Chiang Mai, Gassen, Gedanken
Am nächsten Morgen, nach dem kleinen medizinischen Abenteuer der letzten Tage, fühlte ich mich wieder deutlich fitter. Die Tropfen wirkten, das Brennen war verschwunden – ich war bereit, Chiang Mai endlich wirklich zu entdecken.
Mit Wasserflasche und Neugier im Gepäck tauchte ich in die Altstadt ein.
Chiang Mai bei Tageslicht zu erkunden, ist wie ein langsames Aufwachen in einer Welt, in der Vergangenheit und Gegenwart sanft ineinanderfließen.
Ich schlenderte durch kleine, verwinkelte Gassen – vorbei an alten Holzfassaden, bemalten Mauern und Tempeln, die plötzlich wie aus dem Nichts auftauchten. Zwischen zwei Häuserzeilen öffnete sich ein stiller Innenhof – und mittendrin: Wat Phra Singh. Ehrwürdig, umgeben vom Duft brennender Räucherstäbchen und dem leisen Murmeln betender Mönche.
Ich setzte mich auf eine schattige Bank und ließ die Atmosphäre wirken. Kein Lärm, kein Druck – nur Stille, goldene Reflexe im Sonnenlicht und das Gefühl, angekommen zu sein.
Später zog ich weiter – vorbei an bunten Märkten, kleinen Cafés, freundlichen Gesichtern.
Ich gönnte mir einen Iced Coffee in einem charmanten Hinterhofladen, der aussah, als hätte ihn jemand direkt aus einem Pinterest-Board hergezaubert.
Bevor die Stadt am Abend in Gewürzduft und Neonlicht aufblühte, ließ ich mich noch einmal treiben – diesmal ohne Ziel. Ich wollte nicht „sehen“, ich wollte entdecken.
Chiang Mai ist ein Labyrinth aus schmalen Gassen – und sobald man die Hauptstraßen verlässt, öffnet sich eine ganz eigene Welt. Keine Autos, kaum Menschen. Nur alte Mauern, knarzende Holztüren, versteckte Tempel, die man erst im letzten Moment bemerkt. Katzen dösen auf warmen Steinstufen. Fahrräder lehnen an Laternen. Der Lärm der Stadt verblasst, ersetzt durch das Zirpen von Zikaden und das Lachen aus einer offenen Küche.
Ich bog rechts ab, dann links, dann wieder rechts – und wusste längst nicht mehr, wo ich war.
Aber genau das war das Schöne daran. Man konnte sich verlaufen, ohne sich je verloren zu fühlen.
Vor einer Hauswand stand plötzlich ein kleiner Altar – geschmückt mit gelben Blüten, Räucherstäbchen, einer halbleeren Cola-Dose. Daneben ein streunender Hund, der mich kurz ansah und dann weiterschlenderte, als wüsste er, dass ich hier nur zu Besuch war.
Etwas weiter hinten: eine Hausfassade voller Street Art – bunte Elefanten, thailändische Schriftzeichen, Gesichter, die Geschichten erzählten, ohne ein Wort zu sagen.
Ich blieb stehen, betrachtete die Wand und genoss den Moment. Nur schauen, atmen, da sein.
Diese Gassen – sie machen die Stadt nicht nur besonders.
Sie sind die Stadt.
Streetfood & Suppenbünde
Als die Schatten länger wurden und die Luft langsam nach gegrilltem Fleisch und süßem Reis roch, wusste ich: Jetzt war es Zeit für das nächste Kapitel.
Der Street Food Market am Chang Phuak Gate wartete – und mein Magen war bereit.
Die Stadt begann sich zu verändern. Das Licht wurde goldener, die Temperaturen sanken, und Chiang Mai tat, was es jeden Abend tut: Es wurde hungrig.
Keine Hipster-Buden mit Instagram-Deko – sondern echte, rauchende Garküchen, Plastikstühle, hektisches Brutzeln und das wunderbare Gefühl, dass hier alle nur aus einem Grund da sind: dem Essen.
