Trekking
Noch vor dem ersten Hahnenschrei weckte Gong Susan und Frank. Während er selber ausgeruht und entspannt wirkte, waren die Spuren der letzten Nacht noch deutlich sichtbar in ihre Gesichter gemeisselt. Sie fühlten sich zerschlagen und ausgelaugt, der Körper schmerzte, als sie sich von der Matte erhoben und am Wassertrog die müden, aufgequollenen Augen wuschen. Black Jack, der frühere Freiheitskämpfer und derzeitige Mönch, brachte ihnen eine scharfe, heisse Reissuppe, welche die müden Lebensgeister wieder erweckte.
Während aus dem Kloster der eigentümliche Singsang der Mönche an ihr Ohr drang, hüllten die ersten Lichtstrahlen der aufgehenden Sonne das Kloster in eine unwirklich anmutende Pracht orangegelben Lichts, welches langsam die Nacht verdrängte und einem neuen Tag das Leben schenkte. Susan konnte der Versuchung nicht widerstehen und schoss einige Fotos, bevor sie sich zu den bereits wartenden Freunden gesellte. „Deine Nerven möchte ich haben“, murrte Frank, der sie bereits ungeduldig erwartete. Nur kurz darauf ratterte das Motorrad wieder auf der holprigen Strasse in Richtung der Grenze.
Nur wenige Kilometer hinter ihnen suchte Narbengesicht tief gebeugt die Umgebung nach den Spuren der Flüchtenden ab. Als er die Motorradspur auf dem kleinen Weg entdeckte, erhellte sich sein Gesicht und mit jeder Faser seines Körpers nahm er die Witterung auf, bis er die Flüchtenden spürte und zu ihnen eine Verbindung geschaffen hatte. Dann setzte er sich wieder in den Jeep und folgte so schnell es die Verhältnisse zuliessen der nun deutlich vor ihm liegenden Spur.
Nach einigen Kilometern hielt er an, konzentrierte sich erneut auf sein Ziel und sein Instinkt meldete ihm deutlich, dass er der Beute näher kam. Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht. Alles in ihm fieberte danach, die beschämende Niederlage von gestern wieder aus seinem Gedächtnis tilgen zu können.
In Gedanken malte er sich bereits aus, wie er die Frau langsam und qualvoll in den Tod schicken würde. Die vielfältigen Foltermethoden, welche er im Laufe der Zeit gelernt hatte, gedachte er möglichst alle an ihr anzuwenden. Nur die Reihenfolge liess er noch offen und hob sich dass Vergnügen für später auf. Allein die Vorstellungen, wie er der Frau Schmerzen zufügen würde, jagten ihm wohlige Schauer durch den Köper und verdrängten den pochenden Schmerz in seiner Schläfe. „Schon bald, schöne weisse Frau“, flüsterte er bedrohlich und ein unheimliches Grinsen verzerrte sein Gesicht zur Fratze.
Das Motorrad näherte sich langsam der Grenze und die Zuversicht in Susan wuchs, dass sich alles zum Guten wenden wird. An jeder Wegkreuzung, welche sie passierten, wies Gong Frank an, falsche Spuren in die Wege zu legen. Dann fuhren sie weiter und nach einigen Metern stieg Gong vom Motorrad und verwischte die verräterischen Spuren, welche sie hinterliessen. Kurz vor Mittag kamen sie an die Grenze. Frank sah sofort, dass es sich um denselben Grenzübertritt handelte, welchen Susan und er gestern illegal passiert hatten. Er bereitete sich bereits auf grössere oder allergrösste Unannehmlichkeiten vor.
Als er Gong darauf aufmerksam machte, schüttelte dieser nur den Kopf: „Fahr weiter, Frank, wir müssen schnellstens über die Grenze. Der Meuchelmörder ist nicht mehr weit hinter uns“, sprach er mit ausdrucksloser Stimme. Instinktiv schaute Frank nach hinten und versuchte, zu erkennen, warum Gong wusste, dass die Verfolger bereits nahe waren. Er sah nur einige Hunde, welche der Strasse entlang lungerten, jedoch keinerlei Anzeichen eines Verfolgers.
Leicht irritiert schaute er Gong fragend in die Augen. Dieser legte die Hand auf seinen Bauch. „Ich spüre ihn, er ist nicht mehr weit“, erwiderte er. Frank, welcher sich bereits gestern eindrucksvoll von Gongs aussergewöhnlichen Fähigkeiten überzeugen konnte, nickte nur und fuhr entschlossen und direkt auf den Posten zu.
Der Wachtposten, und zu allem Überfluss noch der gleiche, wie gestern, war hellwach und sein Gewehr zeigte bedrohlich auf die drei Flüchtlinge. Frank war sich noch nicht schlüssig, ob wohl der drohende Tod oder die drohende Ausweisung aus Thailand schlimmer sein könnte, als Gong vom Motorrad stieg und dem Posten einen Ausweis vorlegte. Dieser studierte umständlich den Ausweis und schaute dann etwas belämmert Gong an, welcher ihn ignorierte und Frank bedeutete, er solle die Grenze passieren. Der Posten zeigte mit seiner Waffe auf Susan und dann auf Frank und setzte zu einem Einwand an. Doch bevor er etwas sagen konnte, schnitt ihm Gong mit einer Handbewegung das Wort in der Kehle ab.
Die Aura, welche ihn dabei umgab, und das selbstbewusste Auftreten schüchterten den Wachtposten dermassen ein, dass er statt eines Einwandes eine stramme Haltung annahm und salutierte. Gong erwiderte in soldatischer Haltung die Ehrbezeugung und stieg wieder hinten auf das Motorrad. Zur grössten Erleichterung von Frank konnten sie ungeschoren die Grenze passieren.
Als sie endlich wieder thailändischen Boden unter den Rädern hatten, war es Frank, als schwebe er mit dem Motorrad durch die Lüfte. Tief aus seinem Innern löste sich ein Urschrei der Befreiung und eine zentnerschwere Last fiel von ihm ab. Susan, welche die Bemerkung von Gong bezüglich des Verfolgers ebenfalls gehört hatte, schaute immer wieder ängstlich zurück. Ausser dem Staub des Motorrades war jedoch noch immer nichts zu erkennen. Nach wenigen Minuten bog das Motorrad wieder auf die Hauptstrasse ein, welche Mae Sot mit Umphang verbindet. Gong dirigierte Frank zu einem Dorf, welches an einer Anhöhe idyllisch in eine Mulde eingebettet war.
Vor einem schmucken Holzhaus zeigte ihm Gong mit einer kurzen Geste, dass er stoppen soll. Kaum abgestiegen, wurde das Motorrad sofort von Hausbewohnern in einen kleinen Schuppen geschoben und die Türe geschlossen. Schnell traten sie in das Haus ein und eine angenehme Kühle umfing sie. „Hier sind wir für die nächsten Stunden sicher“, erklärte Gong ihnen mit einem Lächeln. Nach einer ausgiebigen Dusche und einem schmackhaften Essen legten sich Susan und Frank erschöpft hin. Gong legte den Tarnanzug ab und zog sich ein paar der hiesigen Alltagskleider an. Dann fuhr er mit dem Pick Up des Hausbesitzers los, um die Gegend zu erkunden und einige nützliche Dinge zu organisieren.
Für Narbengesicht waren die Täuschungsmanöver nicht wirklich ein Hindernis und er verzog seinen Mund. „Dilettantenbande! Eine kleine Störung höchstens.“ Er war sich sicher, dass das Verwischen der Spuren die Flüchtenden mehr Zeit gekostet hatte, als das Durchschauen des Täuschungsmanövers. Etwa eine halbe Stunde nach den Flüchtlingen hielt der Jeep vor dem Posten.
Dieser bestätigte Narbengesicht, dass die Fremden vor rund zwanzig Minuten die Grenze passiert hatten. Auf die Frage nach seinen Papieren nickte Narbengesicht kurz und griff ins Handschuhfach des Jeeps. „Hier ist mein Ausweis und der ist auf der ganzen Welt gültig“, sprach er mit trockener, gleichgültiger Stimme in Richtung des Postens. Der Grenzwächter hatte keine Chance mehr zu reagieren, als er sah, wie der Mann mit der seltsamen Narbe im Gesicht die Waffe zog.
