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Thailand Erstens kommt es anders, zweitens....

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        #41  

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Morgen danach: Stille, Licht, Gewicht

Irgendwann in der Nacht war ich eingeschlafen – oder einfach nur weggetaucht, wie man es manchmal tut, wenn der Körper müde ist, aber der Kopf noch nachhallt.

Als ich die Augen öffnete, war es bereits hell. Nicht grell, nicht fordernd – sondern dieses weiche, gefilterte Licht, das durch die große Glasfront fiel. Mein Zimmer lag im Untergeschoss, leicht versetzt zum Garten, verborgen hinter einer Schiebetür, die direkt auf den Pool zeigte. Das Wasser draußen war still – eine unbewegte Fläche, auf der sich das erste Licht des Morgens spiegelte wie auf Glas.

Neben mir: ihr Rücken. Ruhig, gleichmäßig atmend.
Ich blieb einen Moment liegen, sah sie an, ohne etwas zu denken. Nur fühlen, kurz – oder versuchen, es nicht zu zerdenken.

Dann rührte sie sich, blinzelte, drehte sich langsam auf den Rücken. Wir sagten nichts. Ein leises Nicken, ein schiefes Lächeln – mehr brauchte es nicht. Sie stand auf, zog das Laken enger um sich und verschwand im Bad.

Wasser rauschte. Ich hörte, wie sie die Dusche aufdrehte – nicht hastig, nicht funktional, sondern fast zögerlich. Als würde sie sich Zeit lassen, um etwas abzustreifen, das mehr war als nur die Nacht. Ich stand auf, schob die Schiebetür zur Seite. Ein Hauch feuchter Morgenluft drang herein, gemischt mit dem Chlorgeruch des Pools und dem vagen Duft tropischer Blüten.

Chiang Mai war wach, aber noch nicht laut.

Ich dachte nicht viel. Oder zu viel. Manchmal ist das schwer zu unterscheiden.

Da war kein Bedauern. Aber auch keine Euphorie.

Nur diese seltsame Mischung aus Nähe und Entfernung, die bleibt, wenn etwas echt war – aber endlich.

Als sie zurückkam, war ihr Haar noch feucht, das Laken inzwischen gegen ein Handtuch getauscht. Sie setzte sich ans Bettrand, ihr Blick auf den Boden gerichtet. Als hätte sie gewusst, dass ich sie jetzt so sehen würde.

„You okay?“ fragte sie, leise.

Ich nickte. „And you?“

Sie zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Okay.“

Dann standen wir da, jeder auf seiner Insel. Geteilt durch eine Nacht, verbunden durch ein paar Stunden.

Ich reichte ihr ein kleines Päckchen mit Keksen, das ich noch hatte. Sie nahm es, lächelte schwach. Dann griff sie nach ihrer Jeans, zog sich leise an. Kein Drama. Kein Pathos. Nur ein stilles Einvernehmen.

Als sie zur Tür ging – der schmalen Schiebetür hinaus in den neuen Tag –, hielt sie kurz inne.

„You good man,“ sagte sie dann, fast schüchtern. Und verschwand.

Ich blieb einen Moment stehen, starrte auf den Türrahmen, der sich so eben wieder geschlossen hatte, als wäre nichts gewesen. Nur das Wasser draußen bewegte sich leicht, als hätte es alles gesehen.

Dann setzte ich mich aufs Bett, atmete tief durch – und wusste:

Chiang Mai hatte mir eine weitere Geschichte gegeben. Keine einfache. Keine romantische. Aber eine, die bleibt.

Vielleicht war es das, was ich wirklich suchte: Nicht das Große, sondern das Wahre.

Und manchmal findet man das in einer fremden Stadt, in einer fremden Bar, in einem fremden Blick.

Nicht für immer.

Aber für genau den richtigen Moment.

Als sie gegangen war, blieb ich noch eine Weile sitzen. Alles war ruhig. In mir und um mich herum.

Dann stand ich auf, sprang unter die Dusche – diesmal nicht langsam, nicht bedächtig, sondern einfach nur, um frisch zu werden. Wach. Bereit für den Tag, oder das, was davon kommen mochte.

Ich ging frühstücken. Ein stilles Café ein paar Straßen weiter, Holzstühle, Deckenventilatoren, leichte Musik aus alten Boxen. Ich bestellte was zu Essen. Keine Eile, kein Ziel.

Danach ließ ich mich treiben.

Ein bisschen am Pool, die Füße im Wasser, das Gesicht zur Sonne. Ein bisschen ziellos durch die Gassen, vorbei an alten Mauern, Streetfoodständen, Papierlampions, die auch tagsüber in der Luft hingen wie vergessene Sterne.

Irgendwo am Rand der Altstadt marschierte ich an einem kleinen Büro vorbei – unscheinbar, fast improvisiert. Auf einem handgeschriebenen Schild las ich: Zipline Adventure – Explore the Jungle. Ich blieb stehen, sah durchs Fenster: ein Ventilator drehte sich langsam, dahinter zwei Typen mit offenen Hemden, Lächeln auf dem Gesicht, Gelassenheit im Blick.

Ich trat ein. Fragte, wann die nächste Tour sei.

„Tomorrow morning, 8:30 a.m. We pick you up.“

Ich zögerte keine Sekunde. „Okay. Let’s do it.“

Ein paar Minuten später hatte ich gebucht. Die Jungs reichten mir eine zerknitterte Quittung und einen kleinen Flyer.

Ich steckte alles ein, trat wieder auf die Straße.

Chiang Mai vibrierte leise. Der Tag war warm, aber nicht schwer.

Viel unternahm ich an diesem Tag nicht mehr.

Ich ließ mich noch einmal am Pool nieder, schaute dem Licht beim Wandern über die Wasseroberfläche zu. Alles war ruhig. Außen wie innen – oder vielleicht hatte sich beides einfach angeglichen.

Später, als die Sonne sich langsam hinter das Haus verzog, hatte ich noch einen Call mit Ilaya. Die Verbindung war stabil, das Gespräch leicht. Wir erzählten einander von den letzten Tagen, lachten, fühlten uns nah – fast so, als wären wir nicht Hunderte Kilometer entfernt.

Und doch lag etwas dazwischen, ein feiner Schleier aus Gedanken.

Denn Zweifel waren aufgekommen. Nicht laut, nicht aufdringlich. Aber sie waren da.

Ich hatte die letzte Nacht mit einer anderen verbracht. Und so sehr ich im Vorfeld mit mir selbst gerungen hatte – als ich es dann tat, war es ... fast okay gewesen. Kein Schuldeingeständnis, kein Verrat. Eher eine Art Entscheidung. Nicht gegen Ilaya, sondern für etwas, das in mir Raum brauchte.

