühstück, Suwa wusch freiwillig die Wäsche und sagte, die Jungen hätten viel härter gearbeitet, als sie. Pok sagte, sie hätte sehr gut gearbeitet, fügte aber hinzu, daß sie sich noch einarbeiten müssen und daß ihm noch vom Wagen die Hände wehtun, aber da mußte er sich auch einarbeiten und er würde sich wohl schon bald dran gewöhnen.

Nachmittags zogen sie wieder los und hatten schon einen fast vollen Wagen, als sie Suk abends am Bahnhof trafen und gemeinsam den Zug entleerten. Er hatte zwei große Tüten voller Sachen und lud sie auf den Wagen, als sie wieder zum Altwarenhändler gingen. Die Geschwister erzählten ihm, wie gut der Händler zu ihnen war, doch Suk warnte sie: „Ja, er ist gut, solange ihr fleißig seid. Aber wenn ihr kein Geld mehr einbringt, ist er auch nicht mehr gut.“ Nachdem sie ihre Sachen sortiert hatten, gab der Händler ihnen noch einmal einhundertunddreiundvierzig Baht und gratulierte ihnen. Sie waren sehr stolz. Jeder von ihnen hatte an diesem Tag mehr verdient, als ihr Vater jemals auf dem Bau verdient hatte. Doch Suk warnte wieder: „In Bangkok ist das Leben aber auch viel teuerer.“ Sie unterhielten sich noch, bis Suk ging und dann gingen sie schlafen.

In der folgenden Zeit verdienten sie tatsächlich besser, aber sie waren auch immer unterwegs, wenn es ihnen möglich war. Nach zwei Wochen sagte der Händler ihnen, sie sollten einmal mit ihm mitkommen und zeigte ihnen etwa dreihundert Meter weiter auf dem Weg zur Straße an der Rückseite eines Hauses einen Schuppen, in dem sich ein Raum mit einem Tisch, Stühlen, einem Gaskocher und einer Kommode befand. In der Mitte des Raumes hing eine Glühbirne und vor dem Fenster hing ein großes Brett. Der Händler sagte, sie könnten den Raum für fünfhundert Baht im Monat mieten, aber sie dürften niemand sagen, daß er ihnen erlaubt hat, hier zu sein. Wenn sie einmal gefaßt würden, müßten sie sagen, sie hätten die Tür offen gefunden und wären eingezogen. Und vor Einschalten der Glühbirne müßten sie immer das Brett vors Fenster hängen. Die Geschwister waren einverstanden, hatten sie doch jetzt eine eigene Wohnung und ein Dach über dem Kopf, brauchten nicht mehr im Freien zu schlafen und konnten ihre wenigen Sachen hier unterbringen. Sie hatten in der Fremde ein eigenes Zuhause gefunden, wo sie als Familie zusammen leben konnten.

Langsam lernten sie auch einzelne Leute kennen. Der Inhaber eines Restaurants hatte sie einmal gerufen, weil sie sauber aussehen, hatte er gesagt. Er wollte ihnen Flaschen, Papier und andere Sachen vor die Tür stellen, dafür müßten sie aber auch anderen Abfall entsorgen. Sie waren einverstanden. Der Mann war mit ihrer Arbeit zufrieden und er hing ihnen fast jeden Tag eine gut verschnürte Plastiktüte mit übriggebliebenem Essen in kleineren Tüten an einen Haken neben der Tür. Es war meist genug zu essen für den ganzen Tag. Als sie sich einmal mit der Essenstüte in ein Gebüsch setzten, um etwas zu essen, kam schwanzwedelnd ein großer Hund, der das Essen gerochen hatte. Suwa gab ihm etwas von ihrem Reis ab, während Tong sofort protestierte. Er meinte, sie hätten selbst nicht genug zu essen, um auch noch Hunde zu ernähren. Doch Pok sagte, sie brauchten auch nicht alle Hunde zu ernähren, aber es wäre gut, wenn sie einen großen Hund hätten, der sie bewacht und beschützt: „Menschen haben Angst vor Hunden. Wenn wir ihm Futter geben und nett zu ihm sind, bleibt er vielleicht bei uns.“ Er gab ihm auch etwas Futter und tätschelte ihn. Tatsächlich ging der Hund mit ihnen mit und wurde zu einem ständigen Begleiter, der immer nebern Pok und dem Wagen herlief. Sie nannten ihn ‘Nong’.