Die Luft war schwer von gebratenem Knoblauch, Fischsoße und Grillrauch. Mopeds knatterten vorbei, irgendwo lief Thai-Pop aus einem Handylautsprecher, Menschen standen Schlange, als gäbe es nur heute Abend Essen.
Ich tat das einzig Richtige: Ich stellte mich dort an, wo am meisten los war.
Immer ein gutes Zeichen.
Es gab Khao Soi. Diese cremige, scharfe Currynudelsuppe mit knusprigen Nudeln obendrauf, Huhn, Limette, eingelegtem Gemüse – und dem leisen Gefühl, dass man gerade das Nationalheiligtum Nordthailands löffelt.
Nach dem Khao Soi folgte Mango Sticky Rice – süßer Klebreis, frische Mango, ein Schuss Kokosmilch. Und ja: Wer es einmal gegessen hat, versteht, warum Leute davon sprechen, als wäre es eine Religion.
Um mich herum das übliche Chaos mit Charme:
Ein Straßenhund lag seelenruhig mitten im Weg, als hätte er den Platz reserviert.
Eine junge Frau kämpfte mit Essstäbchen gegen einen frittierten Tintenfisch – ein kulinarischer Zweikampf, den sie knapp verlor.
Am nächsten Stand brannte kurz der Grill – der Verkäufer löschte ihn mit einem Schluck aus einer Flasche und brutzelte weiter. Niemand zuckte.
Chiang Mai war laut, wild, würzig und wunderbar.
Und irgendwo zwischen all den Aromen, Stimmen und Lichtern war ich einfach da – satt, zufrieden, in einem leicht verschwitzten Glückszustand.
Und ja – ich dachte auch kurz an Ilaya.
Aber das… ist eine andere Geschichte.
Nacht: Licht, Zweifel, Nähe
Später am Abend landete ich – mehr aus Neugier als aus Plan – in einer Bar. Die Musik war laut, das Licht weich und rötlich, die Atmosphäre irgendwo zwischen schrill und charmant.
Ich setzte mich an die Bar, bestellte ein Bier – und kam mit einem der Bargirls ins Gespräch. Ihr Englisch war bruchstückhaft, mein Thai nicht existent – also hangelten wir uns mit Händen, Lächeln und gutem Willen durch die Unterhaltung.
Ich spendierte ihr einen Ladydrink. Sie prostete mir zu, lachte.
Dann stellte sie plötzlich ein leicht ramponiertes „Vier gewinnt“-Spiel auf die Theke.
„You play?“ fragte sie mit einem Grinsen.
Und wie ich spielte.
Mitten im roten Licht, zwischen Eiswürfeln, Neon und Mopedgeräuschen lieferten wir uns konzentrierte Partien.
Sie gewann. Deutlich. Und hatte sichtlich Spaß daran, mich abzuziehen.
Dann, irgendwann, fragte sie leise:
„You want take me out? Go hotel?“
Ich verstand sofort. Kein plumper Vorschlag. Kein Kalkül.
Eher eine ruhige, pragmatische Frage – als würde sie mir die Entscheidung überlassen.
Für einen Moment schwieg ich. Nicht, weil ich überrascht war – sondern weil ich wusste, dass hinter dieser Frage mehr steckt als ein kurzer Ausflug in die Nacht.
Ich sah sie an – hinter das Make-up, das Lächeln, das Routiniert-Flirty.
Und da war plötzlich nur ein Mensch. Einer wie ich. Unterwegs. Auf der Suche. Vielleicht auch nur nach einem kleinen Stück Wärme.
War ich so weit?
Und dann war sie plötzlich wieder da: Ilaya.
Nicht als Schatten, nicht in Person – sondern als Gefühl. Als Erinnerung an eine Begegnung, die still war. Echtheit ohne große Worte.
Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog. Nicht vor Verlangen – sondern vor Zweifel.
War es fair?
Mir selbst gegenüber? Ihr?
Oder diesem Mädchen, das mir gerade die Tür zu etwas öffnete, das mehr war als ein Angebot?
