Teil 7
Diese Zugfahrt von Peking nach Ulan Bator (ca. 1200 km) ist nun auch wieder ein Reiseabschnitt, den ich im Ablauf einfach nicht mehr auf die Reihe kriege. Jedenfalls war ich bis zur Abfahrt dieses Chinesischen Zuges der Meinung, dass dieser ein durchgehender ist. Tatsächlich musste dann aber in einem trostlosen Ort in der Wüste Gobi in einen Russischen umgestiegen werden, scheinbar wegen einer unterschiedlichen Spurbreite.
Einer der Züge war recht komfortabel, der andere weniger.
Am Grenzübergang von der Chinesischen Innerer Mongolei zur selbstständigen Äußeren Mongolei, früher ein Satelliten-Staat der SU, war die Zollkontrolle nur minimal. Im Zug saßen Russen, die auf den Märkten Pekings wie die Wahnsinnigen eingekauft hatten. Einige davon wollten damit bis Moskau. Klar war, dass diese Waren, vorwiegend Textilien, nicht zum Eigenbedarf bestimmt waren. Doch die Mongos ließen sie fast ohne Gepäckkontrolle einreisen und wie wir später mitgekriegt haben, auch nach Russland wieder fast ohne Zollkontrolle ausreisen. Doch davon später.
Eigentlich waren wir die Einzigen, die nicht nur ein Transitvisum für die Mongolei hatten, sondern ein richtiges Touristenvisum. Wir wollten ja 3 Tage einen Stopp Over dort machen.
So wurde mal kurz in unsere Rucksäcke geschaut, unsere Visa abgestempelt und die Hotelreservierung kontrolliert, ohne die es damals kein Visum gab.
Die Russen, Männlein wie Weiblein, waren bis Ulan Bator, wo wir dann ausgestiegen sind, ständig besoffen. Der Zug ging bis Irkutsk und war derselbe im Fahrplan, mit dem wir 3 Tage später weitergefahren sind.
Wir kamen dann irgendwann nachmittags in Ulan Bator an. Was uns sofort aufgefallen ist, hier war es schon scheißkalt. Während wir auf dem Bahnsteig unsere dünnen Windjacken aus den Rucksäcken packten, entdeckte uns auch schon unser gebuchter, noch überraschend junger Guide, auf den wir, wie es sich herausstellte, hier dringend angewiesen waren. Der sprach sehr gut Deutsch und hatte, wie er uns sagte, in der inzwischen untergegangenen DDR studiert. Mein Reisebüro-Betreiber versicherte mir, dass wir uns auf diesen absolut verlassen könnten. Wir wurden auch nicht von ihm enttäuscht!
Sein von mir gebuchter Auftrag war, uns vom Bahnhof abzuholen und dort 3 Tage später wieder abzuliefern. Irgendwelche Ausflüge sollten wir mit ihm persönlich aushandeln und extra bezahlen, weil zum Zeitpunkt meiner Buchung die Preisentwicklung und politische Situation dafür nicht absehbar war. Von ihm erhielten wir dann auch unsere lange vorgebuchten und längst bezahlten Tickets für die Weiterfahrt nach Irkutsk.
Gerade war eine Hungersnot und irgendwo ein Restaurant zu finden, war sehr schwierig. Unser Hotel, das wir mit Halbpension (Breakfast + Dinner) gebucht hatten, konnte nebst dem täglichen dürftigen Not-Frühstück nur einmal auch ein Not-Dinner für uns alleine realisieren. Die Staff war sehr nett und entschuldigte sich laufend für die Unannehmlichkeiten. Die Essensvorräte in den staatlichen Magazinen hätten die Russen gestohlen und mitgenommen wurde behauptet.
Ich zeigte für alles Verständnis.
So fuhr uns unser Guide 2 x abends in ein Restaurant, in dem es gegen Devisen ein kärgliches Essen gab, zu dem wir ihn natürlich eingeladen haben. Teuer war es hier ja nirgends, sofern es überhaupt was zu kaufen gab.
Als Auto fuhr er einen LADA, der noch das Nationalitäten-Kennzeichen DDR trug, das er uns stolz zeigte. Wie er uns sagte, haben ihm Freunde in der DDR in seinem Auftrag 2 Ladas gekauft, als nach der Wende derartige Fahrzeuge billig zu haben waren. Diese ließ er mit der Bahn von Berlin bis nach Ulan Bator schicken. Einen davon hat er dann verkauft. Vom Verkaufserlös konnte er dann seinen, nebst allen Transportkosten bezahlen.