Meine innere Zerrissenheit, dieses permanente Abwägen, war einem seltsamen Frieden gewichen. Ich sagte mir: Ja, zwischen uns ist mehr. Ilaya und ich – das ist kein Zufall. Da ist Tiefe, da ist Bedeutung. Aber trotzdem ... ein bisschen Leichtigkeit, ein bisschen Leben wollte ich mir nicht verbieten.

Und es fühlte sich nicht falsch an. Nicht wirklich.

Vielleicht, dachte ich, wäre es für sie sogar okay. Vielleicht war sie keine dieser eifersüchtigen Frauen. Vielleicht konnte auch sie trennen – zwischen Bedeutung und Moment, zwischen Nähe und Freiheit.

Vielleicht.

Als der Bildschirm schließlich schwarz wurde, blieb ich noch einen Moment einfach sitzen. Lehnte mich zurück, ließ die Gedanken treiben. Kein schlechtes Gewissen – nur diese leise Ungewissheit, wie viel Wahrheit eine Verbindung eigentlich tragen kann, ohne dass sie bricht.

Aber heute war kein Tag für Antworten.

Ich legte das Handy zur Seite, trat noch einmal hinaus auf die Terrasse. Das Wasser im Pool war nun dunkel, der Himmel darüber fast violett.

Morgen würde ich durch Baumwipfel fliegen.

Heute aber – war ich einfach nur da.

Noch einmal atmen. Noch einmal Stille.

Dann legte ich mich ins Bett. Müdigkeit kam nicht plötzlich, sondern wie eine Welle, die mich langsam überrollte.

Und irgendwann war ich einfach weg.
 
        #42  

Member

Ein Tag lang schwerelos

Ich wachte früh auf – nicht abrupt, sondern eher so, als hätte mein Körper gewusst, dass etwas bevorstand. Die Sonne war noch nicht ganz über den Horizont geklettert, aber das Licht draußen kündigte bereits an, dass der Tag warm werden würde.

Ich stand auf, duschte, zog mich an, packte eine kleine Tasche mit Wasser, Sonnencreme, Kamera. Noch etwas müde, aber wach genug, um die Aufregung zu spüren, die in der Luft lag. Dieses leise Vibrieren vor etwas Unbekanntem.

Um kurz nach acht fuhr ein abgerockter Van vor. Ein junger Typ mit Baseballkappe und verschlafenem Grinsen winkte mir zu. Ich stieg ein.

Im Wagen saßen bereits ein paar andere: zwei Belgier, ein amerikanisches Pärchen, und eine Deutsche – irgendwas um Mitte zwanzig, braune Haare, wache Augen. Niemand sagte viel. Alle noch im Halbschlaf, vereint durch Neugier und den zähen Start eines frühen Morgens.

Die Fahrt raus aus Chiang Mai zog sich. Vielleicht eine Stunde, vielleicht ein bisschen mehr – der Blick aus dem Fenster verlor sich im Übergang von Stadt zu Land. Der Verkehr lichtete sich, die Straßen wurden enger, die Häuser seltener. Irgendwann war da nur noch Dschungel. Grün in allen Schattierungen. Nebel hing zwischen den Bäumen, Vögel riefen, irgendwo bellte ein Hund. Die Fenster waren offen, der Fahrtwind roch nach Erde und Morgentau.

Am Ziel angekommen, wurden wir aus dem Wagen gewunken wie alte Freunde. Lächelnde Guides in orangefarbenen Helmen reichten uns Gurte, Karabiner, Handschuhe. Der Ton war locker, das Vertrauen stillschweigend.

Ein paar Sicherheitshinweise, halb gehört, halb erraten – dann marschierten wir los.



Fliegen über Bäume

Der Weg hinauf war schweißtreibend, aber nicht anstrengend im klassischen Sinn. Eher ein stetiges Aufsteigen in eine andere Perspektive. Der Dschungel war stiller als erwartet. Keine wilden Tierlaute, kein Tarzan-Getöse – nur das leise Knacken unter den Schuhen, das Flattern von Blättern im Wind, das Murmeln eines Baches irgendwo tief unten.

Dann standen wir da – auf einer kleinen Holzplattform, zehn, vielleicht fünfzehn Meter über dem Boden. Zwischen den Bäumen gespannt: ein Seil. Daran ein Griff. Und darunter: Nichts. Nur Luft. Grün. Tiefe.

Einer der Guides grinste breit, kontrollierte mein Geschirr, hakte mich ein – „Ready?“

Ich nickte.

Ein kurzer Schritt ins Leere. Der erste Moment: Schock. Das Rucken des Gurtes, der Wind im Gesicht, die Geschwindigkeit. Dann: Freiheit. So plötzlich und klar, dass ich lachen musste. Nicht laut – eher ein tiefes, fast kindliches Lächeln, das sich irgendwo zwischen Brust und Magen festsetzte.

Ich flog. Über Baumwipfel, durch grüne Tunnel, zwischen Ästen hindurch, die so nah schienen, dass ich fast danach hätte greifen können.

Die erste Zipline war kurz – ein Testlauf. Gerade lang genug, um zu spüren, worauf man sich eingelassen hatte. Die nächste: schneller, länger. Man hing plötzlich ganz allein zwischen Himmel und Erde, nur gehalten von ein paar Seilen und dem Vertrauen, dass alles gutgehen würde.

Station um Station. Von Plattform zu Plattform. Mal kürzer, mal weiter. Manchmal flog man ganz flach dahin, fast schwebend – dann wieder mit ordentlich Tempo, dass einem das Grinsen von selbst ins Gesicht fuhr.

Die Guides waren schnell und eingespielt, hängten uns zügig ein, kontrollierten die Gurte, nickten einem kurz zu – und weiter ging’s.

Zwischendurch stand ich immer mal wieder neben Lena – der Deutschen aus dem Van, feiner Humor, wacher Blick. Zwischen zwei Plattformen, beim Warten auf den nächsten Flug, wechselten wir ein paar Sätze.

„Ich dachte, das wäre mehr so... Tourikram“, sagte sie einmal und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Ich grinste. „Und jetzt?“

„Jetzt will ich nie wieder normalen Boden unter den Füßen.“

Ich sah runter – auf das wogende Grün unter uns – und dachte: So fühlt sich Leichtigkeit an.

Nur Fahrtwind. Und Wald. Und das leise Wissen: Ich bin genau hier – und das reicht.

Es folgten noch ein paar Stationen bis wir dann später aus dem Dickicht traten – und standen plötzlich vor einer Bretterbude. Aber nicht irgendeiner kleinen, windschiefen Holzhütte. Nein, das Ding war riesig – zumindest gemessen daran, dass wir uns mitten im Dschungel befanden.

Ein weit offenes Dach, lange einfache Holztische, Plastikstühle, ein paar Ventilatoren, die müde vor sich hin ratterten. Über uns hingen bunte Fähnchen, irgendwo spielte leise Musik aus einer blechernen Box. Es roch nach gebratenem Knoblauch und Öl.