Sie verdienten gutes Geld und hatten sich einmal überlegt, was sie damit anfangen. Pok meinte, sie sollten so wenig wie möglich ausgeben, das Geld sparen und als Sicherheit beiseite legen, für den Fall, daß einer von ihnen krank wird oder einen Unfall hat, für den Fall, daß sie einmal keine Abfälle mehr sammeln könnten oder um vielleicht später einmal etwas anderes zu tun, wozu sie Geld brauchten. Als Tong und Suwa meinten, Pok soll das Geld für sie aufheben, fand er das gar nicht gut und erinnerte sie daran, daß sie auf der Flucht waren und jederzeit gefaßt werden könnten. Er schlug vor, den größten Teil des Geldes im Schuppen zu verstecken. Außerdem sollte aber jeder von ihnen einen größeren Betrag in einer kleinen Tasche in der Unterhose bei sich tragen, weil sie nie wissen, was passiert und jederzeit getrennt werden können. Dann müßten sie Geld haben, um weglaufen, sich wieder zu treffen, oder sich notfalls alleine helfen zu können.

Daran wurden sie erinnert, als schon anderthalb Jahre vergangen waren und ihr Freund Suk nicht mehr erschien. Bald erfuhren sie, daß Leute von der Fürsorge ihn gefaßt und in ein Heim gesperrt hatten. Der Altwarenhändler erzählte ihnen immer, wenn Straßenkinder von der Fürsorge gefaßt oder von der Polizei geschnappt worden waren. Viele hatten etwas verbrochen, waren wegen Drogen gefaßt worden, die meisten wurden aber nachts gefaßt, weil sie sich an gefährlichen Orten wie an der Patpong oder an der Soi Cowboy aufhielten, weil sie beim Betteln aufgefallen waren oder weil sie keinen Schlafplatz hatten und irgendwo auf der Straße geschlafen hatten.

Es vergingen fast vier Jahre, seit sie in Bangkok angekommen waren, ohne mit ernsthaften Problemen konfrontiert worden zu sein. Sie hatten sich verstecken müssen und waren nicht zur Schule gegangen, aber sie hatten ein ordentliches Familienleben geführt, das weitaus besser war, als sie es bei ihren Eltern gehabt hatten. Pok hatte sie zusammengehalten, er hatte darauf geachtet, daß sie immer sauber waren, jeden Tag arbeiteten, keinen Unfug anstellten und sich nicht herumtrieben. In der Zeit, in der sie nicht auf die Straße durften, weil Kinder zu dieser Zeit in der Schule waren und sie auffallen würden, hatten sie im Schuppen in Schulbücher geschaut, um etwas zu lernen. Das war zwar nicht sehr intensiv gewesen und geschah eher aus Langeweile, aber Pok hatte darauf bestanden, daß sie wenigstens lesen und schreiben können müßten, wenn sie schon nicht zur Schule gehen konnten. So hatten sie denn jeden Tag Lesen und Schreiben geübt, wenn es auch nur zwei oder drei Stunden gewesen waren. Aber es hatte gereicht, daß sie kleine Geschichten lesen konnten, die sie manchmal im Abfall fanden, auch wenn ihnen manche Worte begegneten, die sie nicht kannten und nicht verstehen konnten. Pok hatte eines Tages einen gebrauchten Fernsehapparat beschafft, der dann ihre Hauptbeschäftigung wurde, wenn sie nicht mit dem Karren unterwegs waren. Aber sie vernachlässigten ihre Arbeit nicht, wenn irgendwelche interessanten Sendungen zu erwarten waren.

Doch als sie eines Tages Flaschen aufsammelten und in Mülltonnen stöberten, rief Pok ihnen zu, sie sollten laufen, als drei Männer auf sie zukamen. Pok selbst lief nicht. Er fühlte sich für den Wagen verantwortlich, den er nur geliehen hatte. Die Männer nahmen Pok mit und steckten ihn in ein Heim. Pok war erst sechzehn Jahre alt, er mußte vom Staat beschützt werden, deshalb kam er hinter Gitter. Pok hatte eine Aufgabe gehabt. Er hatte die Vaterrolle übernommen und es war seine Aufgabe, für die Geschwister zu sorgen, sie zu beschützen und die Familie zusammenzuhalten. Aber das war verboten.

Er durfte seine Aufgabe nicht mehr durchführen, er durfte nur noch eingesperrt sein. Das Geld, das er bei sich gehabt hatte, wurde ihm abgenommen, weil es angeblich illegal verdient war. Es verschwand. Im ‘Heim’ war er der Diener für die Aufpasser und für die stärkeren, älteren Jungen. Er mußte ihre Arbeiten verrichten, ihre Aufträge und Befehle durchführen und ihnen sein Essen abgeben, um nicht verprügelt zu werden. Die Aufpasser interessierte das nicht, denn sie betrachteten die Gefangenen nicht als Menschen, hatten sie doch noch nicht einmal Eltern und folglich keine Rechte und kein Geld, sie konnten sich nicht wehren, durften sich nirgends beschweren und sie konnten sich nicht freikaufen. Sie waren Spielzeug für die sadistischen Spiele der Aufpasser und der größeren Jungen.