Allerdings war das Autofahren gerade kaum noch möglich. Die wenigen Tankstellen waren geschlossen. Auf den Straßen fehlten fast sämtliche Schachtdeckel. Diese hätten die Russen gestohlen und mitgenommen, wurde behauptet.
Überhaupt war die ganze Infrastruktur zusammengebrochen. Da sich der kleine Mongolische Bruder nach dem Zusammenbruch der SU, nicht mehr von seiner ehemaligen Schutzmacht, die jetzt wieder Russland hieß, weiterbeschützen lassen wollte, wurden alle Russischen Beschützer abgezogen. So funktionierten nach kurzer Zeit kaum noch Kraftwerke, Raffinerien, Fernheizungen usw. Die Ersatzteile hätten die Russen gestohlen und mitgenommen.
Die Plattenbauten, die mich an Halle-Neustadt in Sachsen Anhalt erinnerten, und sicher auch von der damaligen DDR errichtet wurden, konnten somit nicht mehr mit Fernwärme versorgt werden. Dafür ragte jetzt aus jeder Wohnung ein Ofenrohr aus dem Balkonfenster, wo es herausqualmte. Das sah lustig aus, war es aber sicher nicht, weil auch der Nachschub an Brennmaterial zu Ende ging, obwohl der richtige Winter noch gar nicht angefangen hatte.
Bagger und Maschinen für den Kohleabbau hätten die Russen gestohlen und mitgenommen.
In unserem Hotel in dem wir die einzigen Gäste waren, war es saukalt. Die Heizung war abgeschaltet und warmes Wasser gab es auch nicht. Das Duschen wurde zur Folter. So gingen wir immer sofort, wenn wir uns im Hotel aufhielten, ins Bett und mummelten uns in unsere Decken ein. Täglich gab es unangekündigte Stromabschaltungen von mehreren Stunden. Obwohl wir in der 3. Etage wohnten, haben wir es uns deshalb nicht getraut, den Aufzug zu benützen.
Da wir am nächsten Tag alleine die Stadt besichtigen wollten, baten wir unseren Guide, uns ein wenig Geld zu tauschen, damit wir die Fahrt in den Stadtbussen bezahlen konnten. Die Busse hatten die Russen zum Glück nicht gestohlen und mitgenommen. Für einen US$ gab es dann ein ganzes Bündel Scheine, die wir immer dem Schaffner zusteckten, der sich davon dann abgriff, was das Ticket kostete. Abends hatten wir dann noch 2 Drittel der Scheine übrig.
Das Geld glich exakt den alten Sowjetischen Rubel und war in kyrillischen Buchstaben beschriftet. Bald schon sollte es eine Währungsreform geben, wo dann das neue Geld mit den alten Mongolischen Buchstaben beschriftet werden sollte. Obwohl diese nach der langen Sowjetischen Beschützerzeit gar niemand mehr lesen konnte, wollte man sie überall wieder einführen.
Wir fuhren dann zu mehreren Museen, die aber durchweg alle geschlossen waren. Egal – schon die Busfahrten waren ein Erlebnis, wie der Bus dann um die offenen Kanalisationsschächte Slalom fuhr.
Im Zentrum war dann so etwas Ähnliches wie ein “Roter Platz“, natürlich nicht so groß wie der originale in Moskau. Das Mausoleum war eine exakte Copy vom Lenin Mausoleum in Moskau. Es wurde für irgendeinen kommunistischen Staatschef erbaut. Als wir es innen besichtigen wollten, sagte man uns, dass es noch gar nie für die Öffentlichkeit zugänglich war. Unser Guide meinte später grinsend, dass es auch keine Leiche mehr gibt, da diese bei den vielen Stromausfällen angefault war und begraben werden musste.
Am 2. Tag machten wir dann einen Ausflug, für den er einen satten Preis forderte und auch sofort kassierte. Ich weiß heute nicht mehr wie viel, fand es aber etwas überzogen. Warum es so teuer war, wurde mir dann schnell klar. Als er uns nach dem Frühstück abholte, fuhren wir mehrere Privatwohnungen in den Plattenbauten an, wo uns die Leute dann Benzin in Flaschen verkauften. Wie er uns sagte, hätten die alle Zugang zu den Benzin-Vorräten bei ihren Arbeitsstellen, füllten heimlich das Benzin in Flaschen ab und schmuggelten es aus der Fabrik. Dass dieses Benzin dann teuer war, konnte ich nachvollziehen.