Wir alle hielten kurz inne – ein kollektives, ungläubiges Staunen. Niemand hatte hier draußen mit etwas derart Ausgebautem gerechnet. Es war und blieb eine Bretterbude – aber eben eine verdammt große. Und plötzlich fühlte es sich fast wie Zivilisation an, mitten im Nirgendwo.

Wir setzten uns an einen langen Tisch, die Guides reichten Teller, Wasserflaschen, Schalen mit gebratenem Reis, Gemüse, süßer Chili-Soße. Einfaches Essen, aber heiß und gut. Und in dem Moment genau das Richtige.

Lena und ich tauschten Blicke, mussten lachen – über die Größe des Restaurants, über die Guides, über die Flugmanöver, die uns gerade noch durch die Baumwipfel getragen hatten.

„Ich hab mit allem gerechnet“, sagte sie, „aber nicht mit einer Großkantine im Dschungel.“

„Vielleicht ist das hier die thailändische Version von Hogwarts“, grinste ich. „Versteckt hinter Bäumen, nur für Leute, die mutig genug sind, sich von einem Seil zu werfen.“

Sie schüttelte den Kopf, lachte leise.

Ringsum klirrten Gläser, es wurde geredet, geschmatzt, geschnauft – die müde Euphorie eines gelungenen Abenteuers hing in der Luft.

Und in diesem Moment, irgendwo zwischen Reis und Restadrenalin, war es einfach schön.

Als wir einstigen hat sich Lena neben mich gesetzt. Irgendwann, als der Van sich rumpelnd durch die Serpentinen schlängelte, kamen wir ins Gespräch – nicht tiefschürfend, aber ehrlich, leicht. Sie erzählte, dass sie Tätowiererin ist. Ihre Arme zierten mehrere filigrane Arbeiten – klarlinig, stilvoll, teils abstrakt, teils mit floralen Motiven.

Ein Tattoo, frisch gestochen, stach besonders hervor: eine traditionelle Bambus-Stab-Tätowierung, direkt am Schlüsselbein. Sie beugte sich ein wenig vor und zeigte es mir in voller pracht – ein feines Symbol, das wirkte wie aus einer anderen Zeit. „Hab ich hier in Chiang Mai machen lassen“, sagte sie. „Altmodisch, mit Bambus und Öl. Tat weh wie Sau – aber irgendwie auch richtig.“

Ich nickte anerkennend. „Sieht gut aus. Irgendwie... ruhig.“

„Genau das wollte ich“, antwortete sie leise.

Wir kamen auf Reisepläne zu sprechen. Sie wollte weiter nach Laos, aber wie genau – das wusste sie noch nicht. „Vielleicht erst noch ein bisschen runter nach Süden, oder direkt rüber über die Grenze. Ich lass mich treiben.“

Keine feste Route, kein starrer Plan. Nur das Vertrauen, dass der nächste Ort schon kommen würde, wenn man offen dafür blieb.

Ich erzählte ihr, dass ich morgen auschecken würde – eine Rollertour stand an. Der Mae Hong Son Loop.

Kaum hatte ich den Namen erwähnt, spitzten plötzlich alle im Van die Ohren.

„Mae Hong Son?“, fragte einer der Belgier. „Mit dem Roller?“

Ich grinste, kramte mein Handy raus, zeigte ein paar Fotos, die ich mir zuvor gespeichert hatte – kurvige Straßen, neblige Bergpässe, kleine Dörfer zwischen Reisfeldern. Ich erzählte von den rund 1800 Kurven, den abgelegenen Orten, der wilden Natur – und von der Freiheit, die darin liegt, einfach loszufahren.

Der Van war still geworden, aber nicht aus Desinteresse. Im Gegenteil: Sie hörten mir zu, als hätte ich gerade einen geheimen Pfad beschrieben, von dem sie bisher nur vage wussten.

Lena sah mich an. „Das klingt ziemlich... gut. Irgendwie nach einer Reise in sich selbst“, sagte Lena leise.

Ich nickte. „Genau das ist es.“

Die Stimmung im Van war danach spürbar verändert – irgendwie wach, inspiriert, vielleicht ein bisschen sehnsüchtig. Das Gespräch war zwar wieder abgeklungen, jeder lehnte sich zurück, ließ die Gedanken wandern, aber da war jetzt dieses leise Knistern in der Luft. Als hätte man für einen Moment die Tür zu etwas Größerem aufgestoßen.

Der Van holperte über ein paar Schlaglöcher, der Fahrer schaltete einen Gang runter, und in der Ferne tauchten die ersten Dächer von Chiang Mai auf – flach, weit verstreut, unter einem Himmel, der sich langsam rosa färbte.

Als wir wieder in der Stadt ankamen, wurden nach und nach die einzelnen Leute abgesetzt. Verabschiedungen waren kurz, manchmal nur ein Nicken, ein Lächeln. Wir waren keine Gruppe gewesen, aber irgendetwas hatte uns trotzdem verbunden – für ein paar Stunden, zwischen Baumwipfeln und Dschungelpfaden.

Lena stieg als eine der Letzten aus. Als der Van vor ihrem Hostel hielt, blieb sie noch einen Moment sitzen, sah mich an.

„Du fährst morgen los, ja?“, fragte sie.

„Früh. Rucksack, Helm, und dann einfach los.“

„Na dann, Kurvenkönig“, sagte sie und grinste, „fahr dich nicht verloren.“

Ich lachte leise. „Und du? Laos?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht morgen, vielleicht nächste Woche. Vielleicht bleib ich noch ein bisschen.“

Etwas an der Art, wie sie das sagte, blieb hängen.

Ein kurzer Moment Stille. Kein unangenehmer – eher so einer, in dem zwei Menschen spüren, dass sie sich nicht alles sagen müssen, um es zu verstehen.

„Wenn du zurück bist“, sagte sie, „melde dich. Vielleicht trinken wir dann noch ’nen Kaffee in Chiang Mai.“

Ich nickte. „Oder du stichst mir was.“

Sie grinste. „Wenn du stillhalten kannst.“

Dann stieg sie aus, schulterte ihren Beutel, winkte kurz – und war weg.

Der Van fuhr weiter. Ich lehnte mich zurück, sah aus dem Fenster auf die Stadt, die mir nun wieder vertraut schien und doch schon ein Stück Vergangenheit war.

Morgen würde ich losfahren. Allein. Über 600 Kilometer, 1800 Kurven, durch Berge, Täler, Nebel und Licht.

Aber jetzt – jetzt war ich einfach still.

Ein bisschen erschöpft.

Ein bisschen erfüllt.

Und bereit.


Der Moment vor der Weite

Am Abend holte ich mir noch einen Roller aus einem kleinen Verleih, nicht weit vom Nachtmarkt entfernt. Die Luft war warm, und über den Gassen hing ein Geruch aus gegrilltem Fleisch, Räucherstäbchen und Abgasen – Chiang Mai in seiner abendlichen Wahrheit.

