Member
Teil 10
Mit Nataschas Sohn fuhren wir dann am nächsten Tag nach dem Frühstück mit einem Bus zum Bahnhof. Von dort ging es mit einem Vorortzug Richtung Baikal-See. Viele Waldbeeren-Sammler waren im Zug. Sie hatten alle Blech-Tornister auf den Rücken geschnallt. Da es Samstag und somit arbeits- und schulfrei war, fuhren auch viele Familien mit ihren Kids in diesem Triebwagenzug mit, der an jedem Bahnhof hielt. Auch diese waren zum Beerensammeln unterwegs. Laufend wurden wir von Schnellzügen überholt. Hier war alles mehrgleisig und elektrifiziert. Es war dichter Wald und nach und nach stiegen alle Beerensammler an verschiedenen Stationen aus.
Wie mit dem Schaffner ausgemacht, hielt dieser Zug dann extra für uns vor einem Tunnel. Wir sollten genau hier am späten Nachmittag zu einer bestimmten Uhrzeit warten und würden dann wieder aufgepickt. “Das klappt“, versprach uns unser junger Guide, “das mach‘ ich immer so!“
Wohlbemerkt – das war die Hauptstrecke der Transsib nach Wladiwostok und alle paar Minuten pfiffen hier Schnellzüge in beiden Richtungen vorbei.
Er erzählte uns dann, dass es in diesem kilometerlangen Tunnel stark bergab, bis auf das Höhen-Niveau des Sees ginge. Kurz nachdem diese neue Strecke eröffnet wurde, hätte es im oberen Teil des Tunnels ein schweres Unglück gegeben. Um die Strecke schnell wieder freizukriegen, hätte man dann einfach den ganzen Schrott mit mehreren aneinander gekoppelten Loks aus dem Tunnel geschoben und den Abhang hinunterrollen lassen. Diesen steilen Abhang stiegen wir jetzt ab. Die Schrottteile mit der völlig verrosteten Lok und den umgekippten Waggons sahen gespenstisch aus. Teilweise wuchsen schon Bäume heraus.
Bald erreichten wir unten das Ufer des Sees, an dem die Trasse der alten Bahnstrecke entlang verlief. Diese wurde scheinbar nur noch manchmal von einem Touristenzug befahren.
Auf den Gleisen liefen wir dann mehrere Kilometer und durch einige Tunnels am See entlang, bis zu einem Grillplatz, wo unser junger Guide ein Feuer machte und darin zwei geöffnete Dosen mit Fleisch erhitzte. Dieses aßen wir dann direkt aus den Dosen zusammen mit Brot, tranken dazu zwei Flaschen Bier und staunten, was er alles aus seinem Rucksack gezaubert hatte. Dann gab es noch ein paar Schluck Wodka aus einem “Flachmann“. Obwohl uns dabei ein eiskalter Wind um die Ohren pfiff, war dieser Lunch einfach klasse.
Wir stiegen dann wieder bergauf und erreichten schließlich ein typisches russisches Dorf. Die Holzhütten waren in verschiedenen Farben gestrichen und alles wirkte so malerisch wie auf einer Ansichtskarte. Wir besuchten dort ein uraltes Weib in einem uralten Haus. Geheizt war nur die Küche mit einem Herd. In den anderen Zimmern war es bitter kalt. Er erzählte uns dann, wie das Leben in so einem Dorf abläuft, das im Winter oft wochenlang eingeschneit und völlig von der Außenwelt abgeschnitten ist. Die Oma erzählte uns bei Tee und Keksen, dass ihr Mann im “Großen Vaterländischen Krieg“ gefallen sei und auch ihre Kinder inzwischen schon alle gestorben wären.
Als ich mich beim Abschied mit einem kleinen Geldgeschenk bedanken wollte, winkte unser junger Guide ab. Er hatte bereits ein paar zusammengefaltete Rubel-Scheine unter der Keksdose platziert. “So macht man das hier“, meinte er.
Wir wanderten noch einige Kilometer aufwärts, durchquerten mehrere ähnliche Dörfer und erreichten schließlich die Bahnlinie, wo wir den Treffpunkt am Tunneleingang ca. 15 Minuten vor der vereinbarten Zeit erreichten. Wow – das war Timing!
Überraschenderweise stand da aber ein Schnellzug in Richtung Irkutsk. Wie uns der Schaffner an einer offenen Tür sagte, schon gut eine Stunde. Dahinter müsse ein riesiger Stau von Zügen sein, darunter unser Vorortzug.