Nach dem thailändischen Gesetz dürfen Kinder, die mit der Zustimmung der Eltern über ein Jahr lang eine eigenständige Geschäftstätigkeit ausgeübt haben, dieselbe Tätigkeit später auch ohne Einverständnis der Eltern oder Erziehungsberechtigten durchführen. Aber sie dürfen sich nicht wehren, wenn der Staat seine Gesetze nicht akzeptiert und sie stattdessen einsperrt. Pok dachte viel an seine Geschwister und war verzweifelt, daß er ihnen nicht mehr helfen konnte. Aber der Staat schützte ihn und hielt ihn deshalb hinter Gittern, wo er oft verprügelt wurde. Pok ging daran, daß er seine Aufgabe nicht erfüllen konnte, an seiner Verzweiflung und an dem Heim zugrunde. Er war fünf lange Jahre Familienvorstand gewesen und hatte für Gemeinschaft und Gerechtigkeit gesorgt. Nun war er Laufbursche für die Stärkeren und bekam selbst dann Prügel, wenn er nur einmal versuchte, seine Meinung zu sagen. Nach zwei Jahren, die man ihn beschützt hatte, gehorchte er nur noch Befehlen und sprach mit niemand mehr. Als Kind hatte er selbständig gelebt, sich selbst ernährt und seine Geschwister beschützt. Nun hatte der Staat ihn beschützt und er konnte nur noch gehorchen. Der staatliche Schutz war erfolgreich gewesen, der Staat hatte sein Ziel erreicht und aus dem selbständigen Jungen einen gehorsamen Bürger geformt. Wenn er es nicht schafft, aus dem Heim wegzulaufen, dann wird er mit Erreichen der Volljährigkeit zur Armee eingezogen. Dort wird die demokratische Erziehung dann weitergeführt und perfektioniert.

Tong und Suwa kamen auf verschiedenen Wegen und zu unterschiedlichen Zeiten zu ihrem Händler, der ihnen sagte, sie sollten ganz schnell hinter dem Lager durch die Büsche verschwinden und zum Schuppen laufen, er käme später dorthin. Sie trafen sich dann beim Schuppen und am Abend meldete sich der Händler. Er sagte, er habe jetzt viele Probleme. An diesem Tag habe man sechs Straßenkinder, die bei ihm ihre Sachen verkaufen wollten, festgehalten und mitgenommen. Man würde sein Lager jetzt bewachen und alle Kinder mitnehmen, um zu überprüfen, wo ihre Eltern sind und ob die Kinder die Genehmigungen ihrer Eltern haben. Man hatte bei ihm nach Drogen gesucht, zwar keine gefunden, aber er hatte eine Strafanzeige wegen Beschäftigung Minderjähriger erhalten. Er kann ihnen vorläufig nichts mehr abkaufen und bei den anderen Altwarenhändlern sieht es nicht anders aus, sagte er. Der Staat mache gerade eine große Razzia wegen Obdachlosen, Straßenkindern und Drogenkonsum, weil eine große, internationale Konferenz in Bangkok ansteht. Dazu will man ein schönes, sauberes Stadtbild vorweisen, ohne Obdachlose und ohne Straßenkinder. Das erreichte man am leichtesten, indem sie verboten wurden.

Tong und Suwa waren verzweifelt. Pok war für sie ein Vater. Er war für sie dagewesen und hatte ihnen Halt gegeben. Nun hatte man ihn eingesperrt. Er hatte nichts Böses getan, er hatte nur viel und hart gearbeitet. Warum sperrte man ihn ein? Weil er gearbeitet hatte? Weil er ihnen geholfen hatte? Oder einfach, weil sie vom Staat kamen und stärker waren, weil sie keine Kinder mochten, die keine Eltern hatten? Außerdem hatte man ihnen die Arbeit genommen. Sie durften keine Altwaren mehr sammeln und verkaufen. Wie sollten sie jetzt leben? Sie durften nicht arbeiten gehen, niemand durfte Kindern Arbeit geben. Die Beamten des Staates würden sie sehen und einsperren. Kinder haben gefälligst Eltern zu haben, sonst muß man sie einsperren. Sie hatten in den fünf Jahren sehr viel gearbeitet, sie hatten viel gespart und sie hatten sehr viel Geld. Aber sie durften jetzt noch nichts damit anfangen. Pok hatte darauf geachtet, daß sie alles Geld zurücklegen, fast jeden Tag um die zweihundert Baht, und er hatte gesagt, das Geld ist die Grundlage für eine eigene Existenz, wenn sie erwachsen sind. Sie dürften es jetzt nicht vergeuden, nur weil Pok nicht mehr bei ihnen war. Außerdem konnte das Geld ihnen nur Nahrung geben, aber sie konnten nicht jahrelang im Schuppen sitzen, essen und darauf warten, daß sie volljährig wurden. Sie mußten etwas tun, sie mußten irgendeine Beschäftigung finden. Sie wollten versuchen, andere Straßenkinder zu treffen und herausfinden, was die machten, um zu überleben. Sie mußten irgendwelche Möglichkeiten finden, etwas zu tun und sich zu ernähren.