Ein junges Mädchen stand hinter dem Tresen, vielleicht Anfang zwanzig. Sie lächelte, als ich hereinkam, routiniert, aber freundlich.

„Du brauchst einen Roller?“

„Ja. Für ein paar Tage“, sagte ich. „Ich fahr den Mae Hong Son Loop.“

Ihre Augen leuchteten kurz auf, als hätte ich ein geheimes Codewort genannt.

„Allein?“

Ich nickte.

Sie musterte mich einen Moment, dann schob sie mir das Formular über den Tresen, zusammen mit einem Kugelschreiber.

„125er okay?“

„Perfekt.“

„Dann nimm den Yamaha. Der da draußen, der schwarz-rote. Ist noch recht neu, kaum fünfhundert Kilometer auf dem Tacho. Läuft ruhig, zieht sauber durch. Und sieht nicht schlecht aus, oder?“

Ich trat hinaus, während sie noch meine Daten überflog. Da stand er unter dem schwachen Licht der Straßenlaterne: schwarz, mit roten Linien und weißen Details, fast wie ein kleiner Blitz in der Dunkelheit. Sportlich, aber nicht aufdringlich. Der Lack noch ohne Kratzer, die Reifen kaum abgefahren.

Ich fuhr mit der Hand über den Lenker, dann sah ich zurück durch die Glastür des kleinen Büros. Sie nickte mir zu – eine stumme Übergabe.

Ich startete den Roller. Der Motor sprang sofort an, schnurrte gleichmäßig. Ich fuhr ein paar Meter die Straße runter, bremste, wendete, beschleunigte wieder. Alles saß. Kein Ruckeln, kein Zögern. Er war bereit.

Danach fuhr ich noch eine Kleinigkeit essen – irgendein Stand, irgendein Teller mit etwas Scharfem und etwas Süßem, Plastikstuhl, Plastikgeschirr, aber genau richtig. Ich saß da eine Weile, schaute dem Treiben zu, kaute langsam, ließ die Gedanken in die Kurven von morgen gleiten.


Ilaya

Zurück im Hotel duschte ich, packte die letzten Dinge in den Rucksack, dann setzte ich mich mit einem kalten Wasser vors Handy. Noch ein letzter Call.

Sie nahm sofort ab.

Ihr Bild war klar, ihr Gesicht vertraut. Wir sprachen kurz über morgen. Ich erwähnte, dass ich früh los will, den Loop fahre, allein, wie geplant.

Aber das war Nebensache.

Ich wollte wissen, wie es ihr geht. Was sie gemacht hat. Ich hörte zu. Nicht halb, nicht nebenbei. Ich hörte einfach zu.

Zwischendurch war es still. Keine unangenehme Pause – eher ein gemeinsames Atmen.

Bevor wir auflegten, meinte sie:
„Du schuldest mir jetzt schon mindestens drei Geschichten.“

Ich grinste. „Dann muss ich wohl bald wieder welche liefern.“

„Aber bitte mit Cliffhanger“, sagte sie und blinzelte. „Damit ich dranbleibe.“

Ich legte mich ins Bett und machte das Licht aus.

Ich dachte kurz noch an sie. Dann an morgen.
Ein neuer Tag.
Eine neue Straße.
 
        #43  

Member

Bin nur zufällig auf Deine Geschichte gestoßen und habe sie trotz fortgeschrittener Stunde ganz durchgelesen. So wie ich es in Erinnerung habe : Das war Deine erste und einzige Reise nach Thailand ?

Das kann ich kaum glauben, ist natürlich für den Stil der Story auch nicht maßgeblich. Super geschrieben, so real, das man meint, am Geschehen direkt beteiligt zu sein.

Geht es weiter oder ist hier Schluß ? das könnte durchaus passen, es bleibt alles offen... so soll es ja sicher auch sein. Ich wage gar nicht zu fragen, ob Du nicht doch noch einmal nach Thailand möchtest - mit dem leisen Verdacht, das Du nach dieser ersten Reise gleich dort geblieben bist :D
 
        #44  

Member

Ja, der Loop ist schon was ganz besonderes.
Bin diese Tour schon mehrfach abgefahren und immer wieder begeistert.
 
Zuletzt bearbeitet:
        #45  

Member

Und für einen Moment dachte ich, du hättest Lena vernascht 🥰

Schöne Geschichte und toll geschrieben, an dir ist wirklich ein Autor verloren gegangen
 
        #46  

Member

Member hat gesagt:
Bin nur zufällig auf Deine Geschichte gestoßen und habe sie trotz fortgeschrittener Stunde ganz durchgelesen. So wie ich es in Erinnerung habe : Das war Deine erste und einzige Reise nach Thailand ?

Das kann ich kaum glauben, ist natürlich für den Stil der Story auch nicht maßgeblich. Super geschrieben, so real, das man meint, am Geschehen direkt beteiligt zu sein.

Geht es weiter oder ist hier Schluß ? das könnte durchaus passen, es bleibt alles offen... so soll es ja sicher auch sein. Ich wage gar nicht zu fragen, ob Du nicht doch noch einmal nach Thailand möchtest - mit dem leisen Verdacht, das Du nach dieser ersten Reise gleich dort geblieben bist :D
Wow, dass du mitten in der Nacht durchgelesen hast, ehrt mich fast mehr als der Kommentar selbst – danke dir dafür! 😄
Und ja, du hast recht: Es war meine erste Thailandreise.
Ob es weitergeht? Der Urlaub fing gerade erst an. Und wer weiß – vielleicht schreibe ich den Rest einfach auf einer Hängematte in Chiang Mai weiter. (Mit WLAN. Und Mango Sticky Rice.)
Bleib dran – oder besser: komm mit

Member hat gesagt:
Ja, der Loop ist schon was ganz besonderes.
Bin diese Tour schon mehrfach abgefahren und immer wieder begeistert.
Ich glaube, man kann die Strecke hundertmal fahren – und sie erzählt einem jedes Mal eine andere Geschichte.

Vielleicht sieht man sich ja mal irgendwo zwischen der 327 Kurve und einem dampfenden Khao Soi wieder… Helmgruß inklusive!

Member hat gesagt:
Und für einen Moment dachte ich, du hättest Lena vernascht 🥰

Schöne Geschichte und toll geschrieben, an dir ist wirklich ein Autor verloren gegangen
Ob vernascht, verführt oder einfach verloren in einem Moment, der mehr versprach als er erklärte –
manche Kapitel schreibt man eben mit Haut, nicht mit Tinte. ;-)

Aber keine Sorge – ich hab noch einige Seiten im Gepäck.
 