Der Ausflug war dann wirklich ein Erlebnis. Wir besuchten ein Jurten Dorf in einer trostlosen Einöde. Das waren noch echte Nomaden, die von der Pferdezucht lebten. Ein paar Kilometer abseits lebte seine “Show-Family“, der er öfters mal Touristen zuführte.
In so einer Jurte, einem grauen Zelt, das von innen besehen riesengroß war, lebte eine komplette Familie: Opa und Oma, 2 Söhne mit ihren Frauen und mindestens 10 Kinder. Die noch gar nicht so alten Frauen waren so dermaßen hässlich, dass ich gar nicht verstehen konnte, wie ein Mann denen auch noch Kinder machen kann.
Das Zelt war oben offen, so dass der Rauch von einem offenen Feuer in der Mitte des Innenraums abziehen konnte. Um dieses herum spielte sich dann auch das komplette Leben ab. Die etwa 100 Pferde, von denen die meisten Stuten waren, die täglich gemolken wurden, waren die Lebensgrundlage dieser Menschen. Aus der Milch wurde haltbare Sauermilch und Käse hergestellt, was von Händlern dann mit LKWs abgeholt und in der Stadt verkauft wurde. Ein alkoholisches Getränk aus der Stutenmilch wurde selber getrunken. Man bot es auch uns zum Kosten an, aber es schmeckte so furchtbar, dass ich es nicht runterschlucken konnte und draußen heimlich ausspucken musste. Anstandshalber kaufte ich einen 5-Liter Plastikkanister davon, vergaß aber dann vorsätzlich, ihn mitzunehmen.
Als man uns dann fragte, ob wir Reiten wollten, lehnten wir ab. Ohne Sattel, nur mit dem Zaumzeug, galoppierte unser Guide dann auf so einem Gaul ein paar Runden um das Lager. “Reiten kann hier jeder“, meinte er, “das haben wir Mongolen im Blut!“
Als ich mir dann vorgestellt habe, unter diesen Umständen in so einer Einöde, in der es im Winter bis zu -50° geben kann, ohne Radio und TV und auch noch ohne “Außendienst“ mit so einer hässlichen Frau leben zu müssen, hat es mich geschaudert.
Zurück in der Stadt zeigte uns unser Guide noch das Jurtendorf, in dem früher fast alle Bewohner der Stadt lebten. Es war immer noch dicht bevölkert.
Da am 3. Tag, an dem auch am späten Nachmittag schon wieder die Abfahrt war, noch etwas Benzin im Tank war, fuhr uns unser Guide zu einem Abstellgleis, wo wir alte abgestellte Dampfloks besichtigen konnten. Ein altes Militärmuseum wurde extra für uns geöffnet. Ein Sowjetischer Panzer vom 2. WK war auch zu sehen, der scheinbar von Mongolischen Soldaten bemannt, bis Berlin an Kampfhandlungen und an verschiedenen Schlachten teilgenommen hatte.
Ich hatte das Gefühl, dass uns unser Guide verzweifelt irgendwelche Sehenswürdigkeiten präsentieren wollte, die es einfach (noch) nicht gab. Inzwischen gibt es eine sehr gute touristische Infrastruktur mit perfekt erschaffenen oder restaurierten Sehenswürdigkeiten, wie mir ein Bekannter, der dieses Land 2020 besucht hat, erzählte. Die Schachtdeckel und all das andere, welches diese bösen bösen Buben angeblich gestohlen und nach Russland mitgenommen haben, sind auch wieder da.
Allerdings ist dieser Bekannte mit dem Flugzeug ein- und ausgereist, was ich einfach nicht als stilgerecht empfinde.
Was mich echt schier umgehauen hat:
Ausgerechnet, als uns unser Guide dann zum Bahnhof fahren wollte, hat meine Gretel das Zimmer vor mir verlassen und ist mit dem Aufzug nach unten gefahren, weil sie ihr Gepäck nicht 3 Etagen nach unten tragen wollte. Als ich das dann mitgekriegt habe, gab es eine schwere Ehetragödie. Hätten wir wegen einem Stromausfall den Zug verpasst, wären wir nur mit dem Flugzeug weitergekommen und dafür musste man die Tickets auch schon lange vorbestellen.
Da gab es dann wieder Böses wie: Man merkt bei dir einfach, dass du kein Abitur hast. Aber du hast doch auch keines! Ja, aber bei mir merkt man es halt nicht so.
Fortsetzung folgt