Sie ließen den Hund zuhause und zogen am späten Nachmittag los. Am Rande eines kleinen Parks sahen sie eine Gruppe Kinder von sieben Jahren an, die sich um zwei Erwachsene scharten. Einige der Kinder hatten Plastiktüten in den Händen und schwankten mit einem ausdruckslosen Gesicht. Als sie sich dazu stellten, wurden sie gefragt, wo sie herkommen und wo ihre Eltern sind. Dann wollten die Männer wissen, ob sie Geld oder Klebstoff haben. Tong sagte, sie hätten dreißig Baht. Einer der Männer sagte dann, sie müßten erst überprüft werden, ob sie ‘sauber’ sind, bevor sie in ihre Familie aufgenommen werden können. Sie sollten zu einer Baumgruppe gehen und auf ihn warten, bis die Familienbesprechung beendet ist.

Suwa sagte Tong, daß sie diese Leute nicht mag. Die Kinder hatten zerrissene, schmutzige Kleidung, sie schnüffelten Klebstoff und waren betäubt. Es kam ihr seltsam vor, daß sie nicht zuhören durften und erst überprüft werden mußten. Es mußte also irgendwelche Geheimnisse geben, und sie hatte nicht den Eindruck, als wenn sich die Erwachsenen wirklich um die Kinder kümmerten. Doch Tong meinte, sie sollten abwarten, was die Leute ihnen sagen wollten. Es mag vielleicht eine Viertelstunde gedauert haben, bis die beiden Männer zu ihnen kamen. Sie wollten wissen, wo sie herkamen, wo ihre Eltern waren, was sie bisher gemacht hatten und wovon sie sich ernährt haben. Das erzählten sie ihnen, ohne aber zu sagen, wieviel Geld sie verdient und daß sie gespart hatten.

Die Männer erklärte ihnen, daß sie in ihrer Gruppe wie eine Familie zusammenleben. Sie alle sind unterwegs, um Geld zu machen, das würden sie zusammenlegen und die Männer gaben ihnen dafür etwas zu essen und sorgten für einen Schlafplatz. Tong und Suwa sollten an diesem Tag im Stoßverkehr mit zwei verschiedenen Buslinien fahren und den Fahrgästen Geld oder Portemonnaies aus den Taschen holen. Sie hörten, wie sie das anzustellen haben, daß sie nur das Geld einstecken und Portemonnaies und Brieftaschen sofort wegwerfen sollen, und daß sie sofort weglaufen müssen, wenn man sie erwischt. Um 19 Uhr sollten sie sich dann wieder hier im Park treffen und das Geld abgeben, damit es verteilt wird und sie etwas zu essen bekommen.

Die Männer sagten ihnen, sie sollten jetzt sofort losgehen, damit sie genug Geld beschaffen. Wenn sie gut gearbeitet haben, würden sie am Abend eine Tüte mit Klebstoff zum Schnüffeln bekommen. Tong und Suwa waren sich jedoch einig, daß sie nur ausgenutzt werden sollten. Die Männer schickten die Kinder zum Stehlen, damit sie selbst nicht gefaßt werden konnten und wenn die Kinder gefaßt wurden, kamen sie in ein Heim und niemand würde sich um sie kümmern. Sie gingen zum Siam Square und später zur New Petchburi Road, um dort andere Straßenkinder zu finden und sich bei denen Informationen zu holen, aber hier war es nicht viel besser. Am Siam Square fanden sie eine Gruppe, mit der sie an Verkehrsampeln Autoscheiben waschen oder Blumengirlanden verkaufen sollten. Das Geld mußte am Abend abgegeben werden, damit sie etwas zu essen bekamen. An der New Phetchburi Road fanden sie eine Gruppe, mit der Sie Kaugummi und Plastikblumen verkaufen und Betrunkene bestehlen sollten. Ermüdet und enttäuscht gingen sie in ihre Hütte, wo sie mehrere Tage blieben.