        #47  

Member

Mae Hong Son Loop – Verlaufen, um anzukommen

Wie soll ich das beschreiben,
was man eigentlich nur fühlen kann?

Ich könnte aufzählen, wo ich überall gestoppt habe – Pai, Mae Hong Son, Doi Inthanon, Ban Rak Thai, Mae Sariang und und und... – kleine Wasserfälle am Straßenrand, verschlafene Dörfer, Berggipfel, in Morgennebel gehüllt.
Ich könnte schreiben, wie viele Kurven es waren (über 1.800, sagt man) und welche Aussichtspunkte besonders spektakulär waren.

Aber das wäre nur ein Schatten dessen, was der Mae Hong Son Loop wirklich ist.

Denn es ist nicht die Strecke an sich.
Es ist das Gefühl, unterwegs zu sein.
Dieses Sich-Verlieren in der Bewegung.
Die Stunden auf dem Roller, wenn Zeit keine Rolle mehr spielt und der Kalender bedeutungslos wird.
Wenn du nicht mehr weißt, welcher Tag heute ist – und merkst: Es ist egal.

Der erste Tag fühlt sich an wie Aufbruch.
Wie Abstreifen.
Der Lärm der Stadt verblasst im Rückspiegel.
Ich lasse Dinge hinter mir, von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie mit mir trage.
Plötzlich zählt nur noch die Straße.
Der nächste Hügel.
Die nächste Kurve.
Der nächste Geruch.
Mein Handy verliert Empfang, mein Kopf verliert Gewicht.
Und ich merke, wie selten das geworden ist – dieses pure Jetzt.

Und dann sind da die Begegnungen.

Nicht geplant, nicht gesucht – einfach passiert.
Ein Lächeln am Straßenrand.
Ein Winken von einem Kind.
Ein alter Mann, der mir wortlos Wasser reicht.
Keine gemeinsame Sprache – und doch so viel verstanden.

Es sind nicht nur die Orte.
Es sind die Menschen, die die Strecke lebendig machen.
Fremde, die für einen Moment vertraut sind.
Gespräche in gebrochenem Englisch, begleitet von Händen, Gesten, Lachen.
Und dann geht jeder wieder seines Weges – ohne Drama, ohne Versprechen.
Aber mit einem Abdruck im Herzen.

Je weiter ich fuhr, desto weniger ging es ums Ankommen –
und desto mehr ums Spüren.

Auf manchen Abschnitten war ich allein.
Nur ich, die Straße, mein Atem.
Und während draußen das Leben an mir vorbeizog – Reisfelder, Nebelwälder –
kehrte drinnen plötzlich Ruhe ein.
Es war nicht die Leere, vor der wir oft Angst haben.
Es war Raum. Für Gedanken, für Fragen, für nichts.

Ich verlor mich – nicht aus Angst, sondern weil es Raum zum Sein gab.

Der Loop hat mich geformt.
Er hat mir eine neue Sichtweise geschenkt, die mich bis heute trägt.

Aber schon nach dem ersten Tag wurde mir klar –
das hier ist nichts, was man festhalten kann.
Keine Kamera, kein Text, keine Google-Route kriegt das eingefangen.

Und als ich irgendwann wieder in der Stadt ankam,
mit staubigen Schuhen und einem vollen Herzen,
wusste ich:
Ich bin nicht einfach nur einen Loop gefahren.

Ich habe mich ein Stück weit entknotet.
Mich verloren –
um mich ein wenig näher bei mir selbst wiederzufinden.

Und das bleibt.



Ein Moment, der nicht erklärt werden will

Nach Tagen auf dem Motorrad, durch Berge, Kurven und Stille, kehrte ich nach Chiang Mai zurück – ausgelaugt, erfüllt, ein wenig leer und gleichzeitig weit geöffnet. Ich hatte ein kleines, abgeschiedenes Resort 30min. außerhalb des Ortes gebucht – zurückgezogen, eingebettet zwischen satten Reisfeldern, mit nur fünf steinernen Bungalows, deren Wände an den Seiten fast vollständig aus Glas bestanden. Ein Ort, den man nicht googelt, sondern unterwegs erzählt bekommt – und dann für sich behält.

Ich kam am späten Nachmittag an, checkte ein, ließ meinen Körper zum ersten Mal seit Tagen wirklich los. Die Nacht war ruhig. Ich schlief leicht, wachte früh auf. Vor mir: Palmen, ein großer Teich, das offene, steinerne Restaurant, mehr Pavillon als Lokal – weitläufig, leer, wunderschön.

Gegen Mittag saß ich auf den Stufen meines Bungalows. Vor mir: Weite, flirrendes Licht, das Klicken von Insekten, das Knarzen des Bambus im Wind. Ich ließ meinen Blick treiben – bis ich in der Ferne eine Bewegung sah.

Da war sie.

Aus der Distanz erkannte ich sie sofort. Sonnenbrille im Haar, leichtes Kleid, Rucksack über der Schulter. Ihr Schritt war ruhig, nicht zögerlich, aber wachsam – wie jemand, der nicht nur einen Ort betritt, sondern etwas, das in ihm liegt. Sie blieb kurz stehen, schob sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, blickte sich um. Dann trafen sich unsere Blicke – ein Moment lang still, ohne Geste, ohne Worte. Nur ein kurzes, kaum sichtbares Nicken, fast wie ein inneres „Da bist du.“

Ich stand auf. Es war kein Reflex, sondern fast etwas Altes, Instinktives. Sie setzte sich wieder in Bewegung, langsam, mit diesem vertrauten, weichen Gang, den ich selbst dann erkennen würde, wenn hundert andere um sie herum wären. Je näher sie kam, desto deutlicher wurde das Lächeln, das sie trug – nicht laut, nicht gemacht. Eher wie etwas, das sie immer bei sich trägt. Still, echt, und doch schwer zu fassen. Ein Lächeln, das nicht nur mir galt, sondern allem, was sie war.

Als sie vor mir stand, sagte keiner von uns sofort etwas. Es brauchte kein Wort. Nur diesen Moment, in dem Nähe nicht erklärt, sondern gespürt wird.
 
        #48  

Member

Kenne ich alles Doi Suthep, Mae hong son und viele andere Stellen in und um Chiang Mai.

Wäre nicht Covid gekommen, ich wäre dageblieben ...
Nachträglich sage allerdings, Buddha sei dank, ist es nicht passiert. Ich wäre entweder der gücklichste Mensch auf Erden gewesen oder einer der vielen Alkoholiker, die sich völlig an einer Frau verloren haben.

Habe ich mehr als genug gesehen...

Hoffe, das es bei Dir ein Happy End gibt :))
 
        #49  

Member

Bonusmaterial

Als Ilaya vor mir stand, sagte keiner von uns sofort etwas. Es brauchte kein Wort. Nur diesen Moment, in dem Nähe nicht erklärt, sondern gespürt wird.