Unser Guide meinte zu uns, wenn er dem Schaffner ein paar Rubel im Wert von etwa 10 DM zustecken würden, könnten wir in diesen Zug einsteigen und wären sicher eher in Irkutsk. Natürlich übernahmen wir dies und konnten einsteigen. Als es dann kurz darauf tatsächlich losging, fuhr dieser Zug, ohne Halt, direkt bis Irkutsk.
Zuhause bestätigten wir Natascha, dass dies wirklich ein Super-Ausflug gewesen sei.
Ja und was sollten wir ihm nun dafür abdrücken?
Ich hatte noch im Kopf, was ich in D Brutto dafür bezahlt hatte. Sicher hat da unser Ein-Mann-Reisebüro auch einen guten Teil davon abgegriffen, so dass die Netto-Summe für Nataschas Reisebüro weit weniger gewesen sein mag. Ich nahm nun die Bruttosumme zur Orientierung und legte auf diese noch etwas drauf. Scheinbar lag ich richtig, denn beide waren sichtlich happy und bedankten sich überschwänglich.
Eigentlich mag ich solche “Up to you Vereinbarungen“ ja nicht. Man kann voll daneben liegen. Beim Pay6 gehe ich nie darauf ein und bestehe auf eine vorher vereinbarte Summe.
Natascha sagte uns dann, dass sie heute von einer Freundin zum Geburtstag eingeladen wäre und ob wir nicht mitkommen wollten. Ja schon, aber wir hatten ja gar kein Geschenk. Natascha meinte, wenn es uns nicht zu viel wäre, könnte sie noch schnell eine Flasche Cinzano besorgen was hier sehr gerne getrunken würde, sofern man es sich leisten könne. Die Ein-Literflasche kostete dann um die 20 DM und kam als Geschenk tatsächlich sehr gut an.
Mit einem öffentlichen Bus fuhren wir dann gute 20 km zu einer riesigen Plattenbau-Siedlung. Die Freundin wurde gerademal so um die 40, sah aber wie 60 aus. Auch die anderen 7 Mädels waren im gleichen Alter, alle viel zu fett und aufgedunsen. Alle waren geschieden! Die einzige Hübsche war Natascha. Ich war der einzige männliche Gast. Meine Gretel sammelte einige Pluspunkte, indem sie in der Küche mithalf. Ich, indem ich laufend schlüpfrige Witze erzählte, die Natascha dann, sich peinlich berührt gebend, übersetzte.
Es wurde gesoffen, dass es nur so krachte. Schließlich konnte ich nicht mehr mithalten und verweigerte jedes Nachschenken. Meine Gretel war schon längst auf einem Stuhl in der Ecke eingeschlafen. Alle umarmten sich schließlich und sangen traurige, schwermütige Lieder. Mehrmals klingelte es an der Wohnungstür. Es waren Nachbarinnen, die wegen des Lärms nicht schlafen konnten. Aber anstatt sich zu beschweren, brachten alle etwas zum Saufen und feierten mit.
Die Gastgeberin schrieb dann in einen Bilderband vom Baikalsee noch eine Widmung, indem sie uns als wunderbare Deutsche Freunde bezeichnete, sich überschwänglich für unseren Besuch bedankte und uns diesen Bildband weinend schenkte.
Lange nach Mitternacht brachen wir dann endlich auf. Da der öffentliche Bus schon lange nicht mehr fuhr, liefen wir zu einem zentralen Platz. Dort standen mehrere Autos mit Fahrern, die sich als private Taxifahrer prostituierten, was eigentlich verboten war, jedoch in Ermangelung richtiger Taxis geduldet wurde.
Schon kurz nach dem Start, merkten wir, dass der Fahrer total besoffen war und wir uns deshalb in akuter Lebensgefahr befanden.
Immer wieder einen Schluck aus der Pulle nehmend raste er mit Höchstgeschwindigkeit dahin. Als ihn Natascha anflehte, doch langsamer zu fahren, meinte er, ein so sicherer Fahrer zu sein, dass er diese Strecke sogar mit verbundenen Augen fahren könne und knipste auch noch das Licht aus. Nachdem wir schließlich trotz allem tatsächlich doch noch heil angekommen waren und Natascha ihn bezahlt hatte, raste er mit kreischenden Reifen davon – ufff !!!
Am nächsten Tag war auch schon wieder die Abreise. Natascha und ihr Sohn hatten sich nach dem Frühstück schon von uns verabschiedet. Wir hingen noch ein paar Stunden in der Wohnung ab, als wir dann nachmittags von ihrem Ex-Mann abgeholt und zum Bahnhof gefahren wurden. Hier wartete schon der “Baikal-Express“ nach Moskau auf uns.
Fortsetzung folgt!