In mir tobte ein leiser Zwiespalt:
Ein Teil sehnte sich nach Nähe, nach Vergessen, nach dem Reiz des Moments.
Der andere wollte nicht, dass das, was mit Ilaya gewesen war, einfach verblasste.
Ich trank einen Schluck, sah in ihr Gesicht – es war nicht mehr flirtend, sondern wartend.
So, als hätte sie diesen Blick schon oft gesehen. Diesen inneren Kampf.
Ich schlug vor, noch eine Runde Billard zu spielen. Nicht, weil ich unbedingt wollte – sondern um Zeit zu gewinnen. Um klarer zu werden.
Ich blieb.
Nicht, weil ich sicher war.
Sondern weil ich wusste: Wenn ich jetzt gehe, nehme ich die Frage mit. Und sie wird mich weiter begleiten – vielleicht schwerer als die Antwort.
Wir spielten. Wir tranken. Und dann kam sie noch einmal:
„You take me? Your hotel?“
Ich zögerte. Nicht, weil ich sie nicht mochte.
Sondern weil ich mich selbst nicht ganz mochte in dieser Rolle.
Aber sie war nicht naiv. Nicht hilflos. Sie wusste, was sie tat.
Und ich war kein Retter. Kein Verführer. Kein Held.
Ich war einfach da.
In diesem Moment.
Und entschied, ihn anzunehmen – ohne Erwartungen. Ohne moralischen Überbau.
Ich nickte.
Sie lächelte.
Und ich wusste:
Dieser Abend würde mehr Fragen aufwerfen, als er beantworten konnte.
Später im Hotel
Im Hotel war es still. Nur das leise Brummen der Klimaanlage.
Sie trat ein, drehte sich kurz im Raum, als wolle sie sich vergewissern, dass sie jetzt wirklich hier war – mit mir.
Ich reichte ihr eine Wasserflasche, sie nahm einen Schluck, dann sah sie mich über den Rand der Flasche an – ein stilles Einverständnis lag in diesem Blick. Kein Zögern mehr.
„Shower first?“ fragte sie leise.
Ich nickte. Sie folgte mir.
Im Bad zog sie ihr Shirt über den Kopf, warf es achtlos zur Seite, trat aus der engen Jeans. Ich folgte ihrem Beispiel, und in der kühlen Fliese unter unseren Füßen und dem Neonlicht über dem Spiegel lag für einen Moment etwas beinahe Surreales. Zwei fremde Körper, nebeneinander, nackt – und doch nicht bloßgestellt. Nur da. Bereit.
Das Wasser rauschte auf, warm und dampfend. Sie trat zuerst unter den Strahl, bog sich den Zopf aus dem Haar, ließ ihn über die Schulter fallen. Ihr Rücken war glatt, schimmernd vor Feuchtigkeit. Ich trat hinter sie, legte vorsichtig die Hände an ihre Hüften. Sie lehnte sich an mich, ließ den Kopf zurücksinken, atmete tief aus.
Wir standen so, nah und still. Haut an Haut. Kein Wort. Nur Wasser. Nur Wärme.
Ich nahm etwas Seife, ließ sie über ihren Nacken, ihre Schultern gleiten, langsam, fast andächtig. Sie drehte sich um, sah mich an – ein Blick, tief und direkt ich zog sie zu mir. Unsere Lippen fanden sich. Weich, warm, fordernd.
Unter dem Wasser begann alles: eine zärtliche Ungeduld, ein langsames Erforschen. Hände fanden Wege, Finger glitten über nasse Haut. Es war kein Spiel, kein Vorführen. Sondern pures Spüren.
Wir lachten leise, als der Duschkopf sich plötzlich drehte und uns beide kalt erwischte. Sie schrie kurz auf, dann lachte sie – frei, echt. Ich zog sie wieder unter den warmen Strahl, und küsste sie. Diesmal länger. Und sie antwortete mit einem Druck ihres Körpers, der alles sagte.