Sie legte den Rucksack ab, zog die Sonnenbrille aus dem Haar und sah mich an, als wollte sie sich vergewissern, dass ich wirklich da bin. Dann grinste sie leicht. Wir setzten uns auf die Stufen des Bungalows, Seite an Seite, die Knie berührten sich.
„Du siehst ein bisschen aus wie jemand, der zu lange allein war.“
Ich grinste.
„Und du wie jemand, der das genießt, mir das zu sagen.“
„Vielleicht.“ Sie drehte sich leicht zu mir. „Aber wirklich... irgendwas ist anders.“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Sonnenbrand, müder Blick, wilder Bart – such dir was aus.“
„Hm.“ Sie ließ den Blick an mir entlanggleiten. „Ich glaub, es steht dir.“
Ich hob eine Augenbraue.
„Das müde, aber mysteriöse?“
„Das Unterwegs-Gewesene.“

Ich lachte. „Fair. Und du siehst aus, als würdest du gleich das Interview führen.“

Sie lachte mit – dann meinte sie: „Erzähl mir alles. Ich will wissen, was du gesehen hast und wichtiger wie es war, da draußen.“

Also erzählte ich. Von nebligen Bergpässen am frühen Morgen, von Reisfeldern, die sich wie grüne Teppiche über die Hügel legten. Von dem Gefühl, dass Zeit auf dem Roller plötzlich keinen Wert mehr hat, weil nur noch das Dazwischen zählt. Ich sprach von einem Dorf, das aussah wie gemalt, von einem Sonnenuntergang über Ban Rak Thai, bei dem ich für einen Moment dachte, es müsste jetzt eigentlich Musik einsetzen. Episch, versteht sich.

Sie hörte zu, so richtig. Nicht mit einem halben Ohr, nicht aus Pflicht – sondern, als würde sie mit mir mitfahren, Kurve für Kurve.
Manchmal fragte sie dazwischen, manchmal ergänzte sie Gedanken, die ich noch nicht ganz zu Ende gedacht hatte.
Und ich merkte: Ich hatte diese Gespräche vermisst. Dieses Miteinander-Denken. Dieses Gefühl, dass Worte bei ihr nicht im Nichts landen, sondern Wurzeln schlagen.

Sie zog die Knie an und stützte das Kinn darauf.
„Und? Hast du mich vermisst?“

Ich lehnte mich zurück, ließ den Blick schweifen.
„So wie man manchmal plötzlich Lust auf Mango hat. Ohne zu wissen, warum. Und dann merkt: Ah, genau. Weil sie einem fehlt.“

Sie lachte leise.
„Jetzt werde ich mit Obst verglichen?“
„Exotisch, süß, schwer zu schälen.“

Sie boxte mir sanft gegen die Schulter.
„Du machst es einem nicht leicht.“
Ich lächelte. „Vielleicht soll man mich auch nicht zu leicht kriegen.“
„Zu spät.“

Sie sah mich an, ein bisschen zu lange, ein bisschen zu direkt.
Dann lehnte sie sich an mich, ganz selbstverständlich, als hätte ihr Körper mich schon längst wiedererkannt.

Dann flüsterte sie:
„Ich will alles hören. Erzähl mir mehr vom Loop.“
Ich sah sie an. „Das wird dauern.“
„Ich hab Zeit.“

Ich erzählte mehr.

Nicht chronologisch, nicht wie ein Bericht. Mehr wie ein loser Faden, der sich beim Sprechen von selbst entrollt. Von Begegnungen mit Menschen, die mir ein Lächeln schenkten, ohne zu wissen, wer ich bin. Von Momenten in kleinen Garküchen, wo der Rauch in den Augen brannte und das Essen schmeckte, als hätte jemand all seine Erinnerungen darin verkocht.

Von einem Morgen, an dem ich um fünf aufgewacht bin, weil die Hähne sich gegenseitig angeschrien haben, und ich plötzlich wusste: Ich bin weit weg – aber genau richtig.

„Und warst du einsam?“, fragte sie leise, ohne mich anzusehen.

Ich überlegte.

„Manchmal. Aber es war die gute Art von Einsamkeit. Die, bei der man sich nicht verliert, sondern wiederfindet.“

Sie nickte, langsam. Dann zog sie ein kleines Notizbuch aus dem Rucksack, zerfleddert, mit Eselsohren und einem Gummiband, das nicht mehr spannte.

„Ich hab auch geschrieben“, sagte sie. „Nicht viel. Nur Fetzen. Gedanken. Sachen, die ich dir sagen wollte, aber nicht in eine Nachricht passten.“

Sie blätterte, dann hielt sie kurz inne.

„Willst du was hören?“

Ich nickte.
Sie las vor.

Ein paar Zeilen nur. Über Sehnsucht, die keine Worte braucht. Über die Art, wie Orte nach Menschen riechen können. Und über das Gefühl, jemanden zu vermissen, den man noch nie wirklich besessen hat.

Ich sah sie an.

„Du schreibst schöner als ich rede.“

„Dann hör auf zu reden und küss mich endlich“, sagte sie – nicht wie eine Aufforderung, sondern wie eine Feststellung.

Ich hob eine Augenbraue.
„Jetzt schon? Ich hatte noch mindestens drei poetische Sätze vorbereitet.“
„Die kannst du später recyceln.“
„Ich dachte, du magst mein Gerede.“
„Tu ich. Aber dein Mund interessiert mich gerade aus anderen Gründen.“

Ich tat, als würde ich überlegen. Deutlich zu lang.
Sie sah mich an, schüttelte den Kopf, kam näher.
„Weißt du was? Ich nehm’s selbst in die Hand.“

Und das tat sie auch. Ohne zu zögern.
Kein zartes Herantasten, kein inszeniertes Innehalten.
Ein Kuss, wie sie war: direkt, warm, lebendig.
Es schmeckte wirklich ein bisschen nach Mango.
Nicht nach Salz und Sehnsucht, wie man’s aus Liedern kennt.
Sondern fruchtig. Warm. Wie etwas, das man sich lange vorgestellt hat – und das dann überraschend besser ist als die Vorstellung selbst. Ich spürte ihre Finger an meinem Nacken, leicht, fast forsch – und wie sie sich kurz in mein Shirt krallten, als hätte sie sich vorgenommen, mich nicht mehr gehen zu lassen.

Als sich unsere Lippen lösten, waren ihre Augen dunkler als zuvor.
„Wird das jetzt ein Teil deiner Erzählung vom Loop?“, flüsterte sie, Stirn an Stirn mit mir.
„Bonusmaterial“, sagte ich, meine Hand noch in ihrem Haar.
„Dann will ich das ganze Album.“

Und diesmal war ich es, der sie küsste. Langsamer. Mit allem, was wir nicht gesagt hatten. Und einem Versprechen, das nur Lippen geben können.