Sie litten keinen Hunger, denn sie hatten viel Geld gespart, aber sie waren Gefangene. Sie konnten nichts weiter tun, als in einer Hütte zu sitzen und Angst zu haben, entdeckt zu werden. Aber sie konnten sich nicht jahrelang verstecken, sie mußten irgendeine Existenzmöglichkeit suchen. Sie hätten Unterkunft und Verpflegung bis zu ihrer Volljährigkeit bezahlen können, aber niemand wollte etwas mit fremden Kindern zu tun haben, das war gegen das Gesetz. Sie hatten mit dem Inhaber des Restaurants gesprochen, dessen Abfälle sie entsorgt hatten, der ihnen immer Plastiktüten mit Essen vor die Tür gehangen hatte. Sie wollten gratis für ihn arbeiten, nur damit sie etwas zu tun und einen Platz hatten, wo sie sich aufhalten durften. Aber er erklärte, daß er ihnen gerne einen Platz geben und auch einen Lohn bezahlen würde, aber er macht sich strafbar, wenn er sie bei sich arbeiten oder auch nur schlafen läßt. Es wäre für ihn ideal, wenn sie bei ihm wohnen und zur Schule gehen und abends im Restaurant helfen. aber sie sind nicht seine Kinder und er kommt als Krimineller für viele Jahre ins Gefängnis, wenn er ihnen hilft. Es tat ihm wirklich leid, daß er ihnen nicht helfen konnte und sagte ihnen, wenn sie Hunger haben, können sie sich jederzeit bei ihm melden, er würde ihnen jederzeit etwas zu essen geben, das wäre nicht kriminell, aber sonst durfte er nichts tun. Deshalb machten sie sich wieder auf die Suche nach Straßenkindern, auf die Suche nach Arbeit.

Sie holten Geld aus ihrem Versteck, sie steckten jeder 10.000 Baht in die Tasche, die sie unter der Unterhose trugen. Geld, daß sie auf der Flucht vor dem Staat und seinen Gesetzen vielleicht brauchten. Dann machten sie sich wieder auf den Weg zu den Vergnügungszentren, wo sie hofften, andere Straßenkinder und vielleicht irgendeine Arbeit zu finden. Soi Cowboy, Nana Plaza und Patpong waren ihre Stationen. Es gab keine Arbeit, nichts zu tun, aber sie trafen zwei Kinder von Klong Toey, dem größten Slum von Bangkok. Die sagten ihnen, dort könnten sie überleben, die Polizei hat dort keinen Überblick und traut sich nur selten hinein. Sie gingen mit den Kindern mit und wurden einigen Leuten vorgestellt. Nach Befragung nach ihrer Herkunft und ihrer Vergangenheit fand sich jemand, der sie öfter beim Müllsammeln gesehen hatte. Deshalb wurden sie akzeptiert. Kinder, die keine Eltern und keine Unterkunft haben, die vom Staat verfolgt werden und ums Überleben kämpfen, sind in Klong Toey normal, sie gehören dazu. Alle Menschen, die nicht mit der normalen Gesellschaft leben können, gehören dazu. Sie sind Teil einer Gesellschaft, die ums bloße Überleben kämpft, Menschen, die aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgegliedert wurden.

Sie konnten sich eine kleine Wellblechhütte mieten, sie mußten aber weglaufen, wenn Polizei kam und sie durften nie sagen, daß sie die Hütte gemietet hatten. Einige Leute versuchten, sie im Drogenhandel oder als Kuriere einzusetzen, man bot ihnen an, sie im Sexgeschäft zu vermitteln, aber sie wollten nicht. Schließlich bekamen sie Arbeit bei einer Frau, die mit einer Fliegenden Küche Suppen verkaufte, wo Suwa mitarbeiten konnte, und bei einem fahrbaren Grill, wo Tong mitgehen konnte. Sie sollten kein Geld, aber etwas zu essen bekommen. Mehr war nicht zu erwarten. Aber sie waren zufrieden, denn sie hatten jetzt wenigstens eine Beschäftigung.

Aber die war nicht von langer Dauer. Tong war noch keine zwei Wochen mit dem fahrbaren Grill unterwegs, als der Inhaber überprüft wurde. Tong konnte weglaufen und der Inhaber des Grills sagte, er kennt den Jungen nicht, er hätte sich nur mit ihm unterhalten. Aber Tong war seine Stelle los und da mehrere Überprüfungen stattgefunden hatten, konnte auch Suwa nicht mehr mit dem Suppenstand mitgehen. Man überprüfte die Personalien, die Lizenzen und die ‘Verkehrssicherheit’ der Fahrzeuge und ließ die Inhaber eine Strafe zahlen, ohne Quittung natürlich. Der Staat hatte wieder einmal geholfen. Damit alles seine Ordnung hat und die Beamten ihr Gehalt aufbessern konnten. Passend dazu standen in den Zeitungen Berichte über die Schaffung einer sozialen Ordnung und sozialer Gerechtigkeit.