Der Schuss traf ihn mitten ins Herz und tötete ihn auf der Stelle.
Narbengesicht versorgte die Waffe sorgsam wieder im Handschuhfach, drehte ungerührt den Zündschlüssel und fuhr weiter. Auf der Hauptstrasse angekommen, verlor er die Spur. Instinktiv fuhr er in Richtung Mae Sot. Er fuhr den Jeep an den Strassenrand, gleich bei einer der unzähligen Strassensperren, welche jedes Fahrzeug nach burmesischen Flüchtlingen durchsuchte und fragte nach. Der Posten schüttelte nur geschäftig den Kopf und stoppte gleichzeitig ein Fahrzeug.
Narbengesicht setzte sich an der angrenzenden Garküche an einen Tisch, welcher im Schatten eines grossen Baumes stand. Den Blick direkt und ununterbrochen auf die Strasse gerichtet, bestellte er etwas zu essen. Die Frage, ob die blonde Frau hier vorbeifahren würde, stellte sich nicht. Sie sass wie eine Maus gefangen in ihrem Loch und vor dem Eingang wartete geduldig die Katze. ,Es gibt nur diese eine Strasse, welche zurück in die Zivilisation führt‘, grinste er in sich hinein. ,Es sei denn, sie wollen durch den dichten und von Bergen durchzogenen Dschungel laufen‘, fügte er in Gedanken an. Dann stellte er sich darauf ein, was alle guten Jäger auf der Pirsch auszeichnet. Er wartete.
Während Frank noch tief und fest schlief, war Susan bereits auf den Beinen. Sorgfältig ausgebreitet vor ihr lagen die Utensilien, welche ihr noch geblieben waren. ,Der Schaden hält sich in Grenzen‘, fand sie, nachdem sie ihre Inventur abgeschlossen hatte. Der Pass, sowie das ganze Bargeld und die Reisechecks hatte sie in einem Beutel um den Bauch getragen.
Der Beutel wurden ihr zum Glück bei der Festnahme nicht abgenommen. Ebenso hatte sie die Digicam, welche sie im Jeep wieder gefunden hatte. So blieb eigentlich nur der Rucksack mit den Kleidern auf der Strecke und natürlich das gemietete Moped. ,Nichts ist weg, was man nicht ersetzen könnte‘, stellte sie befriedigt fest und beglückwünschte sich, dass sie für das Moped eine Diebstahlversicherung beim Vermieter abgeschlossen hatte. Am meisten trauerte sie den gut eingelaufenen Trekkingschuhen nach, welche sie an den Rucksack angeschnallt hatte.
Nicht weit vom Haus entfernt fand sie einen kleinen Laden. Sie kaufte dort einen neuen Satz Zahnpflegeutensilien und Shampoo. Die im Laden angebotene Unterwäsche traf nicht gerade ihren Geschmack und sie überlegte lange, bevor sie ein Stück der angebotenen ,Grossmutterunterhosen‘ kaufte. ,Ein T-Shirt und eine kurze Hose sollten für den Anfang reichen‘, meinte sie und verliess den wenig modischen Laden wieder.
Im Haus angekommen, lieh sie sich eines der T-Shirts aus der Tasche von Frank aus. Dann wusch sie sorgfältig ihre staubigen und völlig verschwitzten Kleider und hängte sie an die Sonne. Anschliessend putzte sie sich lange und intensiv die Zähne und wusch ihre Haare, bis sie wieder fein und seidenweich die Schultern hinunterfielen.
,So, nun ist man wieder ein Mensch‘, stellte sie mit einem Blick in den Spiegel befriedigt fest. Die Ereignisse in Burma waren bereits wieder in weite Ferne gerückt und sie sprudelte wieder vor Lebenslust. Unternehmungslustig begrüsste sie Gong, als dieser in das Haus trat. Gong lächelte sie an. „Wir müssen Frank wecken, damit wir das weitere Vorgehen besprechen können“, meinte er knapp. Susan liess sich diese Chance, Frank ein wenig zu ärgern, nicht entgehen. Schrill und laut trällernd betrat sie den Raum, in welchem Frank schlief und registrierte mit sichtlicher Befriedigung, wie er sich leicht genervt auf die andere Seite wälzte.
Dann schob sie die Vorhänge zur Seite. Im Zimmer wurde es schlagartig hell und Frank stöhnte verärgert auf. „Aufstehen, lieber Frank! Steh’ auf, mein Engel!“, zwitscherte sie ihm in den höchsten und schrillsten Tönen in die Ohren. „Hau ab!“, grummelte Frank, stand dann aber doch noch etwas orientierungslos auf und torkelte verschlafen ins Badezimmer. Dazu murmelte er etwas vor sich hin, was sich für Susan wie ‘blödes Huhn’ anhörte. Susan kicherte ihm verschmitzt hinterher. Etwas später kam Frank frisch geduscht und einigermassen munter aus dem Badezimmer und gesellte sich zu den Schicksalsgenossen.
Mit ausdrucksloser Mine stellte er fest, dass Susan sein Lieblingshemd trug, sagte jedoch vorläufig nichts. Während die drei sich mit sichtlichem Genuss und Heisshunger auf die gebratenen Reisnudeln mit Tofu, Gemüse, Ei und Erdnüssen stürzten, diskutierten sie gleichzeitig angeregt über das weitere Vorgehen.
Gong schaute Susan und Frank ernst und direkt an. „Es hat sich jemand an der Strasse nach einer blonden Frau in Begleitung erkundigt“, teilte er den Beiden mit. „Wie befürchtet, war der Verfolger nur ganz knapp hinter uns, als wir die Grenze überquerten. Er wird irgendwo an der Strasse nach Mae Sot auf uns lauern. Die einzige Strasse, die es hier gibt. Alles andere ist von dichtem Dschungel umschlossen“, stellte er lapidar fest.
Frank starrte nachdenklich vor sich hin: „Wenn der Verfolger glaubt, dass wir nach Mae Sot fahren, warum fahren wir nicht einfach in die entgegengesetzte Richtung nach Umphang und bleiben, wie geplant ein paar Tage dort?“, fragte er.
„Der Verfolger wird wohl kaum annehmen, dass wir nach Umphang fahren, wo die Strasse bald aufhört und wir uns freiwillig in eine Falle setzen?“ Gong nickte anerkennend mit dem Kopf. „Wir lassen das Motorrad hier stehen und ich fahre euch mit dem Pick Up nach Umphang.“ Susan, die bisher geschwiegen hatte, meldete sich wie gewohnt energisch zu Wort. „Ich bin sicher, dass Klaus uns mit einem Fahrzeug des Hilfswerkes unbemerkt nach Mae Sot fahren kann“, meinte sie mit wichtiger Miene, wie wenn es sich bei Klaus um einen alten Bekannten von ihr handelte. An Klaus hatte Frank gar nicht gedacht.
„Gute Idee Susan!“, lobte er sie, „ruf ihn an und irgendwie müssen wir auch noch mein ‘Baby’ nach Mae Sot bringen“, fügte er stirnrunzelnd hinzu. Klaus war sichtlich erfreut, von Susan zu hören und sie verabredeten sich im Guesthouse für den späteren Nachmittag. Susan hielt das Gespräch kurz und sachlich, weil sie ihn nicht verwirren wollte und erwähnte die Ereignisse der letzten Nacht nur kurz. „Ich werde eine Lösung finden, dass ihr unbeschadet wieder in Mae Sot ankommt“, versprach er der erleichterten Susan nach einigem Nachdenken.
Beim Laden des Gepäckes auf den Pick Up sprach Frank Gong direkt an: „Wer bist du eigentlich?“ Gespannt schaute er in seine Augen. „Ein Mann, der zu viele James Bond-Filme gesehen hat“, antwortete ihm dieser mit einem Grinsen und öffnete anschliessend süffisant lächelnd die Beifahrertür für die einstiegsbereite Susan.
Die Besitzerin des Guesthouse in Umphang schaute Frank etwas irritiert an. Gestern war er plötzlich verschwunden und tauchte nun ohne Motorrad in einem Pick Up wieder auf. Sie schüttelte den Kopf und verschwand dann in der Küche, um das Nachtessen zu kochen. Gong händigte Susan und Frank einige technische Geräte aus, die er organisiert hatte, während sie schliefen. „Dies ist ein Funkgerät“, und er zeigte mit dem Zeigefinger darauf. „Einfach den Knopf drehen.