Mit Nataschas Sohn fuhren wir dann am nächsten Tag nach dem Frühstück mit einem Bus zum Bahnhof. Von dort ging es mit einem Vorortzug Richtung Baikal-See. Viele Waldbeeren-Sammler waren im Zug. Sie hatten alle Blech-Tornister auf den Rücken geschnallt. Da es Samstag und somit arbeits- und schulfrei war, fuhren auch viele Familien mit ihren Kids in diesem Triebwagenzug mit, der an jedem Bahnhof hielt. Auch diese waren zum Beerensammeln unterwegs. Laufend wurden wir von Schnellzügen überholt. Hier war alles mehrgleisig und elektrifiziert. Es war dichter Wald und nach und nach stiegen alle Beerensammler an verschiedenen Stationen aus.
Wie mit dem Schaffner ausgemacht, hielt dieser Zug dann extra für uns vor einem Tunnel. Wir sollten genau hier am späten Nachmittag zu einer bestimmten Uhrzeit warten und würden dann wieder aufgepickt. “Das klappt“, versprach uns unser junger Guide, “das mach‘ ich immer so!“
Wohlbemerkt – das war die Hauptstrecke der Transsib nach Wladiwostok und alle paar Minuten pfiffen hier Schnellzüge in beiden Richtungen vorbei.
Er erzählte uns dann, dass es in diesem kilometerlangen Tunnel stark bergab, bis auf das Höhen-Niveau des Sees ginge. Kurz nachdem diese neue Strecke eröffnet wurde, hätte es im oberen Teil des Tunnels ein schweres Unglück gegeben. Um die Strecke schnell wieder freizukriegen, hätte man dann einfach den ganzen Schrott mit mehreren aneinander gekoppelten Loks aus dem Tunnel geschoben und den Abhang hinunterrollen lassen. Diesen steilen Abhang stiegen wir jetzt ab. Die Schrottteile mit der völlig verrosteten Lok und den umgekippten Waggons sahen gespenstisch aus. Teilweise wuchsen schon Bäume heraus.
Bald erreichten wir unten das Ufer des Sees, an dem die Trasse der alten Bahnstrecke entlang verlief. Diese wurde scheinbar nur noch manchmal von einem Touristenzug befahren.
Auf den Gleisen liefen wir dann mehrere Kilometer und durch einige Tunnels am See entlang, bis zu einem Grillplatz, wo unser junger Guide ein Feuer machte und darin zwei geöffnete Dosen mit Fleisch erhitzte. Dieses aßen wir dann direkt aus den Dosen zusammen mit Brot, tranken dazu zwei Flaschen Bier und staunten, was er alles aus seinem Rucksack gezaubert hatte. Dann gab es noch ein paar Schluck Wodka aus einem “Flachmann“. Obwohl uns dabei ein eiskalter Wind um die Ohren pfiff, war dieser Lunch einfach klasse.
Wir stiegen dann wieder bergauf und erreichten schließlich ein typisches russisches Dorf. Die Holzhütten waren in verschiedenen Farben gestrichen und alles wirkte so malerisch wie auf einer Ansichtskarte. Wir besuchten dort ein uraltes Weib in einem uralten Haus. Geheizt war nur die Küche mit einem Herd. In den anderen Zimmern war es bitter kalt. Er erzählte uns dann, wie das Leben in so einem Dorf abläuft, das im Winter oft wochenlang eingeschneit und völlig von der Außenwelt abgeschnitten ist. Die Oma erzählte uns bei Tee und Keksen, dass ihr Mann im “Großen Vaterländischen Krieg“ gefallen sei und auch ihre Kinder inzwischen schon alle gestorben wären.
Als ich mich beim Abschied mit einem kleinen Geldgeschenk bedanken wollte, winkte unser junger Guide ab. Er hatte bereits ein paar zusammengefaltete Rubel-Scheine unter der Keksdose platziert. “So macht man das hier“, meinte er.
Wir wanderten noch einige Kilometer aufwärts, durchquerten mehrere ähnliche Dörfer und erreichten schließlich die Bahnlinie, wo wir den Treffpunkt am Tunneleingang ca. 15 Minuten vor der vereinbarten Zeit erreichten. Wow – das war Timing!
Überraschenderweise stand da aber ein Schnellzug in Richtung Irkutsk. Wie uns der Schaffner an einer offenen Tür sagte, schon gut eine Stunde. Dahinter müsse ein riesiger Stau von Zügen sein, darunter unser Vorortzug.