Nun war auch diese Möglichkeit zerstört. Tong und Suwa hatten nichts mehr zu tun. Sie hatten ja noch Geld zum Leben, aber es ist entsetzlich langweilig, wochenlang in einer Blechhütte zu sitzen und auf die Volljährigkeit zu warten, weil der Staat sie schützt. Jetzt hatten sie nur noch die Möglichkeit, etwas im Drogenhandel oder im Sexgeschäft zu tun. Tong bekam einen Aushilfsjob beim Betonieren von Fundamenten. Als er am dritten Tag nachhause kam, lag Suwa blutend in der Hütte. Sie war vergewaltigt worden. Suwa verstand, daß das ihr Recht war. Jeder konnte sie vergewaltigen, denn sie konnte weder zur Polizei noch in ein Krankenhaus gehen, wenn sie nicht hinter Gitter wollte, denn der Staat wollte sie ja beschützen.

Tong hatte gut gearbeitet, deshalb bekam er einen weiteren Aushilfsjob beim Bau, freilich erhielt er nur fünfzig Baht am Tag, einen Euro, denn er war ja jugendlich, also illegal. Er arbeitete fast einen Monat. Dann kam eine Razzia. Man suchte illegale ausländische Arbeiter. Sot kannte inzwischen einige der Arbeiter. Als die Razzia begann, ging er sofort weg. Als man ihn anhielt, sagte er, daß er seinem Vater das Essen gebracht hatte und zeigte auf einen der Arbeiter. Weil der das bestätigte und Tong offensichtlich kein ausländischer Arbeiter war, ließ man ihn laufen. Aber wieder hatte er eine Arbeitsstelle verloren und keine Möglichkeit einer Beschäftigung..

Suwa sagte ihm, sie hat Angst um ihr Geld. Sie wollte mit ihm zusammen zum Schuppen fahren, um mehr von dem Geld zu holen. Sie hatte Angst, daß es gestohlen werden könnte, wenn sie nicht mehr dort leben. Außerdem wäre es sicher gut, wenn sie sich bei ihrem Altwarenhändler meldeten und die Schuppenmiete bezahlten. Vielleicht könnten sie wieder Altwaren sammeln. Sie fuhren gemeinsam hin und füllten die Taschen, die sie in der Unterhose trugen, aber sie vereinbarten, nur das Allernotwendigste auszugeben, weil sie ja mit diesem Geld ein neues Leben beginnen wollten, wenn sie erst einmal volljährig waren, und Tok wäre der erste, der das Geld dafür braucht. Sie hatten Fleisch, Obst und Zigaretten gekauft und gingen nun den Altwarenhändler besuchen.

Dort hatten sie auch ihren Hund Nong untergebracht und das Futter bezahlt. Er war vor Freude außer sich, tänzelte schwanzwedelnd auf sie zu, sprang sie an, legte die Pfoten auf ihre Schultern und war gar nicht mehr zu beruhigen. Sie erzählten dem Händler, was sie jetzt tun und fragten, ob sich die Situation beruhigt hat und ob sie nicht wieder für ihn arbeiten könnten, doch er sagte, daß er jetzt viele Probleme und viele Kontrollen erlebt. Außerdem muß er jetzt vom jedem, der bei ihm etwas verkauft, einen Ausweis sehen und Namen und Adressen aufschreiben. Er kann vielleicht einige Sachen dazwischenschmuggeln, aber das reichte nicht mehr zum Leben und sie würden zu leicht in eine Kontrolle geraten. So bezahlten sie zwar den Schuppen und das Futter für den Hund, vorsichtshalber für drei Monate, doch dann verabschiedeten sich und Suwa weinte, weil der Hund sich gar nicht von ihnen trennen wollte, sie ihn aber nicht mitnehmen konnten. Sie fuhren mit dem Bus durch die Stadt und wieder in ihre Wellblechhütte in Klong Toey. Die Lage war hoffnungslos, sie konnten nichts tun, mußten sich verstecken und warten, bis sie achtzehn Jahre alt wurden, damit sie die Straße betreten und Arbeit suchen durften.

Hoffnungslos hingen sie in ihrer Blechhütte, tagelang, wochenlang. Zwischendurch bekam Tong irgendwelche Aushilfsarbeiten, aber das war selten, denn niemand durfte ihn einstellen. Eines Tages sagte Suwa, daß sie in einem kleinen Restaurant als Aushilfe arbeiten kann. Sie gab Tong die Anschrift und bat ihn, kurz einmal hineinzuschauen, weil sie den Leuten nicht traut, die sie eingestellt hatten. Tong ging am Abend vorbei, aber er konnte Suwa nicht finden. Der Eigentümer wußte nichts von Suwa und sagte, daß sie hier nicht arbeitet, daß er keine minderjährigen Aushilfskräfte einstellen darf und auch niemand gesucht hat. Es muß sich um ein anderes Restaurant handeln. Tong fand weder Suwa, noch die Männer, die sie abgeholt hatten. Er konnte nichts weiter machen, als das versteckte Geld aus der Holzhütte zu holen. Er befürchtete, daß man Suwa zwingen könnte, das Versteck preiszugeben.

