„So, Sie kommen also aus Deutschland und sind sicher, dass Sie sich nicht verlaufen haben? Ich meine ernsthaft ob Sie nicht woanders hinwollten als nach Pattaya?“
Christel überging die Frage und reagierte erst einmal schnippisch.
„Hätten Sie vielleicht erst einmal die Güte, sich vorzustellen? Es ist ein Akt der Unhöflichkeit, uns, deren Namen Ihnen ja bereits bekannt sind, ihre Namen vorzuenthalten!“
John und Neil hatten es wahrscheinlich ihrer militärischen Disziplin zu verdanken, dass sie bei den gestelzten Worten von Christel nicht lauthals lachen mussten. Fast gleichzeitig erhoben sie sich, legten ihren rechten Arm waagerecht über den Bauch und deuteten eine leichte Verbeugung an. Einem Außenstehenden, der die Sitten und Gebräuche in Pattaya kannte, musste eine solche Geste wie purer Anachronismus vorkommen. Wilma und insbesondere Christel nahmen diese Geste jedoch als kleine Lektion, die sie den Beiden erteilt hatten, zur Kenntnis. Lediglich Gai und Malee hatten ihre Hände vor den Mund gehoben und verbargen so ihre Erheiterung. Es war aber mehr ein Zeichen ihrer Erziehung und obwohl sie reichlich Erfahrung im Umgang mit Farang hatten, vermochten sie diesbezüglich nicht über ihre Schatten zu springen. Es war unschicklich gegenüber Fremden durch offenes Lachen Zähne zu zeigen.
„Gestatten Sie bitte, dass wir uns vorstellen. Der Gentleman zu meiner Linken heiß Neil, die Dame rechts neben ihm heißt Malee und links von ihm sitzt Malees Freundin Nit. Die Dame an meiner rechten Seite heißt Gai und ihre Freundin heißt Gung. Mein Name ist John. Ich hoffe, wir habe ihrem Bedürfnis nach angemessener Vorstellung entsprochen?“
Das Auftreten von John wirkte auf die beiden Farang in einer Art und Weise seriös, dass weder Christel noch Wilma in diesem Moment auf den Gedanken kamen, dass dies lediglich eine Inszenierung war. Christel nahm die Vorstellung an.
„Danke sehr meine Herren, sie dürfen sich setzen!“
Das war selbst für John und Neil fast zuviel, mit Mühe schafften sie es, sich zu beherrschen und waren letztendlich froh, als sie wieder saßen.
Christel war ob des sicheren und selbstbewussten Auftretens der beiden Männer etwas perplex, brauchte diese Sekunden nach der Vorstellung, um sich wieder einigermaßen zu sammeln. Wilma hatte diese Vorstellungszeremonie mit interessiertem Schweigen verfolgt. Irgendwo in den Tiefen ihres Unterbewusstseins schlug sanft ein kleines Glöckchen an, war aber zu diffus, dass sie es zu fassen bekam. Christel hingegen wollte sich keineswegs das Heft aus der Hand nehmen lassen.
„Wie kommt es, dass sie so gut Deutsch sprechen?“
„Gnädigste, wir sind pensionierte englische Offiziere, die über viele Jahre in Deutschland stationiert waren. Unseren wohlverdienten Ruhestand genießen wir in diesem wunderbaren Land. Reicht Ihnen das als Erklärung aus?“
Christel ging nicht auf die Frage ein. Sie hatte ein Verständnisproblem damit, dass offenbar zwei gebildete Menschen, zudem noch ehemalige Offiziere der britischen Armee, es in diesen Sündenpfuhl verschlagen hatte.
„Und warum kommen sie ausgerechnet nach Pattaya? Haben Sie in Deutschland oder England keine Frau mehr abbekommen?“
John und Neil waren bis jetzt mit dem Verlauf des vollkommen zufrieden. Die Klischee-Falle hatte zugeschnappt.
„Wieso glauben Sie, dass wir keine Frau mehr abbekommen haben?“
„Sonst wären sie doch nicht hier und würden ein anständiges Leben in Deutschland oder England führen.“
Um ein Haar wäre Neil Christel ob dieser pauschalen Abwertung ins Wort gefallen. Er war im Gegensatz zu John bezüglich dieser allgegenwärtigen, pauschalen Vorurteile wesentlich empfindlicher.