Auf der eingestellten Frequenz könnt ihr mich jederzeit erreichen. „Das hier“, damit zeigte auf ein Gerät, welches auf den ersten Blick wie ein Handy aussah, ist ein GPS. Es ortet Satelliten am Himmel und kann so Eure genaue Position bestimmen. Wenn ihr in irgendwelche Schwierigkeiten kommt, schaltet das Funkgerät ein und gebt die Position durch, welche das GPS anzeigt. Ich werde dann sofort Hilfe senden.“
„Du gehst fort?“ fragte Susan erschrocken nach und schaute dabei ängstlich Frank an, welcher ebenfalls etwas ratlos und unsicher wirkte. „Wenn ich länger warte, sind die Drogenhändler mit dem Labor über alle Berge und die Suche beginnt wieder von vorne. Die Hilfswerkkonvois werden von den Soldaten nicht kontrolliert. Ihr werdet problemlos nach Mae Sot kommen und sonst könnt ihr jederzeit Kontakt mit mir aufnehmen“, versuchte er die Beiden zu beruhigen.
Dann zwinkerte er ihnen zum Abschied zu: „Die Geräte sind nur geliehen. Ich werde sie persönlich wieder in Empfang nehmen.“ Frank schaute mit herunterhängenden Schultern dem davonfahrenden Pick – Up nach, welcher wenig später aus seinem Blickfeld verschwand.
„Gut, dass Du so schnell gekommen bist, Klaus“, flötete Susan keine Stunde später und rutschte mit ihrem Stuhl etwas näher. Dann erzählte sie ihm ausführlich die Ereignisse der letzten 24 Stunden. Klaus hörte ihr mit gerunzelter Stirne zu. Zwischendurch fragte er nach, wenn er etwas nicht ganz verstanden hatte oder Susan sich verhaspelte. „Die Geschichte ist ja schier unglaublich“, war sein einziger Kommentar.
Dabei blickte er Susan prüfend an. „Wo ist denn der Supermann jetzt hin?“, fragte er. „Der ist wieder hinter der Drogenmafia her“, antwortete Frank und hielt dem prüfenden, misstrauischen Blick von Klaus stand. „Wer er jedoch genau ist, wissen wir nicht“, fügte er mit einem Schulterzucken an. „Vielleicht ein Mensch gewordener Schutzengel“, entfuhr es Susan. „Es schein fast so“, bestätigte Klaus und fragte: „Was habt ihr jetzt vor?“
„Ich für meinen Teil steige auf jeden Fall in die früher geplante Trekking -Tour ein“, antwortete Frank. „Wenn Du uns anschliessend einen sicheren Transport mit einem der Fahrzeuge der Hilfsorganisation organisieren kannst, schätze ich das Risiko als nicht sehr hoch ein, dass das Abenteuer von gestern ein Nachspiel haben wird.“ Susan nickte heftig. Weniger wegen Franks Einschätzung des Sicherheitsrisikos, als vielmehr aus rein persönlichen Interessen. Sie wollte Klaus näher kennen lernen und nicht an einer unerfüllten Sehnsucht leiden, wenn sie wieder daheim war.
Klaus schaute sie nachdenklich von unten her an. Seinen Kopf hielt er ein wenig schief und lächelte sie an. Susan fühlte sofort wieder das bekannte Kribbeln im Bauch. „Wie versprochen habe ich mir ein wenig Zeit freigeschaufelt und begleite euch die ersten zwei Tage“, sagte er fast zärtlich zu Susan, welche einen dicken Klops im Hals verspürte.
Mit der Besitzerin des Guesthouse, welche auch die Tour organisierte, wurde man sich schnell handelseinig. Wie wenn die Schrecken des vergangenen Tages bereits Jahre zurückliegen würden, erfüllte eine freudige, erwartungsvolle Stimmung die Terrasse vor dem Bungalow. Frank verdrückte sich nach einiger Zeit mit einer fadenscheinigen Begründung. Dafür erntete er einen dankbaren Blick von Susan. ,Du bist mir was schuldig‘, dachte er ein wenig missmutig und machte sich auf die Socken.
Das Dorf war grösser als erwartet, da viele der Häuser so harmonisch in die Landschaft eingebettet waren, dass man sie aus der Distanz nicht genau erkennen konnte. Je weiter sich Frank vom Dorfrand entfernte, desto dichter und grüner wurde der Busch.
Faul herumliegende Hunde hoben kurz den Kopf, wenn er an den Holzhäusern vorschritt und der eine oder andere bequemte sich zu einem kurzen Knurren, um kurz darauf wieder einzudösen. Frank kaufte sich eine kalte Coke und setzte sich am örtlichen Markt neben einen Fruchtstand. Interessiert beobachtete er das Treiben und Feilschen an den verschiedenen Marktständen, bis er mit einem „Hallo Frank!“ aus seinen Gedanken gerissen wurde.
Als er sich umdrehte, sah er direkt in das strahlende Gesicht von Susan und ihn durchfuhr der Gedanke: ,Mann, ist die verknallt!‘. Susan und Klaus standen Händchen haltend hinter ihm und bei beiden schien Amors Pfeil einen Volltreffer gelandet zu haben. Beide trugen pralle Einkaufstüten, voll mit neuen Kleidungsstücken für Susan. „Sogar einen tauglichen Rucksack haben wir gefunden“, strahlte sie und zeigte ihm stolz das neue Stück auf ihrem Rücken.
Beim Nachtessen war die Stimmung heiter und ausgelassen, was sicher auch etwas am Wein lag, den Susan speziell für den Abend gekauft hatte. Der Tisch war mit flackernden Kerzen übersät, welche dem Essen eine romantische Note verliehen. Nicht gerade die Stimmung, in welcher sich Frank befand. Nach dem Essen liess er die beiden Turteltauben alleine und war froh, dass er etwas Zeit für sich selber hatte.
Etwas erstaunt war er dann, als Susan ihn fragte, ob Klaus für diese Nacht bei ihm im Zimmer schlafen kann. Er setzte bereits zu einem ironischen Spruch an, als Susan ihn anzischte: „Du kannst Dir Deine Bemerkung sparen. Für Deine zotigen Sprüche habe ich heute kein Gehör.“
Grinsend stolzierte er in Richtung seines Zimmers. Leise aber gut hörbar pfiff er ,like a virgin‘ von Madonna und war mit seinem Abgang durchaus zufrieden. Klaus konnte sich nicht mehr halten und brüllte los. Susan kniff ihn in den Arm und meinte. „Jetzt weiss ich, wo die Weisheit: ,Als Gott den Mann schuf, übte sie bloss‘ herkommt.“ Dann kuschelte sie sich in die Arme von Klaus und genoss das Gefühl der Geborgenheit, das er ihr vermittelte. Längere Zeit blieben sie ohne sich zu bewegen in dieser Stellung, während Klaus spielerisch an ihren Haaren zupfte und ihren Geruch in sich hineinsog.
Etwas später wurde er wieder sachlich: „Susan, ich musste für die Rückfahrt ein fix verplantes Fahrzeug abziehen. Das hat leider meinen Chef auf den Plan gerufen. Er hat mich etwas in die Mangel genommen, da solch ein Vorgehen unüblich ist und Medikamententransporte höchste Priorität geniessen. Er ist morgen in der Gegend und möchte mit uns sprechen. Ich habe Euer Erlebnis in Burma nur kurz angedeutet und weiss selber nicht, warum ihn das so interessiert. Ehrlich gesagt, ist er etwas unangenehm. Ein arrogantes Arschloch, um genau zu sein! Aber kompetent.“
„Kriegst Du nun Unannehmlichkeiten wegen uns?“, fragte Susan besorgt. „Kein Problem. Ich bin der Logistiker und verwalte die Fahrzeuge, wie ich es für richtig halte. Aber eben; er ist mein Chef“, erläuterte er bedauernd. Dann lachte er sie an und Susan fühlte sich sofort wieder wie verzaubert. „Machen wir uns keinen Kopf und gehen schlafen.“ Zärtlich fuhr Klaus mit seiner Hand über ihr Gesicht und der folgende Kuss war lang, weich und doch intensiv. Susan erschauerte und schwankte, ob sie ihn nicht doch fragen sollte, ob er die Nacht bei ihr verbringen will.