Wir verließen das Bad, noch feucht, noch nah. Unsere Haut dampfte leicht in der kühlen Luft der Klimaanlage. Die Handtücher hielten kaum – mehr Symbol als Schutz. Sie warf ihres achtlos aufs Bett, drehte sich zu mir um, nur noch ein Schritt Abstand.
Ich ließ meins ebenfalls fallen.
Dann war da kein Abstand mehr.
Ihre Lippen fanden meine, diesmal verlangender, tiefer. Sie schmeckte nach warmem Wasser und einem Hauch Minze vom Duschgel. Ihre Haut war glatt, weich, ihre Hände neugierig. Meine Finger glitten über ihre Taille, über die kleinen Wasserperlen, die sich noch auf ihrer Haut hielten – wie Tropfen auf einer reifen Frucht.
Sie zog mich aufs Bett, langsam, kontrolliert. Ihre Bewegungen hatten etwas Spielerisches, aber auch Entschlossenes. Sie wusste, was sie wollte. Und sie wusste, wie.
Ich lag auf dem Rücken, sie setzte sich auf mich – nicht sofort, nicht eilig, sondern mit einem leichten Schaukeln der Hüften, einem prüfenden Blick, der fragte: "Ready?"
Ich nickte.
Sie fuhr mit den Fingerspitzen meine Brust entlang, dann meinen Hals, beugte sich vor, küsste mich – sanft zuerst, dann intensiver. Ihr Atem wurde kürzer, ihr Blick dunkler.
Ich spürte sie, warm, schwer auf mir, spürte, wie sie langsam die Kontrolle übernahm, sich bewegte, sich anpasste, suchte, fand.
Sie ritt mich, ruhig, mit einem Rhythmus, der mich zuerst erstaunte, dann komplett einnahm. Kein hastiges Stoßen, kein wildes Reiben – sondern ein kontrolliertes, fließendes Ineinandergreifen, wie eine Welle, die immer wieder anrollt und dann wieder kurz zurückweicht.
Wir atmeten gemeinsam, als würden unsere Körper den Takt vorgeben. Ihre Hände stützten sich auf meiner Brust ab, sie war aufrecht, stolz – fast tänzerisch. Und doch ganz bei mir.
Ich streichelte ihre Schenkel, ihre Hüften, fuhr mit der Hand zwischen unsere Körper, suchte sie dort, wo sie am empfindlichsten war – und fand sie. Ihr Stöhnen war leise, kehlig, ehrlich. Kein gespielter Ton, sondern eine echte Reaktion. Ihre Augen schlossen sich kurz, sie biss sich auf die Lippe, verlangsamte das Tempo – wollte mehr, aber auch: länger.
Ich drehte sie schließlich sanft zur Seite, übernahm die Führung. Sie ließ es zu, zog mich zu sich, schlang die Beine um meine Hüften. Ich drang wieder in sie ein, diesmal tiefer, intensiver. Sie legte den Kopf zurück, flüsterte etwas auf Thai – ich verstand es nicht, aber der Klang allein reichte.
Unsere Bewegungen wurden drängender, aber nie grob. Es war wie ein Tanz, ein immer dichter werdender Strom. Mal schnell, mal fast stillstehend, als müssten wir beide kurz durchatmen, nur um dann wieder weiterzumachen – noch ein Stück tiefer, noch ein Moment näher.
Als sie kam, war es nicht laut – eher wie ein Zittern, das durch ihren ganzen Körper ging. Ihre Hände gruben sich in meine Schultern, ihre Lippen formten meinen Namen, oder etwas, das so klang. Ich kam kurz darauf – tief in ihr, fest umschlungen, als hätte dieser Moment keine Vergangenheit und kein Danach.
Wir blieben so liegen, verwoben, atemlos. Ihre Stirn an meiner. Ihre Finger spielten mit meinem Nacken, strichen durch mein kurzes Haar, als wollte sie spüren, ob ich noch da war.
Und ich war da. Ganz. Jetzt.
Ohne Worte.
Nur Nähe.
Kein Filmkuss. Kein flüchtiges Dankeschön. Nur zwei Menschen, die sich für einen Abend gehalten haben – fest genug, um nicht zu fallen.