Unser Guide meinte zu uns, wenn er dem Schaffner ein paar Rubel im Wert von etwa 10 DM zustecken würden, könnten wir in diesen Zug einsteigen und wären sicher eher in Irkutsk. Natürlich übernahmen wir dies und konnten einsteigen. Als es dann kurz darauf tatsächlich losging, fuhr dieser Zug, ohne Halt, direkt bis Irkutsk.
Zuhause bestätigten wir Natascha, dass dies wirklich ein Super-Ausflug gewesen sei.
Ja und was sollten wir ihm nun dafür abdrücken?
Ich hatte noch im Kopf, was ich in D Brutto dafür bezahlt hatte. Sicher hat da unser Ein-Mann-Reisebüro auch einen guten Teil davon abgegriffen, so dass die Netto-Summe für Nataschas Reisebüro weit weniger gewesen sein mag. Ich nahm nun die Bruttosumme zur Orientierung und legte auf diese noch etwas drauf. Scheinbar lag ich richtig, denn beide waren sichtlich happy und bedankten sich überschwänglich.
Eigentlich mag ich solche “Up to you Vereinbarungen“ ja nicht. Man kann voll daneben liegen. Beim Pay6 gehe ich nie darauf ein und bestehe auf eine vorher vereinbarte Summe.
Natascha sagte uns dann, dass sie heute von einer Freundin zum Geburtstag eingeladen wäre und ob wir nicht mitkommen wollten. Ja schon, aber wir hatten ja gar kein Geschenk. Natascha meinte, wenn es uns nicht zu viel wäre, könnte sie noch schnell eine Flasche Cinzano besorgen was hier sehr gerne getrunken würde, sofern man es sich leisten könne. Die Ein-Literflasche kostete dann um die 20 DM und kam als Geschenk tatsächlich sehr gut an.
Mit einem öffentlichen Bus fuhren wir dann gute 20 km zu einer riesigen Plattenbau-Siedlung. Die Freundin wurde gerademal so um die 40, sah aber wie 60 aus. Auch die anderen 7 Mädels waren im gleichen Alter, alle viel zu fett und aufgedunsen. Alle waren geschieden! Die einzige Hübsche war Natascha. Ich war der einzige männliche Gast. Meine Gretel sammelte einige Pluspunkte, indem sie in der Küche mithalf. Ich, indem ich laufend schlüpfrige Witze erzählte, die Natascha dann, sich peinlich berührt gebend, übersetzte.
Es wurde gesoffen, dass es nur so krachte. Schließlich konnte ich nicht mehr mithalten und verweigerte jedes Nachschenken. Meine Gretel war schon längst auf einem Stuhl in der Ecke eingeschlafen. Alle umarmten sich schließlich und sangen traurige, schwermütige Lieder. Mehrmals klingelte es an der Wohnungstür. Es waren Nachbarinnen, die wegen des Lärms nicht schlafen konnten. Aber anstatt sich zu beschweren, brachten alle etwas zum Saufen und feierten mit.
Die Gastgeberin schrieb dann in einen Bilderband vom Baikalsee noch eine Widmung, indem sie uns als wunderbare Deutsche Freunde bezeichnete, sich überschwänglich für unseren Besuch bedankte und uns diesen Bildband weinend schenkte.
Lange nach Mitternacht brachen wir dann endlich auf. Da der öffentliche Bus schon lange nicht mehr fuhr, liefen wir zu einem zentralen Platz. Dort standen mehrere Autos mit Fahrern, die sich als private Taxifahrer prostituierten, was eigentlich verboten war, jedoch in Ermangelung richtiger Taxis geduldet wurde.
Schon kurz nach dem Start, merkten wir, dass der Fahrer total besoffen war und wir uns deshalb in akuter Lebensgefahr befanden.
Immer wieder einen Schluck aus der Pulle nehmend raste er mit Höchstgeschwindigkeit dahin. Als ihn Natascha anflehte, doch langsamer zu fahren, meinte er, ein so sicherer Fahrer zu sein, dass er diese Strecke sogar mit verbundenen Augen fahren könne und knipste auch noch das Licht aus. Nachdem wir schließlich trotz allem tatsächlich doch noch heil angekommen waren und Natascha ihn bezahlt hatte, raste er mit kreischenden Reifen davon – ufff !!!
Am nächsten Tag war auch schon wieder die Abreise. Natascha und ihr Sohn hatten sich nach dem Frühstück schon von uns verabschiedet. Wir hingen noch ein paar Stunden in der Wohnung ab, als wir dann nachmittags von ihrem Ex-Mann abgeholt und zum Bahnhof gefahren wurden. Hier wartete schon der “Baikal-Express“ nach Moskau auf uns.
Fortsetzung folgt!