Doch dann gab sie sich einen Ruck. „Verliebt sein und sich geborgen fühlen, reicht mir noch nicht für das Letzte, was ich einem Mann schenken kann. Das Vertrauen muss noch dazukommen, damit ich soweit bin“, war sie sich schlussendlich sicher. Zärtlich küsste sie Klaus zum Abschied und flüsterte ihm leise ins Ohr. „Hab’ bitte noch ein wenig Geduld mit mir, bis ich bereit für Dich bin.“ Klaus knabberte zärtlich an ihrem Ohr. „Kein Problem, Susan, ich kann warten.“ Als Klaus das gemeinsame Zimmer betrat, schlief Frank bereits tief und fest.
Gong fuhr mehrmals die Strasse nach Mae Sot auf und ab. „Der Mann ist ein Profi, wie ich auch“, war er sich sicher. „Wo würde ich mich auf die Lauer legen, wenn ich an seiner Stelle wäre“, fragte er sich immer wieder, während er den Strassenrand aufmerksam beobachtete. Die Suche verlief jedoch ergebnislos und Gong beschloss, sich erst einmal für ein paar Stunden auszuruhen und dann die Verfolgung der burmesischen Soldaten und des Drogenlabors aufzunehmen.
Narbengesicht lag zu diesem Zeitpunkt bereits in seinem Lager für die Nacht. Kurz vor Sonnenuntergang hatte ihn der Europäer angerufen und befohlen, sich auszuruhen und bereit zu halten. Anscheinend hatte er selber die Beute aufgestöbert. „Hoffentlich geht die Ehre an mich, sie zu töten“, dachte er hoffnungsvoll und stöhnte trotz der starken Schmerztabletten ein wenig auf.
Wenig später schlief er tief und fest.
Das Frühstück schmeckte ausgezeichnet. Spiegeleier auf Toast, Reissuppe, dazu kleine, gebackene Kokosnusskugeln, die mit Mehl und Zucker vermischt waren. Eine riesige, bunt gemischte Früchteplatte mit frischen Papayas, Mangos und kleinen Bananen rundete das üppige Frühstück ab. Alle freuten sich auf die bevorstehende Tour und die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. Bis der silbergraue Toyota Pick Up in die Auffahrt fuhr und ein fülliger, grosser Mann mit kurzen braunen Haaren und einem markanten Schnurrbart ausstieg. Kurz überblickte er das Areal des Guesthouse und mit einem für sein Gewicht erstaunlich ausgreifenden Schritt, eilte er unverzüglich zur Terrasse auf welcher Susan, Frank und Klaus beim Frühstück sassen.
„Dietrich!“, stellte er sich kurz und bündig vor, schnappte sich einen Stuhl und setzte sich kommentarlos hin. „Hallo Daniel“, begrüsste ihn Klaus. Dietrich nickte ihm kurz zu. Frank musterte die Gesichtszüge des Mannes. Die Falten im Gesicht waren tief und so ausgeschnitten, dass es schien, als habe der Mann in seinem Leben noch nicht viel zu lachen gehabt. Die Lippen zogen sich in den Winkeln nach unten und verliehen ihm einen mürrischen Gesichtsausdruck, welcher durch sein forsches Auftreten noch verstärkt wurde.
Übergangslos lederte er los. „Zuerst will ich wissen, warum Du den Wagen umdisponiert hast! Wir müssen dringend Medikamente transportieren. Für Gefälligkeiten an Touristen haben wir verdammt nochmal keine Zeit, auch wenn sie hübsch sind“, fügte er mit einem deutlichen Seitenblick auf Susan an. ,Das ist wirklich ein Arschloch!‘, durchfuhr es Frank. Er richtete sich im Stuhl gerade auf und blickte den unsympathischen Mann herausfordernd an. Dieser ignorierte ihn allerdings völlig und schaute mit fragendem Gesicht Klaus an.
Der war mit der Art von Dietrich vertraut und erklärte ihm mit ruhiger Stimme, dass es sich um eine Notsituation handelt. „Not herrscht in den Flüchtlingslagern und erzähl’ mir nicht, dass Touristen hier irgendwelche Not leiden. Gib ihnen 200 Baht und schick’ sie mit dem Bus, wenn ihnen das Geld ausgegangen ist“, herrschte ihn Dietrich an.
Nun reichte es Susan und sie mischte sich in das Gespräch ein. Mit einem leicht verärgerten Gesichtsausdruck hörte ihr Dietrich gelangweilt zu. Während er noch spöttisch das Gesicht verzog, als sie von ihrem ungewollten Abstecher nach Burma erzählte, wandelte sich sein Gesicht sofort, als sie das Schloss erwähnte. Sein Gesicht verkrampfte sich und die dicken Adern an seiner Schläfe drohten zu platzen.
Seine grobschlächtigen Hände waren zur Faust geballt. Nachdem sie geendet hatte, prasselten seine gezielten Fragen wie ein Hagelregen auf Susan ein und er schüttelte unwillig den Kopf, als sie ihm nicht mehr über Gong erzählen konnte. „Warum habt ihr den Fall nicht der hiesigen Polizei gemeldet?“, fragte er mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme nach.
„Den Fall haben wir nicht gemeldet, weil wir nicht sicher sind, ob die Drogenmafia Kontakte zur hiesigen Polizei pflegt“, mischte sich Frank ins Gespräch ein und bemühte sich um eine gelassene Stimme. „Gong hat uns geraten, den Fall nicht zu melden, damit wir nicht in noch grössere Schwierigkeiten geraten,“ fügte er noch immer ruhig an. „Darum brauchen wir das Fahrzeug der Hilfsorganisation.“ Klaus warf ein: „So können sie unkontrolliert und sicher nach Mae Sot gefahren werden“, und hoffte, dass sein Chef die Dringlichkeit der Umdisponierung einsieht.
Susan erklärte: „Anschliessend will ich so schnell wie möglich wieder zurück in die Schweiz.“ Darauf erkundigte sich Dietrich genau über die bevorstehende Tour und wie lange Klaus wegbleiben will. „In drei Tagen bin ich wieder operativ, Chef“, beruhigte ihn Klaus. „Es ist nicht unüblich, dass ich dann und wann nicht erreichbar bin“, fügte er mit einem Schmunzeln bei. Dietrich stand auf und telefonierte dann längere Zeit neben seinem Pick Up und ausserhalb der Hörweite der Gruppe. „Anscheinend kennt er sonst noch jemanden, den er anschnauzen kann“, grinste Frank.
Obwohl man nichts vom Gespräch verstand, war die Gestik der Hände klar. Mehrmals streckte Dietrich drohend den Zeigefinger in die Höhe und schüttelte den Kopf. Dann stieg er in den Pick Up ein, ohne nochmals einen Blick zurück zu werfen oder sich zu verabschieden und brauste davon. „Mann, ist das ein Arschloch!“, stöhnte Susan erleichtert auf, als der Pick Up verschwunden war. „Aber ein kompetentes!“, antwortete ihr Klaus mit einem Lachen.
Die Besitzerin des Guesthouse erschien kurz darauf in Begleitung eines grossen Mannes. Er stellte sich als Champ vor und war der Guide für die bevorstehende Tour. Er sah auch wie ein Bilderbuchguide aus. Gross und hager. Alles an ihm schien drahtig und zäh zu sein und sein Schritt war sicher, federnd und ausgreifend. Er trug ein Baumwollhemd und Jeans und seine Füsse steckten in massiven, schweren Schuhen.
Auf dem Kopf trug er einen Hut, welcher mit verschiedenen, bunten Federn geschmückt war. Vorne am Hut prangte ein silbernes Signet, auf welchem man einen Elefanten erkennen konnte. Die Haare trug er lang und zu einem Zopf geflochten. Freudig gespannt folgte die Gruppe ihm mit ihrem leichten Gepäck auf dem Rücken.