Es dauerte ein halbes Jahr, bis Suwa wiederkam. Sie war knochendürr, hinkte, hatte ein verbeultes Gesicht und blutete an der Schulter. Die zwei Männer, die sie zu ihrer neuen Arbeit bringen wollten, hatten sie eingesperrt, ihr das Geld abgenommen, sie vergewaltigt und als Prostituierte vermietet. Sie war viel geschlagen worden, weil sie versucht hatte, wegzulaufen und man hatte sie in eine Dachkammer gesperrt, aus der man sie nur geholt hatte, um Kunden zu bedienen. Einer dieser Kunden schenkte ihr ein Taschenmesser, das er zufällig bei sich hatte. Damit konnte sie ein Loch in die Decke schneiden und über das Dach flüchten, wobei sie sich verletzt hat. Sie blieb längere Zeit in der Blechhütte, bis ihre Wunden verheilt waren. Dann ließ sie sich von Männern mitnehmen. Sie erklärte Tong, daß einige Männer zu ihr nett gewesen waren und daß sie sich bei ihnen viel besser gefühlt hatte, als alleine in der Blechhütte. Tong verstand. Er hatte im Slum gelernt, daß Gesetze und Moral nicht zählten, sie waren eine Maßnahme der Reichen, damit die Reichen reicher wurden. Im Slum zählte nur das nackte Überleben. Man paßte sich den Reichen an; wer Geld verdiente, hatte Recht. Da gab es keine Moral, keinen Anstand und keine Rücksicht.

So kam es, daß er als Drogenkurier arbeitete. Die Händler brachten ihre Ware nicht selbst zu den Kunden und Tong hatte sich überlegt, wie er Drogen schnell verschwinden lassen konnte, wenn man ihn schnappen sollte. Er müßte nur vorsichtig sein, hatten die Händler ihm gesagt. Und dann hatte er einen Händler gefunden, der ‘heiße’ Altwaren annahm, Kabel, Telefonleitungen, Baugerüste etc. Solche Sachen zu beschaffen und Drogen an Kunden zu bringen, war jetzt seine Beschäftigung. Es gab nichts anderes, was er tun konnte. Suwa hatte jemand gefunden, der sie an Männer vermittelte. Das war nun ihr Beruf und ihre Gesellschaft. Auch sie konnte nichts anderes tun. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als kriminell zu sein, weil sie ja als Jugendliche vom Gesetz und vom Staat beschützt wurden, was der allerdings nur hinter Gittern durchführt.

So vergingen Jahre, in denen sie darauf warten mußten, ihr Leben leben zu dürfen, oder das, was davon noch übrig war. Eines Tages hörten sie vom Altwarenhändler, daß Pok geschrieben hat. Er war zur Armee eingezogen worden. Tong und Suwa sollten das Geld benutzen, um sich in Sicherheit zu bringen oder eine Existenz aufzubauen. Er würde kein Geld mehr brauchen. Sie machten sich Sorgen um Pok, aber sie konnten nichts unternehmen und Pok hatte nur mitgeteilt, daß er vorläufig noch keine Anschrift hat.

Tong wurde volljährig. Endlich konnte er leben, ohne sich verstecken zu müssen. Er ging zu einer Fahrschule, bestand die Führerscheinprüfung und kaufte einen Lieferwagen. Damit konnte er effektiv Altpapier, Flaschen und andere Sachen sammeln und verkaufen, die er wieder zu seinem Händler brachte, diesmal mit einem gültigen Ausweis und völlig legal. Er wollte mit Suwa arbeiten, aber er konnte sie nicht finden und niemand wußte, wo sie war. Er meinte, das sei nicht schlimm, denn er mußte ohnehin warten, bis sie achtzehn Jahre alt wurde. Auf einer seiner Fahrten fand er einen Jungen, der mit einem kleinen Handkarren Altpapier sammelte. Er sagte, er ist achtzehn Jahre alt und kommt aus Buriram. Er war froh, daß Tong ihn einstellte, daß er bei ihm wohnen und mit ihm zusammen arbeiten konnte. Mit einem Lieferwagen konnten sie gut arbeiten und Geld verdienen.