Danach saßen wir noch eine Weile auf der Treppe.

Nicht mehr ganz Seite an Seite, sondern ein bisschen ineinander verschoben – ihre Schulter an meiner, meine Hand an ihrer Hüfte, als würde sie da einfach hingehören. Die Welt um uns wurde langsam dunkler, aber zwischen uns war noch Licht. Kein großes Feuerwerk, eher dieses warme Glimmen, das bleibt, wenn alles gesagt ist – oder für einen Moment nicht mehr gesagt werden muss.

Ein paar Minuten lang sagten wir gar nichts. Nur der Wind ging durchs Gras, irgendwo zirpte etwas, das klang, als hätte es den Sommer verschluckt.

Dann seufzte sie leise.
„Du hättest mir früher schreiben können.“
Ich nickte.
„Warum hast du’s nicht getan?“
Ich überlegte.
„Weil ich dachte, ich müsste erst bei mir ankommen, bevor ich wieder bei dir sein kann.“

Sie sah mich an, prüfend – nicht vorwurfsvoll, eher als würde sie nach einem Echo in sich selbst suchen.

„Und bist du’s jetzt? Angekommen?“
„Vielleicht noch nicht ganz. Aber du bist definitiv ein Teil davon.“

Sie schwieg, aber ich sah, wie der Satz bei ihr ankam. Nicht als großes Versprechen, sondern als etwas Echtes. Ehrliches.

Dann stand sie auf, streckte sich, drehte sich kurz zu mir um.
„Ich brauch ’ne Dusche. Ich fühl mich an wie mein Rucksack – viel erlebt, aber ziemlich durch.“
Ich lachte.
„Mach das. Ich wart hier und halt Wache vor wilden Affen.“
„Tapfer.“ Sie grinste. „Danach zeig ich dir, was ich unterwegs gelernt hab.“
„Was denn?“
„Später. Ist ’ne Überraschung.“

Sie ging ein paar Schritte, barfuß über den warmen Holzplanken. Dann drehte sie sich noch mal um.
„Und übrigens...“
„Ja?“
„Der Kuss war besser als Mango.“
Ich grinste.
„Kommt drauf an, wie reif die Mango ist.“

Sie lachte. Dann verschwand sie im Inneren des Bungalows.
Und ich blieb da sitzen – mit dem Gefühl, dass der Loop vielleicht doch noch eine Schleife für uns bereithält.
 
        #50  

Member

Extended Version

Zurück in der Anlage war es noch warm. Nicht mehr Tag, noch nicht Nacht – dieser schmale Spalt dazwischen, in dem die Luft weicher wird und alles klingt, als läge eine dünne Glasglocke über der Welt.

Wir stellten den Roller ab, sagten nichts. Aber ihre Hand blieb an meinem Rücken – einen Moment länger, als nötig gewesen wäre.

Sie setzte sich auf die oberste Stufe der Bungalow-Treppe, ließ die Beine locker baumeln. Ich stand unten, nur ein, zwei Meter entfernt und sah sie an.

„Du hast was im Blick“, sagte sie schließlich.
„Was denn?“
„Als würdest du was sagen wollen – aber erst, wenn ich näher komme.“

Ich zuckte mit einem Mundwinkel, halb Lächeln, halb Herausforderung. „Vielleicht sag ich’s auch nie. Vielleicht muss man’s sich holen.“

Sie beugte sich ein Stück vor, stützte die Ellbogen auf die Knie, ließ den Blick nicht von mir.
Dann stand sie auf, kam langsam die Stufen herunter. Nicht zögerlich – eher bewusst. Schritt für Schritt, barfuß, als würde der Boden unter ihr noch warm sein vom Tag.

Vor mir blieb sie stehen. Ganz nah. Kein Zentimeter zu viel, keiner zu wenig.

„Und?“, flüsterte sie.
„Was?“
„Hab ich’s mir schon geholt?“

Ich sah ihr in die Augen. Da war alles drin: das Lachen vorhin, das Schweigen auf dem Roller, das Feuer unter der Haut, das keiner von uns so richtig benennen wollte.

„Noch nicht ganz“, sagte ich leise.
„Dann bleib ich wach“, antwortete sie. „Bis du’s mir gibst.“

Sie sagte nichts mehr. Stattdessen trat sie näher, so nah, dass ihr Atem mein Kinn streifte. Ihre Finger glitten über mein Shirt – wie aus Versehen, aber viel zu gezielt, um Zufall zu sein.

„Sag’s mir jetzt“, murmelte sie.

Ich legte die Hand an ihre Taille, spürte die Wärme unter dem dünnen Stoff. Mein Daumen strich nebenbei über eine Stelle, bei der sie kurz den Atem anhielt. Meine Stirn lehnte sich an ihre.

„Vielleicht will ich’s nicht sagen“, flüsterte ich. „Vielleicht will ich’s zeigen.“

Sie nickte langsam. Kein Lächeln diesmal – nur dieser ernste Blick, der mehr wusste als jedes Wort.

Dann bewegten wir uns. Nicht hastig. Nicht zielgerichtet. Eher wie zwei, die längst wissen, wohin sie gehören. Ihre Hände fanden meinen Nacken, meine ihren Rücken. Unsere Münder trafen sich wie beim zweiten Mal – vertraut, aber voller Jetzt.

Der Weg ins Zimmer war ein leises Stolpern, halb tastend, halb lachend – wie heimlich, obwohl niemand hinsah.

Was danach kam, war kein Gespräch – sondern Offenbarung.
Ihr Blick: Ich will dich nah. Jetzt. Nicht irgendwann.
Meiner: Ich bin schon da.

Sie zog mich rückwärts aufs Bett, dieses Lachen in den Augen, das sie immer dann hatte, wenn sie sich sicher fühlte. Ihre Finger an meinem Nacken, dann an meinem Rücken, dann unter meinem Shirt – als hätte das dort nie hingehört.

Unsere Haut traf aufeinander wie etwas, das sich lange nicht gesehen hat. Warm. Wach. Lebendig.

Ihre Lippen öffneten sich unter meinen, ihre Hüfte unter mir bewegte sich, ihre Knie legten sich fest um meine Taille. Ein leises Aufatmen, als unsere Körper sich fanden. Kein Zögern mehr. Nur Ja.

Ich schob den Stoff ihres Kleides langsam nach oben, Zentimeter für Zentimeter, als würde ich erst fühlen wollen, was darunter auf mich wartete. Ihre Haut war warm, gespannt – der Moment vibrierte zwischen uns.
Meine Lippen fanden ihren Hals, ihre Schlüsselbeine, diesen einen Punkt knapp unter dem Brustbein, bei dem sie leicht die Luft anhielt. Ihre Hände glitten an meinen Seiten entlang – forsch, dann wieder zärtlich, dann wieder fordernd.