Auf der Hauptstrasse, welche Umphang durchquert, stand ihr Fahrzeug bereit und der Fahrer begrüsste sie freundlich und zuvorkommend. Nach einer guten halben Stunde Fahrt erreichten sie den Eingang des Ti Lor Su Nationalparkes und die geteerte Strasse wurde nun von einem besseren Feldweg abgelöst. Die Fahrt wurde auf dem streckenweise steilen Weg holperig und der Fahrer versuchte, nicht immer erfolgreich, den zahlreichen Schlaglöchern auszuweichen. Frank schaute interessiert auf die Strasse und bedauerte ein wenig, dass er jetzt nicht mit dem Motorrad darauf fahren konnte.
Der Wagen bog nach wenigen Kilometern in einen kleinen Weg ein und hielt mit einem Ruck. Susan atmete tief durch, damit das flaue Gefühl im Magen wieder verschwand. „Heute laufen wir uns warm“, erklärte Champ. „Die Strecke ist nicht sehr weit und wir werden in etwa zwei Stunden den Ti Lor Su Wasserfall erreichen.“
Trotz des tropischen Klimas empfand Frank das Trekken im Dschungel als angenehm. Die vielen hohen Bäume beidseits des Weges schützten sie vor der prallen Sonne und die hohe Luftfeuchtigkeit war er gewohnt. Der Dschungel war voll Leben und lautes Vogelgezwitscher begleitete sie auf ihrem Weg. Plötzlich blieb Champ stehen und zeigte auf einen kleinen Hirsch. Trotz der grossen Entfernung sah man, dass er seine Augen ängstlich weit aufgerissen hatte, bevor er mit grossen, weiten Sprüngen vor ihnen flüchtete. Unwillkürlich erinnerte sich Frank an ihre Flucht aus Burma, als er sich genau so, wie jetzt der Hirsch gefühlt hatte, gehetzt und verfolgt. Schnell schüttelte er den Gedanken wieder ab und verfolgte gebannt, wie der Hirsch schnell aus ihrem Blickfeld im dichten Unterholz verschwand.
Grosse, rötlich blaue Vögel, welche sie aufschreckten, flogen entrüstet schrille Schreie ausstossend weg und meldeten den anderen Tiere im Dschungel, dass sich der ungeliebte Mensch im Anmarsch befand. Der Dschungel übte eine beruhigende Wirkung auf die Trekker aus und sie liefen entspannt plaudernd weiter. Nach nicht ganz zwei Stunden Marsch hörten sie ein leises, regelmässiges Grollen, welches immer lauter wurde, je näher sie kamen.
„Der Wasserfall!“, rief Susan erfreut. Nach weiteren zehn Minuten Marsch, mussten sie bereits deutlich die Stimme erheben, um das Grollen zu übertönen. Der Weg verlief ein wenig bergab und als wenn plötzlich ein Vorhang aufgerissen würde, standen sie vor dem nun donnernden Ti Lor Su Wasserfall. Gebannt und ehrfurchtsvoll schauten sie auf die gewaltigen Wassermassen, welche rund hundert Meter im freien Fall in die Schlucht hinunterdonnerten und dann über mehrere weitere zum Teil grosse Stufen weiterflossen.
Susan und Frank fotografierten den Wasserfall aus den verschiedensten Perspektiven. Champ zeigte ihnen einige Becken, in welchen das Wasser etwas ruhiger war und schon bald planschten und tauchten sie unbeschwert im kalten Wasser herum. Immer wieder ging ihr Blick zu den gewaltigen Wassermassen und sie genossen das überragende Schauspiel der Natur aus vollem Herzen. Zum Abschied warfen sie einen letzten Blick auf den Wasserfall und speicherten das Bild in ihr Gedächtnis.
„Es wird schwierig werden, das Spektakel noch zu überbieten“, meinte Susan. „Alleine wegen diesem Wasserfall hat sich die lange Fahrt bereits bezahlt gemacht.“ Neckisch fragte Frank: „Mit oder ohne den Umweg über Burma?“ Susan blies als Antwort nur die Backen auf und schüttelte verneinend den Kopf. Wenig später ermahnte Champ sie zum Aufbruch.
Nach rund einer halben Stunde Fussmarsch erreichten sie einen kleinen Parkplatz, auf welchem der Fahrer mit dem Pick Up auf sie wartete. Hinten auf der Ladefläche des Pick Up prangte ein grosses Gummiboot und er hatte ihnen ein schmackhaftes Mittagessen mitgebracht. Die hungrigen Trekker verdrückten im Rekordtempo und mit Heisshunger den gebratenen Reis und die Hühnerschenkel. Champ schleppte mit dem Fahrer das Gummiboot, welches bereits aufgeblasen war, zum nahe gelegenen Fluss.
Wenig später trieb das Boot durch die tiefe Schlucht des Maenam Klong. Wie von einer riesigen Handkante in die Erde geschlagen, ragten die zerklüfteten Wände an ihnen empor. Links und rechts vom Fluss dichter, tiefer Urwald. Kleine Wasserfälle rieselten von den Wänden hinunter und das Licht in ihnen verzauberte die Umgebung in eine Märchenlandschaft, von der Susan pausenlos Fotos schoss.
„Du hättest besser gleich eine Videokamera mitgenommen“, gluckste ihr Klaus zu. Champ zeigte auf eine Stelle im Wasser und bei näherem Hinschauen konnte man erkennen, dass eine kleine Schlange durch den Fluss schwamm. Champ erklärte ihnen anhand der Sonne, wo das Karendorf lag, das sie besuchen wollten und in welcher Richtung Umphang liegt, bevor die Fahrt ruppiger wurde und einige Stromschnellen kamen, die sie zu durchqueren hatten.
„Manchmal kentern hier Boote“, erzählte er mit einem Lächeln. Deshalb kontrolliert er bei allen, dass ihre Schwimmwesten gut gebunden waren. Während das Wasser etwas unruhiger wurde, entdeckte Susan einen kleinen Affen, welcher eiligst vor ihnen flüchtete. Seine schrille Stimme schrillte durch den Dschungel. „Das muss ein Weibchen sein“, meinte Frank mit einem Grinsen und hielt sich die Ohren zu. Ein heftiger Schlag auf seinen Oberschenkel liess ihn deutlich spüren, was Susan von seiner Bemerkung hielt.
„Wir kommen zu den Stromschnellen“, rief Champ lautstark. Wilde Wasserstrudel schüttelten das Boot mit seinen Insassen kräftig durch, so dass sie mit ihren Paddeln alle Hände voll zu tun hatten, um es auf Kurs zu halten. Plötzlich zerriss ein Knall die Luft und auf der Vorderseite des Gummibootes klaffte ein grosses Loch, durch das die Luft schnell wich.
Einen Sekundenbruchteil später schlug etwas in die Hinterseite des Gummibootes ein und nach dem dritten Knall zischte es über dem Kopf von Frank. „Wir werden beschossen!“, schrie er, kurz bevor das Boot langsam, wie im Zeitlupentempo, sank und die Insassen ins Wasser kippten. Jeder kämpfte nun für sich gegen die Strömung und die Wirbel, welche sie trotz der Schwimmwesten immer wieder nach unten zogen.
Verzweifelt versuchten sie, kraulend den Felsen auszuweichen, welche nun nicht mehr anmutig, sondern sehr bedrohlich und gefährlich aus dem Wasser ragten. Susan war die Erste, welche das rettende Ufer erreichte. Klatschnass und völlig ausgepumpt lag sie im seichten Wasser und hielt sich an einer Wurzeln fest. Sie war erschöpft, hechelte nach Luft und schaute sich um.
Etwas weiter unten sah sie Frank und Klaus, welche nebeneinander schwammen und sich ebenfalls langsam dem seichten Wasser näherten. Sie liess sich vorsichtig nach unten zu ihren Freunden treiben. Vom Guide war weit und breit nichts zu sehen. Wenig später standen sie geschockt, aber unverletzt am Ufer. Klaus und Frank warfen sich nebeneinander ins Gras. Japsende Atemgeräusche waren vorläufig das einzige Lebenszeichen der Beiden.
Narbengesicht verzog enttäuscht das Gesicht. „Der einzige Weg, welcher an den verdammten Fluss führt und dann hat es da solche Stromschnellen, dass es fast unmöglich ist, zu zielen“, fluchte er vor sich hin. „Vielleicht kann ich sie weiter unten am Fluss noch abfangen“, sprach er sich Mut zu und versuchte, sich einen Weg durch das dichte Gebüsch zu bahnen. Nach einigen Metern gab er auf. Das Gehölz war zu dicht und ein Vorwärtskommen nicht möglich. „Hoffentlich saufen sie ab“, knurrte er wütend und stampfte missmutig davon.