„So, dann werde ich jetzt einmal Klartext zu Ihnen sprechen. Erst einmal hatten wir sowohl in Deutschland als auch in England Affären mit einer Unzahl von Frauen. Daran hat es uns nie gemangelt. Generell haben uns die Frauen in Deutschland mehr zugesagt als die in England. Anfangs hatten wir beide auch Bindungsabsichten. Aber das häufig zickige und egoistische Verhalten unserer Partnerinnen hat uns dann letztendlich zu dem Entschluss geführt, uns nur noch Frauen zum Vergnügen zu nehmen.“
Christel Verstand überschlug sich förmlich. Sie war so sehr in ihrer Rolle fixiert, dass sie nur noch Schlagworte aufnahm und die eigentlichen Zusammenhänge ausblendete oder überhaupt nicht verstand, ‚zickig’, ‚egoistisch’ und ‚Frauen zum Vergnügen nehmen’ vernebelten ihre Wahrnehmung.
„So, die Frauen sind also egoistisch, zickig und sie nehmen sie sich! Ein absolut chauvinistisches Macho-Verhalten!“
‚Diese dämlichen Emanzen, du lieferst ihnen ein paar Schlagworte und sofort stellen sie das Denken ein’, dachte John bei sich.
„Sie sind ja recht schnell bei der Sache mit pauschalen Vorurteilen! Dabei wissen Sie überhaupt nichts über unser Verhältnis und Verhalten zu Frauen. Ich kann Ihnen nur soviel sagen, dass die Frauen, mit denen wir längere Beziehungen hatten, recht schnell ihre Sexualität eingesetzt haben, um sich Vorteile zu verschaffen. Das haben wir mit uns nicht machen lassen und entsprechend die Konsequenzen gezogen, bevor wir in eine Situation hineinrutschten, die uns womöglich teuer zu stehen gekommen wäre.“
Neil hielt es an der Zeit, sich entsprechend in das Gespräch einzubringen.
„Mit dieser Situation meint John die Institution Ehe. Wir können uns glücklich schätzen, nie verheiratet gewesen zu sein. Und nur, um es einmal richtig zu stellen: In 90% aller Fälle ging die Initiative von den Frauen aus, für eine gewisse Zeit unsere Gespielinnen sein zu wollen.“
Christel schaffte es einfach nicht, ihre eingefahrenen Verhaltensmuster zu durchbrechen.
„Wir haben ja soeben mitbekommen, wie Sie sich gegenüber Frauen verhalten!“
Das Wort ‚verhalten’ zischte Christel mehr als dass sie es normal aussprach.
„Sie begrabschen sie auf unverschämte Art und Weise. Nennen Sie dieses schwanzgesteuerte Verhalten etwa korrekt? Sie sind doch nichts weiter als billige Sextouristen.“
Wilma legte ob Christels harscher Worte ihre Hand auf deren Arm um sie etwas zu beruhigen. Neil ergriff das Wort.
„Wenn ich mir so anhöre, was sie hier für pauschalen Unsinn ablassen, frage ich mich ernsthaft, was sie hier in Pattaya verloren haben. Offensichtlich haben sie vom Tuten keine Ahnung und….“
Christel unterbrach Neil harsch, fühlte sich gehalten, auf Neils lückenhaft vorgebrachte Phrase zu kontern.
„Sie waren lange genug in Deutschland, haben aber noch nicht einmal die gängigen Phrasen drauf. Das heiß von Tuten und Blasen!“
„Ich weiß schon, was ich sage. Aber da ich nicht weiß, ob sie blasen können, habe ich das wohlweislich weggelassen.“
John, der gerade zu einem Schluck angesetzt hatte, musste an sich halten, um den Whisky nicht im Raum zu versprühen. Er sah die aufgerissenen Augen von Christel, die von dieser verbalen Attacke von Neil vollkommen überrasch wurde und ihren Mund nicht mehr zu bekam. Ganz anders Wilma. Ihr schien diese Schlagfertigkeit von Neil gefallen zu haben. Sie musste ebenfalls lachen. Christel benötigte ein paar Sekunden, aber bevor sie etwas sagen konnte, verspürte sie den verstärkten Druck von Wilmas Hand.
„Neil, sie scheinen ein ausgesprochen humorvoller Mensch zu sein. Um sie zu bestätigen: Sie haben mit ihrer gekürzten Phrase durchaus Recht, denn blasen können wir beide.“
Christel nahm diesen Zuspruch von Wilma in ähnliche Art und Weise auf, wie zuvor die Äußerung von Neil. Nur der Griff von Wilma hinderte sie im Moment daran, sich zu äußern.
„Christel, nimm es einfach mal mit etwas Humor, was Neil gesagt hat.“
Innerlich gab Christel Wilma, wenn auch widerstrebend, Recht. Ihr brannte noch immer zuviel auf der Seele, was sie noch los werden wollte, hatte aber glücklicherweise die Erkenntnis, dass etwas mehr innere Ruhe die Aussicht auf eine in ihrem Sinne erfolgreiche Diskussion erhöhen würde.