Es war kein technisches Ausziehen. Kein Erobern.
Eher wie ein Lied, das man schon lange kennt – ohne zu wissen, woher.

Ihre Bewegungen: weich, dann plötzlich wild, wie eine Welle mit Richtung.
Ich antwortete mit Lippen, Händen, Wärme.

Wir drehten uns. Suchten neue Winkel. Neue Atemzüge.

Sie lag auf dem Bauch, der Rücken leicht gewölbt, die Haare über das Kissen gestrichen wie ein Schatten. Ich ließ meine Finger ihrer Wirbelsäule folgen, langsam, Wirbel für Wirbel, bis ihre Hüften sich mir entgegenbogen – wie ein stilles Versprechen, das längst entschieden war.

Ich beugte mich über sie, küsste ihre Schulter, dann tiefer. Ein leises Zittern lief durch ihren Körper. Ihre Hände griffen ins Laken, krallten sich fest, während jeder Stoß wie eine Antwort war – auf eine Frage, die wir nie gestellt hatten.

Kein Reden mehr. Nur dunkles, rhythmisches Atmen. Haut auf Haut. Klang von Loslassen und Heimkommen.

Ich hielt sie an den Hüften – nicht grob, aber bestimmt. Ihr Rücken bog sich mir entgegen. Jeder Schub ein Stück mehr, ein Stück tiefer – wie eine Welle, die nicht fragt, ob sie darf.

Sie drehte den Kopf zur Seite. Halb verborgen, halb herausfordernd. Ihre Lippen leicht geöffnet, ein Laut, den sie nicht mehr zurückhielt. Ich beugte mich vor, streifte mit den Zähnen ihre Schulter. Sie zuckte – nicht vor Schmerz, sondern vor diesem elektrischen Prickeln, das zwischen Lust und Kontrollverlust liegt.

Wir wurden schneller. Rauher. Klarer. Alles Gefühl. Alles jetzt.

Dann hob sie sich auf die Unterarme, keuchte, sah mich an.
„Noch da?“ flüsterte sie, mit einem Grinsen, das im Dämmerlicht glühte.
„Mehr als je zuvor“, presste ich hervor – und stieß wieder in sie.

Ihr Lachen war dunkel und tief, vibrierte durch uns beide, und sie ließ sich wieder fallen. Kein Halten mehr. Nur noch dieser Takt, roh und ehrlich, wie der Moment kurz vorm Gewitter – wenn alles zittert, weil es weiß: Gleich bricht’s los.

Und das tat es.

Als es still wurde – wirklich still – lagen wir einfach da. Ihre Stirn an meiner, unsere Haut noch feucht von Hitze, die Beine ineinander verschränkt.

„Du riechst nach Sonne“, murmelte sie.
„Du nach Zuhause“, flüsterte ich zurück.

Sie schloss die Augen, lächelte.

Wir lagen da, atmeten einander, zählten keine Minuten. Ihr Atem wurde ruhiger, mein Puls langsamer. Aber irgendetwas in der Luft blieb.

Ein Rest Hitze.
Ein Rest Spannung.

Sie drehte sich auf den Rücken, sah zur Decke.
„Weißt du, was verrückt ist?“
„Was?“
„Das fühlt sich gar nicht wie der Abspann an.“

Ich grinste.
„War ja auch nur das Bonusmaterial.“

„Bonusmaterial, hm?“, flüsterte sie – mit einem Grinsen, das gefährlicher war als jede Ankündigung.
Ich wollte etwas sagen, irgendeinen Spruch – aber sie ließ mich nicht.

Sie setzte sich auf mich, ritt mich wortlos in den Rückraum, ihre Knie neben meinen Oberschenkeln, ihr Blick direkt in meinem. Ihre Hüfte drückte mich nach hinten, nur durch Bewegung – keine Geste, kein Wort. Nur Führung.

Ihre Finger fanden meinen Nacken, hielten mich fest. Kein Halten zum Festhalten – sondern eins zum Bestimmen.
Wer hier gerade die Regie hatte, war nicht unklar.

„Extended Version“, flüsterte ich heiser.
„Director’s Cut“, konterte sie, leckte sich über die Lippe – und begann, sich zu bewegen.

Langsam zuerst.
Wie jemand, der genau weiß, was er gerade auslöst.
Dann schneller. Tiefer. Gieriger.
Jeder Hüftschwung ein Befehl. Jeder Blick ein Versprechen.

Ich legte die Hände an ihre Taille, wollte mitgehen, sie führen – doch sie schob sie weg.
„Ich mach das schon“, sagte sie – knapp, rau.

Und wie sie das machte.

Ihre Bewegungen waren unberechenbar.
Nicht aus Rhythmus – aus Gefühl.
Manchmal kurz innehaltend, dann plötzlich tief, wild, ungebremst.
Als würde sie selbst erschrecken, wie sehr sie es will.

Ich spürte das Zittern in ihren Oberschenkeln, die Spannung in ihrem Körper, den feinen Schweißfilm auf ihrer Brust. Ihre Haare fielen mir ins Gesicht, als sie sich vorbeugte, ihren Mund direkt an meinem Ohr:

„Sag nichts“, flüsterte sie. „Nur fühlen.“

Also fühlte ich. Alles.

Tempo. Druck. Nähe.
Das Ungezähmte.
Sie.

Kein Wiedersehen mehr. Kein Danach.
Nur dieser Ritt – roh, echt, tief.
Ein Loslassen, das kein Halt mehr brauchte.

Und als es kam – dieses Zusammenziehen, dieses beinah rohe, wilde Fallen –
da hielt sie mich fest, als wollte sie nicht nur bleiben.
Sondern dazugehören.

Als alles still wurde, fiel sie auf meine Brust.
Schwer atmend, erschöpft, wunderschön.
Ihre Finger blieben an meinem Hals, wie ein Anker. Ihr Herzschlag gegen meine Rippen, langsam, aber nicht ruhig.

Kein Wort. Kein Muss. Nur Dasein.

Ich streichelte über ihren Rücken, spürte die letzten Nachbeben in ihren Muskeln, das letzte Flirren zwischen uns – wie Rauch nach Feuer.

„Wenn das hier ein Film wär“, murmelte sie, „wär jetzt der Abspann.“

Ich schloss die Augen.
„Vielleicht. Aber einer, bei dem man sitzen bleibt. Weil man weiß: Da kommt noch was.“

Sie lächelte gegen meine Haut.
Ein leiser Kuss. Kein Versprechen.
Mehr so etwas wie ein Anfang.

Draußen surrten Grillen. Die Luft roch nach Salz und Spätabend. Und inmitten all dessen: Wir. Kein Plan, keine Definition – nur zwei Menschen, die wussten, was sie fühlten, ohne es benennen zu müssen.

Vielleicht war es Liebe. Vielleicht etwas Anderes.
Aber es war echt.

Und manchmal – ist das alles, was zählt.
 
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