Susan sass im hohen Grass und fragte sich, wie sie der Mörder wohl gefunden hatte. Ein Knacken im Unterholz schreckte sie auf. Die Augen von Frank waren angsterfüllt geweitet. Instinktiv stellte er sich schützend vor Susan. Die Geräusche aus dem Dschungel kamen immer näher. Dann stampfte ein Mann aus dem Dickicht heraus.
Es war Champ. Mit einem Schrei der Erleichterung erkannte Susan den Guide. Dieser schritt langsam auf sie zu und fragte besorgt nach ihrem Befinden. Er war ebenfalls klatschnass, aber sein Gesichtsausdruck war äusserlich gelassen und ruhig. „Sogar den Hut hat er noch auf“, dachte Susan und lächelte trotz der tiefen Angst in ihr, die sie seit den Schüssen wieder ergriffen hatte.
„Wenn wir uns beeilen, können wir in zwei Stunden im Dorf der Karen sein“, meinte Champ lakonisch und schaute dann seinen Kunden fordernd in die Augen. „Bevor wir aufbrechen, will ich aber wissen, warum man auf uns geschossen hat“, fragte er mit ernster Miene. „Hier laufen keine Irren herum, die einfach so auf Menschen und Boote schiessen“, sagte er, auf eine plausible Erklärung drängend.
Sie schilderten kurz die Ereignisse der letzten Tage. „Da seid Ihr in eine Scheissgeschichte ‘reingerutscht“, war sein einziger Kommentar. Dann schaute er kurz auf die Sonne und begann sich einen Weg durch das Unterholz zu bahnen. Die drei folgten ihm schweigsam und beklommen. Frank sonderte sich, sobald es wieder etwas flacher wurde, von der Gruppe ab. „Ich muss dringend pinkeln“, erklärte er und rief ihnen nach: „Lauft weiter.“
Hinter einem Gebüsch versteckt, versuchte er mit dem Funkgerät Gong zu erreichen. Er wollte alleine mit ihm sprechen und traute nun auch dem Guide nicht mehr. Wenig später hörte er die vertraute Stimme von Gong. „Was ist los, Frank?“, wollte er wissen. „Wir sind soeben beschossen worden!“, sprudelte es aus ihm heraus. Die Stimme von Gong erschien ihm wie eine Offenbarung des Himmels. „Wo seit ihr genau?“, wollte er wissen. „Wir werden in etwa zwei Stunden im Karendorf ankommen“, flüsterte Frank. „Versteckt Euch ausserhalb des Dorfes und lasst Euch auf keinen Fall blicken“, warnte ihn Gong.
„Ich brauche etwa vier Stunden, dann bin ich bei euch“, versprach er ihm.
Etwas ruhiger geworden, beendete Frank das Gespräch und brauchte einige Zeit in scharfem Marschtempo, bis er die Gruppe wieder eingeholt hatte. Von einem vergnüglichen Trekking konnte nicht mehr die Redesein. Ängstlich witterten sie in den Dschungel und jedes Geräusch schreckte sie auf.
Die nassen Füsse schabten an den Wanderschuhen und bereits nach kurzer Zeit spürte Frank, wie sich an den Fusssohlen Blasen bildeten. Die feuchten Kleider klebten am Körper und langsam quälten sie sich durch den Dschungel. Champ lief wie gewohnt mit federndem Schritt vorne weg und nichts schien darauf hinzudeuten, dass ihn irgend welche Probleme belästigten.
„Am besten wir hauen hier so schnell wie möglich ab“, meinte Frank zu Susan. Plötzlich und wie aus dem Nichts heraus waren sie wieder die Gejagten und das Gefühl zerrte an seinen Nerven und jagte ihm einen kalten Schauer den Rücken hinab.
Kurz vor dem Karendorf, welches sie ziemlich genau nach zwei Stunden erreichten, stoppte Frank die Gruppe. „Wir wollen hier rasten und schauen, ob das Dorf sauber ist“, befahl er mit fester Stimme. Von seinem Funkspruch mit Gong erzählte er nichts. Klaus erbot sich, zusammen mit Champ im Dorf zu fragen, ob dort Fremde gekommen sind.
Zusammen marschierten sie über eine kleine Brücke und bogen dann in das Dorf ein. Frank erzählte Susan vom Funkspruch, und dass Gong sie in zwei Stunden abholen wird. Dann funkte er erneut Gong an und gab ihm die genauen Koordinaten durch. Susan setzte sich auf eine Wurzel und schlug die Hände vor ihr Gesicht. Frank nahm seine Kamera. „Wenigstens einen Blick will ich auf das Karendorf werfen. Das Dorf war eigentlich der Hauptgrund, dass ich hierher gefahren bin“, maulte er und die tiefe Enttäuschung war gut aus seiner Stimme zu hören.
Den Einwand von Susan ignorierend lief er über die Brücke und dann einen kleinen Weg rechts am Dorfrand entlang. ,Die Hütten verändern das Gesamtbild des Dschungels nur unwesentlich‘, stellte er fest. Sie wurden ausschliesslich aus dem Material gebaut, welches der Dschungel hergab. Ein Zaun aus Ästen und Baumstämmen umsäumte die kleinen Grundstücke und darin sah er kleine Gemüsebeete und Fruchtbäume. Niedliche, schwarze Schweine schwänzelten aufgeregt um die Häuser und suchten lautstark grunzend nach etwas Essbarem.
Auf den Terrassen vor den Häusern sassen die älteren Frauen mit den Kleinkindern.
,Wahrscheinlich sind die Mütter auf den Feldern oder sammeln Nahrungsmittel im Dschungel‘, dachte er und bedauerte zutiefst, dass er nicht mehr vom Dorf und den Bewohnern sehen konnte. Er umrundete das Dorf und überblickte den Dorfkern, als er auf einer kleinen Anhöhe angekommen war.
Dort sah er Klaus und etwas weiter entfernt den Guide. Klaus sprach mit wild gestikulierenden Händen auf eine Frau ein, welche nicht in den traditionellen Trachten der Karen gekleidet war sondern eher europäisch, schien es Frank. ,Wahrscheinlich fragte er sie nach den Fremden‘, dachte er. Die Frau nickte dauernd und der Kopf war eigentümlich nach unten gebeugt. ,Demütig, fast ängstlich‘, dachte Frank erstaunt.
Sie schienen sich zu kennen. ,Für Fremde stehen sie zu nahe beisammen‘, bemerkte er. Es schien trotz der demütigen Haltung der Frau etwas wie Vertrautheit zwischen den Beiden zu herrschen. Dann schien es, als wolle Klaus die Frau wegschicken und er deutete mit den Händen immer wieder aus dem Dorf hinaus. Frank schmunzelte vor sich hin. „Wohl eine der kleinen Liebschaften des lieben Klaus. Will nicht, dass sie auf Susan trifft und schickt sie einfach weg.“
Er zoomte die beiden näher und schoss etwas gemein grinsend ein Foto. Plötzlich traute er seinen Augen nicht und starrte mit weit offenem Mund auf den Dorfkern.
Nicht weit von Klaus entfernt trat Daniel Dietrich, der Chef von Klaus, ins Dorf. Frank fotografierte Dietrich und hoffte, dass er das Bild mit seinen zittrigen Händen nicht verwackelt. Ein Mahut kam mit seinem Elefanten über den Dorfplatz und raubte ihm einen Augenblick die Sicht. „Schade, dass wir nicht länger bleiben können. Das Dorf ist wirklich sehr schön, ärgerte sich Frank und schlich auf dem gleichen Weg wieder zurück.
Als er etwa die halbe Strecke zurückgelegt hatte, kam ihm Susan entgegen. Ihre Augen weit aufgerissen vor Schreck, riss sie Frank mit sich zu Boden. Er spürte, wie sie am ganzen Leib zitterte. „Schnell weg!“, flüsterte sie und die Panik war deutlich aus ihrer Stimme zu hören. Dann sprintete sie wie von einer Tarantel gestochen vom Dorf weg.