Als er Suwa nach einigen Monaten traf, sagte sie, daß sie gerade mit einem Mann zusammen lebt und arbeitet, bis seine Frau die Geburt eines Kindes hinter sich gebracht hat und mit dem Säugling aus ihrem Heimatdorf zurückkommt. Dann mußte sie den Mann verlassen und wollte wieder mit Tong zusammenarbeiten. Doch Tong geriet in eine Kontrolle und zeigte bedenkenlos seine Papiere vor. Aber der Junge, der mit ihm arbeitete, hatte keinen Ausweis. Er wurde von der Polizei zur Personenüberprüfung mitgenommen. Und dann kam die Polizei, verhaftete Tong und brachte ihn hinter Gitter. Der Junge kam aus Kambodscha, einige Kilometer hinter Buriram, weshalb er Thai und Khmer sprach, und er war erst sechzehn Jahre alt und keine achtzehn. Tong wurde inhaftiert, weil er einen Jugendlichen beschäftigt hatte, weil er einen illegalen Ausländer ‘Unterschlupf gewährt’ und ihm Arbeit gegeben hatte. Da er nun nachweislich kriminell war, wurde auch eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Dabei wurde das Geld gefunden, das die Geschwister gespart hatten. Es wurde beschlagnahmt und verschwand, weil es ‘illegal beschafft’ worden war. Auch das Auto wurde beschlagnahmt, weil es angeblich zu einer illegalen Tätigkeit verwandt worden war.

Bei einer Durchsuchung des Lieferwagens fand man in einer Sitzspalte ein Stück Haschisch. Das hatte Tong zwar nie gesehen, als Besitzer des Wagens war er aber dafür verantwortlich. Tong kam als Drogenhändler und wegen seiner Vergehen gegen das Einwanderungsgesetz und das Jugendschutzgesetz ins Gefängnis. Für die Richter war er bei so vielen Vergehen ein Schwerverbrecher, der den minderjährigen Kambodschaner vermutlich zum Drogenhandel eingesetzt hat. Man schickte ihn für viele Jahre ins Gefängnis. Tong meinte, das hatte nichts mit Recht zu tun, sondern nur mit dem Gesetz und einem Staat, für den die Bürger keine Menschen sind und nur so weit interessant, wie sie ihm oder den Beamten Geld einbringen.

Als letzte der drei Geschwister wurde Suwa volljährig. Sie konnte jetzt alles tun, was sie wollte. Sie beschaffte sich einen neuen Ausweis und durfte sich jetzt auch bei der Polizei sehen lassen. Sie erkundigte sich nach Tong und hörte, daß er als Drogenhändler im Gefängnis ist. Sie besuchte ihn, aber sie konnte ihm nicht helfen. Sie tat alles, was sie konnte; sie ging nach Pattaya und suchte Arbeit in einer Bar. Um zu überleben. Nicht, um einen Farang zu suchen, mit dem sie leben konnte, denn sie konnte mit keinem Menschen leben. Sie konnte nur mit Mühe etwas Thai lesen, nicht genug, um Englisch lernen zu können. Sie würde nicht in der Lage sein, Englisch zu lernen, wenn man von einigen Wörtern absah, die sie nachplappern lernte. Sie kannte kein Bett, keine Dusche, sie wußte nicht, wie sie sich schön anziehen konnte, sie konnte für einen Farang nicht einmal Frühstück machen, kochen oder auch nur putzen.

Sie konnte nicht verstehen, was die Männer von ihr erwarteten. Sie wußte, daß sie zu nichts zu gebrauchen war, daß sie niemand helfen konnte, mit niemand sprechen und niemand verstehen konnte. Sie wußte nur, daß sie dumm war, nichts gelernt hatte und nichts mehr lernen konnte, und daß es nichts nützte, wenn sie alles tat, was sie konnte, damit ein Mensch mit ihr zufrieden war, denn sie konnte nichts. Sie wußte, daß man ihren Körper gebrauchen würde, solange sie jung war. Wenn man damit fertig war, schickte man sie weg. Sie war sonst zu nichts zu gebrauchen. Und wenn sie älter wurde, würde man sie nicht mehr sehen wollen, dann wollte man sie auch nicht mehr im Bett haben. Aber das war nicht ihre größte Sorge, dann würde sie wieder Altwaren sammeln, das war das Einzige, was sie konnte, was aber zum Überleben reichte.

Ihre größte Sorge war eine ganz andere. Die sagte sie ihrer Puppe, als sie sich zum Schlafen unter die Theke der Bar legte, weil sie keinen anderen Schlafplatz hatte. Unhörbar bewegte sie ihre Lippen, als sie der Puppe sagte: „Bitte, bitte, verlaß’ Du mich nicht auch noch. Ich hab’ Dich die ganzen Jahre behütet und war immer bei Dir. Bitte, bleib’ jetzt bei mir; ich hab’ doch sonst niemand mehr, der mich mag.“

Und die Barmädchen lachten sie aus, stupsten sie mit Füßen an und bespritzten sie mit Wasser, weil ein Mädchen, das nicht schick angezogen ist, mit achtzehn Jahren noch mit so einer vergammelten Puppe schläft und mit ihr auch noch spricht, bestimmt nicht normal ist und sicher nicht in eine Bar paßt.




von Dr.G.M. Gad Labudda
 
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