Frank überlegte nicht lange und folgte ihr. Ein kleiner Weg führte sie an den malerischen Reisparzellen des Dorfes vorbei. Frank warf keuchend einen Blick auf die Herde Wasserbüffel, welche sich das saftige Gras neben den Reisparzellen schmecken liessen. Ohne das Tempo zu drosseln, übersprang Susan einen kleinen Bach, welcher die Felder mit Wasser speiste und folgte dann einem kleinen Weg, der wohl in den letzten zweihundert Jahren von den Karen und ihren Elefanten ausgetreten worden war und direkt in den Dschungel hineinführte.
Nach einigen hundert Metern blieb Susan stehen und rang nach Luft.
Frank musterte sie fragend, während er lautstark ein- und ausatmete und seine Lunge bei jedem Atemzug rasselte. „Narbengesicht!“, hechelte sie. „Der Mann mit der Narbe, der mich im Schloss umbringen wollte. Er ist im Dorf“, ergänzte sie. „Hat er Dich gesehen?“, fragte Frank ängstlicher als gewollt nach. „Ich glaube nicht“, erwiderte Susan etwas unsicher.
Sie schauten einander unschlüssig an. Dann übernahm Frank die Führung. „Wir laufen den Weg weiter“, beschloss er und bemühte sich um eine feste Stimme. Er nahm Susan tröstend in die Arme und versuchte damit, ihr etwas von der Angst zu nehmen. Sie zitterte am ganzen Körper und klammerte sich an Frank, wie wenn sie in ihn schlüpfen wollte. Am liebsten in ihn verschwinden, damit der Alptraum endlich ein Ende hat.
„Dietrich ist auch im Dorf. Kaum taucht der Dicksack auf, sind wir wieder in den grössten Schwierigkeiten“, sprach Frank mit wuterstickter Stimme. „Der hat mit Sicherheit Dreck am Stecken“, brauste er auf. Dann folgten sie in schnellem Schritt dem kleinen Weg, tiefer in den Dschungel hinein, bis sie an einer kleinen Lichtung eine Pause einlegten. Frank versuchte, Gong über das Funkgerät zu erreichen.
Trotz mehrmaligen Versuchen meldete sich niemand am Funkgerät. Mit dem GPS peilte er anschliessend ihre Position. Dann zeichnete er die Umrisse von Westthailand auf den Boden. Er wusste ungefähr, wo sich das Karendorf befand und markierte dieses mit einem Punkt. Dann versuchte er, sich so ruhig wie möglich zu orientieren. „Wir müssen nach Osten, Susan.“ Er zeigte mit der Hand die Richtung. „Weg von der Grenze und vom Karendorf.“
Auf der Seite der Lichtung, welche zum Dorf führte, entdeckten sie verschiedene Fruchtbäume, welche durch einen dichten Wall von Baumstämmen und Ästen gegen Wildtiere geschützt war. Sie pflückten einige der reifen Papayas und Mangos und hasteten weiter. Wann immer möglich, bogen sie in einen der Wildpfade ein, welche nach Osten führten. Frank überprüfte laufend mit dem GPS, dass die Richtung stimmte. „Weiter Frank!“, drängte ihn Susan zur Eile. „Wenn wir nicht kontrollieren, wohin wir laufen, ist die Gefahr gross, dass wir uns im Kreis bewegen“, erklärte er ruhig, aber bestimmt.
Langsam setzte die Dämmerung ein und es wurde merklich dunkler im Dschungel. „Wir müssen uns darauf einstellen, die Nacht im Dschungel zu verbringen“, sprach Frank mit einem besorgten Blick auf Susan.
Susan nickte etwas unsicher und hielt verstohlen Ausschau nach wilden Tieren. Endlich erreichte sie der Funkspruch von Gong. „Wo seid Ihr, Frank? An den angegebenen Koordinaten sicher nicht, sonst brauchten wir jetzt kein Funkgerät.“ Gong war unüberhörbar verärgert. ,Vielleicht macht er sich auch nur Sorgen um uns‘, beruhigte sich Frank.
Nachdem Frank den Sachverhalt erklärt hatte, der zu ihrer Flucht geführt hatte, war es einige Sekunden lang ruhig in der Leitung. „Ihr müsst im Busch übernachten“, sagte Gong und man hörte die Sorge aus seiner Stimme. „Schlaft nie gleichzeitig. Einer muss immer die Wache übernehmen“, schärfte er ihnen ein.
„Stampft von Zeit zu Zeit auf den Boden, damit die Schlangen euch nicht zu nahe kommen. Dann muss der Schlafplatz in der Nähe von einem Baum sein, welcher gut zu erklimmen ist“, ergänzte er seinen Schnellunterricht in Überlebenstechnik im Dschungel.
„Warum soll ich auf einen Baum klettern?“, fragte Frank ratlos nach. „Es sind wilde Elefanten in der Gegend“, antwortete ihm Gong mit ernster Stimme. „Der Baum muss gross sein, sonst werfen die Bullen ihn um, wenn sie Euch entdecken.“ Frank hörte sich wie aus weiter Ferne „Toll!“ sagen. „Sind vielleicht auch Aliens in diesem verdammten Busch? Und wohin sollen wir klettern, wenn diese kommen?“ Frank fand seine derzeitige Situation mehr als unangenehm und Susan schaute sich bereits hektisch nach einem grossen Baum um.
„Einen Alien siehst Du nur, wenn Du einen Spiegel dabei hast“, erwiderte Gong mit einem gequälten Lachen. „Ich werde euch morgen da rausholen“, versprach er ihm. „Bleibt in der Nähe der Koordinaten, welche Du mir durchgeben hast. In der Nacht wird euch kein Mensch im Busch verfolgen.“
Es schien Frank, wie wenn Gong die Wörter „kein Mensch“ etwas eigentümlich betonte. Ein leiser Schauer fuhr ihm den Rücken hinab. „Da sind wir ja beruhigt. Kein Mensch! Nur wilde Tiere, welche giftig sind oder Bäume umschmeissen!“ Dann stellte er stirnrunzelnd das Funkgerät ab. „Wir werden eine Nacht erleben, von der wir später noch einige Male unseren Enkeln erzählen können. „Falls wir morgen noch etwas erzählen können“, fügte er leise murmelnd hinzu.
Gemeinsam überlegten sie, wie gross wohl so ein Baum sein muss, damit ein Elefant ihn nicht umwerfen kann. Nachdem sie sich ein wenig umgesehen hatten, setzten sie sich neben einen riesigen Teakbaum, welcher robust genug schien, dass er einer ganze Elefantenherde standhalten könnte.
Sie kletterten probeweise einige Male hoch und merkten sich die Strukturen der Äste. Dann setzten sie sich unter den Baum und verspeisten die Früchte der Karen, während eine unheimliche und ihnen fremde Dunkelheit schnell und gespenstisch ruhig hereinbrach. Die Nacht hätte schrecklicher nicht werden können. Sie klammerten sich zitternd vor Angst aneinander und an Schlaf dachte keiner der Beiden auch nur im Enferntesten.
Jedes auch noch so kleine Geräusch schien durch den Dschungel zu hallen und schreckte sie auf. Die Sterne konnten die dichten Baumkronen nur an wenigen Stellen durchdringen und sie sahen kaum die Hand vor dem Gesicht. Immer mehr unbekannte, noch nie gehörte Geräusche drangen an ihr Ohr. Krampfhaft und leise flüsternd analysierten sie jedes der Geräusche und versuchten, es einzuordnen.
Der Wind umwehte die Blätter, die mit ihrem Raschelnd und dem Aneinanderreiben der kleinen Äste die Beiden zusätzlich verunsicherten. Während Frank jedes der unheimlichen Geräusche wohl hauptsächlich zur eigenen Beruhigung dem Wind zuordnete, erwartete Susan jederzeit den Angriff eines Elefanten. Eine kleine Maus, die im Dickicht nach Nahrung suchte, liess die beiden längere Zeit den Atem anhalten. War es, wie Frank glaubte, nur eine Maus oder doch ein Jäger auf der Pirsch, der das Rascheln beim Anschleichen verursachte?
Von Zeit zu Zeit standen Frank oder Susan auf und stampften auf den Boden, um wie von Gong angeraten, mögliche Schlangen zu vertreiben. Später war Susan unsicher, ob sie bei Nacht den Baum schnell genug erklettern konnte und sie simulierten einen Elefantenangriff. Mühsam und zeitraubend kletterten sieauf den Baum und waren nach der Übung noch mehr verunsichert.
Immer wieder schaute Susan auf ihre Uhr. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Nachdem sie bereits fünf Mal auf die Uhr geschaut hatte, als erst zwanzig Minuten verstrichen waren, stopfte sie die Uhr fluchend in die Hosentasche. Sich fest aneinander klammernd flüsterten sie einander Geschichten aus der Jugend zu. Susan erzählte von ihrer Familie, ihren drei Schwestern und dem konventionellen Haus, aus dem sie stammt. Frank sprach von seiner Mutter, die ihn und seinen kleinen Bruder alleine grossgezogen hatte, nachdem sein Vater verstorben war. Frank versuchte, sich mit ganzer Kraft in die Geschichte von Susan einzufühlen und alles andere um sich herum auszugrenzen. Er stellte sich den Sonntagstisch der Familie Sommer vor. Den obligaten Sonntagsbraten, welchen er zu riechen versuchte, das Tischgebet und am Schluss den Kuchen, welchen Frau Sommer gebacken hatte. „Schokoladenkuchen?“, fragte er nach.
Jede noch so kleine Nebensächlichkeit diente ihnen, die Schrecken der Dunkelheit zu verdrängen. Zwischendurch nickten sie kurz ein, um beim nächsten Geräusch gleich wieder mit angstgeweiteten Augen wach und aufgerichtet in den Dschungel zu starren.
Endlich, nach fast unendlich lang erscheinenden Stunden begrüssten die ersten Vögel den nun nicht mehr fernen, neuen Tag. Susan erschien es, als könne kein klassisches Konzert vollkommener inszeniert und gespielt werden. Der Dschungel erwachte. Die ersten Sonnenstrahlen schossen seitlich durch das Gebüsch und vertrieben die Schrecken der Nacht. Beide nickten, von ihrer Angst befreit, ein.
So fand sie Gong und ein erleichtertes Lächeln umspielte seine Lippen, als er die zwei, eng umschlungen und schlafend unter dem Teakholzbaum fand. Er setzte sich unweit der Beiden hin und bereitete ein improvisiertes Frühstück vor, das sie zur Stärkung brauchen würden. Kurz nach Sonnenaufgang war er bereits um das Karendorf geschlichen.
Dort sah er auch den Mann mit der auffälligen Narbe im Gesicht, welcher sich an einem Busch, unweit eines Hauses, erleichterte. Er prägte sich das Gesicht genau ein und verliess dann wieder unbemerkt das Dorf.
Frank schreckte mit einem Schrei hoch und stand plötzlich kampfbereit wie ein Boxer da. Seine Augen schauten auf Gong, welcher ihn erstaunt betrachtete. „Wie nennt sich Deine Morgengymnastik?“, fragte er gemütlich. „Das habe ich in einem Nahkampfkurs gegen Elefanten gelernt“, erwiderte Frank trocken und setzte sich dann erleichtert neben Gong.
„Sobald wir hier ‘raus sind, müssen wir die verschiedenen Puzzles zu einem Ganzen zusammenbringen“, meinte Gong während des Frühstücks. „Die vielen Anhaltspunkte ergeben alleine noch keinen Sinn“, fuhr er kopfschüttelnd fort. „Willst Du immer noch wissen, wer ich bin?“, fragte er Frank. Er nickte und Gong begann, aus seinem Leben zu erzählen.
„Ich wurde als drittes Kind in die frei denkende Familie eines Professors und einer Ärztin in Rangoon geboren. Nachdem die Junta in Burma das Ruder übernahm, schloss sich der Vater der demokratischen Bewegung an. Nach den Wahlen, welche die Demokraten gewannen, verschwand der Vater plötzlich spurlos.
Meine beiden grösseren Brüder wurden in die Armee zwangsverpflichtet. Mich steckten sie zwecks Umerziehung in ein Erziehungslager für Jugendliche. Mit vierzehn Jahren wurde ich zum Militärdienst eingezogen und in das Grenzgebiet geschickt. Meine Mutter starb vor Gram, nachdem mein Vater tot und meine Brüder gefallen waren. Wo ich war, hatte ihr niemand gesagt. Später schloss ich mich verschiedenen Rebellengruppen als Söldner an und kämpfte gegen das burmesische Regime. Seit einigen Jahren arbeite ich als verdeckter Agent für die Thailändische Drogenbehörde. Mittlerweile habe ich sogar einen thailändischen Pass. Als wir uns in dem kleinen Dorf getroffen haben, war ich ebenfalls auf dem Weg zum Schloss, Dich nahm ich nur mit, weil ich befürchtete, dass Du alleine mehr Unheil anrichtest.“
„Wie wahr!“, hörte Frank eine Stimme neben sich, doch Gong fuhr nach einem Seitenblick auf Susan fort: „Die Spur führt weiter nach Thailand, vermutlich Mae Sot. Es werden riesige Mengen an Yaba von Burma aus verschoben. Nicht nur in Thailand. Es scheint, dass die Drogenmafia einen Weg gefunden hat, grössere Drogenmengen nach Europa zu schmuggeln.
Der Markt in Europa wird mit burmesischem Yaba geradezu überschwemmt. Meine Aufgabe ist es, den Weg der Drogen zu verfolgen, bis sie Thailand verlassen. Ich bin mir sicher, dass Ihr etwas entdeckt habt, was Euch für die Organisation gefährlich werden lässt, weshalb man Euch eliminieren will“, schloss er seinen längeren Monolog.
„Was könnte es wohl sein, was ich weiss und trotzdem nicht zuordnen kann?“, fragte sich Susan stirnrunzelnd, kam aber zu keinem Ergebnis, worauf Gong fortfuhr: „Dreissig Kilometer nordöstlich von hier ist eine nur vom Militär genutzte Strasse, welche auf keiner Karte eingezeichnet ist. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir die dreissig Kilometer in knapp zwei Tagen.
Dort kann ich ein Fahrzeug anfordern, welches uns in die Zivilisation zurückbringt.“ Susan und Frank nickten ihm beide zu und standen unverzüglich auf. Gong schritt vorneweg und schlug mit einer Machete in der Hand einen Pfad in den dichten Dschungel.
„Noch mindestens eine Nacht im Dschungel. Noch einmal zwei Tage in denselben Kleidern“, seufzte Susan. Die Kleider und der Rucksack, welche sie in Umphang gekauft hatte, schwammen nun irgendwo auf dem Maenam Klong. Frank hatte auf der Bootsfahrt seinen Minirucksack nicht ausgezogen und war etwas besser ausgerüstet. Susan war bereits jetzt völlig übermüdet und wusste nicht, wie sie die nächsten zwei Tage überstehen sollte.
Einige Tränen flossen ihr ungewollt aus den Augen und rannen die schmutzigen Wangen hinunter. Gong schlug kraftvoll mitder Machete die störenden Äste und Zweige weg und schuf ihnen damit einen Weg. Frank und Susan stolperten schon bald erschöpft hinter ihm her. Nach einigen Stunden waren sie zu müde, um weiter mit ihrem Schicksal zu hadern. Die Gedanken verschwanden ganz aus ihrem Kopf und sie folgten Gong ausgelaugt und mechanisch, wie Maschinen.
Narbengesicht wurde zwar von einem Guide begleitet, doch er brach die Suche nach einigen Stunden ab, denn es gab keine Spuren, die auf eine Fluchtrichtung der Beiden hingedeutet hätte. ,Es wird Zeit für ein Erfolgserlebnis‘, murrte er. Dann kehrte er in das Karendorf zurück und informierte den Europäer. „Von Deinen Erfolgen kann ich mir nichts kaufen“, schrie der ihn an. Narbengesicht kannte die cholerische Ader des Europäers, welche jedoch selten so krass zum Vorschein kam.
Wie ein geprügelter Hund liess er das Gewitter auf sich niederprasseln. „Die Frau ist an allem schuld“, dachte er. Alles in ihm dürstete danach, sie endlich in seiner Gewalt zu haben. ,Dein Glück ist aufgebraucht, schöne Frau‘, zischte Narbengesicht mit einem bösen Funkeln in den Augen.